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Re: [ox] Re: Moral und anderer Schrott



Hallo Stefan und alle,

wieder mal was moralinsaures von mir.

On Thu, Aug 30, 2001 at 11:44:44AM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
Mein Punkt ist: Es gibt keinen progressiven Moralbegriff. Moral, Ethik
et al. (Verantwortung würde ich da ausnehmen) ist immer Zeigefinger. Und
Zeigefinger ist Schrott.

Was genau ist denn dann "Verantwortung"? Es gibt doch kaum ein moralischeres
Wort.

Ja, aber die Menschen selbst tun das ja immer moralisch in dem Sinn, dass
sie normative "Gesetze" aufstellen. Das macht doch jeder und man kann auch
garnicht anders als sich sein Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen.
Moral - richtig verstanden - hat immer etwas mit Menschen zu tun.

Auch die "falsch verstandene" Moral hat mit Menschen zu tun - gerade
das: Die Menschen sollen dem normativen Imperativ folgen.

Ich finde wichtig, die überindividuelle und individuelle Ebene zu
unterscheiden. Moral und Co zielt auf die überindividuelle Ebene, denn
nur wenn sie sich sozial etablieren läßt (wie auch immer), dann wird sie
die Handlungsbeeinflussung bei den Einzelnen auch erreichen. 

Und ich finde es wichtig, die überindividuelle und die individuelle Ebene
_nicht_ in dieser Form zu unterscheiden. Das Individuum ist eine
buergerliche Erfindung. Die hat sicher ihr Gutes aber eben auch ihre
Schattenseiten. Und "Ueberindividuell" macht ja nur Sinn im Bezug auf dieses
buergerliche Individuum.

Die Moral, die ich meine, ist genau das, was an dieser Schnittstelle
stattfindet. Das sind die Ueberlegungen die ich mir mache, in Bezug auf
Andere. Das ist das "Einfuehlen" in andere und das sie so zu behandeln, wie
man selber behandelt werden moechte. Solche Dinge.

Offensichtlich gibt es viele Leute, die nicht so handeln (ich ja auch oft,
logisch). Aber wie soll man diesen gegenübertreten, wenn nicht mit einem "Du
sollst"? Natürlich ist das selber Vorleben und das erstmal sein Ding machen
das erste was man tut. Da man aber mit anderen zusammen lebt wird man früher
oder später damit anecken. Was dann? Hilft dann nur noch Macht? Soll ich
mich allen sozialen Beziehungen enthalten, die nicht meinen
politisch-gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen? Dann wär ich recht
schnell ziemlich einsam. Soll man einfach alles tollerieren?

In der Theorie der freien Kooperation wird es glaube ich auf den Punkt
gebracht. Dafuer sorgen, dass andere unter gleichen Bedingungen verhandeln
können. Das ist mehr als nur individualistisch sich selbst zu entfalten,
enthält aber auch nicht den von Dir gefürchteten Zeigefinger, ist aber
meiner Auffassung nach trotzdem eine moralische Forderung.

Davon unterschieden ist die je individuelle Lebens- und
Handlungsvorstellung. Das nenn von mir aus Moral. Von mir aus sei sie
auch normativ. Von mir aus solen Menschen sich selbst gegenüber normativ
verhalten. Krass wird es erst - und dagegen wehre ich mich - wenn dieser
Mensch anderen (mir) mit seiner Moral auf die Nerven geht.

Auf die Nerven gehen laesst sich tatsaechlich nicht vermeiden, das stimmt.
Aber es gibt tatsächlich eine ganze Reihe von Leuten denen ich sehr gerne
auf die Nerven gehe. 

... Du gehörst natürlich nicht dazu ;-)

Wer aber so argumentiert, der will (bewußt oder
unbewußt) nur der blinden, abstrakten Rationalität der totalen
Verwertungslogik Geltung verschaffen.

Hae? Wieso das? Im uebrigen gibt es nichts, was so neutral gegenuer
jeglicher Moral ist, wie das die "blinde, abstrakte Rationalität der totalen
Verwertungslogik". Das ist doch gerade das perverse daran, dass eine
amoralische Logik, die sich nicht mehr rechtfertigen muss, die sich selbst
rechtfertigt ihr unmenschliches Werk treibt.

Es gibt keine "Amoral" - von welchem Standort soll man sie als solche
identifizieren? Von dem einer "höheren, besseren" Moral aus? 

Ich glaube das ist jetzt ein Missverstaendnis. "Amoralisch" wuerde ich eine
Position wie Deine nennen, die Moral an sich ablehnt. "Unmoralisch" hingegen
eine, die eine bestimmte Moral ablehnt.

