Message 04087 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT03830 Message: 11/11 L3 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Was kann man hier tun? (Gegenbilder-Buch)



3 weeks (22 days) ago Stefan Meretz wrote:
Stefan Merten wrote:

Hi Stefan und Liste!

Dito;-)

Doppel-Dito :-) .

Das wird wieder lang hier und auch noch mit vielen verschiedenen
Aspekten. Hoffentlich nicht nur für uns spannend.

Ist schon etwas länger her, deswegen zitiere ich es in Gänze.

Weil es schon wieder länger her ist und ich selbst anfangs etwas
Schwierigkeiten hatte, mich wieder einzufädeln, zitiere ich nochmal
großzügig.

Ich habe
aber auch an vielen Stellen Anmerkungen.

Die vielen Übereinstimmungen:-)) kürze ich dann mal.

:-) . Deine Mail hat mir auch viel Freude gemacht. Ich denke, wir
kriegen da was hin :-) .

Ein Beispiel aus dem realen Leben: Zunächst sollte der Verkauf
politischer Bücher die
politische Arbeit finanzieren, dann sollte der Verkauf politischer
Bücher den Verlag finanzieren und schließlich wurden die Krimis
entdeckt, die viel mehr Geld brachten als die politischen Bücher. Nun
muß jedes Buch selbst seine Kosten "erwirtschaften", denn auch die
(Selbst-) Angestellten wollten "bezahlt" sein, und die politischen
Bücher starben aus.

Ja, das ist ein Beispiel. Was hier vorliegt ist quasi eine
innerbetriebliche Quersubventionierung. Die kann grundsätzlich auch
gut gehen - wie uns Dumping-Preise immer wieder beweisen.

Was heisst "gut gehen"? Normalerweise meint das "gut über den Ladentisch
gehen".

Mit "gut gehen" meinte ich hier, daß die politischen Bücher bei
Quersubventionierung nicht notwendig aussterben müssen.

Natürlich kostet politische Arbeit auch Geld, und Geld zu nehmen ist
nichts Verwerfliches. Doch der Rubikon wird überschritten, wenn die
eigene, individuelle Existenz von der Existenz der Gruppe abhängig
wird, was bedeutet, den Erhalt der Gruppe im eigenen partialen
Überlebensinteresse als Selbstzweck zu betreiben. Politische Gruppen
müssen ohne existenziellen Schaden ihrer Mitglieder untergehen können,
und Mitglieder müssen Gruppen verlassen können, ohne daß ihre Existenz
infrage steht.

Mir ist mittlerweile noch ein Gedanke gekommen, den ich hier zwanglos
einweben kann.

Meine Erfahrung mit politischen aber auch allen möglichen anderen
Zusammenhängen - z.B. auch beruflich - ist die, daß es fast immer
einige wenige gibt, die den Karren ziehen. Von deren Präsenz ist eine
Gruppe dann auch ziemlich abhängig. Genauer: Das Gelingen des
Gruppenanliegens hängt erheblich von deren Anteil ab. Das Gefühl habe
ich im übrigen auch bei vielen Freien-Software-Projekten - vor allem
den kleineren.

Gleichzeitig geistert ja immer noch das "personal-konkret" durch die
Bits der Liste. *So herum* - das konkrete Menschen wichtig sind -
könnte ich mir das dann sogar sehr gut und treffend vorstellen und das
wäre in der Tat auch erheblich anders als im Kapitalismus, dessen
Sinnen und Trachten ja darauf ausgerichtet ist, alle Menschen
ersetzbar zu machen.

Wie Benni richtig anmerkt, ist das aber z.B. bei Software-Projekten de
facto gar nicht mehr drin. Wenn da eineR geht, dann geht ihr Wissen
zumindest zu einem erheblichen Teil mit - auch wenn einige
durchgeknallte Software-Engineering-Profs das nicht wahrhaben
wollen...

