[ox] Rezensionen
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Sat, 21 Jul 2001 19:33:10 +0200
Hi all,
ein Ergebnis meines Lesevergnügens. Wer's lesen mag: Have a lot of fun!
Ciao,
Stefan
+++
Rezension dreier Bücher über die "Linux-Revolution"
1. Linus Torvalds, David Diamond (2001), Just for Fun. Wie ein Freak
die Computerwelt revolutionierte, München, Wien: Hanser.
2. Peter Wayner (2001), Kostenlos und überlegen! Wie Linux und andere
freie Software Microsoft das Fürchten lehren, Stuttgart, München: DVA.
3. Gln Moody (2001), Die Software-Rebellen. Die Erfolgsstory von Linus
Torvalds und Linux, Landsberg/Lech: verlag moderne industrie.
Siehe dazu auch: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/buch/7996/1.html
Um meine Bewertung gleich vorweg zu nehmen - in der Reihenfolge, in der
ich die Bücher las: "Just for fun" ist witzig und unterhaltend, und man
erfährt eine Menge über Linus und Linux. Ein perfektes Strandbuch.
"Kostenlos und überlegen" ist grottenschlecht, gegen Ende zog sich das
Buch wie Kaugummi dahin. Der grauselig us-amerikanisierte Jovialstil
hat mich wahnsinnig genervt. "Die Software-Rebellen" ist äußerst
informativ und fair geschrieben. Sehr viele wichtige Personen der FS
werden gewürdigt und mit ihren Positionen dargestellt. Doch auch dieses
gute Buch enthält nicht alle Informationen, die man verstreut über die
drei Bücher findet. Nun meine Beschreibung im Einzelnen.
(1) "Just for Fun"
Das erste Buch (Originaltitel: "Just for Fun: The Story of an
Accidental Revolutionary") stammt zu großen Teilen von Linus Torvalds
selbst und ist schon deswegen sehr interessant zu lesen. Ich bringe
deswegen ausfürlichere Zitate. Es ist die Biographie von Linus und
Linux. Super spannend fand ich den Teil "Geburt eines Betriebssystems",
das mit der Warnung "Achtung: Mittelschwere Geek-Sprache" beginnt. Das
ist wohl berechtigt, denn trotz des Bemühens Insidercodes oder einfach
nur technische Details zu erklären, dürften einige Nichteingeweihte den
Faden verlieren oder mindestens die Schultern zucken etwa ob des
Aufhebens um die Unterschiede zwischen einem 68xxx- und x86-Prozessor.
Nur wer das Zeug mal selbst in Assembler programmieren durfte, wird
folgende Passage emotional nachvollziehen können: "Ich befand mich in
einem typischen Geek-Dilemma. Wie jeder echte Computer-Purist, der mit
einem 68008-Chip aufgewachsen war, verachtete ich PCs. Aber als 1986
der 386er auf den Markt kam, begannen PCs, ähm, attraktiv zu werden."
Sie waren einfach relativ billig und modular, wurden Standard, es gab
haufenweise Zubehör: "Ich beschloss, überzulaufen und die Fronten zu
wechseln." (59) Ok, ok, ich hör schon auf.
Mehr noch Linus' Geschichte. Er hatte absolut kein Geld, aber das war
ihm auch nicht sonderlich wichtig. Er nahm einen Kredit 5000 Dollar
auf, den es in Finnland als Studentenkredit gibt, um sich den neuen
Rechner, auf dem er Linux entwickeln sollte zu kaufen. Er hätte
jahrelang abbezahlen müssen, doch - und auch das ist Community - jemand
startete eine Sammlung und gemeinsam wurde der Kredit abbezahlt. Linus
selbst lehnte Geld für Linux ab. Wenn ihm jemand Geld schicken wollte
(in alter Shareware-Tradition), bat er stattdessen um Postkarten. Linus
interessierte mehr, wo Linux überall benutzt wurde. Folgende Passage
ist wohl charakteristisch: "Tatsächlich wollte ich das Geld aus einer
ganzen Reihe von Gründen nicht. Als ich Linux erstmals ins Internet
stellte, hatte ich das Gefühl, in die jahrhundertealten Fußstapfen der
Wissenschaftler und Forscher zu treten, die ihre Arbeit auf den
Grundfesten anderer aufsetzen - auf den Schultern von Giganten, um mit
Isaac Newton zu sprechen. Ich machte meine Arbeit nicht nur zugänglich,
damit andere einen Nutzen darus ziehen konnten, ich wollte auch was für
mich: Feedback (okay, und Anerkennung). Ich sah keinen Sinn darin,
Leuten Geld abzuknöpfen, die mir möglicherweise helfen konnten, meine
Arbeit zu verbessern. Vermutlich hätte ich die Sache anders angepackt,
wenn ich nicht in Finnland aufgewachsen wäre ... Und, ja, ich hätte die
ganze Kein-Geld-Sache zweifellos anders angepackt, wenn ich nicht unter
dem Einfluss meines Großvaters, einem eingefleischten Akademiker, und
meines Vaters, einem eingefleischten Kommunisten, erzogen worden wäre."
