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[ox] Biologismus etc. (was: Fritjof Capra zum WTC - Terror)



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Hallo Andre,

* Andre Rebentisch <arebenti web.de> [20011004 00:11 [PHONE NUMBER REMOVED]]:
Ich halte Biologismus ganz und gar nicht für unproblematisch, aber
halte es aber für einen alten, miesen Trick Menschen in eine bestimmt
Ecke zu stellen.
So haben die Nazis in allen feindlichen Ansichten den Juden zu
entdecken vermocht, vom Kapitalismus bis zum Kommunismus.
Und ich sehe, dass vielen Denkern der Biologimusvorwurf vollkommen
unberechtigt gemacht wurde und der Nebel der Demagogie erst langsam
wegzieht.

Mir erscheint Dein, ja, Relativismus dann doch als etwas schwer
erträglich. Die Kritik des Biologismus möchtest Du also mit der Sicht
der Nazis auf die Juden vergleichen? Das ist gewagt. Um es zynisch zu
sagen, haben die Nazis haben eben keine Kritik an dem Gegenstand ihrer
Bemühungen geübt sondern sich gleich auf die Ausrottung desselben
verlegt. Du kannst doch nicht ernsthaft meinen, Kritik, meinetwegen auch
Demagogie, wären damit auch nur ansatzweise vergleichbar.

schliessen dürfen? der Grudn hier ist wieder einmal das  alte
Dogma von der Eizigartigkeit des "Holocaustes", das kein
Aussenstehender versteht.

Ach? War alles halb so schlimm?

Das nicht, aber dieses Dogma von der Unvergleichlichkeit, das bei uns
eisern verteidigt wird, wird von Aussenstehenden anderer Kulturkreise,
schon von Letten, Mongolen und ähnlichen, die nicht Teil unseres
Diskurses waren, nicht verstanden.

Das mag richtig sein, obwohl ich bei den Letten da so meine Zweifel
hätte. Auch in Lettland wurden, auch wenn mir die konkreten historischen
Daten fehlen, von Deutschen Juden ermordet. Auch Lettland war während
des zweiten Weltkriegs von der Wehrmacht besetzt, hatte also ausreichend
Gelegenheit, mit dem deutschen "Kulturkreis" Bekantschaft zu machen.

Es ist ja nicht so wichtig, ob meinetwegen ein Mongole, der "Mann auf
der Straße", sich einen Begriff vom Holocaust machen kann oder nicht.
Ich gehe aber davon aus, dass jeder Mensch, dem die historischen und
ideologischen Zusammenhänge des Mordes an den Juden verdeutlicht werden,
sehr wohl dessen Einzigartigkeit anerkennen wird. Dass ihm das Material,
um Einblicke in diese Zusammenhänge selbst zu gewinnen, in seiner je
eigenen Lebenswelt nicht zugänglich sein mag, spricht nicht dagegen.

Was wäre übrigens die argumentatorische Konsequenz, wenn Du meinetwegen
einem Mongolen auch nach ausführlichster Diskussion und Darlegung der
historischen Vorgängen bescheinigen wolltest, er könne dieses "Dogma"
nicht nachvollziehen? Würdest Du ihn dann für einen besseren Menschen
halten? Ich könnte das nicht.

Wenn ich jetzt einmal den Standpunkt dieser Leute nehme, die tiere und
Menschen mit einem ähnlichen Recht auf Leben sehen, dann ist es
konsequent, die industrielle Schlachtung von Tieren (die nur zu diesem
Zwecke geboren werden) mit der Massentötung von Menschen zu
vergleichen.

Nein, ist es nicht.

Der Vergleich hinkt natürlich, denn das Ziel der Fleischindustir ist
im grunde genommen, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, noch
perverser:

Perverser als der Holocaust: meinst Du das wirklich ernst?

Da wird ein Lebewesen zur Ware gemacht, dessen Leben keinerlei Wert
besitzt, vielmehr seinen wahren wert erst in Bezug auf seine Fähigkeit
dem Menschen als Nahrung zu dienen erhält.

Um wieder zynisch zu werden: Immerhin erhält das zu schlachtende Tier
durch seinen Metzger einen Wert zugewiesen, einen zwar, den es selbst
wohl nicht als solchen sieht, aber immerhin einen Wert. Die von den
Deutschen ermordeten Juden waren aber völlig wertlos: allein ihre
Ausrottung war Programm, ohne jeden konkret aus dieser zu ziehenden
Nutzen.

Andererseits ist das Motiv unterschiedlich: Erwerbstrieb und
Fresssucht auf der einen, Ausrottungswahn und Rassenhygiene auf der
anderen Seite.

Ich würde zwar auf der Seite der Nahrungsindustrie keinen
Erwerbs-"Trieb" sondern eher Kalkül vermuten, aber gut.