Hier scheint also eine weitere Linie auf, wo sich im Innern des
Kapitalismus bereits widersprüchliche Aspekte entwickeln, die in der
Freien Software tendenziell aufgehoben sind.

Das geht nur in autonomen Strukturen, die nicht nach
Verwertungsprinzipien funktionieren.

Hier liegen einige Knackpunkte. Ich versuche es mal ein bißchen
aufzudröseln.

"Wenn die eigene, individuelle Existenz von der Existenz der Gruppe
abhängig wird" kann verschieden ausgelegt werden. Da der Mensch
bekanntlich nicht vom Brot alleine lebt, könnte es hier mehrere
Dimensionen existenzieller Abhängigkeit geben. Die finanzielle
Abhängigkeit, über die du da wohl sprichst,

Ja, aber das lässt sich nicht als DM-Betrag ausdrücken.

ist da nicht die einzige, denn ich kann z.B. auch emotional von einem
bestimmten Zusammenhang abhängig sein.

In dem Sinne, dass mein Wohlbefinden von dem Zusammenhang abhängt, ok.
Wenn die Gruppe futsch ist, geht's mir mies - so etwa. Dass das
existenzielle Dimensionen annehmen kann, ist aber eher ein extremer
Grenzfall.

Ja, das würde ich auch denken. Die Leute, die sich wegen des
Zusammenbruchs einer (politischen) Gruppe aufhängen sind wenige - oder
sind die schon ausgestorben? (Uuh, böse makaberer Kalauer ;-) ).

Existentiell abhängig im engen Sinne - d.h. meine biologische
Fortextistenz ist gefährdet - dürfte grundsätzlich bei einem
Sozialstaat ein wenig schwierig sein.

In diesem ganz engen Sinn ja, obwohl auch hierzulande z.B. Leute
erfrieren. Aber das meinte ich nicht. Was je ich für meinen
Existenzerhalt an Mitteln brauche, ist unterschiedlich - deswegen: nicht
in DM ausdrückbar. Daher ist der Sozialstaat auch nur die letzte
Auffanglinie.

Na, das ist aber vielleicht doch ein wichtiger Punkt. Die Leute, die
in Lohn und Brot eines politischen Vereins stehen - z.B. die
Gewerkschaften oder Parteien um mal größere welche zu nennen - müssen
schließlich nicht da arbeiten, sondern könnten ihre Brötchen auch
anderswo verdienen. Das gilt auch für den alternativen Buchverlag...

Hier müssen wir also
zweckmäßigerweise von Graden von Abhängigkeit sprechen.

Jetzt ist "existenziell" bei dir schon weg. Das hat Folgen...;-)

...so gesehen ist die *existentielle* Abhängigkeit auch bei einer
finanziellen Abhängigkeit auch vor dem Sozialstaat nicht wirklich
gegeben. Vielmehr werden die Leute Gründe haben, in genau *dieser*
finanziellen Abhängigkeit - ähm: bei genau diesem Arbeitgeber -
verbleiben zu *wollen*.

Wir haben es also hier mit einem durch zwei Dimensionen aufgespannten
Raum zu tun. Die eine Dimension gibt den Grad der Abhängigkeit an und
die andere Dimension die Art der Abhängigkeit (finanziell, emotional,
sozial, etc.).

Wenn ich dein Postulat jetzt richtig deute, dann heißt das, daß du den
Nullpunkt forderst: KeineR darf irgendwie von einem Projekt abhängig
sein, denn sonst könnten deren Partialinteressen im Projekt dominant
werden.

Das deutest du in dem Fall nicht richtig.

Gut. Dann ist auch die eine oder andere Folgerung hinfällig.

Es ging mir um den
existenziellen Erhalt. Das ist dann der Fall, wenn die Gruppe eine
wichtige Rolle in meiner Reproduktion spielt - gerade auch dann, wenn
alles andere in der Gruppe mies is t.

