Message 03262 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT03195 Message: 11/17 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Re: Gewalt



Wahrscheinlich weil der F.Schandl immer gut zu zitieren ist,
nicht zuletzt dank seines Sprachwitzes hat Heinz Weinhausen diese
für mich damals wie heute recht erhellenden Ansichten 
in der 1.(!) Nr. von  Null - komma - nix, 
einer Flugi-Serie unseres Krisis-Kreises weitergereicht.

Ich hoffe auch hier in dieser Gewalt-Diskussion auf geneigte Leser.

Null - komma - nix  
beiträge zur Entkopplung von der Warengesellschaft
KRISIS-Kreis-KöIn
Nr. 1 / 98  


DIALEKTIK UND DIMENSION DER GEWALT
22 ENTZAUBERNDE THESEN

von FRANZ SCHANDL


1. Gewalt ist die "Lösung" von Konflikten in ihrer reinsten, in ihrer ersten 
und letzten Form: Konfrontation pur. Die ganze menschliche Geschichte ist 
phänomenologisch betrachtet ein Ein- und Auflösen von Gewalt. Alle
wirklich einschneidenden Ereignisse beherbergen sie als Treibsatz. Gewalt ist 
so zwar nicht der Motor der Geschichte, sehr wohl aber ein hervorstechendes 
Moment der Verwirklichung sozialer Entwicklung. 

2. Gewalt auszuschließen, wo sie doch täglich stattfindet, ist töricht. Auf 
Gewalt zu verzichten, heißt heute nicht, daß auf Gewalt verzichtet wird. Im 
Gegenteil, dieser Vorsatz beläßt, ja begrüßt die Gewalt, wo sie ist. Gewalt 
ist da, läuft man ihr davon, dann nimmt man sie bloß mit. Man kann sich ihrer 
nicht entledigen, auch wenn man sich ihrer entschlägt (auf sie verzichtet). 
Gewalt kann jedenfalls nicht weggezaubert werden.
Das staatliche Gewaltmonopol ist die höchste Stufe der Anerkennung, daß 
Gewalt in der Gesellschaft existiert. Es ist das Regulierungsinstrument der 
Gewalten, das bisher fortgeschrittenste und anmaßendste. 

4. Gewaltmonopol bedeutet nicht, daß der Staat keine Gewaltanwendung außer 
der eigenen duldet. Es geht vielmehr darum, daß Gewaltsamkeit nur insofern 
als legal gilt, als die staatliche Ordnung sie toleriert, genehmigt oder 
vorschreibt. Behauptet wird also nicht schlichtweg ein Gewaltmonopol des 
Staates, sondern, daß Gewalt nur dann im Recht ist, wenn sie staatlich getan, 
gefördert oder erlaubt wird. Der Staat mit seinen Gewaltapparaten hat nicht 
die Gewalt monopolisiert, er ist vielmehr dazu da, gesellschaftliche Macht 
und Gewalt in letzter Instanz zu garantieren und abzusichern, d.h. 
einzugreifen, wenn in der Gesellschaft die Selbstherrschaft aus 
verschiedensten Gründen versagt.
5.  Strenggenommen kann es gar kein Gewaltmonopol geben. Wäre es Realzustand, 
wäre es überflüssig. Denn wäre es, wogegen könnte es Sein? - Eine Gewalt ist 
keine Gewalt. Das Monopol der Gewalt muß eben auch deswegen behauptet werden, 
da es von den Normierungen abweichende Gewalt und Gewaltbereitschaft in der 
Gesellschaft gibt und geben muß. Es fördert "legale' und richtet sich gegen 
"illegale" Gewalten in der Gesellschaft. Wer "Gewaltmonopol" sagt, gibt zu, 
daß es verschiedene Gewalten gibt, jenes letztendlich bloß eine notwendige 
Fiktion ist.
6. Die Notwendigkeit des bürgerlichen Gewaltmonopols ist die perfekte 
Negation der Gewaltlosigkeit~ sie verdeutlicht nichts anderes als die 
gegenwärtige Unmöglichkeit der Umsetzung wirklich gewaltfreier Zustände. 
Gewalt bleibt also auch in der bürgerlichen Epoche immanenter 
Funktionsbestandteil. Darüber sollten gerade ihre öffentlichen und privaten 
Domestizierungen in der Kommunikation nicht hinwegtäuschen. Die Zivilisierung 
hat die Gewalt nur formal beschränkt und reguliert, inhaltlich waren die 
Möglichkeiten der Gewalt noch nie so gewaltig wie jetzt.
7. Auch Rechtsstaat und Gewaltmonopol können nicht einseitig positiviert oder 
einfach verunendlicht werden.
Es gilt das Bewußtsein zu wecken bezüglich ihrer historischen Beschränktheit 
und ihrer antiemanzipatorischen
Einschränkungen. Gewaltmonopol und Recht stellen so Quellen wie Grenzen 
menschlicher Befreiungen dar.
8. Auch rechtsstaatliche Gewalt ist Gewalt. Das Bekenntnis zum Gewaltmonopol 
ist unfraglich ein Bekenntnis zu einer bestimmten Gewalt bzw. 
Gewaltzulassung, es mit einem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit gleichzusetzen, 
ist geistige Barbarei. Wenn Ächtung der Gewalt und Achtung des Gewaltmonopols 
gemeinsam auftreten, sollten die Alarmglocken läuten. Wer das staatliche 
Gewaltmonopd bekennt, ist für Gewalt.

