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[ox] Re: [ox] Re: [ox] Wtr: Heidegger für Analphabeten



Ich möchte angesichts der Stellungnahme der Bahamas-Redaktion einige 
grundsätzliche Anmerkungen machen, wobei mir der Bahamas-Text doch als arger, 
über das Ziel hinausschießender Schnellschuss erscheint, wo die nur allzu 
bekannte Bahamas-Polemik (sie wollen ja, laut eigenem Bekunden, den Leuten 
"auf den Nerven rumtrampeln") sich an sich selbst verschluckt und maßlos 
wird. Andererseits enthält sie doch einen rationalen Kern, der gewürdigt 
werden sollte. Ich schreibe im Folgenden einige Stichworte auf, die mir so in 
den Sinn kommen und weiß Gott keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

1.) Ich situiere mich weder im Lager der "Friedenstauben" und 
Tralala-Kerzenhalter (wenn sonst nichts mehr haltbar scheint, hält man sich 
wenigstens an Kerzen fest) noch aber im Lager der Haudraufs und Schlagetots, 
die auch im "linken" Spektrum immer mehr um sich zu greifen scheinen. Ich 
plädiere einerseits für besonnenes Abwägen und andererseits sehe ich die 
Notwendigkeit ein, dass man nicht auch noch "die andere Wange hinhalten" 
soll. Gegen diesen fundamentalistischen Irrsinn zu kämpfen, ist eine 
unabdingbare Notwendigkeit, und darin bin ich mit Bahamas uneingeschränkt 
einig. Und dann helfen halt nur die Methoden, wie sie Israel im Kampf gegen 
Selbstmordattentäter anwendet.

2.) Wenn aber Bahamas den Koran mit "Mein Kampf" gleichsetzt, so ist das der 
hinterletzte Schwachsinn, der seinesgleichen sucht. Manichäische Weltbilder 
(hier die Guten, da die Bösen) haben a l l e  Religionen, und gerade unsere 
allerchristlichsten Oberheuchler sollten in dieser Beziehung ganz, ganz still 
sein. Religiöse Weltbilder sind in erster Linie paranoide Konstruktionen, um 
das Chaos und die Bedrohlichkeit der Welt abzuwehren, dazu wurden sie 
geschaffen und das ist ihre letztendliche Funktion, und da ist es völlig 
wurscht, ob es sich um den Islam, das Christentum, den Hinduismus oder 
sonstwas handelt.
Deshalb lassen sich auch  a l l e   Religionen für fast beliebige Zwecke 
instrumentalisieren, und da machen auch ach so "friedliche" Religionen wie 
der Buddhismus keine Ausnahme. Dass es auch solche Phänomene wie die 
lateinamerikanische Befreiungstheologie gibt (oder besser gab), ändert an 
dieser grundsätzlichen Feststellung nichts.

3.) Die jüdische Religion hat insofern eine Ausnahmestellung inne, als sie 
nicht bloß den Monotheismus, also den Glauben an EINEN Gott, "erfunden" hat, 
sondern auch DAS MENSCHENOPFER ABGESCHAFFT. Unmittelbar damit zusammen hängt 
das sog. Bilderverbot, also das Verbot, sich von Gott ein Bildnis zu machen 
und Götzendienst zu betreiben. Götzendienst betreiben, heißt nämlich 
(Menschen-)Opfer darbringen. Das Christentum ist wieder hinter diesen Stand 
zurückgefallen, als es das Menschenopfer quasi durch die Hintertür wieder 
einführte, indem es dieses sogar noch überbot, indem es den Sohn Gottes 
OPFERTE. Nicht umsonst wird die Hl. Kommunion, wo der Katholik vom "Leib 
Christi" isst (in Form der Hostie), von anderen Kulturen als "symbolischer 
Kannibalismus" abgelehnt. Aus Japan bspw. ist bekannt, dass die ersten 
christlichen Missionare, die dort "bekehren" wollten, aus diesem Grunde sogar 
umgebracht wurden, weil die Japaner voller Entsetzen feststellten, dass die 
Christen "ihren Gott essen" und vorher regelrecht abschlachten bzw. ans Kreuz 
nageln ließen (das hat mir jedenfalls mein Bruder, der Japanologe ist, 
erzählt). Und weil der Islam letzten Endes ein Abkömmling des Christentums 
ist (Jesus wird ja als Vorläufer Mohammeds anerkannt), ist diese von den 
Christen wieder eingeführte Opferideologie (die vorher von den Juden 
abgeschafft worden war) auch Bestandteil des Islam. Und genau dies ist der 
rationale Kern der Argumentation von Bahamas. Aber Koran = islamischer Mein 
Kampf? Hirnrissiger Quatsch.