Mein Punkt: Theorie, die normativ ist, kannst du knicken.

Interessant. Sabine hat Dir ja grad vorgeworfen, dass Deine Theorie normativ
ist. 

In meiner Sicht machen die Begriffe nur vom Kopf auf die Füsse gestellt
halbwegs Sinn: Moral, Werte etc. sind _Ausdruck_, bewertetes Result von
Verhalten (und nicht "Ursache").

Das Sein bestimmt das Bewußtsein, Basis und Überbau? Das meinst Du wohl,
oder?

Ej, du willst mich wohl ärgern? Platter geht's nicht, oder?

Hups, sorry. Nein, das war eigentlich wirklich eine Verständnisfrage.

Jedes
Individuum kann sich zu allen Bedingungen seines Lebens bewusst
verhalten (oder es lassen, das gehört zur Möglichkeit dazu). 

Genau das ist eben nicht der Fall. Aber ich gebe Dir recht, wenn einmal in
ferner Zukunft alle Menschen wirklich in der Lage sind, sich bewusst zu
verhalten, dann wird Moral überflüssig.

Du machst den alten Fehler der bürgerlichen Theorie ein "Individuum"
vorauszusetzen.

Meine
Bemerkungen zu Hans-Gert richteten sich gegen die Überlegung, ob Moral
quasi positiv besetzbar ist. Da meine ich: Auch eine progressive
Zumutung ist eine Zumutung (wie bei "Erziehung" im übrigen...).

Wenn man Erziehung versteht als ein Kind zu ermächtigen gleich verhandeln zu
können, ist es keine Zumutung, oder?

Das versteh ich nicht so ganz. Bürgerlich ist doch eher die Vorstellung eben
eines solchen individualistischen Genies.

Das Genie war deine Deutung. 

Ja und etwas überspitzt formuliert. Ich meinte eigentlich die Erfindung des
Individuums.

IMHO ist der Versuch, mit Moral "positiv"
zu operieren, sie quasi "links" oder "progressiv" oder
"GPL-gesellschaftlich" zu besetzen, falsch. Damit wird nur der
Zumutungscharakter dieser Gesellschaft - ich werde dauern zu
megaschrottigem Zeug gezwungen, um überleben zu dürfen - "moralisch"
reproduziert: Nun _soll_ ich auch noch "oekonuxig" sein oder wie?

Nein, auf dieser Ebene nicht. Aber es gibt schon die moralische Pflicht
andere nicht zu unterdrücken.

Ich glaube dahinter steckt unsere alte Debatte mit Alienismus vs.
kybernetische Maschiene. Wenn Herrschaft nur aus einer abstrakten Logik
ausgeübt wird, hat Moral natürlich keinen Adressaten mehr. Ich meine
hingegen, dass die abstrakte kybernetische Maschiene zwar die perfideste
Form von Herrschaft ist, aber es auch andere gibt, die sehr wohl
"persönlich" sein können. Und beides vermischt sich auch heute. Der Exekutor
des Wertgesetzes (genannt "Chef") hat auch immer in Grenzen eine persönliche
Verfügungsmacht über meine Arbeitskraft.

Das was Du aufmachst ist aber genau eine moralische Forderung. Nämlich die,
dass Regeln in der Praxis zwischen den Betroffenen ausgehandelt gehören.

Das ist doch beliebig: Du kannst alles zur moralischen Forderung
umdeuten. Ich fordere aber gar nix. Ich verhalte mich einfach. Andere
auch. Und dabei kommt was raus. Oekonux z.b., mit Regeln u.a. Das ist ok
so. Wozu da noch irgendeine "Moral" in Anschlag bringen?

Weil, wenn andere sich verhalten, leider auch ziemlich gruseliges Zeugs
rauskommt.

Moral widerspricht IMHO fundamental dem Prinzip der Selbstentfaltung,
sie ist kontraproduktiv. Jetzt erzähle mir nicht, Selbstentfaltung sei
aber auch ein moralischer Imperativ: Nein, ist sie nicht. Zur
Selbstentfaltung gehört nämlich auch, dass du dich entscheidest, dich
nicht zu entfalten. Niemand "soll" sich selbstentfalten.

Selbstentfaltung beinhaltet aber ein Verhalten gegenüber den anderen, so
dass diese sich Selbstentfalten können. Das ist eine moralische Forderung.

btw: Ich wüsste gerne, was Annette zu all dem zu sagen hat, aber die ist
auch verschollen, oder?

Grüße, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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