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Re: [ox] Re: [ox] Re: [ox] Wtr: Heidegger für Analphabeten



Hallo Kurt-Werner,

einen "rationalen Kern" kann ich in der Bahamas-Stellungnahme, genauso wie
in jeder psychotischen Äußerung finden. Nichtsdestoweniger ist beides, auf
die Realität losgelassen, derart desaströs, daß wir uns um die eventuelle
Legitimität einiger Aspekte keine Gedanken zu machen brauchen.

Hier noch einige Anmerkungen zu Deiner Religionskritik, die bestimmt nicht
dazu angetan ist, Verständnis für den Islam zu wecken, geschweige denn
irgendetwas zur Lösung des gegenwärtigen Konfliktes beizutragen.


am 16.09.2001 15:19 Uhr schrieb KXX4493553 aol.com unter KXX4493553 aol.com:

Manichäische Weltbilder
(hier die Guten, da die Bösen) haben a l l e  Religionen, und gerade unsere
allerchristlichsten Oberheuchler sollten in dieser Beziehung ganz, ganz still
sein.

=> Das ist viel zu grobdrahtig. Die erste große theologische
Auseinandersetzung, die das Christentum führte, war die mit dem
Manichäismus. Hier wurde dualistischen Konstruktionen eine entschiedene
Absage erteilt und dieser Leistung des Augustinus verdankt das Christentum
seinen "weltlichen" Erfolg. Der Absage an den Dualismus ist auch ein
entscheidender Impuls für die spätere säkulare Entwicklung zu verdanken, die
in der Menschheitsgeschichte einmalig ist.

Religiöse Weltbilder sind in erster Linie paranoide Konstruktionen, um
das Chaos und die Bedrohlichkeit der Welt abzuwehren, dazu wurden sie
geschaffen und das ist ihre letztendliche Funktion, und da ist es völlig
wurscht, ob es sich um den Islam, das Christentum, den Hinduismus oder
sonstwas handelt.

=> Es bringt überhaupt nichts mit so komplexen und widersprüchlichen
Gebilden wie den Religionen wie die Axt im Walde zu verfahren! Damit tust Du
im Prinzip nichts anderes als diejenigen, die jetzt zum Sturm auf die
Irrationalisten und Fanatiker blasen und dabei ganz nebenbei jegliche
emanzipatorische Ansätze außerhalb der selbstdefinierten frames zu
entsorgen. Grundsätzlich gilt: nicht die religiösen Konstruktionen sind
paranoid, sondern sie sind ein Versuch die die Menschen individuell und
kollektiv anfallende Paranoia zu bewältigen. Teilweise gelingt ihnen das
durch Aufhebung, teilweise durch Integration, alles mit mehr oder weniger
Erfolg für Individuen und Gesellschaft. Die Religion auf eine reine
Abwehrfunktion zu reduzieren, heißt bereits sie aus der paranoiden
Perspektive des Fundamentalismus zu betrachten, dem genau diese
integrierende Kraft nicht mehr zur Verfügung steht und der es daher nur
noch in bedingter Weise verdient, Religion genannt zu werden.

Deshalb lassen sich auch  a l l e   Religionen für fast beliebige Zwecke
instrumentalisieren, und da machen auch ach so "friedliche" Religionen wie
der Buddhismus keine Ausnahme.

=> Nein, Religionen, wo sie noch funktionieren, d.h. ihre integrierende
Rolle behaupten, sind kein beliebig formbares Knetgummi. Mit dem Buddhismus
lässt sich keine militant missionierende Kirche begründen, aus Moslems
lassen sich nur schwer selbstkasteiende fordistische Arbeiter züchten.
Religion muß erst in ihrem Kern zerstört werden, bevor solche
Instrumentalierungsprozesse greifen können. Das heißt aber, daß
Gesellschaften in ihrem gesamten ökonomischen Unterbau transformiert werden
müssen, um die holding-Funktion der Religion außer Kraft zu setzen.
Fundamentalismus setzt dann, als ein restaurativer Impuls, die religiöse
Tradition gegen die gesamte gesellschaftliche Transformation und erweist
gerade damit ihre Unfähigkeit, die Integration noch zu leisten, für die sie
ursprünglich angetreten ist.

Dass es auch solche Phänomene wie die
lateinamerikanische Befreiungstheologie gibt (oder besser gab), ändert an
dieser grundsätzlichen Feststellung nichts.

=> Wie soll ich das verstehen? Die Theologie der Befreiung ist ein Versuch
genau solchen fundamentalistischen Impulsen entgegenzutreten und die holding
Funktion der Religion gerade dadurch zu bewahren, daß sie sich den Phänomen
der Moderne gegenüber flexibel zeigt: das kritisch emanzipatorische
Potential des Christentums, das durch die jahrhundertelange Herrschaft der
Kirche fast in Vergessenheit geraten war, gerade ermöglicht durch die
Machtverschiebungen der Moderne, neu zu entfalten und dabei gleichzeitig zum
blinden Prozeß der Kapitalakkumulation um seiner selbst willen Distanz zu
wahren. Das sie dazu in der Lage war, oder ist, zeigt doch gerade, daß
Religion zu mehr in der Lage ist, als nur zu paranoiden Abwehrgesten.

