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Re: Antisemitismus (was Re: [ox] 7 Thesen zum "Krieg gegen Amerika")



Benni Bärmann schrieb:
Tach,

On Sun, Oct 21, 2001 at 07:00:45PM +0200, H.R. wrote:
Ist da irgendwo auch nur im Entferntesten 
ein allgemein menschlich emanzipatorisches Potenzial in Sicht?

Wenn keiner der Kontrahenten hier was zu bieten hat,
dann sollten wir auf der Hut sein.

Um es vorsichtig auszudrücken: Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass
"allgemein menschlich emanzipatorisches Potenzial" Hartmuts Ding ist.
Ich meinte nicht die beiden Kontrahenten hier auf der Liste,
sondern Fundamentalislamismus (a la BinLaden) contra USA

Übrigens glaube ich daß der Anhang "Manhattan Transfer"
irgendwie (technisch) nicht durchgekommen ist.
Stimmt das?

Anhänge gehen (zum Glück) prinzipiell nicht über die Liste. Schick den Text
einfach nochmal als Extramail.

Das mache ich hiermit. 
Sind nur 3,5 Seiten und hoffentlich
nicht Antideutsch.

Ein ganz interessanter Text aus der neuen 
Konkret...

von Günther Jacob

Manhattan Transfer

Wie der Kampf gegen den US-Imperialismus die Linke überlebt hat

ANTIIMPERIALISMUS HEUTE
"Wer ist der wahre Schuldige an der 
Zerstörung des World Trade Centers?" Diese Frage stellte sich am 28. September 
in einem einflußreichen deutschen Organ antiimperialistischer und kulturlinker 
Strömungen die linke indische Schriftstellerin Arundhati Roy. Ihr Essay enthält 
eine umfassende Anklage gegen den US-Imperialismus sowie gegen die anmaßende 
Abgrenzung der "westlichen Zivilisation" von der "orientalischen Barbarei". 
Gerade im Moment der Trauer der Amerikaner möchte die Autorin unangenehme Fragen 
stellen und über die Schmerzen sprechen, die Amerika den Menschen in den armen 
und in Abhängigkeit gehaltenen Ländern zugefügt hat und zufügt. Anhand vieler 
gut gewählter Beispiele beschreibt sie eine Welt, "die durch die amerikanische 
Außenpolitik verwüstet wurde, durch ihre Kanonenbootpolitik, ihr 
Atomwaffenarsenal, ihre unbekümmerte Politik der unumschränkten Vorherrschaft, 
ihre kühle Mißachtung aller nicht-amerikanischen Menschenleben, ihre 
barbarischen Militärinterventionen, ihre Unterstützung für despotische und 
diktatorische Regimes und ihre wirtschaftlichen Bestrebungen, die sich gnadenlos 
wie ein Heuschreckenschwarm durch die Wirtschaft armer Länder gefressen haben". 
Sodann erinnert die Autorin, die den Nachrichtentüffel Wickert so hübsch in 
Schwierigkeiten gebracht hat, daran, daß die USA seit dem Einmarsch der Roten 
Armee in Afghanistan im Jahr 1979 alles getan haben, um in den muslimischen 
Sowjetrepubliken eine islamische Erhebung gegen die Kommunisten zu fördern und 
daß in diesem Zusammenhang auch Osama Bin Laden und etwa 100.000 radikale 
Mudjaheddin aus vierzig Ländern finanziert wurden. "Der Djihad griff über nach 
Tschetschenien, in den Kosovo und schließlich nach Kaschmir." Schließlich 
erinnert sie an die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sowie an "die 
Millionen Toten" in Korea, Vietnam und Kambodscha, Chile, Nicaragua, El 
Salvador, Panama, Dominikanische Republik, Somalia und Jugoslawien.

AM ENDE DES ESSAYS KOMMT
die Schriftstellerin auf ein weiteres Verbrechen des 
US-Imperialismus zu sprechen. Denn zu erinnern sei auch an "die 17.500 Toten, 
als Israel 1982 im Libanon einmarschierte, und die Tausende Palästinenser, die 
im Kampf gegen die israelische Besetzung des Westjordanlandes den Tod fanden". 
Diese Anklage unterstützt auch der Pekinger Professor Han Deqiang. Zwei Tage vor 
Erscheinen des Aufsatzes von Arundhati Roy wird in derselben Zeitung dessen 
Antwort auf die Frage nach den "wahren Schuldigen" gemäß einer dpa-Meldung 
zitiert: "Die Amerikaner selbst. Amerika wollte erstens über die Welt herrschen 
und sich zweitens die Ölquellen sichern. Deshalb hat man jahrzehntelang die 
jüdischen Chauvinisten in Israel unterstützt. Die amerikanische Bevölkerung 
erfährt von diesen Verbrechen des Imperialismus am arabischen Volk nichts."

