[ox] Rezension zu einem interessanten Buch und Fuchsiges
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Sun, 6 May 2001 10:28:30 +0200
UlrichLeicht t-online.de
Liebe Listige bei oekonux und krisis,
Anbei zur INFO - nach dem Highlight Kongress - wieder einmal etwas Profanes und
Alltägliches. Fruchtbarer vielleicht als das Räsonieren über links und rechts
(möglicherweise ohnehin ein "Polit(raster)"-Koordinatensystem, das heute nicht
mehr sehr aussagekräftig und nützlich ist), möchte ich die Aufmerksamkeit auf
eine Publikation zu den "pump-kapitalistischen" Realitäten der
warenproduzierenden kapitalistischen Gesellschaft "dieses unseres Landes"
lenken, zu der ich für die Zeitschrift "express" eine Rezension geschrieben
habe.
Der Analyse und Kritik politiökonomischer Realitäten kann sich weder der
krisis-bewegte noch der Oekonux- und freie Software-Protagonist wie jeder
andere "Umwälzer" bestehender Verhältnisse entziehen, sollen seine
Konzepte und auch Utopien nicht im luftleeeren (un-gesellschaftlichen) Raum
verpuffen. (Die uns allen womöglich drohende, dann prekäre, "Grundsicherung"
bayrisch-sächsischer Kommissions-Provinienz, Ulrich Beck-assistiert,
läßt grüßen).
Die kybernetische Maschinerie kapitalistischer Verwertung läuft gar nicht so
rund, gerät immer deutlicher an ihre inner-widersprüchlichen Schranken. Das
Spannende sind nicht die wirklichen oder vermeintlichen "Idioten des Kapitals"
(die Christian Fuchs so am Herzen liegen) sondern die "Idiotie des
kapitalistischen Systems", daß Produktivkräfte gebiert und entfesselt,
stoffliche Resourcen und Potentiale - wie "wertlose" software auch - die längst
über die (Produktions)Verhältnissse, die Schranken von sinnlosen, abstrakten
Verwertungszwängen hinausweisen und ansatzweise sogar sprengen.
Wenn die Wissenschaft, die eigentlich nichts "wert" aber kostenträchtig ist,
zur entscheidennden Produktivkraft und die Arbeit zu einem Anhängsel wird, dann
ist die kapitalistische Verwertungsmaschinerie objektiv schon ziemlich am Ende
und in "Wertschöpfungs-Nöten". Die Nöte sind so groß, daß sie sich natürlich
auch diese "wertlosen" (= auch kostenlosen) free-software-Entwicklungen gerne
zu nutzen machen möchte. Diese "Idiotie" ist aber eher ein Zeichen der Schwäche
als der Potenz und letztlich ein sinnloses und "wertloses" (nicht
profit-rettendes) Unterfangen.
Das hatte, wenn ich recht verstanden habe, auch Christian Fuchs in der Debatte
vor einem halben Jahr (und in diversen Artikeln auf seiner homepage) u.a. auch
versucht, deutlich zu machen. Deshalb hatte ich ihn in der Diskussion um "human
capital", Wissens- und Informationsgesellschaft ins Spiel gebracht. Wer dem
Kapitalismus soviel verrückte "Idiotie" nachweisen kann wie Christian Fuchs,
der hatte es eigentlich damals schon nicht nötig, sich auf so "idiotische"
Weise aus der Oekonux-Liste zu verabschieden, noch jetzt einen Artikel mit
denunziatorisch "idiotischen" Anspielungen auf Merten, Meretz und Co. in den
"Streifzügen" zu schreiben.
Denn solange sie "arbeiten gehen" und "Geld verdienen (müsssen)", sind auch
Fuchs und Leicht und Co. "Idioten" des Kapitals. Überheblichkeit (schon gar
nicht diffamierende) ist also überhaupt nicht angebracht, am wenigtsen
gegenüber denjenigen, die, wie auch M.und M. und Co., andere Wege jenseits von
Arbeit, Geld und Markt und Staat und herkömmlichem Politisieren anvisieren und
ausloten.
Daß eine solche Perspektive die einzig zukunftsträchtige ist, daß könnte auch
als ein Fazit aus der Analyse und Kritik von Professoer Rainer Roths Buch
"Kartenhaus ..." gezogen werden. Zur Lektüre empfohlen, zwar nicht wertlos aber
ausgesprochen preiswert.
