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[ox] GPL-Gesellschaft - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft -- (letzter) Teil 6



4.7. Neue Einrichtungen
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So wie heute Banken eine wichtige Rolle für das Geldsystem spielen,
wird es Einrichtungen geben, die die veränderten Bedürfnisse eine
GPL-Gesellschaft befriedigen. Solche Einrichtungen werden teilweise
aus Bekanntem erwachsen, teilweise aber auch völlig neu sein.

4.7.1. Produktinformation anstatt Werbung
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Die heute übliche Warenwerbung wächst aus einem Verwertungsinteresse
und hat daher die Tendenz zu nerven. Daß Werbung kein Bedürfnis der
KonsumentInnen darstellt, läßt sich schon daran ablesen, daß die
WarenanbieterInnen zum Teil erhebliche Summen ausgeben um die vor
allem für sie nützliche Message[79] an potentielle KundInnen zu
bringen.

Ein sinnvoller Anteil an Werbung - heute oft nur noch in
Spurenelementen vorhanden - ist aber die Information über ein
bestimmtes Produkt. Dieser Informationsanteil wäre auch in einer
GPL-Gesellschaft von Interesse, dient er doch potentiellen NutzerInnen
eines Guts. Schon heute lassen sich die interessantesten
Produktinformationen übrigens zuweilen im Internet finden. Ein
ausgesprochen sinnvoller Ansatz, da das Internet allen KundInnen /
NutzerInnen mit minimalem Aufwand alle Information zur Verfügung
stellen kann, die diese haben möchten.

4.7.2. MaintainerInnen-Schulen
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Bei der Freien Software erleben wir häufig das
MaintainerInnen-Prinzip. Ausgezeichnete Projektmitglieder[80] dienen
dem Projekt und den anderen Mitgliedern, indem sie sich
verantwortlich[81] um das Projekt kümmern. Getragen werden sie vom den
anderen Projektmitgliedern, die ein Vertrauen in die persönliche
Kompetenz der MaintainerIn haben. Ist diese Vertrauensbasis nicht
gegeben, dann kann es durchaus geschehen, daß eine MaintainerIn ein
Projekt zerstört.

Diese spezielle MaintainerInnen-Tätigkeit hat natürlich viel mit
sozialen Fähigkeiten, Erfahrung und Fingerspitzengefühl zu tun - also
etwas, was mit Ausbildung zumindest gefördert werden kann. Da solche
vertrauensbasierte MaintainerInnen-Tätigkeit in einer
GPL-Gesellschaft[82] eine wichtige Rolle spielt, werden
Schulungseinrichtungen für MaintainerInnen ebenfalls eine wichtige
Rolle spielen.

Neben sozialen Kompetenzen werden fachliche Kompetenzen natürlich auch
weiterhin[83] gebraucht. Ein wichtiger Aspekt von Selbstentfaltung ist
ja die Entfaltung eigener Kompetenzen und auch deren Steigerung.
Immerhin steigern sich mit steigender Kompetenz auch die
Handlungsmöglichkeiten und damit die Freiheit der Einzelnen.

4.7.3. Freie Gruppe berechnet Öko-Rucksäcke von Gütern
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Um potentiellen NutzerInnen eine Information zu geben, wie sehr ein
bestimmtes Produkt die Umwelt bei Herstellung oder Benutzung belastet,
wäre es günstig, für alle Produkte Öko-Rucksäcke zu berechnen. Solche
produktbezogenen Öko-Rucksäcke könnten ein konkretes Äquivalent zur
Begrenzungsfunktion bilden, die Geld in der kapitalistischen
Wirtschaft in Bezug auf die eingesetzte Arbeitskraft bildet.
Allerdings verschiebt sich der Fokus weg von abstrakten Arbeitsquanta
hin zu konkretem Umweltverbrauch, was gegenüber heute schon ein
gewaltiger Gewinn wäre.

4.7.4. Rohrpost als Transportmedium
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Viele, viele technische Neuerungen sind natürlich in einer
GPL-Gesellschaft sinnvoll. Eine unterirdische Rohrpost, die sogar mit
heutigen technischen Mitteln[84] bereits kostengünstig realisierbar
wäre, könnte den veränderten Bedürfnissen einer GPL-Gesellschaft stark
entgegenkommen. Ein gut ausgebautes Rohrpostsystem könnte noch
wesentlich flexibler sein, als die Verkehrsträger Straße oder Schiene
und es könnte vor allem noch viel stärker automatisiert werden, so daß
große Arbeitsmengen, die heute in den Warentransport gesteckt werden,
schlicht entfallen würden.