Das antiimperialistische Zentralorgan,
das diese Texte 
publizierte, ist die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Wie kommt sie dazu, und 
wie kommen eine linke indische Schriftstellerin und ein kommunistischer Pekinger 
Professor dazu, eine zunächst durchaus zutreffende Charakterisierung des 
US-Imperialismus in eine Anklage gegen den "jüdischen Chauvinismus" münden zu 
lassen und diesen den "Verbrechen des Imperialismus" zuzuschlagen? Wie ist es 
möglich, daß zwei Autoren, die immerhin beanspruchen, im Namen derer zu 
sprechen, deren Hoffnungen von Amerika mißachtet werden, zu Schlußfolgerungen 
gelangen, deren Nähe zur Propaganda von Islamisten und Neonazis unübersehbar 
ist? War nicht gerade von Bin Ladens Organisation Al-Qaida, die auch 
"Islamistische Weltfront gegen Juden und Kreuzfahrer" genannt wird, in diesen 
Tagen ständig zu hören, die Vereinigten Staaten stünden unter jüdischer 
Kontrolle, und bezeichnete nicht der NPD-Funktionär Steffen Hupka am 3. Oktober 
während der Berliner Kundgebung seiner Partei zum "Tag der Deutschen Einheit" 
die Anschläge von New York und Washington als "Widerstand der unterdrückten 
Völker gegen den US-Imperialismus"

"Unterdrückte Völker, vereinigt Euch"
Die USA sind nach dem von 
ihnen erfolgreich betriebenen Untergang der Sowjetunion und ihres assoziierten 
Staatenbündnisses die einzig verbliebene Weltmacht. Und als solche demonstrieren 
sie nach den Attentaten ihre Handlungsfähigkeit. Das "Bündnis gegen den Terror", 
das die USA durch eine gekonnte Kombination aus militärischen Drohungen und 
Diplomatie im September erzwungen haben, relativiert die konkurrierenden 
europäischen pro-arabischen Ambitionen im Nahen Osten, vergrößert Amerikas 
Einfluß in Zentralasien und schwächt die vielfältigen Widerstände gegen das 
National-Missile-Defense-Programm, das nicht nur gegen Langstreckenraketen von 
"Schurkenstaaten" und Regionalmächten wie Indien und Pakistan gerichtet ist, 
sondern vor allem gegen die von Rußland und China.<BR><B>Man benötigt keine 
ausgefeilte</B> Imperialismustheorie, um in den USA die einzige verbliebene 
Weltmacht zu erkennen. Es liegt aber nahe - besonders in kriegsträchtigen Zeiten 
-, daß eine derartige Machtkonstellation nicht nur benannt, sondern auch nach 
ihren Voraussetzungen befragt wird. In der Linken wurde die ökonomische und 
politische Konkurrenz der kapitalistischen Staaten und die Herausbildung von 
Großmächten meistens auf der Grundlage von Imperialismustheorien beurteilt, von 
denen die bekannteste die Leninsche ist, die später im Kontext des 
Marxismus-Leninismus kanonisiert wurde. Zu den Essentials dieser Theorie gehört 
unter anderem die Annahme, daß der Kapitalismus der Konkurrenz sich zum 
Imperialismus der Monopole und des Finanzkapitals entwickelt hat. Davon 
ausgehend wurde seinerzeit von der kommunistischen Bewegung eine 
"imperialistische Epoche" definiert, eine "Niedergangsperiode" des Kapitalismus, 
in der antiimperialistische Kämpfe von unterdrückten "Völkern" die Funktion von 
bürgerlich-nationalen Revolutionen haben, die prinzipiell zum Sozialismus führen 
können (s. KONKRET 5/94).<BR><B>Diese Sichtweise hatte trotz ihrer</B> 
offensichtlich fragwürdigen werttheoretischen Grundannahmen ("Monopol") und 
Substantialisierungen ("Völker") bis in die Zeiten des Kalten Krieges so viele 
Anhaltspunkte in der Realität, daß sie selbst durch die Beteiligung der USA an 
der Anti-Hitler-Koalition nicht wesentlich modifiziert wurde. Schließlich war es 
wiederum nach 1945 der US-Imperialismus, der als entschiedenster Gegner der 
realsozialistischen Staaten, Chinas, verschiedener linker Bewegungen und vieler 
Befreiungsbewegungen den "Weltimperialismus" verkörperte. Mit anderen Worten: 
Welche Fehler dabei auch gemacht worden sind - der Kampf gegen den 
"Weltimperialismus" wurde immer mehr ein Kampf gegen den US-Imperialismus, und 
als solcher wurde er zum Bestandteil einer mit den linken Biographien und 
Gefühlswelten fest verknüpften "Weltanschauung". Der linke Antiimperialismus 
unterschied sich überdies von allen anderen linken Positionen durch seinen 
immensen Einfluß auf andere Strömungen und Bewegungen. Liberale 
Metropolenbewohner sympathisierten mit dieser Weltsicht, und Millionen 
Aktivisten der "unterdrückten Völker und Nationen" in Asien, Afrika, 
Lateinamerika und in den arabischen Ländern begründeten mit ihr die 
antikolonialen Kämpfe. Man kann sagen, daß der marxistisch-leninistische 
Antiimperialismus über Jahrzehnte die weltgeschichtlich einflußreichste linke 
Position war und daß der "Kampf gegen den US-Imperialismus" die Linke 
schließlich sogar überlebt hat.

