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Re: [ox] GPL im Architekturbereich



Hi Jens!

3 weeks (26 days) ago Jens Wilke wrote:
ich bin Landschaftsarchitekt und habe mir ein paar Gedanken zur
Übertragbarkeit der GPL auf  Planungsprozesse im
Architekturbereich gemacht.

Vielleicht hast du in der Link-Liste die Bemühungen am ifau übersehen,
die ähnliches machen. Erst kürzlich ging deren Konferenz-Beitrag über
die Liste mit ein paar Links.

Für mich stehen noch einige Fragen im Raum, die ich gerne
diskutieren würde. Auf der Website habe ich diesbezüglich keine
endgültigen Antworten gefunden.

Mit endgültigen Antworten haben wir's ja ohnehin nicht so ;-) .

Ich versuche, mich so auszudrücken, daß mich nicht nur
PlanerInnen verstehen. Bei Unklarheiten fragt bitte nochmal nach.

Lanschaftsarchitekten planen u.a. Freianlagen, "frei" im Sinne von
unbebaut. Auftraggeber sind Kommunen (Städte, Gemeinden... ;),
Firmen oder Privatpersonen.
Im Planungsprozeß wird aus einer Zahl Ideen und Vorentwürfe ein
Entwurf ausgearbeitet, der realisiert werden soll.
Für diesen Entwurf werden technische Ausführungspläne erstellt,
die die Lage und die Details der einzelnen Elemente darstellen.

Ich will's mal versuchen zu abstraktifizieren: Ihr habt ein komplexes
(auch) technisches Problem, das ihr mit den Fähigkeiten und Werkzeugen
eurer Kunst löst. Diese Beschreibung trifft auch auf jedes einzelne
Stück Software zu.

Sofern es die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, die
für diese Berufsgruppen verbindlich ist, zulässt, könnte ein Entwurf
unter der GPL veröffentlicht werden.
Nur, was hat die Menschheit davon, wenn ein Entwurf, der auf eine
spezifische Situation (Form und Größe des Grundstücks, Bestand,
Nutzungsansprüche, Exposition, Bodenverhältnisse u.a.) unter der
GPL veröffentlicht wird?

Was hat die Menschheit denn davon, daß ein komplexes Programm unter
GPL gestellt wird? Ist ja auch immer eine spezielle Anwendung, bezieht
sich also auch immer auf eine spezifische Situation.

Nun, die Wiederverwendbarkeit - auch teilweise - finde ich nicht ganz
vernachlässigbar. Wichtiger scheint mir aber einerseits die
Möglichkeit daraus zu lernen (vulgo: Ideen klauen), andererseits
natürlich auch die Möglichkeit für die PlanerInnen /
ProgrammiererInnen selbst Feedback zu bekommen. Geht ja nur, wenn der
Plan offenliegt.

Eine zweite Fläche zu finden, auf der dieser Entwurf _sinnvoll_ so
oder ähnlich realisiert werden könnte wäre ziemlich
unwahrscheinlich.

Vermutlich wahrscheinlicher als ein zweites Problem zu finden, das mit
der gleichen Software gelöst werden könnte...

Was sich eher übertragen liesse, sind Detaillösungen, z.B.
Holzverbindungen oder auch eine ganze Pergola.
Viele Details stehen aber gar nicht unter einem Copyright, da sie
dem Stand der Technik entsprechen und seit Jahren gängige
Praxis sind. Hier könnte höchstens die Zeichnung an sich, nicht
aber ihr Inhalt unter der GPL verbreitet werden, z.B. in Form einer
Datenbank mit dxf-Dateien.

Nun, ein gut bestückter Freier Pool solcher Lösungen, im Internet
verfügbar und gut gewartet wäre vermutlich ein gern verwendeter Schatz
für alle PlanerInnen - oder?

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Gesamtplanung
nicht unter der GPL veröffentlicht werden sollte.
Die freie Verfügbarkeit könnte nämlich dazu führen, daß ein
Entwurf unreflektiert an anderer Stelle unter ungeeigneten
Bedingungen realisiert würde und dadurch z.B. Pflanzen eingehen
('ausfallen'). Das fiele dann zunächst auf denjenigen zurück, der die
Planung gemacht hat, möglicherweise mit weitreichenden
Konsequenzen. (Ansehensverlust usw.)