Gruß
Uli
********************************** Rezension *******************************
Die Kapitallogik und ihre Folgen auf dem Prüfstand
Von Ulrich Leicht*
Rainer Roth: "Das Kartenhaus. Ökonomie und Staatsfinanzen in Deutschland",
DVS-Verlag, 2. Aktualisierte Auflage, Oktober 1999
Völlig zu Recht hat das Buch "Das Kartenhaus. Staatsverschuldung in
Deutschland" des Frankfurter Fachhochschulprofessors Rainer Roth in seiner 2.
aktualisierten Neuauflage von Ende 1999 auf dem Umschlag den erweiterten Titel
"Ökonomie und Staatsfinanzen in Deutschland" erhalten. Im Gegensatz zu manch
anderen Verpackungen, die nicht halten, was sie versprechen, ist es bei diesem
- in seiner Art einzigartigen Kompendium - durchaus gerechtfertigt.
Denn in der Tat hat Rainer Roth ein Buch geschrieben, das nicht nur die
Staatsverschuldung und ihre Ursachen von allen Seiten beleuchtet, sondern dabei
die ökonomischen Verhältnisse dieses kapitalistischen Deutschland umfassender
und auch die gesellschaftlichen Verhältnisse und wichtige Bereiche der Sphären
von Staat und Politik in ihren Grundzügen darlegt. Aus den Unterlagen des
Statistischen Bundesamtes, von Ministerien, der Wirtschaftsinstitute und
Wirtschaftsverbände, des DGB, der alternativen Memorandum-Wissenschaftler und
aus kompetenten Publikationen von A-Z - von Afheldts "Wohlstand für niemand"
über Gorz' "Kritik der ökonomischen Vernunft", Hickels "Standort-Wahn und
Euro-Angst", Oggers "Absahnen und Abhauen", Norbert Walters "Ethik + Effizienz
= Marktwirtschaft" bis zu Karl Georg Zinns "Die Wirtschaftskrise" - trägt der
Autor reichlich Zahlen, Fakten und Argumente zusammen und bietet diese für
"Praktiker", sozial engagierte Menschen und aktive Gewerkschafter wie z. B.
auch mich gebündelt dar. Das macht dieses zudem sehr übersichtlich gegliederte
Buch zu einem richtigen Nachschlagewerk.
Dass Rainer Roth das Zahlen- und Faktenmaterial (in angenehm unaufdringlicher,
lebendig-konkreter und vielleicht deshalb auch überzeugender Weise) im Lichte
der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie zu sezieren, interpretieren und
im Zusammenhang zu veranschaulichen weiß, macht das ganze Unternehmen - der
Staatsverschuldung, der Krisenhaftigkeit und systembedingten
Widersprüchlichkeit und Perversion der kapitalistischen Marktwirtschaft
gründlich und ohne Tabus auf den Leib zu rücken - dann noch spannender und
auch zu einem bemerkenswerten Werk systemanalysierender und -kritischer
Publikationen hierzulande. Vielleicht brauchte es des Blickes eines sich
radikaler Gesellschaftskritik verpflichtet fühlenden Nicht-Ökonomen, aber
engagierten Sozialwissenschaftlers (Roth ist Vorsitzender des Vereins
"KLARtext" und Mitarbeiter in der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Sozialhilfeinitiativen), um sich weder durch "volkswirtschaftliche Weisheiten"
noch durch falsche Argumente, Sichtweisen und Mythen den Blick trüben zu
lassen, die sich auch in gewerkschaftlichen, wirtschafts-alternativen oder
"linken" Kreisen finden.
Achtung, sie betreten den ökonomischen Sektor ...
Rainer Roth nimmt die Vertreter von Banken, Konzernen und Politiker beim Wort
und stellt die Finanzen, die Staatsschulden, ja die bundesdeutsche Ökonomie auf
den Prüfstand. Er gibt sich mit keiner der Erklärungen von dieser wie auch von
Seiten der Gewerkschaften zufrieden. "Die vorherrschenden Erklärungen der
Staatsverschuldung werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Sie reißen
häufig Zusammenhänge auseinander, um sie nach jeweiligen Sonderinteressen
zurechtzubiegen, deshalb werden die Probleme meist nicht zu Ende durchdacht.