Zionisten und Imperialisten
Durch die Selbstverständlichkeit, mit 
der der linke Antiimperialismus positiv auf "Völker" und "Nationen" wie auf 
"organisch" gewachsene Gegebenheiten Bezug nahm und mit der er die ganz und gar 
unkommunistischen Interessen von Bauern und "patriotischen" Aristokraten in 
instrumentalisierender Absicht als "progressiv" bewertete, entwickelte sich der 
Antiimperialismus schon bald zu einem Konglomerat aus nationalistischen Mythen, 
verschwörerischen Praktiken und fragwürdigen Bündnissen mit reaktionären 
politischen Kräften. Hinzu kam, daß in den zentralen Kategorien dieser 
Weltanschauung - "Finanzkapital", "Parasitismus" etc. - ein antisemitisches 
Potential steckt, das nach Lenins Tod auch wirksam wurde, das jedoch 
gewissermaßen eingegrenzt blieb, solange und soweit der Antiimperialismus noch 
auf Klassenkampf und Antifaschismus verpflichtet blieb.<BR><B>Zum festen 
Bestandteil des</B> Antiimperialismus wurde der Antisemitismus erst durch die 
Nutzanwendung des Konzepts der "nationalen Befreiung" auf die Situation im Nahen 
Osten nach der Gründung Israels, und dies nicht zuletzt, weil die 
realsozialistischen Staaten in den "Völkern des Nahen Ostens" eine Klientel 
sahen, die sich gegen den US-Imperialismus mobilisieren ließe. Deshalb stellte 
sich die Sowjetunion, nachdem sie zunächst für Israel votiert hatte, auf die 
Seite der palästinensischen "nationalen Befreiung", weshalb Israel in der 
damaligen bipolaren Welt gar keine Wahl blieb, als sich an den Westen zu halten 
und damit ein "Bündnis mit dem Imperialismus einzugehen". Für einen 
Antiimperialismus, dem Lenins naive Warnungen vor nationalistischen Tendenzen 
schon nichts mehr bedeuteten, gehörten von nun an Zionismus und US-Imperialismus 
zusammen, wobei Israel als eine besonders perfide Variante des imperialistischen 
Kolonialismus galt - als rassistischer Siedlerstaat, der vom US-Imperialismus 
erfunden wurde, um eine ölreiche Region militärisch kontrollieren zu können. Die 
antiisraelische Propaganda wurde nun zum Schatten, der den Antiimperialismus 
begleitet. Diese Propaganda hat sich in dem Maße antisemitisch radikalisiert wie 
der Antiimperialismus zum kulturell begründeten Antiamerikanismus wurde.