(103) - Hierbei musste ich an den Schmetterling aus der Chaostheorie
denken, dessen Flügelschlag letztlich den Wirbelsturm auslöst: Die
kommunistische Arbeiterbewegung ist gescheitert, aber irgendwie ist sie
doch auch an Linux beteiligt;-)
Linus zum Programmieren: "Es ist eine Frage der geschickten Kombination
von Kunst und Technik. Das ist einer der Gründe, der das Programmieren
so fesselnd und lohnenswert erscheinen lässt. Die Funktionalität ist
oft zweitrangig; viel wichtiger ist es, etwas Interessantes, Schönes
oder Schockierendes zuwege zu bringen. Programmieren ist eine Übung in
Kreativität. (...) Wenn das Geschaffene schön sein soll, darf es keine
Fehler enthalten. Das ist das Wesen des Programmierens." (82) Immer
wieder wird deutlich, dass "Spaß haben" eine ganze Menge Dimensionen
hat, von denen das Zitat nur ein Teil wiedergibt. Und diese
unterschiedlichen Dimensionen sind bei den verschiedenen Menschen
nochmal ganz persönlich priorisiert. Deswegen nenne ich das auch lieber
"Selbstentfaltung", um die Bedeutung der je eigenen Individualität
hervorzuheben. Das nur am Rande - bei Linus Torvalds ist es halt der
Spaß.
Eine weiterer Aspekt ist die Selbstorganisation der Projekte. Irgendwie
stehen immer noch alle rätselnd vor dem Phänomen, warum die
Selbstorganisation bei der FS so gut klappt - inklusive Linus. In der
Regel wird der Linux-Erfolg auf die Person von Linux Torvalds
zurückgeführt: Er sei ein "gütiger Diktator", der ausgleichend sei, um
Forks (Spaltungen) zu vermeiden. Linus selbst schreibt: "Bis heute
manage ich das Projekt mit Hunderttausenden von Entwicklern nach der
gleichen Methode wie damals, als ich noch in meinem Zimmer saß und wie
wild programmierte: Statt Arbeit aktiv zu delegieren, warte ich eher
darauf, dass die Leute auf mich zukommen und sich der Sache freiwillig
annehmen. (...) Ich nehme ihre Arbeit an oder lehne sie ab, aber
meistens lasse ich den Dingen ihren Lauf. Wenn zwei Leute ähnliche
Programme pflegen, akzeptiere ich beide und warte ab, welches genutzt
wird. (...) Gütiger Diktator? Nein, ich bin einfach nur faul. Ich
versuche zu managen, indem ich keine Entscheidungen treffe und den
Dingen ihren Lauf lasse. So bekommst du die besten Ergebnisse." (181)
Die Selbstzuschreibung als "faul" ist bemerkenswert, denn das ist er
ganz sicher _nicht_ (das sieht man an den Ergenissen etwa der schnellen
Release-Folge oder der sehr intensiven Kommunikation mit den vielen
Entwicklern - sehr gut im "Software-Rebellen"-Buch beschrieben). Es hat
eher mit "ist nicht sein Ding" zu tun, er macht es einfach nicht gerne
und hat schnell festgestellt, dass es auch dysfunktional ist. Auf die
Idee, dass es was mit der Abwesenheit des sonst allgegenwärtigen
Selbstzwecks der Verwertung und des abstrakten, äußerlichen Charakters
von "Arbeit für Geld" zu tun hat, kommt Linus nicht - und das, obwohl
er folgendes beschreibt: "Die Ironie dabei ist, dass mir mein
Management-Stil, wenn man ihn als solchen bezeichnen kann, zwar gute
Noten bei der Presse einbrachte, dass ich aber während meines kurzen
Gastspiels als Manager bei Transmeta definitiv versagte. Damals wurde
beschlossen, dass ich ein Entwicklerteam leiten sollte. Ich floppte.