Fazit: Viele neuartige Einrichtungen werden sinnvoll sein
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In einer GPL-Gesellschaft wird es viele neue Einrichtungen geben, die
die herkömmlichen Einrichtungen ergänzen oder ersetzen werden. An
vielen Stellen werden bekannte Einrichtungen mehr oder weniger
verändert werden müssen, um den veränderten Rahmenbedingungen gerecht
zu werden.

4.8. Individuelle Aspekte
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Nach den vielen gesellschaftlichen Aspekten folgen hier ein paar
Überlegungen, welche konkreten Veränderungen für die Individuen eine
GPL-Gesellschaft bringen könnte.

4.8.1. Würdigung für Leistung, Anstrengung, Fähigkeiten
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Bestimmte individuelle Leistungen, besonders großer Anstrengungen oder
besonders ausgebildeter Fähigkeiten werden auch in einer
GPL-Gesellschaft besonders gewürdigt werden, da sie einem menschlichen
Bedürfnis nach Anerkennung entsprechen. Dabei dürfte eine Würdigung um
so größer ausfallen, je mehr der gewürdigte Beitrag der
Gesamtgesellschaft zu Gute kommt. Solche Würdigung kann natürlich
umgekehrt einen Beitrag[85] zur individuellen Selbstentfaltung der
gewürdigten Person leisten.

Wird heute zuweilen eine besondere Leistung mit einer abstrakten
Geldzahlung gewürdigt[86], so sind auch die Würdigungen in einer
GPL-Gesellschaft sehr viel konkreterer Natur: Eine konkrete
Anerkennung wird von einer bestimmten Person an eine bestimmte andere
Person ausgesprochen. Diese Form der Würdigung ist viel
befriedigender, als etwas größere Zahlen auf einem Konto[87].

4.8.2. Individuen brauchen Möglichkeiten zur...
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...Selbstentfaltung
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Wie klar geworden sein dürfte, ist die Möglichkeit der individuellen
Selbstentfaltung für eine GPL-Gesellschaft zentral. Das produktive Tun
der Individuen muß in irgendeiner Form Spaß machen, so daß es keines
äußeren Antriebs mehr bedarf. Die Teile der gesellschaftlichen
Notwendigkeiten, für die sich partout niemensch findet, die sie als
Selbstentfaltung begreifen kann, müssen reduziert und in Richtung
Selbstentfaltung verändert und damit tendenziell abgeschafft werden.
Neben weiterer technischer Unterstützung für viele gesellschaftlich
notwendige Vorgänge würden durch den Wegfall des Fetischsystems Geld
auch zahlreiche, heute noch unabdingbare Funktionsbereiche komplett
entfallen (z.B. Banken, Versicherungen, Steuerverwaltung, Werbung wo
sie nicht Produktinformation ist, Abrechnung, etc.).

...Verantwortung
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In der Freien Software können wir sehen, wie EntwicklerInnen
Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Am deutlichsten zeigt sich
das vielleicht in dem Support bzw. der Pflege, den
Freie-Software-EntwicklerInnen in der Regel ihrem Produkt angedeihen
lassen. Diese Möglichkeit zu dieser Art der Verantwortung für das
eigene Handeln wird in einer GPL-Gesellschaft wichtig sein.

Dabei hängen Freiheit und Verantwortung eng zusammen. Einerseits kann
nur wer frei in seinen Handlungen ist, überhaupt Verantwortung
übernehmen. In unserem Rechtssystem spiegelt sich dies z.B. in der
eingeschränkten Schuldfähigkeit von Menschen wieder, die zum Zeitpunkt
einer Straftat nur eingeschränkt frei waren.

Andererseits kann Freiheit nur in Verbindung mit Verantwortung als
sinnhaft begriffen werden. Eine völlig entbettete Freiheit bar jeder
Verantwortung, eine völlige Grenzenlosigkeit ist lediglich die
Antithese zu einer empfundenen Unfreiheit. Sie kann für Menschen als
gesellschaftliche Wesen aber niemals als langfristige Befriedigung
empfunden werden.