4.) Armaggeddon, also der Endkampf zwischen Gut und Böse am Tag des Jüngsten 
Gerichts, ist nicht bloß eine Vorstellung, der etwa die Zeugen Jehovas 
frönen. Dieser Glauben ist speziell in den USA bei evangelikalen und 
sonstigen christlich-fundamentalistischen Sekten weit verbreitet. G. Bush 
jun. denkt in diesen Kategorien, er gehört ideologisch zur christlichen 
Rechten. Wenn er auch sicherlich in der "Realpolitik" durch pragmatische 
Überlegungen gebremst wird (der Pragmatismus ist das freundliche Gesicht 
Nordamerikas), so ist nicht auszuschließen, dass beim jetzigen "Kampf der 
Kulturen" (Huntington) diese Aramggeddon-Überzeugungen im Hintergrund doch 
eine gewisse Rolle spielen. Bei den Debatten über die Anschläge in den 
amerikanischen Mailinglisten, in denen ich bin, üben sich gewisse 
Durchgeknallte schon in wilden Rambo-Fantasien über World War Three. Und das 
sind Mitglieder der in den USA ziemlich dünnen Bildungsschicht. Wer nur ein 
wenig über den katastrophalen Zustand des US-amerikanischen Bildungswesens 
Bescheid weiß (die paar Eliteunis sind da bestenfalls einsame Leuchttürme in 
einer Bildungswüste, den Forschernachwuchs holen sich die USA je nach Bedarf 
aus dem Ausland), das stellenweise Drittwelt-Niveau hat, kann daraus für die 
"common people" und deren Mentalität nur düstere Schlussfolgerungen ziehen. 
Die Anschläge lassen ja sehr schnell vergessen, welche hausgemachten Probleme 
die Amis selber haben: Häufung von Amokläufen nicht zuletzt bei Jugendlichen, 
überfüllte Gefängnisse, maßlose Anwendung der Todesstrafe, die "working 
poor", eine marode Infrastruktur. Nichtsdestoweniger sind als positive 
Eigenschaften der USA zu benennen: der oben erwähnte Pragmatismus und eine - 
allerdings individualistische und punktuell bleibende - ausgeprägte 
Kritikkultur und der Regionalismus, der allerdings inzwischen auch eher 
zwiespältig zu betrachten ist (siehe MacVeigh und der Anschlag in Oklahoma 
City).

5.) Der Selbstmordterrorismus der Islamisten ist eben kein 
"Arme-Leute-Terrorismus". Mr. Bin Laden soll über ein Vermögen von 300 
Millionen $ verfügen, die Attentäter waren wohlhabende, gut ausgebildete und 
geradezu "bourgeoise" Gesellen. Sie stellen die Vorherrschaft des Westens in 
Frage, das ja, aber ihr nihilistischer Kampf ist eher von der Vorstellung 
geprägt: wenn wir uns schon nicht als Gegenelite etablieren können (wie eine 
Zeitlang die Kommunisten), so wollen wir wenigstens unsere Widersacher 
vernichten. Sie spüren, dass ihre Machtansprüche in dieser Welt(un)ordnung 
nicht realisierbar sind, deswegen wollen sie "den Westen" in ihren eigenen 
Untergang mit hineinreißen. Und da gibt es in der Tat auch Parallelen zu den 
Nazis, da hat Bahamas auch Recht.

