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Re: [ox] Re: Gewalt



Hi Christoph & all!

Du schreibtst, daß es sehr wohl "Gewalt" in der Natur gebe, und
zwar nicht nur bei Gnu und Löwe, sondern auch bei sondern auch
bei Pflanzen, Pilzen, Protozoen usw. (Dabei ging es darum zu
widerlegen, daß -- wie Stefan Mn.  behauptet hat -- Gewalt und
Natur ein problematisches Begriffspaar bildeten.) Und außerdem
hängt Gewalt bei Dir (im Gegensatz zu Stefan) nicht davon ab, daß
sie vom Opfer als solche wahrgenommen wird, was auf den ersten
Blick logisch klingt.  

Aber bei mir hast Du nun genau das Gegenteil erreicht. Vor lauter
Relativismus bin ich jetzt völlig durcheinander gekommen: 
 1) wenn es also Gewalt in der Natur (ohne Menschen) gibt,
betrifft das dann nur die von Dir aufgezählte belebte Natur oder
auch die unbelebte? -- was empfindet wohl ein Planet, der von
irgendwoher mit Meteoriten beworfen wird? --
 2) Ist es schon Gewalt, wenn ich jemanden dazu überrede oder
dazu verführe, etwas zu tun oder gutzuheißen, was er andernfalls
nicht tun bzw. gutheißen würde? -- worunter wird dann eigentlich
"Aufklärung" eingeordnet? -- oder Unterricht und Erziehung usw. --

Zur Frage, warum das alles (trotz der skurilen Beispiele) in
meiner humblen Opinion "on topic" ist, fallen mir neben der
Raubkopie (== Gewalt oder nicht?) noch zwei Bezüge aus früheren
Diskussionen ein, die offenbar nicht ganz bis zu Ende
ausdiskutiert worden waren... ;-(
 - Ist es Gewalt gegenüber kommerziellen SW-Herstellern, ihnen
die Möglichkeit des Broterwerbs durch Herstellen von
kommerzieller SW zu nehmen (indem man zuläßt oder unterstützt,
daß sich kostenlose Konkurrenzprodukte entwickeln)?
 - Handelt es sich um _Verknappung_, wenn die GPL vorschreibt, daß
freie Produkte nicht unfrei weiterentwickelt werden dürfen?

Im Moment bin ich erstens der Ansicht, daß Gewalt nur bewußt
bzw. absichtlich ausgeübt werden kann. Die Natur fällt da raus,
da sie kein Bewußtsein hat. Wenn man von "den Naturgewalten"
spricht, dann überträgt man menschliche Eigenschaften auf die
Natur, was legitim ist soweit es dem Verständnis hilft, was man
aber auch nicht zu ernst nehmen darf.  Die Meteoriten fallen
damit also erstmal ins Wasser, was ihre Kandidatur für
Gewaltausübung betrifft.-- Aber ebenso die Pilze,
fleischfressenden Pflanzen, Haie und auch die Löwen. Was macht
aber ein Löwe, der ein Gnu verfolgt, dann? Ich bin mir nicht
sicher, wie ich das nennen soll, aber bei einem aufprallenden
Stein weiß ich das auch nicht so genau. Entscheidend ist für mich
aber erstmal, daß der Löwe das Gnu nicht mit dem Ziel reißt, es
von dem abzuhalten, was es gerade tut, sondern um sich davon zu
ernähren. Bei Gewalt ist das meistens andersrum, oder zumindest
miteinander verbunden, oder? 

Zweitens muß, was das Opfer der Gewalt betrifft, dies nicht
unbedingt bewußtseinsbegabt sein. Es durchaus möglich die Natur
gewaltsam zu verändern (im Gegensatz zu nicht so gewaltsamen
Formen der Wechselbeziehung). Wenn aber ein Opfer mit
Bewußtsein/Empfindsamkeit etwas nicht als Gewalt
erkennt/empfindet [oder wenn es etwas unbewußt als Nicht-Gewalt
erkennt/empfindet], dann handelt es sich auch nicht um Gewalt
(unabhängig von der Intention des 'Täters'). -- so zum Beispiel
beim Sport, oder beim Zahnarzt, oder eben in der Religion: sind
Yogi, chinesische Mönche und Hexen, die selbst daran glauben, es
sei besser, wenn sie verbrannt würden, -- sind sie in dieser
Beziehung so verschieden?

Drittens ergibt sich daraus aber auch ein anderes Verständnis der
sogenannten Strukturgewalt bzw. strukturellen Gewalt: Es muß
unterschieden werden zwischen dem tatsächlichen Leiden unter
strukturellen Zwängen und der Veränderung des
Handlungsspielraums, den ein Subjekt jeweils hat, wenn es zur
Struktur gehört oder nicht. Wenn gegen ein Mitglied der
Gesellschaft Gewalt im obigen Sinne ausgeübt wird, ohne daß das
ursächlich dem Bewußtsein oder der Absicht eines anderen
Mitglieds der Gesellschaft entspringt, dann gibt es
höchstwahrscheinlich strukturelle Gründe für diese (trotz allem
sehr konkrete, weil konkret erfahrene -- erlittene --) Gewalt,
also kann man von struktureller Gewalt sprechen. Im Falle derer,
die sich dem System aber freiwillig unterordnen, kann man
höchstens von Opfern *potentieller* Gewalt, oder von der *Androhung*
von Gewalt sprechen. Nicht von Gewalt selbst, also auch nicht von
struktureller Gewalt. Auch wenn sicherlich List und Tücke,
Demagogie und Bedrohung immer dazugehören, Untertanen
(willfährig) zu machen, so handelt es sich doch nur bei denen,
die sich auflehnen und deshalb zu leiden haben, um einen
gewaltsamen strukturellen Zwang. 

Freiwillige Unterordnung unter die Normen einer Struktur darf
nicht mit Gewalt in Verbindung gebracht werden. Vielmehr müssen
wir uns hier dessen bewußt sein, daß es eben noch andere
Möglichkeiten des Zwangs und der Übertölpelung
usw. gibt. Eingeschränkte Entfaltungsmöglichkeiten sind also noch
lange kein Indiz für Gewalt. Aus der Zugehörigkeit zu einer
Struktur ergibt sich schon von allein, daß die Beliebigkeit der
Bewegung eingeschränkt ist im Vergleich zum Zustande der
Nichtzugehörigkeit (welcher in aller Regel nur hypotetisch
möglich ist): egal ob das einen Kegelverein, einen Bienenstaat
oder eine chemische Verbindung betrifft. Es liegt einfach im
Wesen der Struktur. Und deshalb hat die einfache Einschränkung
einer hypothetischen Beliebigkeit nichts mit Gewalt zu tun.


Viel Spaß,
Casimir.

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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