Wie jeder, der je in meine Müllhalde von Büro vorgedrungen ist, weiß,
bin ich völlig unorganisiert. Ich hatte Probleme, die wöchentlichen
Projektstatusbesprechungen, die Leistungsüberprüfungen, die Liste der
offenen Punkte zu managen. Nach drei Monaten war für jedermann
sichtbar, dass mein Managementstil nicht dazu beitrug, Transmeta
voranzubringen, trotz der Anerkennung, die ich von der Presse für meine
Art bekam, Linux zu leiten." (181) - Schon wieder zu eine merkwürdige
Selbstzuschreibung: "unorganisiert". Linux ist nicht "unorganisiert",
sondern eben anders organisiert als nach abstrakt-fremden Kriterien der
Verwertung.
Nun noch zum "Sinn des Lebens", der speziellen Linus Torvalds
"Philosophie". Die geht so: "Drei Sachen sind im Leben wirklich
wichtig. Sie sind die Antriebsfaktoren für alles in deinem Leben - für
alles was du oder ein anderes Lebewesen tust. Das erste Motiv ist das
Überleben, das zweite die Gesellschaftsordnung und das dritte Vergnügen
und Unterhaltung. Alles im Leben geschieht in dieser Reihenfolge." (2)
Die Illustrationen lasse ich lieber weg (Sex, Krieg, Computer) - sie
sind wirllich zu platt. Interessant sind aber seine
Verallgemeinerungen, die er am Ende des Buches antellt: "Warum also
schreitet die gesellschaftliche Evolution voran? Was ist der
Antriebsfaktor dafür? Treibt wirklich die Technologie die Gesellschaft
voran - wie es der allgemeinen Ansicht zu entsprechen scheint? War die
Erfindung der Dampfmaschine tatsächlich das auslösende Moment für die
Entwicklung Europas zur Industriegesellschaft, aus der schließlich mit
Hilfe von Nokia und Mobiltelefonen die Kommunikationsgesellschaft
hervorging? Ich hatte den Eindruck, die Philosophen neigten dieser
Ansicht zu und wollten wissen, wie die Technologie die Gesellschaft
verändert. Ich als Vertreter der technischen Seite weiß dagegen, dass
die Technologie gar nichts vorantreibt. Die Gesellschaft verändet die
Technologie, nicht umgekehrt. Die Technologie legt nur die Grenzen
dessen fest, was wir tun können - und wie billig wir es tun können.
Zumindest bis heute ist die Technologie ihrem Wesen nach ebenso
unintelligent wie die Geräte, die sie hervorbringt. Das einzig
Interessante an ihr sind die Möglichkeiten, die sie eröffnet, so dass
die Antriebskräfte hinter jeder Technologie menschliche Bedürfnisse und
Interessen sind." (260) Verallgemeinert: "Überleben. Sozialkontakte
pflegen. Spaß haben. Das ist der Lauf der Dinge. Und deshalb wählten
wir 'Just for Fun' als Titel dieses Buches. Weil alles, was wir tun,
letztlichn unserer eigenen Unterhaltung zu dienen scheint. Jedenfalls
wenn wir die Chance erhalten haben, so weit zu kommen." (262)
Das soll ausreichen.
(2) Kostenlos und überlegen
Mit dem zweiten Buch (Originaltitel: "Free for all. How Linux and the
Free Software Movement Undercut the High-Tech Titans") kann ich mich
kürzer fassen, weil es so schrottig ist. Ok, es enthält eine Reihe
interessanter Informationen, die in keinem der anderen beiden Bücher
stehen (insbesondere was die Entstehung und Aufspaltung der BSD-Systeme
angeht) - aber dafür ein dicker Buch vollschwafeln? Besonders nervig
sind die bescheuerten Bezeichungen, möglicherweise hat das dann
obendrein auch noch die deutsche Übersetzung versaut: "Freeware" statt
"Freie Software" oder wenigstens "Free Software" - schauder. Die
Übersetzer waren wenigstens so "konsistent", sogar Richard Stallman
"Freeware" statt "Free Software" in den Mund zu legen - wenn der wüßte.
Nur mal als Beispiel - zufällig rausgepickt - für den Stil des Buches,
hier am Beispiel der Organisation der Projektarbeit: "Freeware kennt
nur Kapitäne, die auf ihrem Schiff für Menü, Kurs, Sonnendeck,
Ausguckhöhe, Seifenmarke und Anzahl der Zahnstocher pro Passagier
selbst verantwortlich sind. Theoretisch ist man Lord und absoluter
Herrscher über jede auf dem eigenen PC interpretierte oder kompilierte
Programmzeile. Praktisch hat niemand Zeit, diese Macht wirklich
auszuüben. Es ist schlicht langweilig, sich auch noch um den letzten
Zahnstocher selbst zu kümmern. Es zehrt an den Kräften, das
Fenstersystem neu zu strukturieren, wenn es dem verwöhnten
Softwaregaumen nicht mundet. Keine Festplatte ist groß genug, um eine
Sammlung von Bildschirmschonern, Fenstermanagern, Layoutprogrammen und
Computerspielen zu verwalten, die Imelda Marcos würdig wäre. Also wählt
man aus und trifft sich mit Gleichgesinnten, kurz: Man bildet Banden.