4.8.3. Was will ich heute tun? Was ist notwendig?
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Selbst bis in die individuelle Tagesplanung hinein wird eine
GPL-Gesellschaft Auswirkungen haben. Während heute die Frage steht,
wie ich mich heute den äußeren Zwängen wie z.B. Lohnarbeit stelle -
oder wie ich mich ihnen ggf. am trickreichsten entziehe -, wäre in
einer GPL-Gesellschaft die Frage, wonach mir heute der Sinn steht.
Eingebettet in die erwähnte Verantwortung für das eigene Handeln und
in Abwägung der Notwendigkeiten könnte jedeR frei entscheiden, was für
den heutigen Tag ansteht.

Fazit: Selbstentfaltung bringt individuelle Lebensqualität
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Wahrscheinlich ist das gar nicht nötig zu erwähnen, aber die
Selbstentfaltung einer GPL-Gesellschaft bringt auch ein erhebliches
Mehr an individueller Lebensqualität. Darunter darf die Meßlatte für
eine neue Gesellschaft nicht liegen.

4.9. Neue Interessenlagen
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Jede gesellschaftliche Formation ist durch die dominanten
Interessenlagen sowohl der Individuen als auch der Gesamtgesellschaft
entscheidend geprägt, wobei gesellschaftliche und individuelle
Interessenlagen natürlich eng aneinander gekoppelt sind. Eine
GPL-Gesellschaft kann also nur dann als eine neue gesellschaftliche
Formation existieren, wenn die dominanten Interessenlagen sich von den
heute dominanten unterscheiden. Auch wenn in den vorherigen
Abschnitten dieses Beitrags schon hier und da die dominanten
Interessenlagen einer GPL-Gesellschaft aufgeschienen sein dürften,
hier noch einmal einige Anmerkungen zu diesem Komplex.

4.9.1. ProduzentInnen sind nicht mehr am Absatz interessiert
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Im Kapitalismus ist es individuell - hier in der
betriebswirtschaftlichen Sicht - sinnvoll, möglichst viele
Produkte[88] zu verkaufen. Unter normalen Umständen erhöht sich mit
jedem verkauften Stück der Profit um dessen Willen die Produktion ja
überhaupt erst stattgefunden hat.

Bei Freien Produkten kann es der ProduzentIn hingegen völlig egal
sein, wieviele Menschen ihr Produkt nutzen. Ihren individuellen Gewinn
zieht sie ja nicht aus dem Absatz des Produkts, sondern er besteht in
der Selbstentfaltung, die sie bei der Produktion des Produkts selbst
empfindet. Eine Freie ProduzentIn hat also kein individuelles
Interesse[89] an einem maximalen Absatz[90].

Da neben den ProduzentInnen der Güter auch sonst niemensch mehr ein
Interesse an einem maximalen Güterge- bzw. -verbrauch hat, gibt es in
einer GPL-Gesellschaft kein Interesse mehr daran, jemenschem etwas
aufzudrücken. Der ganze Marketing- und PR-Bereich wird damit
überflüssig und statt zu kaufen, was irgendwelche Werbung vorgibt[91],
nehmen die Gesellschaftsmitglieder nach individuellen Bedürfnissen.

4.9.2. Konkurrenz als Verbesserungsanreiz überflüssig
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Da im Kapitalismus die Produktion aus äußeren, abstrakten Gründen
stattfindet - der Profitmaximierung - bedarf es auch eines äußeren,
letztlich genauso abstrakten Anreizes zur Verbesserung von Produkten:
die Konkurrenz. Die Qualität eines Produkts ist bei marktförmigen
Beziehungen nur relativ zu Konkurrenzprodukten von Interesse. Gibt es
keine Konkurrenzprodukte[92] oder ist der Konkurrenzdruck erträglich,
so ist auch keine weitere Entwicklung von Produkten notwendig[93].

Bei Freier Entwicklung gibt es hingegen ein direktes, unmittelbares
Verbesserungsinteresse der EntwicklerInnen, daß sich aus mehreren
Quellen[94] speist. Durch den Peer-Review[95], wie wir ihn in der
Freien Software beobachten können, wird dieser kontinuierliche
Verbesserungsprozeß vergesellschaftet und am Laufen gehalten. Es ist
also keine Konkurrenz[96] mehr nötig, um die ProduzentInnen zu
Verbesserungen anzuregen. Vielmehr fließen neue Ideen und Wünsche der
NutzerInnen ganz automatisch in die Weiterentwicklung von Produkten
ein.

