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Re: [ox] Re: Kooperation 1



Hallo Johannes & all!

   <!--Bitte um pardon für die verzögerte Antwort!-->

In grauer Vorzeit (Saturday, May 19, 2001 11:23 AM)
schrieb "Johannes Stockmeier"

[snip]
Das ist ja alles noch kein Grund sich für den Kapitalismus
zu begeistern!

Natürlich nicht!

_D.h._ -- ich bin mir da durchaus nicht so sicher. Gab es denn
früher auch schon Pazifisten? Und so ein Unbehagen gegenüber
der Todesstrafe und anderen "inhumanen" Erscheinungen, wie
es ja zum Teil auch heute (fast) nur in den entwickelt_sten_
Ländern anzutreffen ist?

Selbst, wenn man der ökonomischen, technologischen,
organistorischen usw. Entwicklung keinen (eigenen) Wert
beimißt, kann man IMHO bestimmte historische Bedingt-heiten
auch anderer Werte nicht einfach ignorieren.

Witzigerweise wird ja gerade der "Kampf für die
Menschenrechte" immer wieder zur Ausmerzung alternativer
Modelle und zur Verbreitung des Kapitalismus mit seiner
Handelsfreiheit und bürgerlichen Demokratie benutzt.
Auch »Liberalismus«, »Pluralismus« und »Individualismus«
usw. gehören ja bekanntlich zu diesem Waffenarsenal.

[...] Im
übrigen möchte ich bei unserer Diskussion vorsichtshalber
anmahnen, daß es ziemlich schwierig ist sich ÜBER den
Kapitalismus zu unterhalten, so als wenn wir ihn von außen
betrachten und uns dafür oder dagegen entscheiden könnten.
Das bekommt dann leicht so den Charakter von Diskussionen
für und gegen das Wetter.

Naja, nicht ganz:
Nach meinem Eindruck beschreibt man mit »Kapitalismus« immer
ein System von Beziehungen zwischen Menschen, was diesen
Begriff deutlich von »Wetter« unterscheidet. (Obwohl
natürlich auch das Wetter vom Menschen beeinflußt
/beeinflußbar ist... -- der Kapitalismus ist ja vom Menschen
geradezu erst hervorgebracht worden, was schon ein
entscheidender Unterschied ist, oder?

Ich habe vielleicht einen anderen
Interpretationsansatz über humanitäre Katastrophen als Du,
auch über die wahrscheinliche zukünftige Entwicklung, wenn
alles so weiterläuft wie bisher. Da es mir nicht darum geht,
sich um einen abstrakten Begriff zu streiten, können wir die
Frage auch so formulieren: wofür lohnt es sich zu
engagieren?

Ja. Eben! Deswegen müssen wir nunmal versuchen, über den
Tellerrand hinaus zu schauen, egal ob wir uns darüber erheben
können oder nicht. Und da hilft zum Beispiel das Lernen aus
der Geschichte (so ein Versuch von "historischer
Extrapolation"). Deswegen kommen ja von mir öfter mal solche
"relativierenden" Vergleiche mit der Zeit vor dem
Kapitalismus -- nicht als Rechtfertigung, sondern als
Versuch, das Problem /richtig/ zu charakterisieren und
einzuordnen. Denn wenn ich die falsche Wurzel für das Übel
verantwortlich mache, dann kann ich ewig gegen das Übel
ankämpfen und werde alles mögliche kaputt machen, nur nicht
das, was mich eigentlich stört. (Und was ein falscher
Veränderungsansatz bedeuten kann, daß habe ich schon
(anhand eines Paßwechsels u.ä.) zu spüren bekommen; er kann
erheblich in-humanitäre Auswirkungen haben!)


Der christliche Glaube wurde den Menschen nicht
differenzierter aufgezwungen als heute der Markt. Ich wage
sogar zu behaupten, daß das damalige Vorgehen weit weniger
differenziert war als das heutige.

Kommt darauf an. Die Germanen jedenfalls dürften durch ihre
Christianisierung an Differenziertheit nur gewonnen haben.

