[ox] Re: [ox] Re: [ox] Wtr: Heidegger für Analphabeten
- From: KXX4493553 aol.com
- Date: Sun, 16 Sep 2001 09:19:13 EDT
Ich möchte angesichts der Stellungnahme der Bahamas-Redaktion einige
grundsätzliche Anmerkungen machen, wobei mir der Bahamas-Text doch als arger,
über das Ziel hinausschießender Schnellschuss erscheint, wo die nur allzu
bekannte Bahamas-Polemik (sie wollen ja, laut eigenem Bekunden, den Leuten
"auf den Nerven rumtrampeln") sich an sich selbst verschluckt und maßlos
wird. Andererseits enthält sie doch einen rationalen Kern, der gewürdigt
werden sollte. Ich schreibe im Folgenden einige Stichworte auf, die mir so in
den Sinn kommen und weiß Gott keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
1.) Ich situiere mich weder im Lager der "Friedenstauben" und
Tralala-Kerzenhalter (wenn sonst nichts mehr haltbar scheint, hält man sich
wenigstens an Kerzen fest) noch aber im Lager der Haudraufs und Schlagetots,
die auch im "linken" Spektrum immer mehr um sich zu greifen scheinen. Ich
plädiere einerseits für besonnenes Abwägen und andererseits sehe ich die
Notwendigkeit ein, dass man nicht auch noch "die andere Wange hinhalten"
soll. Gegen diesen fundamentalistischen Irrsinn zu kämpfen, ist eine
unabdingbare Notwendigkeit, und darin bin ich mit Bahamas uneingeschränkt
einig. Und dann helfen halt nur die Methoden, wie sie Israel im Kampf gegen
Selbstmordattentäter anwendet.
2.) Wenn aber Bahamas den Koran mit "Mein Kampf" gleichsetzt, so ist das der
hinterletzte Schwachsinn, der seinesgleichen sucht. Manichäische Weltbilder
(hier die Guten, da die Bösen) haben a l l e Religionen, und gerade unsere
allerchristlichsten Oberheuchler sollten in dieser Beziehung ganz, ganz still
sein. Religiöse Weltbilder sind in erster Linie paranoide Konstruktionen, um
das Chaos und die Bedrohlichkeit der Welt abzuwehren, dazu wurden sie
geschaffen und das ist ihre letztendliche Funktion, und da ist es völlig
wurscht, ob es sich um den Islam, das Christentum, den Hinduismus oder
sonstwas handelt.
Deshalb lassen sich auch a l l e Religionen für fast beliebige Zwecke
instrumentalisieren, und da machen auch ach so "friedliche" Religionen wie
der Buddhismus keine Ausnahme. Dass es auch solche Phänomene wie die
lateinamerikanische Befreiungstheologie gibt (oder besser gab), ändert an
dieser grundsätzlichen Feststellung nichts.
3.) Die jüdische Religion hat insofern eine Ausnahmestellung inne, als sie
nicht bloß den Monotheismus, also den Glauben an EINEN Gott, "erfunden" hat,
sondern auch DAS MENSCHENOPFER ABGESCHAFFT. Unmittelbar damit zusammen hängt
das sog. Bilderverbot, also das Verbot, sich von Gott ein Bildnis zu machen
und Götzendienst zu betreiben. Götzendienst betreiben, heißt nämlich
(Menschen-)Opfer darbringen. Das Christentum ist wieder hinter diesen Stand
zurückgefallen, als es das Menschenopfer quasi durch die Hintertür wieder
einführte, indem es dieses sogar noch überbot, indem es den Sohn Gottes
OPFERTE. Nicht umsonst wird die Hl. Kommunion, wo der Katholik vom "Leib
Christi" isst (in Form der Hostie), von anderen Kulturen als "symbolischer
Kannibalismus" abgelehnt. Aus Japan bspw. ist bekannt, dass die ersten
christlichen Missionare, die dort "bekehren" wollten, aus diesem Grunde sogar
umgebracht wurden, weil die Japaner voller Entsetzen feststellten, dass die
Christen "ihren Gott essen" und vorher regelrecht abschlachten bzw. ans Kreuz
nageln ließen (das hat mir jedenfalls mein Bruder, der Japanologe ist,
erzählt). Und weil der Islam letzten Endes ein Abkömmling des Christentums
ist (Jesus wird ja als Vorläufer Mohammeds anerkannt), ist diese von den
Christen wieder eingeführte Opferideologie (die vorher von den Juden
abgeschafft worden war) auch Bestandteil des Islam. Und genau dies ist der
rationale Kern der Argumentation von Bahamas. Aber Koran = islamischer Mein
Kampf? Hirnrissiger Quatsch.
4.) Armaggeddon, also der Endkampf zwischen Gut und Böse am Tag des Jüngsten
Gerichts, ist nicht bloß eine Vorstellung, der etwa die Zeugen Jehovas
frönen. Dieser Glauben ist speziell in den USA bei evangelikalen und
sonstigen christlich-fundamentalistischen Sekten weit verbreitet. G. Bush
jun. denkt in diesen Kategorien, er gehört ideologisch zur christlichen
Rechten. Wenn er auch sicherlich in der "Realpolitik" durch pragmatische
Überlegungen gebremst wird (der Pragmatismus ist das freundliche Gesicht
Nordamerikas), so ist nicht auszuschließen, dass beim jetzigen "Kampf der
Kulturen" (Huntington) diese Aramggeddon-Überzeugungen im Hintergrund doch
eine gewisse Rolle spielen. Bei den Debatten über die Anschläge in den
amerikanischen Mailinglisten, in denen ich bin, üben sich gewisse
Durchgeknallte schon in wilden Rambo-Fantasien über World War Three. Und das
sind Mitglieder der in den USA ziemlich dünnen Bildungsschicht. Wer nur ein
wenig über den katastrophalen Zustand des US-amerikanischen Bildungswesens
Bescheid weiß (die paar Eliteunis sind da bestenfalls einsame Leuchttürme in
einer Bildungswüste, den Forschernachwuchs holen sich die USA je nach Bedarf
aus dem Ausland), das stellenweise Drittwelt-Niveau hat, kann daraus für die
"common people" und deren Mentalität nur düstere Schlussfolgerungen ziehen.