4.9.3. Niemensch hat mehr Interesse an Knappheit
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Ähnlich wie im Kapitalismus ein Interesse an Massenabsatz besteht,
gibt es ein fundamentales Interesse an Knappheit. Ohne Knappheit ist
eine Verwertung überhaupt nicht vorstellbar, da nur knappe Güter
überhaupt verkauft werden können. Bildet Knappheit die Grundlage von
Verwertung und somit einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, so
ist sie aber bei näherem Hinsehen ein Übel, da es die unbeschränkte
Selbstentfaltung behindert.

Fällt in einer GPL-Gesellschaft der Zwang zur Verwertung weg, so fällt
damit auch automatisch das Interesse der ProduzentInnen an Knappheit
weg. Künstlich produzierte Knappheit, solche also, die sich nicht
knappen Ressourcen[97] verdankt, sondern z.B. mit Gesetzen erzwungen
wird[98], an solcher künstlich produzierten Knappheit hat in einer
GPL-Gesellschaft niemensch mehr ein Interesse.

4.9.4. Gearbeitet wird um Arbeit zu sparen
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Während im Kapitalismus auch dann noch die Parole "Arbeit, Arbeit,
Arbeit!" ausgegeben wird, wenn ein Mehr an Arbeit nur noch die
destruktiven Potenzen dieser Vergesellschaftungsform steigen würde,
während im Kapitalismus die Menschen und die Gesamtgesellschaft ein
völlig fetischiertes Verhältnis zur Arbeit haben, wäre die obige
Parole in einer GPL-Gesellschaft ein Fluch, den jemensch ausstößt, der
sich einer übermäßigen, jedenfalls unerwünschten Belastung gegenüber
sieht.

In einer GPL-Gesellschaft gäbe es kein Interesse mehr an einer
Maximierung von Arbeit, sondern vielmehr gäbe es ein individuelles und
gesamtgesellschaftliches Interesse an einer Minimierung notwendiger
Tätigkeiten, denn durch ein geringeres Maß an Notwendigkeiten wird das
Maß möglicher Selbstentfaltung auf frei gewählten Gebieten erhöht. Wie
uns die Freie Software eindrucksvoll zeigt, kommt die Selbstentfaltung
auf frei gewählten Gebieten aber nicht nur der Einzelnen zu Gute,
sondern liegt im Interesse der Gesamtgesellschaft.

4.9.5. Kein struktureller Zwang mehr zur Tätigkeit
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Heutige Arbeit ist höchstens bedingt Selbstentfaltung und daher
braucht es einen strukturellen, abstrakten Zwang, damit sich die
Menschen dieser Arbeit unterwerfen. Dieser Zwang ist im Kapitalismus
im wesentlichen der Zwang zum Geldverdienen, zur Verwertung der
eigenen Arbeitskraft[99].

Ist die nützliche Tätigkeit jedoch Selbstentfaltung, dann braucht es
keinen äußeren Zwang, der die Menschen zu dieser nützlichen Tätigkeit
bringt. Vielmehr werden die Menschen freiwillig[100] aus je
individuellen Gründen tätig.

Fazit: Veränderte Interessenlagen machen Tauschwirtschaft absurd
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Die veränderten Interessenlagen einer GPL-Gesellschaft machen eine
Tauschwirtschaft mit Knappheit und Massenabsatz letztlich absurd.
Diese veränderten Interessenlagen, die wir in der Freien Software
keimförmig beobachten können, bilden letztlich dem Motor für eine
Entwicklung in Richtung einer GPL-Gesellschaft.

Politisches Handeln, das der Erreichung einer GPL-Gesellschaft dienen
soll, muß sich also vorrangig für diese Interessenlagen einer
GPL-Gesellschaft einsetzen, die in der bestehenden Gesellschaft zwar
angelegt sind gegenüber alten Interessenlagen aber noch nicht dominant
geworden sind. Das Projekt Oekonux [http://www.oekonux.de] und die 1.
Oekonux-Konferenz [http://www.oekonux-konferenz.de], auf der dieser
Beitrag erstmals vorgetragen wurde, stellen für mich[101] solches
Handeln dar.

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[79] Werbung ist vergleichbar mit Dünger, der für Pflanzen quasi eine
Zwangsernährung darstellt. Die Werbetreibenden wollen genau wie die
Düngenden einen Profit aus ihren Anstrengungen schlagen. Dies liegt
aber weder im Interesse der Pflanzen noch der KundInnen.

[80] Wie diese Projektmitglieder in diese Position kommen ist dabei
sehr unterschiedlich. In einigen Fällen werden auch Rotationssysteme
eingesetzt.