9. Das Gewaltmonopol ist vielmehr historisch einzuordnen, nicht als Endpunkt 
der Entwicklung öffentlicher Kommunikation anzusehen. Es ist einerseits als 
ein positiver Schritt zur Überwindung vielfältiger Gewaltpole zu begrüßen, 
andererseits aber auch als Hemmschuh emanzipatorischer Prozesse zu erkennen. 
Es ist das Korsett des Rechtsstaates, ohne das er im Guten wie im Schlechten 
nicht bestehen kann. Das Gewaltmonopol ist eine progressive wie regressive 
Größe, somit ein relativer Wert.
1 0. Gewalt ist so nicht ein Gegensatz zum Recht, sondern sie sind sich 
gegenseitig Mittel und Zweck. Will das Recht sich durchsetzen, benötigt es 
die Gewalt, will die Gewalt in hochentwickelten Gesellschaften Bestand haben 
- und sie muß Bestand haben, sonst haben die Gesellschaften keinen Bestand -‚ 
benötigt es die zivilisierte Form des Rechts. Gewalt ist die unabdingbare 
Voraussetzung des Rechts.
11. Der Schlüssel zur Überwindung des staatlichen Gewaltmonopols liegt aber 
nicht in seiner Rücknahme oder
Zerschlagung, sondern in seiner dialektischen, was meint positivierenden wie 
negatorischen Weiterentwicklung.
Nicht die Unterwerfung unter die Ausgangsthese ist angesagt, sondern deren 
permanente Synthetisierung.
Gewalt und Recht müssen so lange synthetisiert werden, bis von ihnen nichts 
mehr übrigbleibt.
12. Gewalt ist immanenter Bestandteil der Gesellschaft. Laut öffentlicher 
Meinung erscheint das jedoch unter
einem anderen Blickwinkel. Ihr ist Gewalt immer bloß Gegengewalt, sie selbst 
nimmt sich somit aus. Gewalt hängt eng mit dem Wertgesetz zusammen. Ist sie 
gesellschaftlich verwertbar, kompatibel hinsichtlich von Profiten und 
Bruttonationalprodukten, wird sie toleriert, ja gefördert, wendet sie sich 
dagegen, wird sie verfolgt. 

1 3. Die Gretchenfrage: "Wie hältst Du's mit der Gewalt?" darf nicht gleich 
einem Glaubensbekenntnis beantwortet werden. Im Prinzip gilt es die 
Fragestellung zu destruieren, ihren Charakter als Fangfrage zu demaskieren. 
Fangfrage deshalb, weil sie Gewalt aus ihren gesellschaftlichen 
Zusammenhängen und Absichten reißt, weiters ein abstraktes Credo einfordert, 
das nichts anderes sein kann als eine konkrete Zustimmung zum Bestehenden. 
Das Gleiche gilt für das Gewaltmonopol. Hier sind alle Parolen wie "Hoch 
das...." oder "Weg mit...:" unangebracht.

1 4.Die Gewaltfrage konnte bisher nie eine vorrangige sein, sondern stets 
eine sekundäre. Die Frage ist also gar nicht die, ob man für Gewalt ist oder 
nicht, sondern welche man in bestimmten Situationen für zulässig und 
sinnvoll, notwendig und unumgänglich erachtet. Das ist meist keine Frage des 
Woltens, sondern eine des Müssens. Und eine, die sich allen 
Gesellschaftsmitgliedern stellt.

1 5.Gewalt ist jedenfalls nicht bloß eine Frage der Notwehr, sondern durchaus 
eine der Strategie. Sie ist eine optionale Größe. Wer sie ausklammert, 
beschneidet sich der Möglichkeiten, die der Gegenseite zur Verfügung stehen. 
Keine wirklich ernsthafte Diskussion kann sich daran vorbeischwindeln. Doch 
nicht debattiert wird heute, sondern das Abweichende verfolgt. Im 
Trommelfeuer von Medien und Politik soll es dazu gebracht werden, sich den 
Stoßgebeten anzuschließen, sich in Glaubensbekenntnissen und Fürbitten zu 
ergehen, selbst nur noch das Erlaubte zu erlauben.

1 6.Bewegungen, die erfolgreich sein wollten, mußten das Gewaltmonopol direkt 
oder indirekt antasten, von der Arbeiterbewegung, als sie das Streikrecht, 
das Wahlrecht oder die Koalitionsfreiheit erkämpfte, bis hin zur 
Ökologiebewegung, wenn es darum geht, bestimmte Projekte zu verhindern oder 
zu erschweren. 