S.o. Da müßten wir vielleicht doch nochmal genauer hinsehen.

Irgendwie stört mich an diesem Bild, daß mir dahinter der Wunsch der
allgemein unabhängigen Person zu stehen scheint, des unbeschränkt
autonomen Individuums. Das halte ich für eine Illusion, die uns die
Aufklärung, zumindest aber der Kapitalismus in den Kopf gedrückt hat.

Darum geht es mir nicht. Das unbeschränkt autonome, freischwebende
Individuum gibt es nicht. Ich stimme dir zu: das ist eine bürgerliche
Illusion.

Gut, das du das sagst :-) . So klar war mir das in letzter Zeit nicht
mehr.

Aber es ist jedenfalls klar, daß ein solches unbeschränkt autonomes
Individuum nur noch Partialinteressen haben kann. Ein bißchen handelt
mensch sich mit diesem Bild also das Problem erst ein, das mensch
eigentlich lösen will: Den (potentiellen) Widerspruch zwischen
Partialinteressen und Allgemeininteresse.

Verwechsle bitte Individualinteresse (das du hier vermutlich meinst)
nicht mit Partialinteresse. Ein Individualinteresse kann im
Allgemeininteresse aufgehoben sein oder auch nicht.

Ok. Das Individualinteresse hatte ich in anderen Mails wohl mit
Partikularinteresse bezeichnet. Tatsächlich meinte ich hier genau das,
wenn ich (fälschlich) von Partialinteresse sprach.

Ein Partialinteresse
kann niemals im Allgemeininteresse aufgehoben sein, schon per Def nicht:
Ein Partialinteresse ist stets ein solches, dass ich (oder wir, es gibt
auch gemeinsame Partialinteressen) auf Kosten anderer durchsetze(n).
Allgemeininteressen sind solche, die nur allgemein für alle, also nicht
auf Kosten von Einzelnen oder Gruppen durchgesetzt werden. Oder anders
formuliert: Ein individuelles Interesse kann partialen oder allgemeinen
Charakter haben.

Weil das hier auch dauernd aufkommt, poste ich andernmails mal den
Thread aus dem OpenTheory-Projekt zu diesem Thema hierher. Ich setze
dein Einverständnis einfach mal frech voraus ;-) .

Ich denke mir, daß Menschen nie unbeschränkt autonom sein können.
Schon ihre Gesellschaftlichkeit verbietet das.

Jep!

Menschen sind immer
abhängig und das sehe ich auch zunächst mal gar nicht als Problem.
Abhängigkeit ist dann ein Problem, wenn sie von den Betroffenen - also
abhängigen Personen oder ggf. Personen, von denen andere abhängig sind
- - als Problem wahrgenommen werden. Ein Baby ist z.B. von Erwachsenen
abhängig - ja, sogar existentiell im engeren Sinne. Das kann als
Problem erlebt werden, muß aber nicht.

Ack. Die Abhängigkeit tritt immer erst dann als solche zu Tage, wenn die
Stabilität verloren geht: Wenn Erwachsene Versorgung und Unterstützung
entziehen oder meintwegen wenn Produkt x, das ich brauche, nicht mehr
verfügbar ist. Vorher gibt es Abhängigkeit sozusagen nur theoretisch.
Was wir also brauchen, sind Verhältnisse von Stabilität, Vertrauen und
Nichtknappheit, so dass Abhängigkeit eine ferne Erscheinung einer alten
Gesellschaft wird.

Momang. Weil das im Folgenden wichtig ist, müssen wir hier schon genau
sein. Die Abhängigkeit existiert unabhängig davon, ob sie jemensch
spürt oder nicht. Ich bin z.B. jederzeit von einer gewissen
Sauerstoffversorgung abhängig. Spürbar wird das aber erst, wenn mir
jemensch die Kehle zudrückt o.ä.