Uns geht es im Gegensatz dazu nicht darum, Beweise für vorgefertigte
Denkschablonen und Interessen zu suchen. Es geht darum, die realen Verhältnisse
schonungslos zu untersuchen und die den Erscheinungen zugrundeliegenden Gesetze
wissenschaftlich zu analysieren. Nur daraus sind praktische Möglichkeiten
abzuleiten, die das Problem nicht noch verschlimmern, das sie angeblich lösen
wollen." (Aus dem Vorwort)
Im Anschluss an eine einleitende Darstellung der Problematik der
Staatsverschuldung und gängiger Erklärungen dieses Phänomens stellen sich Roth
eine Reihe von Fragen, die auch für die Verfechter einer immer wieder
beschworenen "anderen Politik" spannend sein dürften: "Wieso steigt die
Staatsverschuldung, unabhängig davon, ob eine richtige oder eine falsche
Politik angewandt wird? Wie kommt es, dass jede ?richtige' Politik bisher zum
Gegenteil dessen geführt hat, was sie versprochen hat? Wie kommt es, dass alle
Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ihre Steigerung nicht verhindern
konnten?" Damit gibt er auch die Perspektive an, in der seine eigene
Untersuchung verfährt: "Alle oben genannten Erklärungen enthalten in
verschiedenem Maße richtige Einschätzungen. In welcher Weise, das versuchen wir
im weiteren Verlauf zu entwickeln. Aber sie werfen auch viele Fragen auf, die
sie nicht mehr beantworten. Die Analyse bricht meistens dann ab, wenn sie die
Sphäre des Politischen verlässt, als würde über der Ökonomie ein Verbotsschild
stehen: >>Achtung, sie betreten hier den Sektor des privaten Eigentums. Für die
Folgen weiteren Nachdenkens kommen wir nicht auf<<. Wissenschaftliche Arbeit
wäre aber von vornherein in ihren Erkenntnissen beschränkt, wenn sie sich die
Reichweite ihrer Analyse durch Eigentums- und Machtverhältnisse vorschreiben
lassen würde." (S. 11)
Nach dieser Maxime verfährt Rainer Roth und stellt, um Ursachen und Folgen
ohne Beschränkungen durchleuchten und an den Wurzeln packen zu können, die
Mechanismen der kapitalistischen Ökonomie, die zweifelsfrei das
gesellschaftliche und politische Leben in diesem Lande bestimmen, anhand von
konkreten Daten und Fakten auf den Prüfstand. Und für den vorurteilsfreien
Analytiker stellen sich als Grundmechanismen, gewissermaßen als
"Schwerkraftgesetz" der Ökonomie, zu dem die Funktionselite des Kapitals steht
und den sie bei "Strafe ihres eigenen Untergangs" (Marx) konsequent verfolgt,
"keineswegs die Befriedigung allgemeiner menschlicher Bedürfnisse und
Lebens-Interessen, der Erhalt von Natur und Umwelt dar, sondern die
selbstzweckhaften Verwertungsinteressen des Kapitals, die Verwertung des Werts
um seiner selbst willen, auch zu beschreiben als "Profitlogik".
Die Maxime: dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegentreten
Dieser mehr als die Ökonomie bestimmende Antrieb kapitalistischer
Produktionsweise wird in Rainer Roths Analyse und Darstellung vom Sockel der
"Heiligsprechung" gestoßen und einem eingehenden TÜV unterzogen. Der Autor
kommt zu einem meines Erachtens fundierten, gut belegten und begründeten
Untersuchungsergebnis: Sei es bei der Erklärung der zunehmenden
Staatsverschuldung wie übrigens auch der der privaten Haushalte und
Unternehmen, der massiven Beschneidungen von Renten und
Sozialtransferleistungen, der wachsenden strukturellen Arbeitslosigkeit oder
den Plänen zu Steuer- und anderen so genannten Reformen, immer stoßen wir auf
den Knackpunkt, dass die politischen Konzepte und Sorgen letztlich darum
kreisen, wie der "erlahmenden Ökonomie", dem "Standort Deutschland" auf die
Sprünge zu helfen und bessere Wettbewerbsbedingungen und -fähigkeit zu
gewährleisten seien. Und dabei geht es letztlich und ursächlich darum,
Profitraten nicht nur zu halten, sondern es geht - Roth beschreibt es
eindrucksvoll - um Profitratensubvention aller Art.
