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Re: [ox] post-conference mail



Hi Flo und alle!

6 days ago Flo Ledermann wrote:
1: Wie kann ich als informationsproduzentIn (in meinem fall
programmierer) freie information (in meinem fall software) herstellen
und trotzdem davon leben?

Das ist - visionär gesehen - die falsche Frage. Du koppelst mit dieser
Frage immer noch die Leistung eines Menschen an sein Lebensrecht: Du
willst etwas herstellen und willst dafür etwas bekommen. Oder
verschärft und negativ: Wer nicht arbeitet soll nicht essen. Das ist
der pure Tausch und damit die Basis des Kapitalismus.

Die Freie-Software-Bewegung hat aber genau diesen Tauschakt komplett
ausgehebelt. Die, die wollen, stellen etwas her und die, die brauchen,
nehmen etwas - ganz ohne Tausch.

die einzige antwort, die mir angeboten wurde, war "na da musst halt
lohnarbeit machen". das mag schon sein, dass das in meinem fall ganz gut
geht, ich lass das aber als konzept fuer eine frei gesellschaft oder
auch nur den uebergang zu einer solchen nicht gelten. diese moeglichkeit
ergibt sich nur aus meiner privilegierten lage als informatiker, sprich
aus der knappheit von informatikerInnen, sprich aus dem bewertungssystem
des kapitalismus. schon ein umlegen auf andere informationsproduzierende
breiche scheitert, geschweige denn bereiche wo materiell etwas
hergestellt/gefoerdert wird.

RMS meint immer, daß er auch ein ganz guter Kellner werden könnte um
seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Will sagen: Du mußt dein Geld ja
nicht unbedingt mit dem verdienen, was du in deiner Freizeit machst.
Die Hobby-TaubenzüchterInnen und BriefmarkensammlerInnen machen ja in
ihrem Hobby auch was anderes als beruflich.

Zum Übergang: Ja, gute Frage: Wie geht eine dominante Form in eine
andere über? Beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus ging's mit
ziemlich massiver Gewalt ab (Stichwort: Ursprüngliche Akkumulation).
Hoffen wir, daß uns das erspart bleibt. Ein genauerer Blick in diese
Zeit könnte uns aber vielleicht ein wenig weiterhelfen.

freie software unterscheidet sich da imho nur in zwei (vielleicht
wesentlichen) details: zum einen die oben angesprochene privilegierte
lage von informatikerInnen, zum anderen die nonhierarchische vernetzung
ueber digitale kommunikation. aber welche rolle spielen plattformen wie
sourceforge, slashdot etc. im kontext der gerade diskutierten aspekte?
sie fuehren ressourcen an einen punkt zusammen, und machen sie damit
ausbeutbar.

Wie Casimir erwähnt hat: Sie machen sie nutzbar - klarerweise auch für
die KapitalistInnen. Das finde ich einen wichtigen Aspekt, daß solche
Zentralisierung - oder meinetwegen Link-Sammlung - einen entlastenden
Charakter hat. Das gilt auch für's Geld - wo es das kann.

2: Wie funktioniert die foerderung von rohstoffen, die herstellung
industrieller gueter und die landwirtschaft in einer freien gesellschaft?

oder anders formuliert: wie verbessert sich durch freie software und die
daraus abgeleitete gesellschaftsvision die lage eines minenarbeiters in
afrika?

Freie Software verbessert die Lage einer MinenarbeiterIn dadurch, daß
sie sie nutzen kann, ohne dafür Unsummen ausgeben zu müssen. Immerhin.

da sind wir halt im massiv materiellem, und bei arbeiten die meist
denkbar wenig mit selbstentfaltung zu tun haben.

Was zu ändern wäre. Du darfst nicht übersehen, daß die
gesellschaftliche Organisation - hier des Werts - bis in die
Konstruktion von Maschinen hineinreicht. Eine Maschine, bei deren
Konstruktion die ArbeiterIn als Verlängerung der Maschine betrachtet
wird, unterscheidet sich wesentlich von einem Instrument menschlicher
Selbstentfaltung und Kreativität. Spannend finde ich, daß mit
Computern, Industrierobotern und ähnlichen Maschinen mit unglaublich
vielen Freiheitsgraden, diese Qualitäten im Kapitalismus selbst
bereits heranwachsen.

im bereich der
landwirtschaft und der herstellung hochtechnische produkte konnte z.b.
franz nahrada mit seiner vorstellung der "globalen doerfer" einige
ansaetze aufzeigen, sei es die permakultur-technologie oder die
vernetzung von doerfern und staedten. aber der bereich der massiven
scheissarbeit, der praktisch vollstaendig in die "3. welt" ausgelagert
ist und dort unter miserabelsten sozialen, gesundheitlichen und
umweltbedingungen verrichtet wird, kam mir doch in allen diskussionen
und visionen zu kurz.

Heute wird diese Verlagerung aus einem einzigen Grund vorgenommen: Du
kannst die Arbeitskraft/Umwelt in der sog. III. Welt billiger
einkaufen als du den gleichen Vorgang hier automatisieren könntest.
Das gilt jedenfalls für alles, wo nicht natürliche Gegebenheiten wie
Rohstofflagerstätten oder Klima die entscheidenden Produktionsfaktoren
sind.

Diese wertgetriebene Sichtweise würde in z.B. meiner Perspektive ja
abgeschafft und richtige Scheißarbeit möglichst ganz wegautomatisiert.
Wie der verbleibende Rest an Scheißnotwendigkeit zu organisieren ist,
ist dann eine Frage, die ich heute mich nicht traue zu beantworten, wo
ich aber zuversichtlich bin, daß die Menschheit das ohne
(strukturelle) Gewaltmittel organisiert kriegt.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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