Eine Gruppe verlangt nach Führung, produziert ihr Alpha-Tier und bald
fühlt man sich wie in einem professionellen Entwicklerteam. Na ja, ein
bißchen jedenfalls." (252) Alles munter durcheinander und für meinen
Geschmack ein grauenhafter Schreibstil mit wirklich blöden Metaphern am
laufenden Band. Für Differenzierungen ist da nicht viel Platz. Es ist
wohl auch konsequent, dass ich das Buch nicht in der Computerabteilung,
sondern in der Wirtschaftsabteilung fand, wo in der Regel die grössten
Schwachsinnsbücher stehen. Fehlt eigentlich noch ein Titel: "Mit Linux
in zehn Tagen Millionär."
(3) Die Software-Rebellen
Das Buch von Glyn Moody (Originaltitel: "The Rebel Code") war dann nach
dem schrecklichen Wayner-Buch eine wahre Erholung. Spürbar ist das
Bemühen, die wichtigsten Personen der Freien Software durch Darstellung
ihres Beitrages zu würdigen - und das ist IMHO gut gelungen. En passant
werden Details der Geschichte freier Software erzählt, die mindestens
mir nicht bekannt waren. So sorgte Andrew Tanenbaum indirekt (wg. der
bescheuerten Lizensierung von Minix) nicht nur dafür, dass Linus
Torvalds den Linux-Kernel entwickeln, sondern schon Jahre vorher (1984)
gab er einen ähnlichen "Anstoss" zur Entwicklung des GCC durch Richard
Stallman! RMS fragte damals bei Tanenbaum an, ob er den ACK (Amsterdam
Compiler Kit) in das GNU-Projekt integrieren dürfe - doch Tanenbaum
lehnte ab. Welch Glück, muss man heute sagen, damals war's sehr
ärgerlich. RMS versuchte später - trotzdem der blöden Erfahrung mit ACK
- den Minix-Kernel als GNU-Kernel zu bekommen. Doch wieder klappte es
nicht, wobei die Gründe diesmal nicht so klar sind. Zitat Tanenbaum:
"Er trat mehrere Male an mich heran ... und wir durchliefen alle
Stadien. Es muss so sein, nein, es muss anders sein. Ich fand ihn
irgendwie anstrengend." Linus Torvalds sagte später, dass er sein
Projekt nie begonnen hätte, wenn ein GNU-Kernel verfügbar gewesen wäre.
Und es gab noch ein weiteres Projekt, dass fast dafür gesorgt, dass
Linus nicht mit Linux begann: 386BSD, die PC-Portierung des großen
BSD-UNIX. Es war 1991 lauffähig, doch es tobte ein Prozess zwischen der
Universität von Berkeley und AT&T um die Frage, ob im BSD-Unix
urheberrechtlich geschütztes Material verwendet wurde. Die Uni gewann
schliesslich, doch zwei Jahre wurden verschenkt. Dazu kommt die
Problematik der BSD-Lizenz, die eine Reprivatisierung nicht unterbindet
(im Gegensatz zur GPL). Darauf wollte sich weder das GNU-Projekt noch
Linus Torvalds einlassen. Und - für die Verbreitung von Linux in den
frühen Jahre entscheidend: 386BSD war im Gegensatz zu GNU/Linux nicht
multibootfähig - und wer hatte damals schon mal eben einen eigenen
Rechner zur Verfügung, um ein PC-Unix auszuprobieren. Und schliesslich
hat die Aufspaltung von 386BSD in FreeBSD, NetBSD und OpenBSD die
Hackerbasis ausgedünnt. Dennoch ist es in Teilbereichen erste Sahne,
was die BSD-Strömungen technisch entwickelten. So übernahm Linux später
wichtige Komponenten (etwa den TCP/IP-Stack oder wichtige
Security-Features).
Diese Details und viele mehr erfährt man in dem wirklich informativen
Buch. Auch die Rolle der Kommerzialisierung von Linux wird ausführlich
dargestellt - wie man sich denken kann, nur wenig kritisch.
Kommerzieller Erfolg wird als Durchbruch angesehen. Im letzten Kapitel
"Jenseits des Marktes" werden Risiken für die Freie Software
diskutiert. Der Titel verspricht jedoch mehr als er hält. Oekonux ist
in diesem Punkt einfach unersetzbar:-)
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