3.) Die jüdische Religion hat insofern eine Ausnahmestellung inne, als sie
nicht bloß den Monotheismus, also den Glauben an EINEN Gott, "erfunden" hat,
sondern auch DAS MENSCHENOPFER ABGESCHAFFT. Unmittelbar damit zusammen hängt
das sog. Bilderverbot, also das Verbot, sich von Gott ein Bildnis zu machen
und Götzendienst zu betreiben. Götzendienst betreiben, heißt nämlich
(Menschen-)Opfer darbringen. Das Christentum ist wieder hinter diesen Stand
zurückgefallen, als es das Menschenopfer quasi durch die Hintertür wieder
einführte,

=> Das ist in Bezug auf das Christentum ein banales Mißverständnis, dem
leider auch Adorno aufgesessen ist.

indem es dieses sogar noch überbot, indem es den Sohn Gottes
OPFERTE. 

=> nicht einfach nur überbot, sondern transzendierte. Nicht nur der Sohn
Gottes wird geopfert, Gott selbst wird geopfert, wie in den Kommentaren zur
Kommunion ausdrücklich festgestellt wird. Damit wird nicht einfach nur der
Spieß umgedreht. Das Opfer ist damit aufgehoben. Luther empörte sich
dagegen, daß der Priester Gott opfert, woran sich allerdings zeigt, daß wenn
schon er nichts mehr kapiert, es um das Bewußtsein der Transzendierung des
Opfers nicht eben gut bestellt sein muß. Aber vor Regression ist keine
Religion gefeit, auch das Judentum nicht, wovon die ganze Thora ja beredtes
Zeugnis gibt.

Nicht umsonst wird die Hl. Kommunion, wo der Katholik vom "Leib
Christi" isst (in Form der Hostie), von anderen Kulturen als "symbolischer
Kannibalismus" abgelehnt.

=> Weil sie den Gedanke der Substanzialität nicht verstehen, der allerdings
IMHO keine glückliche Fügung in der Geschichte des Christentums war.

Und weil der Islam letzten Endes ein Abkömmling des Christentums
ist (Jesus wird ja als Vorläufer Mohammeds anerkannt), ist diese von den
Christen wieder eingeführte Opferideologie (die vorher von den Juden
abgeschafft worden war) auch Bestandteil des Islam.

=> Papperlapapp! Das war ja nun wirklich eine lausige Ableitung! Wo ist denn
das Opfer geblieben, wenn Jesus lediglich ein "Vorläufer" Mohammeds war?
Der Islam vollzieht keine Opfer, schon gar keine Menschenopfer, auch kein
Gottesopfer. Nicht Opfer, sondern Gerechtigkeit, das ist wie bei den
jüdischen Propheten.


5.) Der Selbstmordterrorismus der Islamisten ist eben kein
"Arme-Leute-Terrorismus". Mr. Bin Laden soll über ein Vermögen von 300
Millionen $ verfügen, die Attentäter waren wohlhabende, gut ausgebildete und
geradezu "bourgeoise" Gesellen. Sie stellen die Vorherrschaft des Westens in
Frage, das ja, aber ihr nihilistischer Kampf ist eher von der Vorstellung
geprägt: wenn wir uns schon nicht als Gegenelite etablieren können (wie eine
Zeitlang die Kommunisten), so wollen wir wenigstens unsere Widersacher
vernichten. Sie spüren, dass ihre Machtansprüche in dieser Welt(un)ordnung
nicht realisierbar sind, deswegen wollen sie "den Westen" in ihren eigenen
Untergang mit hineinreißen. Und da gibt es in der Tat auch Parallelen zu den
Nazis, da hat Bahamas auch Recht.

=> Ja, da hat die Bahamas Recht. Nur sind solche Konstrukte nicht mehr als
Religion zu fassen, sondern als Antireligion. Der NS war kein Kult, sondern
Kultparodie. Seine Funktion war die Verhöhnung des Opfers, das er
gleichzeitig massenhaft forderte und vollzog. Der Islamismus scheint dem NS
in seiner apokalyptischen Destruktivität zu gleichen, die im Grunde gar
keine Gesellschaft mehr will, auch nicht die der Herrenrasse, oder der
Auserwählten. Und wenn die Bahamas den Fundamentalismus mit dem Islam
gleichsetzt, gießt sie Wasser auf die Mühlen der Ausradierer im verschont
gebliebenen Weißen Haus und in den Nato-Befehlsbunkern (die allerdings
solcher Legitimierung kaum bedürfen. Ärgerlich ist es trotzdem).

Vor einigen Monaten haben islamische Theologen in Kairo den Selbstmord als
unislamische Tat verurteilt, das ist nur konsequent im Sinne der Aufhebung
des Opfers.

JohSt




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Organisation: projekt oekonux.de


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