[ox] Ein paar Gedanken zum Freiheitsverständnis
- From: Robert Gehring <zoroaster snafu.de>
- Date: Tue, 21 Aug 2001 17:09:48 +0000
Hier also mein Versuch, mich dem Freiheitsbegriff mal etwas anders,
vielleicht etwas generischer zu nähern. Vielleicht kann man damit das Dilemma
"Freiheit von" bzw. "Freiheit zu" damit auflösen, bzw. sehen, daß es nicht
notwendig widersprüchlich ist.
Zum Verständnis will ich etwas vorausschicken: Wenn unten von Handlung die
Rede ist, so meine ich damit Handlung im weitesten Sinne, d.h.
Handlung|Unterlassung|Aktion|Reaktion|Rede|Tat|Planung|Vorbereitung.
Für die konkrete Bewertung von "Freiheit" im je konkreten Kontext, würde eine
Unterscheidung im Detail sicher Sinn machen, für eine generische Betrachtung
nehme ich erst mal ein Aggregat: Handlung
Also, der Versuch:
Wenn von "Freiheit von" bzw. "Freiheit zu" die Rede ist, dann bezieht sich
das m.E. immer -auch wenn das nicht immer offen ausgesprochen werden sollte-
auf _Handlungen_.
In Abgrenzung dazu könnte man noch einen absoluten Freiheitsbegriff
diskutieren, [der dann aber eigentlich keiner mehr ist] der sich nicht auf
Handlungs_zusammenhänge_ bezieht.
Handlungen haben Akteure, d.h. man kann den Freiheitsbegriff in Bezug zu den
Akteuren setzen. Ein Freiheitsbegriff ohne Akteure scheint m.E. absurd zu
sein. [Wer sollte da frei sein? "Der Stein, der auf dem Feld liegt, ist so
frei"?]
Diese Inbezugsetzung zu Handlungen kann dreierlei Perspektiven haben, die
nicht gleichzeitig eingenommen werden können, die aber nicht unbedingt als
unvereinbarer Widerspruch zu sehen sind:
(1) Die subjektive Perspektive, die vom Handelnden ausgeht.
(2) Die soziale Perspektive, die von der Handlung der Gesellschaft ausgeht.
(3) Die "objektive" Perspektive eines von den Handlungsbezügen ausgenommenen
Beobachters (schwierig zu erreichen, als Idee, als Konstrukt, aber z.T.
machbar).
[Eine dieser Perspektiven nimmt man in der Diskussion/Reflexion unweigerlich
immer an. Genaugenommen müßte man sich das jederzeit ganz klar machen.]
In der Perspektive (1) äußert sich dann Freiheit als "Freiheit zu".
In der Perspektive (2) äußert sich Freiheit als "Freiheit von".
Die Perspektive (3) führt -vielleicht- hin zu einem absoluten
Freiheitsbegriff.
Man kann in diesem Modell "Freiheit zu" und "Freiheit von" also zwei Seiten
eines Interaktions-/Kommunikationsprozesses zwischen Individuum und der sich
aus den Individuen konstituierenden Gesellschaft sehen. Dieser "Prozeß
Freiheit" äußert sich dann als wechselseitige Herstellung bzw.
Nicht-Herstellung von Handlungsoptionen (und ggf. ihrem Vollzug).
Einen Widerspruch gibt es bei dieser Betrachtungsweise nicht mehr auf der
Ebene der Freiheit, sondern auf der Ebene der _Bewertung_ der Handlungen.
Dieser tritt dann auf, wenn die Bewertungen der Handlung(en) nicht kohärent
ausfallen, was heute, in unserer Kultur, aus verschiedensten Gründen eher die
Regel als die Ausnahme ist. [Je höher die Kohärenz, desto weniger stellt sich
z.B. die Frage der Gewalt.]
Als Prozeß unterliegt die Freiheit dann Änderungen bzw. Änderungsdruck, wenn
sich (a) das Verhältnis der Individuen zu sich selbst ändert und/oder (b) das
Verhältnis von Individuen zur/in der Gesellschaft sich ändert. [Daß beide
normalerweise nicht voneinander entkoppelt sind, versteht sich von selbst.]