Abhängigkeit als solche kann also niemals zu einer fernen Erscheinung
werden. Was wir allerdings anstreben sollten - und ich schätze, daß du
das meinst - ist, daß Abhängigkeit zum Problem werden kann. Die
aufgezählten Parameter scheinen auch mir da wichtig zu sein.

Das hier aber nun wirklich nur noch als Fußnote: Genau diese Parameter
sehe ich durch die Prinzipien der Freien Kooperation fundamental in
Frage gestellt.

Wenn Abhängigkeit also etwas dem Menschen eigenes ist, dann wäre für
mich nicht die Abhängigkeit an sich das Problem, sondern die Folgen,
die sich evt. ergeben. In diesem Zusammenhang: Daß die
Partialinteressen einer Abhängigen in Widerspruch zu den
Allgemeininteressen geraten könnten und *wegen* der Abhängigkeit die
Abhängigen mit erheblicherer Energie gegen die Allgemeininteressen
verstoßen, als wenn sie diese Partialinteressen nicht hätten.

Wenn ich hier Partial mit Individual tausche: ack.

Hmm... So hinformuliert ergeben sich mindestens zwei Parameter, die zu
betrachten wären.

Partialinteressen, die im Widerspruch zu den Allgemeininteressen
stehen, können auch ohne Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Da sind
Abhängigkeiten also schon mal nicht die Voraussetzung für und von
daher für die Betrachtung der Frage nicht so sonderlich von Belang.

Ack - weil du das Existenzielle rausgekürzt hast. Aber wir können es
auch allgemeiner angucken.

S.o. wegen des Existenziellen.

Nun ist zu vermuten, daß die Partialinteressen sich unter
Abhängigkeitsverhältnissen mit größerer Vehemenz durchsetzen, als wenn
keine Abhängigkeiten bestehen. Andererseits scheint es mir aber doch
sehr von der betreffenden Person abzuhängen, mit wieviel Energie sie
je ihre Partialinteressen durchsetzt. Abhängigkeiten an sich sind also
wohl auch für den Energiegehalt einer Durchsetzung von
Partialinteressen nicht sonderlich von Belang.

Das ist bei existenziellen Fragen nicht mehr so beliebig.

S.o. wegen des Existenziellen.

Andererseits führen Abhängigkeiten aber m.E. auch zu erwünschten
Phänomenen. Wenn ich von etwas abhängig bin, wenn ich mich von etwas
abhängig mache, dann werde ich mich auch mehr als ganze Person in
etwas einbringen. Diese Präsenz finde ich oft wohltuend. Verantwortung
für das Allgemeine aufzubringen ist in einem solchen Verhältnis
wesentlich naheliegender, als wenn mir alles am A... vorbei geht. So
gesehen würde ich sogar eher die positiven Aspekte von
Abhängigkeitsverhältnissen hervorheben.

Ich verstehe, worum es dir geht - um die Energie, die ich für eine
Beziehung (zwei oder mehr Leute) positiv aufbringe.

Ja.

In meiner Sicht
kommt solche positive Energie aber nicht aus Mangel, Instabilität,
Knappheit und Befürchtungen, sondern genau aus dem Gegenteil. Also aus
Konstellationen, in denen Abhängigkeit nicht oder nur als theoretische
Möglichkeit existiert.

Hmm... Da müssen wir nochmal ran. Mir drängt sich der Verdacht auf,
daß es hier zwei recht unterschiedliche Herangehensweisen an die Welt
gibt.

Auf der einen Seite Leute, die sich aufgrund von "Mangel,
Instabilität, Knappheit und Befürchtungen" wo einbringen - nämlich
weil sie diesen Zustand beseitigen wollen - oder im Falle von
Abhängigkeiten vielleicht auch müssen.

Auf der anderen Seite Leute, die sich nur dann einbringen, wenn eben
diese Voraussetzungen schon gegeben sind.