Antiimperialismus in Namen Gottes
In der den Holocaust 
relativierenden Variante nahm der "antiimperialistische Kampf" synchron zum 
Zerfallsprozeß der Neuen Linken und der weiteren Erosion des Realsozialismus 
mehr und mehr wahnhafte Züge an. Die Agitation gegen "Zionismus und 
US-Imperialismus", zunächst mitgetragen vor allem von deutschen und japanischen 
Linken, wurde nach deren endgültiger Marginalisierung schließlich zur Sache von 
Islamisten und Neonazis. Ehemalige Linke in den arabischen Ländern, in Europa 
und natürlich in Deutschland waren und sind daran direkt beteiligt. Zu den 
bekanntesten deutschen Figuren gehört der NPD-Anwalt Horst Mahler, der während 
seiner RAF-Jahre in palästinensischen Lagern eine Ausbildung im "bewaffneten 
Kampf" erhalten hatte. Daß es sich bei der US-Regierung um ein "Zionist 
Occupation Government" handelt und US-Imperialismus und "jüdisches 
Finanzkapital" zusammengehören, ist heute für islamistische und rechtsradikale 
Antiimperialisten gleichermaßen eine Selbstverständlichkeit.<BR><B>Die 
politischen</B> (Camp David), militärischen (Pentagon) und 
ökonomisch-kulturellen (World Trade Center) Zielobjekte der Anschläge vom 11. 
September belegen, daß die Attentäter die USA umfassend treffen wollten. Die 
Zahl der Opfer und das Ausmaß der Zerstörung weisen aber darauf hin, daß das 
World Trade Center und damit New York ihr Hauptziel war. Auch von vielen 
US-Amerikanern mit Mißtrauen beobachtet, stellt New York in der symbolischen 
Ordnung der westlichen Kultur eine eigenständige Größe dar, die mit Urbanismus, 
Kommerz und Populärkultur identifiziert wird und weniger mit der militärischen 
Größe Amerikas. Vor allem aber ist New York die Stadt, in der die meisten Juden 
außerhalb Israels leben. Für das islamistische Ziel, weltweit "alle Amerikaner 
und Juden" anzugreifen, stellt das "multikulturelle" New York daher ein ideales 
Angriffsobjekt dar. Diese Motive des "antizionistischen Antiimperialismus" und 
seines Anschlags auf das World Trade Center sind so unübersehbar, daß es schon 
auffällt, wie wenig in Deutschland und wie wenig in Flugblättern der deutschen 
Linken davon die Rede ist - und das, obwohl die Attentäter als ihren 
Vorbereitungsraum nicht zufällig Deutschland gewählt hatten.