Interessanterweise könnte man auch analog die These vertreten, dass der Arzt
in jedem Fall ein faschist sei, wenn er Krankheiten bekämpft (Ausrottung der
Krankheit, Ausmerzung des Schwachen, Kranken, Ungesunden :-)

Wer diese These verträte hätte in der Tat einen erstaunlichen Begriff
von den Aufgaben eines Arztes. Wenn es sich bei diesem nicht gerade um
einen Vertreter der Euthanasie handelte, sollte man doch meinen, der
Arzt sollte nicht "das Schwache ausmerzen", vielmehr die Schwachen
heilen. Übrigens kann ich Deiner Analogie hier nicht ganz folgen. Analog
wozu könnte man die obige, doch recht gewagte These vertreten?

Dennoch behaupte ich: Einen, in einem animalistischen Weltbild
verhafteten Menschen, bezeichnest du als unemanzipiert, also
gewissermassen als zurückgeblieben und stellst Dich damit in eine
rassistische Tradition, in einen westlich-kolonisatorischen
Zusammenhang.  Wobei ich Dir auch nicht unterstelle, dass Du es
beabsichtigst. Aber du siehst die Gefahr, ich könnte dich jetzt auch
als Faschisten bezeichnen

Es geht doch gar nicht darum, wen oder was jemand als seine Götter
ansieht, seien sie animalistisch oder christlich-abendländisch.
Wesentlich für Emanzipation ist, dass sie sich von etwas emazipiert, von
etwas, das den Menschen an seiner, um im Kontext der Liste zu bleiben,
Selbstentfaltung hindert. Dass der Glaube an welche übernatürliche Kraft
auch immer den Effekt einer solchen Hinderung hat, halte ich für
unbestreitbar.

Damit ist natürlich nicht die Frage geklärt, auf welche Art sich der
Mensch denn nach erfolgreicher Emazipation selbst entfaltet. Dass der im
"westlich-kolonisatorischen" Zusammenhang bisher beschrittene Weg nicht
der einzig seligmachende zu sein scheint, dürfte einleuchten.

Und da haben wir den Gedanken: Weil Nazis die Edda verwendeten, ist
die Edda tabu, weil Hitler Wagner mochte, dürfen wir nicht Wagner
spielen, usw.  Anstatt das Symbol zu entweihen, bleibt es als
Antisymbol bestehen.

Ganz verstehe ich nicht, für welchen Umgang mit Symbolen Du hier
plädierst. Soll das Symbol nun entweiht oder zum Antisymbol werden, oder
soll es gar ohne Ansehung jeder Brechung wie zuvor weiter verwendet
werden? Gerade die genannte "Earth First!"-Publikation hat sich aus
diesen Möglichkeiten die schlechteste ausgesucht: sie hat das Symbol
eben nicht entweiht, also seines Symbolcharakters beraubt und damit für
eine symbolische Vermendung nutzlos gemahct, auch nicht in kritisch
gebrochener Form als Antisymbol verwendet, sondern sozusgen weiter
gemacht, als sei nichts geschehen: Edda als Verkörperung des Großen und
Guten, weil natürlichen.

Nicht die Verwendung von, auch belasteten, Symbolen ist fragwürdig,
sondern ihre kritiklose, teils auch sich bewusst in frühere Verwendungen
einreihende Benutzung.

Würde heute Wagner zu Feier des Germantums gegeben, jeder halbwegs
verständige Mensch würde sich zu Recht über eine solche
Ungeheuerlichkeit aufregen. Wird Wagner dagegen in einer Form
inszeniert, die der stattgefundenen Geschichte -- auch auf ironisch oder
zornig gebrochene Art -- Rechnung trägt, so ist dies ein sinnvoller
Umgang mit dem Symbol "Wagner".

Die "Wilden" steht da nirgends. Nur die "Wildnis". Das ist ein
bisschen was anderes. Und aus emanzipatorischer Perspektive ist halt
nunmal das Fürchten der Strafe einer Gottheit eine Horrorvision.

Okay, aber natürlich ist das eine westliche Interpretation, für den Mann in
der Wildnis ist Donner etc. nämlich etwas ganz konkret Fürchtenswertes,

Es ist aber nur so lange konkret zu fürchten, wie des "Wilden" Begriffe
von kausalen Zusammenhängen der Naturerscheinungen eben gering
ausgeprägt sind.

ersetzen wir den theistischen Begriff Gottheit einmal durch Natur, und
sagt dann der "Wilde" er fürchte sich vor der Natur, haben wir schon
eine ganz andere Sicht der Dinge! die Geschichte der "Wilden" ist ja
leider vom Abendland geschrieben, mit unseren sprachlichen
Konstrukten.

Unabhängig davon, ob sich der "Wilde" vor der Natur oder den in dieser
imaginierten Gottheiten fürchtet, ist Furcht vor etwas und das sich
schicken in das als unausweichlich, weil "natürlich" oder "gottgegeben"
Empfundene eben nicht emanzipatorisch. Auch der Begriff der "Natur"
rettet das Nicht-Selber-Denken leider nicht vor diesem Vorwurf.

Nun denn, ich hoffe, die zynischen Stellen in meinen Worten sind
halbwegs erkennbar.

Gruß, Lutz

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