Re: [ox] Tausch
- From: Hans-Gert Graebe <graebe informatik.uni-leipzig.de>
- Date: Mon, 11 Jun 2001 17:35:25 +0200 (MET DST)
Hi Stefan
Du schreibst (on Fri, 08 Jun 2001)
Ich behaupte, daß du das nicht kannst und wenn du eine noch so große
Zettelwirtschaft beginnst. Wie willst du denn z.B. die
Ausbildungskosten derer einbeziehen, die an der Herstellung von
Produkten und Vorprodukten beteiligt waren? Wie willst du das Wissen
einbeziehen, daß in einem solchen Produkt steckt und das auch mal
irgendjemenschen Zeit gekostet hat?
Ich sehe zwei Möglichkeiten:
* Entweder du nimmst das alles als Gratisleistung an, die nicht im
Arbeitsaufwand für das Elektronenmikroskop auftauchen sollen und die
dann wohl aus irgendeinem gesellschaftlichen Pool ertauscht werden
muß - so eine Art steuerfinanzierte volkswirtschaftliche
Infrastruktur.
* Oder du legst einen Anteil der Ausbildungskosten auf den
Arbeitsaufwand für das Elektronenmikroskop um. Welchen? Warum ist
der gerecht? Genaugenommen könntest du bestenfalls nach dem Tode
eines Menschen seine gesamte Lebenszeit hernehmen und einzelnen
Produkten zuordnen - ein bißchen spät vielleicht...
Du begründest es zwar selbst auch, ich füge trotzdem an: Auch nach
Marx geht das zweite generell nicht. Er hat in den Grundrissen
bestimmt zwei Seiten mit seinen Kategorien 'capital fixe' und 'capital
circulant' gespielt, um das doch noch zu knacken und kommt dann
resigniert zu dem bekannten Schluss
In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die
Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der
Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit als von der Macht der
Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und
die selbst wieder [...] in keinem Verhältnis steht zur unmittelbaren
Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt
vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der
Technologie [...] Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr als in den
Produktionsprozeß eingeschlossen, als sich der Mensch vielmehr als
Wächter und Regulator zum Produktionsprozeß selbst verhält.
Und weiter
In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der
Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern
die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein
Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein
Dasein als Gesellschaftskörper -- in einem Wort die Entwicklung des
gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der
Produktion und des Reichtums erscheint.
Deine in Ansatz gebrachte Mehrparameteroptimierung halte ich schon aus
mathematischen Gründen für problematisch. Zum Optimieren brauchst Du
letztlich Vergleichbarkeit, also doch eine lineare Ordnung. Deshalb
geht Mehrparameteroptimierung erst, wenn Du die Parameter wichtest und
so doch auf eine einheitliche Skala bringst. Genauer, dass sich die
Beteiligten auf eine solche gemeinsame Skala einigen. Das ist
m.E. eine viel zu starke Konditionierung, weil ja gerade daraus, dass
ein und dasselbe Ding für unterschiedliche Leute unterschiedliche
Gebrauchswertgüte hat, ein wichtiges Tauschmotiv in einer funktional
ausdifferenzierten Gesellschaft resultiert.
Und zur ersteren Alternative: Volkswirtschaftliche Infrastruktur
bedingt volkswirtschaftliche Rechnungsführung, aber nicht als
Zeitbuchhalterei, sondern als etwas, das zu DDR-Zeiten mal
"gleichmäßig-proportionale Entwicklung" hieß, ohne dass eine solche in
Praxi je gelungen wäre. Die gälte es überdies nicht zu dekretieren
(wie im "real gehabten"), sondern in vernünftigen Strukturen und nach
Spehrschen Prinzipien auszuhandeln. Also Utopie über Utopie. Auf eine
ebenso gut funktionierende Infrastruktur ist übrigens auch die
OpenSource-Bewegung angewiesen. Siehe die Mail zu den Perspektiven
von Netscape. Ist aber das Gegenteil von Tausch, nämlich eine Form
des kooperativen Tuns, also in dem Thread hier off topic. Deshalb
Schluss.
--
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
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