Das ist dann aber eine falsche Zuschreibung. Bei Software sind diese
Sachen gewöhnlich durch Disclaimer geregelt, die solche Zuweisungen
von vornherherein sinnlos machen.

Bleibt festzustellen, daß die GPL insbesondere für Detailplanungen
in Frage käme. D.h., Details wären frei verfügbar und könnten, und
das ist vielleicht mit dem Zusammenstellen einer Linux-Distribution
vergleichbar, als Dienstleistung von professioneller Seite aus zu
einem Projekt zusammengestellt werden.

Ich denke da an ein Analogon zum CPAN (Comprehensive Perl Archive
Network, z.B. `ftp://ftp.rz.ruhr-uni-bochum.de/pub/CPAN/CPAN.html'),
das genau dies leistet: Zahllose kleine bis große, modulare
Teillösungen für alle möglichen Probleme gut aufbereitet anbieten. Das
CPAN ist quasi das Sahnehäubchen zu Perl, das daraus erst den
Überflieger unter den Programmiersprachen macht. Warum soll so etwas
nicht in eurem Bereich gehen?

Die Arbeit von Landschaftsarchitekten besteht nicht nur aus dem
Zusammenstellen von Details, der umgekehrte Weg ist der
Richtige: aus einer Idee wird ein Gesamtkonzept, das wiederum
dann immer weiter verfeinert, d.h. detailliert wird.
Die Arbeit der Detailplanung entspricht also weniger als 50% der
Planung.

Aber ein gut verwendbarer Baukasten guter und ausgereifter Module
dürfte diese 50% doch noch wesentlich vermindern...

Der Rest ist individuelle, auf ein einziges Projekt bezogene Arbeit.

...und en passant vermutlich den selbstentfalterischen Anteil
steigern.

Programmierer, so steht es in den zahlreichen Quellen, schreiben
GPL-Software, z.B. weil sie für sich persönlich bessere Software
haben wollen, oder weil sie als Studenten nichts besseres mit ihrer
Zeit anzufangen wissen :)
EinE LandschaftsarchitektIn plant für sich selbst aber nur die
wenigsten Gärten.
Woher soll dann in einer freien Gesellschaft die Motivation
kommen, fast überwiegend für andere zu arbeiten?

Die Motivation kommt aus der Lust, sich mit bestimmten
Problemstellungen zu befassen. Ich behaupte mal, daß jedeR
IngenieurIn, die was auf sich hält, diese Lust kennt. EinE brauchbareR
IngenieurIn zeichnet sich m.E. gerade durch die Lust auf solche
Tätigkeit aus.

Wovon ernährt
sie sich, insbesondere *auf dem Weg* in die freie Gesellschaft?

Das ist schon schwieriger ;-) .

Oder will eine freie Gesellschaft gar keine PlanerInnen, die Ihren
Lebensraum gestalten?

Ich will das jedenfalls. Ich vermute, daß andere das auch wollen.

Tun das die Menschen selbst?

In Grenzen wohl, aber ich bin auch kein Anhänger des
Universaldilettantismus.

Bin ich wertlos? ;) Oder dürfen wir
uns ganz der verantwortungsvollen Tätigkeit der Moderation
widmen, und den Planungsprozess professionell  begleiten?

Eine gute Ausbildung und Erfahrung auf einem hochdifferenzierten
Wissensgebiet ist nicht so ohne weiteres durch ein bißchen
Hemdsärmeligkeit zu ersetzen. Partizipativ klar - aber Fachwissen auch
klar.

Annettes Beschreibung finde ich z.B. einen Ansatz. Vielleicht brauchen
wir aber auch noch etwas andersherum: Da sitzt eine Gruppe von
Fachleuten irgendwo zusammen und löst gesamtgesellschaftliche
Problemstellungen - z.B. ich, wenn ich die Bahn schmeißen helfe. Eine
solche Gruppe von Fachleuten müßte dann schon auch auf Menschen vor
Ort zugehen und ihnen erklären, warum dieses oder jenes sinnvoll ist
und daß sie nach ersten Überlegungen davon betroffen sein werden. Und
dann ein Einstieg in die Partizipation. Na, so halt irgendwie.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
_______________
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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