Na klar! Das war ja auch mein Mißverständnis Dir gegenüber!
Ungeachtet des undifferenzierten Vorgehens _wurde_ die
Existenz, also die Kultur und Wirtschaftsweise usw., die da
"undifferenziert" angepaßt / unterworfen bzw. ausgemerzt
wurden, *differenzierter*!

     [Hm, wenn das man nicht provokant klingt!]

Und die Geschichten von der angeblichen Sachsenschlächterei
Karls des Großen sind im übrigen Märchen und
nationalistische deutsche Propaganda des neunzehnten
Jahrhunderts.

Naja, wenn man aber besser dokumentierte »Religionsanpassungen«
betrachtet, wie bspw. die Auseinandersetzungen innerhalb der
christlichen Welt nach der Reformation -- selbst dann kann von
Differenziertheit nicht unbedingt die Rede sein (Wien soll
gegen Ende des 16 Jh. (?) schon mal zu 90% protestantisch
gewesen sein, was dann durch herrschaftliche Willkür wieder
geändert wurde; von Frankreich ganz zu schweigen; erst Recht
von den Gesetzen, die für Juden galten usw. ... Alle diese
Sachen hatten übrigens auch ökonomische Auswirkungen (von
den anderen ganz zu schweigen).)

Obwohl es nicht in unser Thema gehört, kann ich mir doch
eine Bemerkung nicht verkneifen: ich habe mich eine Weile
lang mit germanischer Mythologie beschäftigt, sofern man da
von "Mythologie" überhaupt sprechen kann. Eine
zusammenhängende Erzählung ist überhaupt erst unter dem
Einfluß des Christentums entstanden. Was davor war, schnurrt
auf einige Rhapsodien zusammen, die an Substanz nicht viel
mehr als Suff und Prügel beinhalten. Die Primitivität und
der geringe Gehalt an Problemen und Fragestellungen ist
erschütternd.

(Ich freue mich darüber, wenn solche "Bemerkungen" nicht
"verkniffen" werden: schließlich dienen sie in jedem Falle
der Horizont-Erweiterung, und das ist genau das, was zwischen
der schöpferischen Arbeit von heute und der von morgen liegt,
oder?)

In Parenthese dazu sei angemerkt, daß ich nicht dazu neige
alles nur ökonomisch erklären zu wollen und ich finde es
daher vollkommen berechtigt, wenn Du ökonomische und
nichtökonomische Kategorien (Markt und Christentum)
gleichberechtigt zur Diskussion stellst. Wenn ich mir die
Exzesse in den Fußballstadien anschaue, so stimmt es
sicherlich, daß sich dort kapitalistisch "entwurzelte"
Menschen austoben. Damit ist aber noch nicht die Frage
geklärt, warum diese Zustände in Deutschland und
Großbritannien besonders übel sind, obwohl diese Länder
ökonomisch und sozial besser dastehen, als beispielsweise
Italien....

¿ vielleicht ja nicht »obwohl« sondern »weil« ?


---------[Warten auf Loriot]----------------

jenem unsterblichen Loriot-Sketch "Das Bild hängt schief",

Kenn ich leider nicht! (Gibt's da 'n link oder so?)

War noch nicht Deine Zeit? der Sketch nimmt ja so eher das
durch die 50er Jahre gegangene Spießertum auf die Schippe.
Wenn du TV hast, wirst Du aber sicher bald eine Wiederholung
zu sehen bekommen -ist ein Evergreen.

Jetz brooch ick doch noch ne Glotze! Wer hätte dit jedacht!?

"Bei uns" sah ja das Spießertum der Fünfziger n'bischen anders
aus - obwohl Loriot auch da (soweit mein Eindruck reicht) nicht
dran vorbeigeht. Aber was mich betrifft, so lebe ich erst seit
kurzem in Groß-Dtl. und bin daher kulturell ein wenig
unterbelichtet.
----------[...]----------------


Beste Grüße,
Casimir.


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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