Etwas weniger nett ausgedrückt wäre die erste Gruppe die, die sich
Herausforderungen stellt, während die andere Herausforderungen
tendenziell meidet.

Da liegt noch was Tieferes drin aber ich hab's noch nicht klarer.
Vielleicht fällt dir oder wem anderes noch was ein?

Wenn das Kind sich wirklich 100%ig auf den Erwachsenen verlassen kann,
dass Versorgung und Unterstützung nicht eingeschränkt werden, dann
existiert für das Kind keine Abhängigkeit. Du kannst zwar von aussen
sagen, das Kind sei "objektiv" abhängig, aber das ist für das Kind
irrelevant.

Irrelevant ja - nicht-existent nein.

Oder, was ich auch schon als Beispiel angeführt habe: Wenn ich weiss,
ich kann ohne Schaden aus einer Beziehung (Gruppe, was auch immer)
rausgehen, dann habe ich eine super hohe Energie, mir genau diese
Bedingung auch zu erhalten. Wenn ich nicht abhängig bin, ist das die
allerbeste Motivation, mir die Nichtabhängigkeit zu erhalten.

Ja, das sagst du immer wieder. Das verstehe ich aber nicht wirklich.
Ich schätze das liegt an dem Tieferen, was ich oben nicht zu fassen
kriege. Ich wäre - auch ganz persönlich - sehr an einer Klärung
interessiert.

Für mich ist also das Ziel, Abhängigkeiten auf eine theoretische Größe
zu schrumpfen, sie also als sinnliche Tatsache zunehmend auszuschliessen.

Das Abhängigkeiten zum Problem werden. Ack.

Soweit erstmal. Vielleicht habe ich mich jetzt zu sehr auf meinen
Gedankengang eingerichtet?

Das war sehr gut, ich konnte deine Gedanken gut nachvollziehen.

:-) . Schön, daß dieser Modus des entwickelnden Schreibens nicht nur
für mich sehr produktiv ist. Halt die Selbstentfaltung meiner
Wenigkeit als Voraussetzung für deine und der anderen :-) .

Ich
hoffe, es geht dir mit meiner Darstellung auch so?

Ja :-) . Und dieser Thread hier scheint mir in der Tat ziemlich
wichtig - auch wenn's mal wieder heavy stuff ist.

Ich habe den Eindruck, wir wollen so ziemlich das Gleiche, gucken aber
auf die aktuelle Problematik in unterschiedlicher Weise. Und von diesem
unterschiedlichen Blick hängt unter anderem die Bewertung der Freien
Kooperation ab.

Das könnte sein. Jedenfalls habe ich jetzt einiges von dir wieder
besser verstanden und sicher sind auch ein paar Begriffe näher an ein
gemeinsames Verständnis gerückt.

Das schließt ein, allen auch die Chance, den Raum, die Möglichkeit zur
Selbstentfaltung zu lassen, denn wer weiß schon von vornherein, wie
das geht! Das "Möglichkeiten ... lassen" ist jedoch nicht die
"Verantwortung" bestimmter Personen - etwa, der "Schlaueren". Gerade
eine solche "Verantwortungshaltung" Weniger festigt die
personalisierten Strukturen, die sie zu bekämpfen meint: Es
gibt niemanden, der das "Recht" hat, anderen "Möglichkeiten zu lassen"
- genauso wie niemand das Recht hat "Möglichkeiten zu nehmen". Das
eine schließt das andere logisch mit ein!

Das ist ein bißchen kurz finde ich. Es geht nicht um das (moralische)
Recht auf irgendwas, sondern um konkrete Möglichkeiten. Wenn ich
tausend Sachen gut kann und die einfach tue weil ich es für richtig
halte, dann enge ich damit den Raum für andere, die ähnliches
vielleicht lernen könnten, automatisch ein. Die Förderung der
Selbstentfaltung von anderen kann dann folgerichtig auch darin
bestehen, sich selbst zurückzunehmen und damit anderen "Möglichkeiten
zu lassen". Kinder bieten sich natürlich als Beispiel an, aber ich
denke, daß das eingeschränkter auch für Erwachsene gilt - oder?

