[ox] post-conference mail
- From: Flo Ledermann <flo subnet.at>
- Date: Fri, 04 May 2001 12:21:57 +0200
morgen allerseits!
nachdem ich am letzten tag bei der offenen runde leider nicht mehr
anwesend sein konnte, auf diesem weg ein bisschen feedback und einige
weiterfuehrenden gedanken/fragen, die ich noch loswerden moechte (fuer
verweise auf faqs, literatur oder websites bin ich sehr dankbar).
zunaechst einmal war es fuer mich ein absolutes schluesselerlebnis, auf
einer definitiv politischen veranstaltung zu sein (ich hatte im voraus
eher eine starke linux/techlastigkeit befuerchtet), bei der es aber
nicht um die verteidigung irgendwelcher grundsatzpositionen und das
sich-eingraben in der eigenen ideologie, sondern das (de-)konstruktive
arbeiten an visionen und neuen positionen ging. schlechte erfahrungen
diesbezueglich hatten mir das linkssein (im "institutionellen" kontext)
naemlich schon ziemlich verleidet. also grossen respekt an alle
teilnehmerInnen, vortragenden (und natuerlich die organisatorInnen) und
ihrem unter-beweis-stellen der moeglichkeit der (ideologischen)
selbstentfaltung ohne gewalt.
was mich ein bisschen gestoert hat war der straffe zeitplan, immer
wieder mussten rednerlisten geschlossen und diskussionen ohne ruecksicht
auf den verlauf abgebrochen werden, weil die naechsten dranwaren. das
naechste mal vielleicht mehr pausen einplanen, die auch als pufferzonen
dienen um gespraeche und diskussionen zu ende fuehren zu koennen.
ausserdem gabs natuerlich das problem, dass eigentlich immer drei
interessante dinge parallel liefen, aber das laesst sich wohl nicht
loesen wenn man nicht eine woche zeit zur verfuegung hat...
auf die konferenz bin ich mit zwei fragen gefahren, die zwar beide nicht
"beantwortet" wurden, aber es war zumindest irrsinnig schoen, leute zu
treffen, die sich die selben fragen stellen und an den antworten
arbeiten wollen.
1: Wie kann ich als informationsproduzentIn (in meinem fall
programmierer) freie information (in meinem fall software) herstellen
und trotzdem davon leben?
die einzige antwort, die mir angeboten wurde, war "na da musst halt
lohnarbeit machen". das mag schon sein, dass das in meinem fall ganz gut
geht, ich lass das aber als konzept fuer eine frei gesellschaft oder
auch nur den uebergang zu einer solchen nicht gelten. diese moeglichkeit
ergibt sich nur aus meiner privilegierten lage als informatiker, sprich
aus der knappheit von informatikerInnen, sprich aus dem bewertungssystem
des kapitalismus. schon ein umlegen auf andere informationsproduzierende
breiche scheitert, geschweige denn bereiche wo materiell etwas
hergestellt/gefoerdert wird.
ein freund von mir ist musiker, und prinzipiell steht er all den ideen
von freier software und freier information sehr aufgeschlossen
gegenueber, aber diese frage konnte ich ihm nicht beantworten. er hat
halt nicht die moeglichkeit, fuer 100-200 mark die stunde "lohnarbeit"
zu verrichten, und wenn er seine musik (sie haben grad einen grossen
plattendeal in aussicht, also durchaus im professionellen bereich) ins
netzt stellt hoert sie zwar vielleicht alle welt, aber "die broetchen"
kommen davon noch nicht auf den tisch.