1 7. In bestimmten Kämpfen ist es angebracht, über rechtsstaatliche Schranken 
hinwegzuschreiten, und das ist auch gängige Praxis. Ob Legalitätsbrüche 
sinnvoll sind oder nicht, hängt von der jeweiligen Situation ab. Das schließt 
eine Menge taktischer Überlegung mit ein, wobei verschiedene Kriterien 
(Wirksamkeit, Mehrheitsfähigkeit, Bündnispartner, Gefährdungsaussch]uß, 
Mobiiisierungsgrad, Vermittlungsmöglichkeit, Kampagnefähigkeit etc.> beachtet 
werden müssen.

1 8.Emanzipatorische Praxis zielt auf die Überwindung von Herrschaft. 
Gewaltfreiheit weist auf diesen Zweck, verabsolutiert ihn jedoch nicht als 
Mittel. Freiheit ist keine Losigkeit, Gewaltfreiheit somit nicht mit 
Gewaltlosigkeit zu verwechseln. Das Prinzip der Gewaltfreiheit ist nicht mit 
dem Dogma der Gewaltlosigkeit gleichzusetzen. Gewaltfreiheit ist ein 
richtiger Inhalt, Gewaltlosigkeit eine unrichtige Form. Der Schritt vom 
Prinzip der Gewaltfreiheit zum Dogma der Gewaltlosigkeit ist daher kein 
logischer. Er ist die Verwechslung von Form und Inhalt notwendiger 
Pazifizierung und konkreter Umsetzung.

1 9.Die Gewaltfrage muß offengehalten werden, weil sie offen ist. Wer sie 
zumacht, hat nicht sie zugemacht, sondern sich selbst. Ein absoluter 
Gewaltverzicht ist heute nicht möglich und sollte auch nicht propagiert 
werden. Die Befürworter des Gewaltmonopols haben das verstanden und sich auf 
eine bestimmte Gewalt - die des Staates, bzw. jener, die er zuläßt - 
verständig. Warum aber sollte eine radikale Opposition dasselbe tun?

20.Unser Standpunkt ist einer, der Gewalt radikal kritisiert, aber nicht 
kategorisch ausschließt. Er beinhaltet ganz nüchtern folgende Kernsätze:
Erstens:Gewalt ist Gewalt. Es gilt jene als solche zu bezeichnen, Gewalt zu 
erkennen und richtig zu benennen, unabhängig von ihren Trägern und Absichten. 
Hier geht es um ihre Identifizierung. Zweitens: Gewalt ist nicht Gewalt. Es 
gilt sich stets zu fragen, was ihr Zweck ist, ob sie diesen erfüllt, wes 
gesellschaftlicher Charakter die Handlung ist. Gewalt ist in ihrer Potenz 
vielfältig. Hier geht es um ihre Differenzierung und Einordnung.
Drittens:Nichtgewalt ist Gewalt. Normalerweise gilt als Gewalt nur die 
sinnlich wahmehmbare und rechtlich nachweisbare Schädigung von Objekten. Man 
glaubt von Tätern und Opfern sprechen zu können. Doch mit fortschreitender 
Zivilisation haben sich die Schäden zusehends vergesellschaftet, d.h. sie 
sind viel seltener mittelbar als unmittelbar, können nicht dingfest und 
personalisiert werden. Auswirkungen und Einwirkungen fallen nicht unmittelbar 
zusammen, sie sind zeitlich und örtlich, kausal und formal voneinander 
getrennt. Nicht jede Gewalt zeigt sich, vor allem die ökologische Krise 
verdeutlicht das. Gewalt ist also immer weniger indiskret und direkt, sondern 
diskret und leise, mehr radioaktiv als aktiv. Mehr als ihre akute Seite muß 
man heute ihre chronische Dimension thematisieren. Gewalt ist jedenfalls 
primär von der vermittelten Auswirkung her zu diskutieren, nicht von der 
unmittelbaren Einwirkung.

2 1.Gewalt als elementares Ereignis der gesamten menschlichen Vorgeschichte, 
wird auch weiterhin in progressiven und regressiven Varianten auftreten, ja 
diese werden nicht immer eindeutig bestimmten gesellschaftlichen Trägern 
zuordbar sein. So kann selbstverständlich auch polizeiliche und militärische 
Gewalt zu verschiedensten Anlässen fortschrittlich sein, während 
oppositionelle Gewalt sich kontraproduktiv entlädt. 

2 2. Gewalt wird jedenfalls so lange sein, so lange Herrschaft ist. Wer heute 
schon ihren Abgesang veranstaltet, verunstaltet die Möglichkeiten der 
Emanzipation, erniedrigt sie, belegt sich mit Denk- und Handlungsverboten. 
Die Spirale der Gewalt kann in der bürgerlichen Epoche trotz aller zivilen 
Befriedungsversuche letztendlich nicht durchbrochen werden. Nach wie vor 
gilt, auch wenn die Gültigkeit dieses Prinzips einst überwunden werden soll: 
Emancipatio sine potestate non est!

MfG,
Horst
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT03195 Message: 11/17 L1 [In index]
Message 03262 [Homepage] [Navigation]