Da bin ich wirklich unsicher. Ich sehe es derzeit so: "Möglichkeiten
lassen" im Sinne von "Chancen verteilen" ist Schrott,

"Chancen verteilen" ist ja auch klar ein Herrschaftsmittel. Da brauche
ich gar keine Hilfskonstruktionen um das anti-emanzipatorisch zu
finden.

denn das
impliziert, ich könne wissen, was für andere gut sei.

Da liegen wir wohl weit auseinander. Ich würde das jedenfalls nicht so
kategorisch ablehnen, das andere wissen könnten, was gut für mich ist.
Als Herrschaftsmittel klar - aber es gibt auch reichlich Situationen,
wo ich das anders bewerten würde.

Ein Zurücknehmen,
um anderen Entfaltungsräume zu lassen, kann ich mir vorstellen als
Resultat der Einsicht, dass ich mich selbst behindere, wenn ich das
nicht tue.

Wow! So rumgedreht ist das einfach genial :-) !

Selbstentfaltung darf eben nicht verwechselt werden mit "blind tun und
lassen, was ich gerade jetzt will". Selbstentfaltung schliesst die
Abschaffung von blindem Tun ein, das unter unseren Bedingungen stets das
blinde Wirken der Wertmaschinerie ist. Eine radikal verstandene
Selbstentfaltung denkt räumlich und zeitlich über das Hier und Jetzt
hinaus, weil sie anders gar nicht möglich ist. Neben der Entfaltung der
Anderen als meine Entfaltungsvoraussetzung, ist das über das Hier und
Jetzt Hinausdenken eine weitere Bedingung. So gesehen bedeutet
Selbstentfaltung die komplette Aufhebung des isolierten, bürgerlichen
Individuums.

Ich stelle mir das so vor, dass Selbstentfaltung in einer freien
Gesellschaft in etwa den Status von Tausch- und Kaufhandlungen heute
hat. Tauschen und Kaufen können wir quasi bewusstlos, es ist eine
verselbstständigte "Kulturtechnik" (in einem nichtnormativen Sinne). Von
hier aus betrachtet kommt uns "Selbstentfaltung" wie eine megamäßige
Anstrengung vor: trete ich keinem auf die Füsse, frage mich, ob morgen
auch noch schlau ist, was ich heute tue usw. In einer freien
Gesellschaft werde ich aber aus eigenem Interesse das allgemeine
Interesse (auch zeitlich) derart "unbewusst" permanent in meinem
Handlungen drin haben, das es das Leichteste von der Welt ist. Diese Art
von Verselbstständigung lasse ich mir gerne gefallen, sie wird den
verselbstständigten Wert ersetzen. So in etwa. Doch da sind wir nicht,
und deswegen kommt uns das so schwer vor.

Genial :-) !! Das ist genau das, was ich meine, wenn ich von
Hegemonialkultur spreche!

Es gibt kein unbegründetes
Verhalten, seies auch noch so daneben.

Ja, jedes Verhalten ist in irgendeiner Hinsicht nützlich für die
handelnde Person - sonst täte sie es nicht. Und der Nutzen für die
Person ist letztlich der Grund.

Diesen Nutzen zu erkennen, sichtbar und damit bearbeitbar zu machen,
das ist im Kontext individuellen Leidens das Gebiet der Psychologie.
Im Kontext überindividuellen Leidens ist es das Gebiet der Politik -
wobei die Trennung von Psychologie und (emanzipatorischer) Politik
vielleicht historisch eine der fatalsten Fehlentwicklungen überhaupt
war :-( .

Ack! Und irgendwie ist Oekonux auch ein Projekt, das wieder zusammen zu
denken.