in einer "informationsgesellschaft" ist der/die informationsproduzentIn
(der/die "kulturschaffende") der neue arbeiter (nicht dass sich dadurch
die lage des "alten" arbeiters irgendwie verbessert haette!): er/sie hat
das, was viel wert ist, naemlich den content. der kapitalismus
beschraenkt sich ja darauf, diesen moeglichst gut auszubeuten, und die
informations-ausbeutungsstrukturen (= medien?) sind schon sehr
ausgefeilt mittlerweile. ueberall gibt es (komerzielle)
contentplattformen, die dir "die moeglichkeit geben" zu publizieren,
geld gibts zwar keins, aber oeffentlichkeit. als koennte man anderswo
keine oeffentlichkeit erreichen, als muesste man dem kapitalismus
dankbar sein fuer diese moeglichkeit. da faellt mir ein, das ganze geht
ja einher mit der systematischen zerstoerung, regulierung und
ueberwachung des oeffentlichen raumes, sei es in der realitaet (in
welcher stadt kann man sich heute noch als strassenmusikant "einfach so"
hinstellen und spielen ohne schwierigkeiten zu bekommen) oder virtuell.
freie software unterscheidet sich da imho nur in zwei (vielleicht
wesentlichen) details: zum einen die oben angesprochene privilegierte
lage von informatikerInnen, zum anderen die nonhierarchische vernetzung
ueber digitale kommunikation. aber welche rolle spielen plattformen wie
sourceforge, slashdot etc. im kontext der gerade diskutierten aspekte?
sie fuehren ressourcen an einen punkt zusammen, und machen sie damit
ausbeutbar. sind nicht die slashdot-leser die kapitalisten von morgen?
ist nicht .org das .com von morgen? in der struktur des web ist die
notwendige zentralisierung und "eindeutige" strukturierung von
information (= wissen = macht?) ja schon angelegt, weil man sonst nichts
findet. ausser dem hyperlink gibt es keine peering- oder
nonhierarchischen aspekte im web.
pfuh, ein bisschen abgeschweift, das hat sich jetzt eher spontan aus
verschiedenen gedankenschnipseln zusammengefuegt, ich stelle es einfach
mal so zur diskussion. und weiter zur naechsten frage:
2: Wie funktioniert die foerderung von rohstoffen, die herstellung
industrieller gueter und die landwirtschaft in einer freien gesellschaft?
oder anders formuliert: wie verbessert sich durch freie software und die
daraus abgeleitete gesellschaftsvision die lage eines minenarbeiters in
afrika?
da sind wir halt im massiv materiellem, und bei arbeiten die meist
denkbar wenig mit selbstentfaltung zu tun haben. im bereich der
landwirtschaft und der herstellung hochtechnische produkte konnte z.b.
franz nahrada mit seiner vorstellung der "globalen doerfer" einige
ansaetze aufzeigen, sei es die permakultur-technologie oder die
vernetzung von doerfern und staedten. aber der bereich der massiven
scheissarbeit, der praktisch vollstaendig in die "3. welt" ausgelagert
ist und dort unter miserabelsten sozialen, gesundheitlichen und
umweltbedingungen verrichtet wird, kam mir doch in allen diskussionen
und visionen zu kurz.
allerdings hab ich auch selbst hier weit weniger an vorschlaegen und
gedanken anzubieten als beim vorigen punkt. aber ich denke, solange die
verbindung zwischen dem konzept der freien information und dem "massiv
materiellem" nicht hergestellt ist, koennen wir auch nicht von einer
"keimform" sprechen, ohne uns damit selbst zu beluegen. eine solche
"keimform" muss schon alle grundlegenden aspekte von menschsein und
gesellschaft zumindest _irgendwie_ addressieren, und da gehts halt als
erstes gleich mal ums materielle.
polemisch koennte man die opensource-bewegung ja auch als "rich boys
movement" bezeichnen, ich will das gar nicht tun, aber nur um der gefahr
von euphorie vorzubeugen ist das hin und wieder nicht schlecht.
uff, es gaebe noch einiges zu schreiben, ich belass es mal dabei und bin
gespannt auf die weitere entwicklung,
lg,
f/0
--
|-
| Flo Ledermann <flo subnet.at>
| "Those who make peaceful revolution impossible
| will make violent revolution inevitable." - JFK
|-
| http://www.mediavirus.org//f/0/
|-
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de