Beim Sichten der Erbschaft
Nach den Attentaten auf das Pentagon und 
das World Trade Center muß die Kritik am Wirken der einzig verbliebenen 
Weltmacht nicht zurückgenommen werden. Aber die historische Transformation des 
linken Antiimperialismus zum antisemitischen "heiligen Antiimperialismus" macht 
es unmöglich, dabei das alte Kategoriensystem weiterzuverwenden. Auch der 
verschwörungstheoretisch raunende "neue Antiimperialismus" der 
"Globalisierungsgegner", die behaupten, es gäbe nun "keine nationale Macht mehr, 
die die Kontrolle über die gegenwärtige globale Ordnung ausübt", weshalb der 
"Protest nicht mehr antiamerikanisch" sein sollte, sondern sich "gegen eine 
andere, größere Machtstruktur" (Antonio Negri) richten müsse, muß wegen seiner 
antisemitischen Konnotationen abgelehnt werden.<BR><B>Für Linke ist das eine 
aus</B> mehreren Gründen unkomfortable Situation. 
Erstens: 
Die Kontrolle über 
die gegenwärtige militärische, politische und ökonomische globale Ordnung wird 
zweifellos nicht von der "Weltbank" (wie bei Negri), sondern von der einzig 
verbliebenen Weltmacht ausgeübt, zu der sich ambitionierte imperialistische 
Mächte wie Deutschland bei jedem Machtzuwachs aufs neue ins Verhältnis setzen 
müssen. Jede antikapitalistische und antideutsche Bestrebung stößt daher auch 
auf die Machtpolitik des US-Imperialismus, der die gegenwärtige Weltordnung am 
effektivsten garantiert, der zugleich aber als einzige Macht auch die Existenz 
Israels garantiert, selbst dann, wenn er Israels Interessen - wie derzeit - dem 
"Bündnis gegen den Terrorismus" unterordnet.
Zweitens:
Die USA waren 
über vierzig Jahre lang der Hauptveranstalter der atomkriegsträchtigen 
Feindschaft mit der Sowjetunion und ihrem realsozialistischen Staatenbündnis. 
Die USA haben das "Reich des Bösen" schließlich zur Kapitulation gezwungen und 
die deutsche "Wiedervereinigung" möglich gemacht. Alle 
geschichtsrevisionistischen Tendenzen und Praktiken der Gegenwart gehen auf 
dieses Ereignis zurück, auch der wachsende Druck auf Israel. Ein Attentat wie 
das vom 11. September hat es erst nach dem Ende der bipolaren Ost/West-Welt 
geben können, deren Regulierungsmechanismus die USA nun durch ihr 
Raketenabwehrsystem und das Anti-Terror-Bündnis ersetzen will.
Drittens:
Die der Linken durch die USA besonders 1990 zugefügte 
Demütigung produziert beinahe zwangsläufig das Gefühl, daß diese Supermacht eine 
Erniedrigung verdient hat. Diese mit den linken Biographien verbundene Emotion 
gerät für einen Moment in das Kraftfeld jenes wahnhaften "heiligen 
Antiimperialismus", der für das Attentat auf das World Trade Center 
verantwortlich ist, eines Antiimperialismus, der ganz offensichtlich nicht der 
unsere ist, der uns aber an eigene Irrtümer und Niederlagen erinnert.
Viertens:
Die alten Argumentationsfiguren des 
antikapitalistischen Antiimperialismus behalten so lange mehr oder weniger stark 
ihre Bedeutung für die Groborientierung in der sozialen Welt, wie sie nicht 
durch "handelnde Selbstkritik" überwunden werden. Bei bestimmten Analysen von 
weltpolitischen Machtkonstellationen greifen wir vorerst noch auf klassische 
antiimperialistische Kategorien zurück. Das seit 1990 unter dem Schock der 
"Wiedervereinigung" erarbeitete Wissen steht häufig noch unverbunden neben dem 
älteren (zum Beispiel über die "Ausbeutung der Dritten Welt"). Gleiches gilt für 
die Mentalitäten. Es gibt nach all dem eine Diskrepanz zwischen emotionaler 
Disposition (linke Tradition) und dem politischen Wissen über Holocaust, 
Antisemitismus und die Gefährdung Israels.
Fünftens:
Es ist davon 
auszugehen, daß der linke politische Habitus im Verhältnis zu den geführten 
Debatten ein eigenes Gewicht hat. Diskurse und Verhalten fallen sogar meistens 
auseinander. Die expliziten Normen des "politisch korrekten" Sprechens stimmen 
nicht unbedingt überein mit jenen, die tatsächlich in den "politischen 
Mentalitäten" zum Vorschein kommen, meistens aber implizit bleiben. Das 
Bewußtsein, welches nötig ist, damit die üblichen politischen Praktiken 
vollzogen werden können, ist nicht kongruent mit demjenigen, das Rechenschaft 
über das Tun abgibt.
Beispielhaft zeigt das die Literatur über das 
politische Denken von jüdischen Kommunisten. Konfrontiert mit der bitteren 
Tatsache, daß die Bewegung, der sie angehörten, zwar antifaschistische Arbeit 
geleistet, letztlich aber wenig gegen Antisemitismus und zur Verhinderung der 
Vernichtung der europäischen Juden unternommen hatte, können sie meistens das 
"kommunistische Lebensgefühl" nicht überwinden, in dem beispielsweise beim 
Stichwort "sowjetische Lager" automatisch der Verdacht im Raum steht, daß sich 
jetzt der Antikommunismus äußert. Und solche Gefühle sind nicht einfach 
vergangenheitsselig, weil die Abwertung aller linken Bemühungen ja weitergeht. 
Hazel Rosenstrauch schreibt in ihrem Buch Beim Sichten der Erbschaft (Heidelberg 
1992) unter anderem über die Kinder von New Yorker jüdischen Kommunisten: "Für 
sie waren die russische Revolution mit dem Ende der Pogrome und das 
kommunistische Lebensgefühl nicht mit Stalin, sondern der Hexenjagd gegen ihre 
Eltern in der McCarthy-Zeit verbunden."