[81] Eine der herausragenden Tätigkeiten sind zuweilen wichtige
Entscheidungen, die eine MaintainerIn im Interesse des Projekts
trifft, zu denen die Projektmitglieder in ihrer Gesamtheit nicht
kommen konnten.

[82] MaintainerInnen-Tätigkeit ist in manchen Aspekten vergleichbar
mit Führungsaufgaben. Allerdings sind in der kapitalistischen
Kommandowirtschaft auch heute noch Befehl und Gehorsam an der
Tagesordnung. Vertrauen und Kompetenz spielen oft nur eine
untergeordnete Rolle gegenüber Macht- und Herrschaftsansprüchen
einerseits und Abwehr von Zumutungen und stiller Verweigerung
andererseits. Darunter leidet die kapitalistische Produktionsweise
desto stärker, desto mehr der Arbeitsgegenstand kreativer Natur ist.

[83] Lediglich allen geldbezogenen Kompetenzen werden in einer
GPL-Gesellschaft auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.

[84] Vgl. http://www.cargocap.de/, das in der hitec
[http://www.3sat.de/hitec.html]-Sendung Die Metropolen von morgen -
Die Zukunft der Stadt [http://www.3sat.de/hitec/19094/index.html]
vorgestellt wurde.

[85] Allerdings darf solche Würdigung oder die mit einer öffentlichen
Würdigung einhergehende evt. erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit nicht
als eine Art Währung mißverstanden werden. Weder Würdigung noch
Aufmerksamkeit erfüllen fundamentale Anforderungen an eine Währung.
Insbesondere ist die Transitivität nicht gegeben. Andersherum läßt
sich Aufmerksamkeit oder eine öffentliche Würdigung natürlich dort
kapitalisieren, wo es den Marktwert einer Person steigert.
Aufmerksamkeit oder Würdigung mag sich also in eine Währung
transformieren lassen, dadurch wird es aber noch nicht selbst zur
Währung.

[86] Dieses Prinzip der erhöhten Geldzahlungen aufgrund einer erhöhten
Leistung kann überhaupt nur dann funktionieren, wenn in irgendeiner
Form auf Leistungsbasis bezahlt wird. Wenn es für keine Leistung mehr
eine Bezahlung gibt, dann kann auch eine besondere Leistung nicht mehr
besonders bezahlt werden.

[87] Die Studie Studies Find Reward Often No Motivator -- Creativity
and intrinsic interest diminish if task is done for gain
[http://www.gnu.org/philosophy/motivation.html] stellt fest, daß eine
gesteigerte Bezahlung oft nicht als besonderer Anreiz für Kreativität
und Interesse dienen. Damit widerspricht die Studie einer der
fundamentalen Denkfiguren kapitalistischen Wirtschaftens.

[88] Wie an vielen anderen Stellen im Kapitalismus zeigt sich hier ein
Widerspruch zwischen gesamtgesellschaftlichen und
betriebswirtschaftlichen Interessen. Für die KapitalistIn ist nur
entscheidend, daß ihr Produkt verkauft wird - ob das Produkt
gesellschaftlich sinnvoll ist, ist ihr egal. So ist es
betriebswirtschaftlich genauso sinnvoll medizinische Geräte
herzustellen wie Tellerminen - solange der Absatz stimmt. Auch dies
ist eine Folge der Abstraktion vom Gebrauchswert eines Produkts und
der Konzentration auf seinen Tauschwert.

[89] Wenn die massenhafte Anerkennung durch andere ein bedeutender
Teil der Selbstentfaltung der ProduzentIn ist, dann hat sie natürlich
durchaus ein Interesse an einer massenhaften Verwendung. Dies ist
allerdings ein Spezialfall, der bei weitem nicht die Bedeutung hat,
wie die Profitorientierung im Kapitalismus.

[90] Das Bemühen der Freien ProduzentIn an einer möglichst hohen
Qualität ihres Produkts kann einen Grund für ein Interesse an einem
massenhaften Absatz liefern, denn viele (aktive) NutzerInnen können
der ProduzentIn beim Aufspüren von Fehlern und Unzulänglichkeiten des
Produkts helfen.

[91] Da niemensch mehr ein Interesse an neuen (kaufkräftigen)
Bedürfnissen hat, die sie dann mit den entsprechenden Waren zu decken
gedenkt, erledigt sich damit auch die gesamte Frage der künstlichen
Bedürfnisproduktion.