6.) Selbstredend sind die "Vorgänge" in Amerika insofern ein "Geschenk des 
Himmels" für die (politisch) Herrschenden, als sie jetzt alles in einem Topf 
verrühren können: Genua und New York, Globalisierungsgegner und Terroristen. 
Wir müssen in der Beziehung auf ALLES gefasst sein, aber auch auf "Volkes 
Stimme", auf das Bündnis von Mob und Elite. Es ist definitiv nichts mehr 
auszuschließen. Gegen Phantasmen von Irren ist kein Kraut gewachsen (wie man 
am Beispiel der Islamisten sehen kann). Andererseits ist die Mediokrität der 
Herrschenden erschreckend: wenn der liebestolle Rudolf uns in die Schlacht 
führen soll, dann lassen wir am besten gleich freiwillig die Hose runter. 
Gerade diese Mischung aus Mittelmäßigkeit, Ressentiments und Rambo-Fantasien 
ist das Brisante der gegenwärtigen Situation. Das sind alles nur noch 
Dekadenzerscheinungen.

7.) ISF hat Recht: der Kapitalismus ist eine Totalität, die mit den gewohnten 
Erkenntnislogiken nicht durchschaubar ist. Die Marx'sche Wertformanalyse 
betont ja gerade die Identität des einander logisch Ausschließenden. Und wenn 
man sich auf "eine Seite" schlägt (schaffendes gegen raffendes Kapital, 
"Arbeiter" gegen "Faulenzer", "Terror" vs. "zivilisierte Welt" o. ä.), hat 
man sich lediglich in diesen ewigen Spiegelfechtereien verfangen. Im Grunde 
kann man gar nicht mehr richtig "Position beziehen". Das bedeutet keine 
Verdammung zum Untätigsein oder zur "Kontemplation". Aber die "Frontlinien" 
sind in der Tat verwischt, dessen sollte man sich stets bewusst sein.

8.) Es ist erstaunlich: da wird das Zentrum des Welthandels zerstört, und 
nichts scheint passiert zu sein. Der virtuelle Informationsaustausch 
funktioniert immer noch, und die Datennetze sind nicht zusammengebrochen. Das 
zeigt mal wieder, wie austauschbar selbst angeblich unentbehrliche "Experten" 
geworden sind. Da ist die Crème de la crème der internationalen 
Wirtschaftselite vernichtet worden, und nichts scheint passiert. Trotzdem 
sollte man sich die Frage stellen: welche Geschäfte sind im WTC eigentlich 
getätigt worden?

9.) Oekonux - na ja. Man sieht jetzt wieder, dass GPL-Gesellschaft, Free 
Software usw. Sandkastenspielereien sind. Das, was jetzt vorgeht, spielt in 
einer anderen Liga. Fragen um Macht und Herrschaft sind letztendlich doch 
Fragen um Leben und Tod. Es wird keinen "freundlichen Übergang" in Irgendwas 
geben. Wenn's die Herrschenden wollen, werden sie Free Software zu Piraten im 
Cyberwar stilisieren und dementsprechend reagieren, selbst wenn ihr nur eurer 
Oma ne Freude machen wollt. Echolon wird's schon richten. Das ist auch eine 
Folge der "Entstaatlichung" der Gewalt, wo private Terrorbanden, Warlords und 
verrückte Spinner mit viel Geld und nem festen Feindbild der 
"geostrategischen Lage" immer mehr den Stempel aufdrücken. Und die Staaten 
oder das, was von ihnen übrig ist, wird sich immer mehr diesem "Niveau" 
annähern.

Kurt-Werner Pörtner
 
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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