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Re: Re(2): [ox] Wettlauf mit der Zeit



Es bedarf nicht wirklich "tiefer Gründe" in Form von
Ungerechtigkeit, um einen Teil der Menschen zum Enfant Terrible werden zu
lassen.

Es geht nicht nur um simple "Ungerechtigkeit" sondern um ein in den
Wurzeln unmenschliches System. Das ist was ganz anderes.

Die Behauptung, es stünde irgend ein anderes von Grund auf menschliches
System zur Wahl, welches für Harmonie auf der Erde sorgen würde, scheint
äußerst gewagt und hilft bei der Lösung anstehender Probleme nicht weiter.

Die Rolle des heiligen Kriegers, der alle Skrupel ueber Bord
werfen und um der kollektiven Notweher willen die Sau rauslassen darf, hat
sogar im Paradies noch etwas verfuehrerisches an sich.

Warst Du im Paradies oder woher weisst Du das so genau?

Ich sage damit nur, dass die Konstruktion einer Notwehrsituation, die jede
Barbarei erlaubt, ihre Verführungskraft nicht dadurch einbüßt, dass die
Welt um uns herum weniger Anlass zum Unmut bietet.  Denn was ein Anlass
zum Unmut ist, kann jeder selbst definieren, und wer einen Grund zur
Entfesselung von Aggression sucht, wird ihn finden.  Gerade die Rhetorik
heiliger Krieger ist oft ziemlich realitätsunabhängig.

Wer wirklich die
"tieferen Gruende" suchen will, wird es kaum vermeiden koennen, bis zur
menschlichen Natur vorzustossen.

Hartmut, bitte nicht schon wieder. Wir können gerne über die "menschliche
Natur" diskutieren. Nur willst Du ja garnicht drüber diskutieren, sondern
weisst eh schon immer besser, dass der Mensch an sich Böse ist.

Das weiß ich nicht und meine ich auch nicht.
Ich sage lediglich, dass das Böse im Menschen von der Frage
der Gerechtigkeit der Weltordnung unabhängig ist.

Bei der ganzen Diskussion um "tiefere
Gruende" scheinen mir einige Leute immer vorauszusetzen, nach irgendeiner
grundlegenden Reparatur muesste die Welt zum Paradies werden, und es lohne
sich nicht, konkretere Probleme zu loesen, solange man diese grundlegende
Reparatur aus den Augen verliere.

Genau das ist es, was Du machst. Aufgrund allgemeiner Annahmen über die
menschliche Natur verlierst Du die konkreten Probleme aus den Augen.

Ich löse derzeit gar keine solchen Probleme.  Ich beobachte lediglich, was
einige der Akteure, darunter die US-Regierung, tun.  Die wissen sehr gut,
dass sie in der arabischen Welt vor allem Sympathie und Verbündete
brauchen und tun auch einiges, um das zu erreichen.

Allerdings brauch es wohl ein klein wenig ungetrübten Verstand um
unter "konkreten Problemen" nicht nur die eigenen konkreten Probleme
sondern vielleicht auch die z.B. der afghanischen Zivilbevölkerung
erkennen zu können.

Ich stelle z.B. fest, dass die amerikanischen Militär- und
Sicherheitsexperten, die ich bei CNN u.a. erleben kann, sich darüber
durchaus Gedanken machen.  Sie sind meistens viel intelligenter als die
Fratze, die hier und anderswo von ihnen gezeichnet wird.

Ich bin ein großer Freund der Lösung konkreter Probleme, nur mag ich
mir eben nicht vorschreiben lassen, welche Probleme unbedingt und ganz
dringend zu lösen wären und welche leider irgendwie nicht wirklich so
konkret und dringend sind.

Ich nehme an, du bist auch nicht so sehr in der Stellung dessen, der da zu
gewichten hat.  Insofern kann ich dir auch nichts vorschreiben.  Ich sehe
nur, dass hier sehr viele Leute meinen, die richtige Gewichtung bei der
Antwort auf den offensichtlich großangelegten und von Staaten geförderten
und genutzten Terror zu kennen.  Wie die aussehen soll, sagt zwar niemand,
aber viel intelligenter als diejenigen, die die Probleme zu lösen haben,
ist man allemal.

Das was wir zur Zeit erleben ist tatsächlich eine großangelegte Kampagne zur
Ablenkung von konkreten Problemen und zwar von beiden Seiten. Die
Terroristen lenken genauso von konkreten Problemen ab wie die zu erwartenden
Vergeltungsschläger. Beiden geht es dabei um ein irgendwie höheres Ziel.
Auf der einen Seite sind das die "westlichen Werte" und auf der anderen
wahrscheinlich der Islam in einer etwas verqueren Auslegung. Den einen sind
dabei die konkreten Probleme der New Yorker egal und den anderen die
konkreten Probleme des Rest der Welt.

Was die Terroristen wollen, kann ich nicht erkennen.  Ich vermute
lediglich, dass sie von jener mir einigermaßen vertrauten Mentalität des
heiligen Krieges getrieben sind.

Die "Vergeltungsschläger" und "Verteidiger westlicher Werte" sind im
wesentlichen Akteure in einem Mediendrama, welches wohl nicht wirklich den
Kurs der US-Regierung bestimmen wird, aber vielleicht dafür sorgt, dass
ihr auch kriegerische Mittel zur Verfügung stehen, falls sie sie braucht.

Daneben gibt es aber auch etwa die Münchener Rückversicherung, die 1
Milliarde für das WTC zu zahlen hat ebenso wie zahlreiche in verschiedener
Weise spezialisierte Leute (CIA u.a.), die ein ausgeprägtes Interesse an
Stabilität und Sicherheit und damit verbundene Kenntnisse haben.  Deren
Verhältnis zur Welt ist bestimmt nicht irgendwie verantwortungsloser als
deins oder meins.

Das System, welches von diesen zahlreichen Interessenträgern, Experten und
Regierungen gebildet wird, stellt die Weltordnung dar, in der wir leben.
Welche Ordnungsvorstellungen die Terroristen haben, wissen wir nicht und
müssen wir auch nicht wissen.  Eine äquidistante Haltung zu beiden Seiten
könnten wir dadurch herstellen, dass wir uns ein Paradies als Bezugspunkt
wählen, eine Art Reich, welches "nicht von dieser Welt" ist.  Von diesem
Bezugspunkt aus können wir natürlich der tatsächlichen Weltordnung und
ihren Repräsentanten vorwerfen, sie täten im Prinzip das gleiche wie die
Terroristen und versäumten es, die grundlegenden Probleme zu lösen.

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
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