[92] Dies wissen natürlich auch die KapitalistInnen und versuchen
daher für ihre Produkte eine Nische zu finden, in der sie keinerlei
Konkurrenzdruck zu bestehen haben. Die ggf. durch Patente
abgesicherten sogenannten Alleinstellungsmerkmale erzeugen einen
Überfluß an mehr oder weniger kleinen Unterschieden, der aber
lediglich dem Wunsch der KapitalistInnen entspricht, sich nicht der
Konkurrenz stellen müssen. Für eine möglichst hohe Produktqualität
wäre es dagegen viel sinnvoller, alle nützlichen Features in einem
Produkt zusammenzufassen.

[93] Es gibt in der Geschichte des Kapitalismus einige Beispiele
dafür, wie nützliche Erfindungen meist einzelner ErfinderInnen von
Kapitalgruppen des entsprechenden Sektors aufgekauft wurden - um für
immer in der Schublade zu verschwinden. Auch dies ist ein Beispiel für
den Mißbrauch guter Ideen im Kapitalismus.

[94] Bereits mehrfach angesprochen wurde, daß der Wunsch nach hoher
Qualität an sich schon ein Teil von Selbstentfaltung sein kann.
Ebenfalls schon angesprochen wurde, daß zufriedene NutzerInnen auch
für die ProduzentIn eine Entlastung sind.

[95] Auch in der Wissenschaft gibt es gelegentlich
Peer-Review-Techniken. Da allerdings praktisch alle
WissenschaftlerInnen Verwertungszwängen unterliegen, haben alle
WissenschaftlerInnen ein Interesse an einer möglichst positiven
Bewertung ihrer eigenen Arbeit. Es bildet sich auf diese Weise schnell
ein System gegenseitiger Gefälligkeiten aus, das der Qualität der
Arbeit alles andere als dienlich ist.

[96] Dies bedeutet freilich nicht, daß es Konkurrenz völlig
verschwinden würde. Es ist durchaus denkbar, daß es zwischen ähnlichen
Produkten konkurrenzartige Verhältnisse geben wird. Entscheidend ist
aber, daß diese Konkurrenzen einen völlig anderen Charakter haben
werden als die im Kapitalismus bekannten. Insbesondere hängt in einer
GPL-Gesellschaft niemenschens Überleben von einem Sieg in einem
Konkurrenzkampf ab.

[97] Gewisse Ressourcen werden natürlich auch in einer
GPL-Gesellschaft knapp bleiben - es gibt eben weder unbeschränkt viele
Rohstoffe noch eine unbeschränkte Regenerationsfähigkeit von Natur. In
einer GPL-Gesellschaft wäre es aber ein gesamtgesellschaftliches
Interesse, Knappheit zu minimieren und mit den vorhandenen Mitteln
möglichst viele Bedürfnisse zu befriedigen.

[98] Besonders augenfällig ist dies im Bereich der Software, wo es
jenseits der Verwertungsinteressen der ProduzentInnen überhaupt keinen
Grund für eine Verknappung gibt. Es ist vermutlich kein Zufall, daß
sich die Keimform einer GPL-Gesellschaft gerade auf diesem Gebiet
entwickelt hat, wo die Widersprüche zwischen Machbarem und Erlaubtem
so eklatant sind.

[99] Hier kommen auch alle Sozialhilfebemühungen in Schwierigkeiten,
da diese den Zwang zum Geldverdienen tendenziell mildern und somit
eigentlich systemfremd sind. Nicht umsonst gibt es ein
Lohnabstandsgebot, das selbst miserabelst bezahlte Lohnarbeit
attraktiver machen soll als Sozialhilfe. Gelingt auch das nicht mehr,
so werden SozialhilfeempfängerInnen immer öfter zu Arbeit
herangezogen, die praktisch gar nicht mehr entlohnt wird und reguläre
Arbeitsplätze tendenziell verdrängt. Ein Paradebeispiel für den
Fetischcharakter der Arbeit, dem umso mehr gehuldigt wird, je stärker
das gesamte Arbeitssystem in die Krise gerät.

[100] Notwendigkeiten, die im menschlichen Leben immer vorkommen
werden, haben zwar auch einen Zwangscharakter, jedoch ist er hier ganz
konkreter, einsehbarer Natur und wird nicht durch äußere abstrakte
Einrichtungen erst hergestellt.

[101] An dieser Stelle nochmals der Hinweis, daß alles Gesagte
zunächst ausschließlich meine Meinung darstellt und nicht eine
irgendwie geartete Projektmeinung vertritt.


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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