Formen der Verleugnung der Erbschaft
Die schlechten Alternativen 
zur "handelnden Selbstkritik" sind seit dem 11. September notorischer 
Antisemitismus ("Junge Welt"-Milieu), linke Kriegsbegeisterung 
("Bahamas"-Milieu) und Lobgesänge auf die aufgeklärte Zivilgesellschaft ("Jungle 
World"-Milieu). Für ersteren ist der islamische Terrorismus Symptom einer 
Krankheit, die Zionismus und US-Imperialismus heißt. In dieser Vorstellung ist 
niemand mehr für etwas verantwortlich: "Irgendwann mußte es so kommen. 
Irgendwann mußte dem Labor Frankensteins ein Monster entspringen, das sich gegen 
seinen Schöpfer wenden würde" ("Junge Welt", 17.9.).<BR>Diese 
Krankheit/Symptom-Metaphorik scheint für viele die letzte argumentative Zuflucht 
zu sein, die sich aus unterschiedlichen Gründen mit dem Attentat nicht 
identifizieren, aber darauf beharren wollen, daß die USA sich nicht wundern 
sollten. Indem man aber sagt, die Attentäter hätten trotz "falschen Bewußtseins" 
die Richtigen getroffen, verschweigt man ihre antisemitischen Motive. Und auf 
die Titelseite schreibt man dann Headlines wie "Sharon blockt Nahost-Dialog" 
oder "Britischer Soldat getötet: Intifada in Skopje".<BR><B>Aus der 
begrifflichen Konstruktion</B> der Wirklichkeit - nach Adorno das "Urbild der 
Lösungen" - folgt notwendig die Forderung nach ihrer realen Veränderung. Nur die 
Handelnden sind frei, in der Welt etwas Neues anzufangen und einen neuen 
Sachverhalt herbeizuführen. Diese Freiheit kann sich die amerikanische Regierung 
leisten, und auch die Attentäter haben gehandelt. Die Handlungsmöglichkeiten von 
Linken sind hingegen derzeit eingeschränkt. Einige wollen daher wenigstens in 
ihrer Einbildung Handelnde sein. Die Zeitschrift "Bahamas" fordert von den USA 
nicht weniger als die militärische "Beseitigung islamischer Herrschaft" und das 
Ende des "moslemischen Götzendienstes", was einem Ruf nach Kriegsverbrechen 
gleichkommt, weil dieses Ziel nur durch Massenmord zu erreichen wäre. Außerdem 
würde ein solcher Krieg eine maximale Gefährdung Israels bedeuten. Hier führt 
offensichtlich die völlige Verleugnung der eigenen Demütigungen und des Wunsches 
nach Revanche direkt in den Wahn der Identifizierung. Das hat den Totalverlust 
des angelesenen Wissens (Adorno, Wertkritik) zur Folge. Der Begriff, den man 
sich "vom Kapitalismus" machte, soll nun mit Hegel in den Krieg ziehen. Ohne es 
zu wissen, so nimmt man wohl an, könne die US-Army den Stoßtrupp des Weltgeistes 
abgeben und in den arabischen Ländern "den Wunsch nach kommunistischer Aneignung 
aufkeimen lassen".<BR><B>Auch weniger kriegsbegeisterte</B> Linke glauben seit 
dem 11. September wieder an eine "zivilisatorische Mission des Westens" (sie 
meinen natürlich Deutschland). Leute, die es den Sowjets vermutlich einst 
verübelten, als sie tatsächlich, aber ohne westlichen Dünkel, das Licht der 
Aufklärung nach Afghanistan brachten, entdecken trotz der westlichen 
"Ethnien"-Förderung auf dem Balkan nun die angeblich objektiv "emanzipatorische" 
Funktion der USA und der Nato. Noch nie wurden so viele linke Schwüre auf die 
Aufklärung, auf die "Menschenrechte" und die "Zivilität unserer Gesellschaften" 
geschworen. "Aber wenn etwas am amerikanischen Imperialismus positiv zu bewerten 
ist, dann ist es genau das amerikanische Element: die globale Zerstörung 
ethnischer und religiöser Identität, die Vernichtung des (oft gewalttätigen) 
Idylls der Doofen und Zurückgebliebenen" ("Jungle World", 26.9). Engagiert 
vergleicht man das Taliban-Regime mit dem Schröder/Fischer/Scharping-Regime, um 
dann erleichtert feststellen zu können: "In diesem Falle ist der Kapitalismus 
seinen Feinden vorzuziehen." Na Bravo! "In einer solchen Welt wäre der Gedanke 
der Emanzipation endgültig abgeschafft. Das muß verhindert werden. Wenn nötig, 
auch mit Gewalt." Sehr gut! Kritik am Kapitalismus ist gut und schön, aber 
wenn's drauf ankommt, weiß man doch, was man an ihm hat.

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