Jegliche Interpretation von Unfreiheit wäre in dem hier geschilderten Modell
ebenfalls sowohl subjektiv wie sozial wie objektiv zu sehen (s.o.) [ohne eine
absolute Unabhängigkeit von subjektiver und sozialer Perpsektive zu
behaupten].
Wobei es mit der objektiven Interpretation schwierig werden dürfte, denn: Der
oben angenommene "objektive" Beobachter ohne Handlungsbezug dürfte kaum als
frei von Bewertungsbezug gelten können. Er bringt -als Beobachter- seine
Maßstäbe für die Bewertung ja immer schon mit. Hat er keine, so dürfte er
Schwierigkeiten haben, aus seinen Beobachtungen überhaupt irgendein "Bild"
abzuleiten. Diese Schwierigkeiten zeigen sich z.B. in der historischen
Betrachtung, bei der man nie genau weiß, ob das Bild stimmt oder nicht, das
aus dem Gesehenen abgeleitet wird und über das Nicht-Gesehene nur spekuliert
werden kann.
Die subjektive Unfreiheit dürfte sich als eine Art "Selbst-Regulation"
darstellen, d.h. durch die Anwendung moralischer und ethischer, jedenfalls
wertender Regeln vor dem/im Vollzug der Handlung [hinterher wäre es zu spät].
[An der Stelle käme dann auch der Wille ins Spiel, den ich aber hier nicht
weiter explizit berücksichtige.] Dann bilden aber in der Handlung subjektive
Freiheit und subjektive Unfreiheit ihrerseits eine untrennbare Einheit.
[Im Extremfall wird ein individueller Perspektivwechsel innerhalb dieser
untrennbaren Einheit Freiheit/Unfreiheit folgendermaßen vollzogen: "Denn wenn
negative Freiheit einfach darin besteht, daß man von anderen nicht daran
gehindert wird, das zu tun, was man tun will, dann besteht eine Möglichkeit,
diese Freiheit zu erlangen, auch darin, die eigenen Wünsche auszulöschen."
(Isaiah Berlin: Freiheit. Vier Versuche. S.40, S.Fischer 1995) Das nur als
Beispiel.]
Erst, wenn man jegliche subjektiven Handlungsbezüge eliminieren könnte, würde
man dorthin gelangen, worauf Janis Joplin hingewiesen hat (wie kürzlich hier
erwähnt): "nothing left to lose". Wirklich "nothing", d.h. auch keine Regeln
mehr, keine Beziehungen, von Gütern ganz zu schweigen. Dann aber stellt sich
die Frage, ob das noch Freiheit genannt werden kann. Schon mit der nächsten
-bewußten- Handlung [um die gewonnene Freiheit zu nutzen] würde man wieder
irgendwelche Regeln zur Anwendung bringen müssen. Also könnte man den Zustand
der absoluten Freiheit des Individuums nur als einen solchen der absoluten
Agonie denken - welcher Gedanke nicht so recht begeistert und wohl auch nicht
mit dem "common sense" zusammenzubringen sein dürfte.
Die soziale Seite der Unfreiheit ist es, die man am leichtesten beobachen
kann, in ihren vielen alltäglichen Ausdrucksformen. Aber auch diese ist eben
nichts anderes als -wie Franz Nahrada vorhin schrieb- ein "Schatten" der
sozialen Freiheit [ohne damit werten zu wollen].
Eine Präferierung der einen oder anderen Seite -individueller/subjektiver
ggü. sozialer Freiheit- wird sich wohl immer daran messen lassen müssen, ob
sie zu einem höheren Grad an Kohärenz der Bewertungen führt oder nicht, d.h.
ob sich das Individuum in seiner Bewertung als durch die Gesellschaft
vergegenständlicht (als _Objekt_ sozialer Maßstäbe) erfährt oder eben nicht.
Vielleicht hilft der eine oder andere Gedanke aus dieser Modellierung
(einer unter vielen möglichen) weiter.
Ausgehend davon könnte man z.B. spezifische Kategorien von Freiheit
betrachten, ohne in die Sackgasse eines "dienenden", d.h. eines aus einer
Wertung abgeleiteten Freiheitsbegriffes geraten zu müssen. Die Wertung sollte
m.E. den Handlung(soption)en vorbehalten sein. Denn erst dort zeigt sich die
Freiheit.
Gruß, Robert
--
Von/From: Dipl.-Inform. Robert Gehring
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