Ja, den Eindruck hatte ich auch schon. Irgendwie trifft sich hier
Vieles von dem/den Besten aus allen Welten :-) :-) .

Es gibt immer nur das
Noch-nicht-Kennen der Gründe für das Handeln des anderen. Über das
Kennenlernen der Gründe können wir die individuellen Prämissen für das
Handeln verstehen, die auf die Bedingungen verweisen.

Ja. Allerdings kann das Kennenlernen der Gründe / des Nutzens
schwierig bis unmöglich sein.

Das stimmt, weil es einen intersubjektiven Prozess voraussetzt. Und der
kann bekanntlich verweigert oder partialinteressengeleitet verzerrt
werden.

Ja.

Doch zum intersubjektiven Prozess gibt es keine Alternative.

Weiß nicht. Geht in die selbe Richtung wie der obige Punkt, mit dem
nicht besser wissen können als mensch selbst. Wollen wir das Faß
nochmal aufmachen?

Um diese Bedingungen geht es, ihre Rolle als strukturelle
Handlungsvoraussetzung ist aufzudecken.

Ja. Das bedeutet dann Selbsterfahrungsgruppe und Marx-Seminar für
alle. Keine schlechte Idee ;-) .

Vielleicht besser Selbstentfaltungsseminar und Wertkritik;-)

Hätte ich jetzt für das Selbe gehalten ;-) .

Gerade die Offenheit und Kritikfähigkeit entlastet mich
von der Notwendigkeit, die anderen auch zu "mögen". Dort, wo Gruppen
nur noch über Sympathien funktionieren, wo sich verschiedene
sympathiegetragene Klüngel bilden, ist etwas faul.

Ja. Die Mischung macht's :-) .

Wieder dieser umgekehrte Effekt: Da, wo ich die Leute für das
Funktionieren der Gruppe nicht mögen muss, fällt es mir viel leichter,
sie zu mögen: ich kann freier auf sie zugehn.

Ich ahne so langsam was du meinst. Der Zwang wirkt sich bei dir quasi
umgekehrt aus: Was du mußt, das willst du nicht. Trifft's das
einigermaßen?

Spehr schlägt ein "collective leadership" vor: "Es
reicht nicht, daß alle ihre Interessen formulieren und in ihrer
Unterschiedlichkeit einbringen; irgend jemand muß den jeweils nächsten
Schritt formulieren, der daraus folgt, und in einer freien Kooperation
sollte diese Fähigkeit soweit wie möglich kollektiviert sein" (Spehr
1999, 302).

Hmm... Das ist eine Variante: Alle fühlen sich mitverantwortlich. Ist
eine Kulturtechnik, die leider nicht sehr verbreitet ist :-( . Aber
fühlt sich unheimlich gut an :-) .

Hat eben auch was mit Selbstentfaltung zu tun. IMHO ist das, was dir mit
der Verantwortung so wichtig ist, genuines Feature von Selbstentfaltung.

Das denke ich mir ja auch. Nur weiß ich noch nicht völlig, wie ich das
bündig integrieren kann.

Kollektivierte Entscheidungsformen kann es viele geben,
wichtig ist, daß sie der Lage angemessen und leicht veränderbar sind:
Delegationen mit Mandat, Rotationen in Entscheidungspositionen,
zeitliche Befristungen für bestimmte Aufgaben etc.

Sehr formal... Braucht's das immer? Ist das immer sinnvoll? Können
solche Formalitäten nicht den Blick auf's Wesentliche verstellen, das
in lebenden Organisationen eben jenseits der Formalitäten abläuft?

Ja, kommt mir auch formal vor. Sind halt Optionen.

Dann wäre die Frage, was denn das Wesentliche eigentlich ist...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
_______________
Unread: 56 [ox]

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT03830 Message: 11/11 L3 [In index]
Message 04087 [Homepage] [Navigation]