Die Anschläge lassen ja sehr schnell vergessen, welche hausgemachten Probleme
die Amis selber haben: Häufung von Amokläufen nicht zuletzt bei Jugendlichen,
überfüllte Gefängnisse, maßlose Anwendung der Todesstrafe, die "working
poor", eine marode Infrastruktur. Nichtsdestoweniger sind als positive
Eigenschaften der USA zu benennen: der oben erwähnte Pragmatismus und eine -
allerdings individualistische und punktuell bleibende - ausgeprägte
Kritikkultur und der Regionalismus, der allerdings inzwischen auch eher
zwiespältig zu betrachten ist (siehe MacVeigh und der Anschlag in Oklahoma
City).
5.) Der Selbstmordterrorismus der Islamisten ist eben kein
"Arme-Leute-Terrorismus". Mr. Bin Laden soll über ein Vermögen von 300
Millionen $ verfügen, die Attentäter waren wohlhabende, gut ausgebildete und
geradezu "bourgeoise" Gesellen. Sie stellen die Vorherrschaft des Westens in
Frage, das ja, aber ihr nihilistischer Kampf ist eher von der Vorstellung
geprägt: wenn wir uns schon nicht als Gegenelite etablieren können (wie eine
Zeitlang die Kommunisten), so wollen wir wenigstens unsere Widersacher
vernichten. Sie spüren, dass ihre Machtansprüche in dieser Welt(un)ordnung
nicht realisierbar sind, deswegen wollen sie "den Westen" in ihren eigenen
Untergang mit hineinreißen. Und da gibt es in der Tat auch Parallelen zu den
Nazis, da hat Bahamas auch Recht.
6.) Selbstredend sind die "Vorgänge" in Amerika insofern ein "Geschenk des
Himmels" für die (politisch) Herrschenden, als sie jetzt alles in einem Topf
verrühren können: Genua und New York, Globalisierungsgegner und Terroristen.
Wir müssen in der Beziehung auf ALLES gefasst sein, aber auch auf "Volkes
Stimme", auf das Bündnis von Mob und Elite. Es ist definitiv nichts mehr
auszuschließen. Gegen Phantasmen von Irren ist kein Kraut gewachsen (wie man
am Beispiel der Islamisten sehen kann). Andererseits ist die Mediokrität der
Herrschenden erschreckend: wenn der liebestolle Rudolf uns in die Schlacht
führen soll, dann lassen wir am besten gleich freiwillig die Hose runter.
Gerade diese Mischung aus Mittelmäßigkeit, Ressentiments und Rambo-Fantasien
ist das Brisante der gegenwärtigen Situation. Das sind alles nur noch
Dekadenzerscheinungen.
7.) ISF hat Recht: der Kapitalismus ist eine Totalität, die mit den gewohnten
Erkenntnislogiken nicht durchschaubar ist. Die Marx'sche Wertformanalyse
betont ja gerade die Identität des einander logisch Ausschließenden. Und wenn
man sich auf "eine Seite" schlägt (schaffendes gegen raffendes Kapital,
"Arbeiter" gegen "Faulenzer", "Terror" vs. "zivilisierte Welt" o. ä.), hat
man sich lediglich in diesen ewigen Spiegelfechtereien verfangen. Im Grunde
kann man gar nicht mehr richtig "Position beziehen". Das bedeutet keine
Verdammung zum Untätigsein oder zur "Kontemplation". Aber die "Frontlinien"
sind in der Tat verwischt, dessen sollte man sich stets bewusst sein.
8.) Es ist erstaunlich: da wird das Zentrum des Welthandels zerstört, und
nichts scheint passiert zu sein. Der virtuelle Informationsaustausch
funktioniert immer noch, und die Datennetze sind nicht zusammengebrochen. Das
zeigt mal wieder, wie austauschbar selbst angeblich unentbehrliche "Experten"
geworden sind. Da ist die Crème de la crème der internationalen
Wirtschaftselite vernichtet worden, und nichts scheint passiert. Trotzdem
sollte man sich die Frage stellen: welche Geschäfte sind im WTC eigentlich
getätigt worden?
9.) Oekonux - na ja. Man sieht jetzt wieder, dass GPL-Gesellschaft, Free
Software usw. Sandkastenspielereien sind. Das, was jetzt vorgeht, spielt in
einer anderen Liga. Fragen um Macht und Herrschaft sind letztendlich doch
Fragen um Leben und Tod. Es wird keinen "freundlichen Übergang" in Irgendwas
geben. Wenn's die Herrschenden wollen, werden sie Free Software zu Piraten im
Cyberwar stilisieren und dementsprechend reagieren, selbst wenn ihr nur eurer
Oma ne Freude machen wollt. Echolon wird's schon richten. Das ist auch eine
Folge der "Entstaatlichung" der Gewalt, wo private Terrorbanden, Warlords und
verrückte Spinner mit viel Geld und nem festen Feindbild der
"geostrategischen Lage" immer mehr den Stempel aufdrücken. Und die Staaten
oder das, was von ihnen übrig ist, wird sich immer mehr diesem "Niveau"
annähern.
Kurt-Werner Pörtner
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