Denn entgegen auch landläufiger "linker" Meinung diagnostiziert er völlig
zurecht und auch empirisch nachvollziehbar, dass mit dem markanten
Kriseneinbruch Mitte der 70er Jahre auch in diesem Lande der langfristige Fall
der Profitraten (in Marxschen Kategorien: der Verwertungsgrad des eingesetzten
Gesamtkapitals, abhängig von Mehrwertrate, also Ausbeutungsgrad der
Arbeitskraft, und organischer Zusammensetzung des Kapitals -, nicht zu
verwechseln mit Profithöhen und/oder Gewinnen) in allen Sektoren (vor allem
aber auch im kapitalproduktiven, mehrwertschöpfenden) industriellen Bereich
Fakt ist. Die Klagen der Funktionsträger des Kapitals stellen für Roth
entsprechend nicht nur "zum Handwerk dazugehörende verfälschende Propaganda"
dar, sondern haben einen realer Hintergrund. Fazit: "Die deutsche Wirtschaft
wächst heute nur noch, weil der Staatskredit sie vorantreibt. Da die innere
Dynamik weitgehend aufgebraucht ist und dementsprechend die Dynamik des Staates
auch, wird die ?Dynamik' heute nur noch durch ?äußere Anstöße', die
Verschuldung erzeugt. Der Kapitalismus in Deutschland befindet sich damit in
einem Stadium künstlicher Beatmung durch Kredite" (S. 98)
Wahrlich ein Kontrast zu gängigen Auffassungen selbst in Kreisen der
"mainstream"-Linken und Gewerkschaften, die nie gerne über die
Krisenhaftigkeit, geschweige denn die unlösbare, des Kapitalismus reden,
sondern meistens die von Roth ebenfalls genauer unter die Lupe genommene und
kritisierte Rechnung und Argumentation des DGB vom April 1999 gebetsmühlenartig
übernehmen: "Die Kapitalrentabilität der Unternehmen ... ist ausgezeichnet und
so hoch wie in den früheren Vollbeschäftigungszeiten Anfang der siebziger
Jahre" und: "Dem Kapital ging es schon lange nicht mehr so gut wie in den
letzten Jahren." Auch in solchen Fällen hinterfragt und seziert Rainer Roth
genauer, prüft die Bezugsgrößen in Statistiken, pflückt Profithöhe, Netto- und
Brutto-Kapitalrendite und Sachanlagevermögen, die verschiedenen
Rendite-Varianten und andere wichtige Kriterien sauber auseinander und macht
deutlich, dass bei tieferer Analyse der Zahlen eine andere, die realen
Verhältnisse nicht verklärende Bewertung getroffen werden muss: So sind zwar
die Gewinne (Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen) gestiegen und auf
Rekordhöhen, doch die Profitrate fällt, insbesondere im industriellen Bereich,
absolut und relativ immer mehr zu Lasten der Banken, des Handels und
Transportgewerbes: "Deutlich kann man einen langfristigen Fall der
gesamtwirtschaftlichen Rendite feststellen. Bis heute hat (diese) nicht mehr
das Niveau von 1970 erreicht. Sie pendelt seit 25 Jahren um das Niveau des
Krisenjahres 1973"(S. 22).
Für die Analyse der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung, und die wird
durch die Profitrate markiert, sind deshalb, wie Roth richtig darlegt und
beweist, nicht die Netto-Gewinnhöhe, sondern die Bruttorechnung (Bruttogewinne)
vor Abzug der Steuern und eben nicht die, auch vom DGB herangezogenen, Zahlen
zur Netto-Kapitalrendite entscheidend und aussagekräftig. Denn diese werden nur
unter Inkaufnahme hoher volkswirtschaftlicher Kosten und verheerender
ökonomischer und sozialer Folgen für die Gesamtgesellschaft und die betroffene
Mehrheit der Bevölkerung erzielt. Durch massive Vernichtung von Arbeitsplätzen
wurde versucht, die Relation von konstantem zu variablem Kapital zugunsten des
ersteren zu korrigieren, um dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken. Aber das
alleine hätte nicht gereicht, denn die Gewinnsteigerung ist in diesem Fall gar
kein Zeichen von Stärke des Kapitals, da sie nicht auf einer gestiegen Wert-
oder Mehrwertschöpfung durch Ausdehnung der Kapitalakkumulation basiert,
sondern wesentlich auch auf einer staatlichen Profitraten-Subvention per
drastischer Steuerentlastungen in bislang nicht dagewesenem Ausmaß. Das
Resultat ist bekannt: eine Staatsverschuldung in nie gekannter Höhe. Die
Wachstumsraten des Volkseinkommens (Unternehmergewinne und Lohneinkommen), aus
denen der Staat seine Steuern bezieht, haben sich seit 1970 bis 1997 von 8,3
auf 4,1 Prozent halbiert.
Um dem langfristigen Fall der Profitraten entgegenzusteuern ist die Steuerlast
für Unternehmen von gleichbleibend ca. 21 Prozent für die Jahre von 1960 bis
1980 auf heute nahezu nur noch 8 Prozent heruntergeschraubt worden. Selbst die
Gewinne sind heute, anders als zu Zeiten ?fordistischen Wirtschaftsbooms',
nicht mehr das, was sie einmal waren, Resultat galoppierender Wertschöpfung
und Kapitalakkumulation, sondern galoppierender Verschuldung. Ich glaube, dass
Roths Analyse Beleg dafür ist, dass wir es objektiv mit einer neuen Stufe
von Krisenentwicklung, der inneren Schranke des kapitalistischen
warenproduzierenden Systems zu tun haben, in der mit der wertschöpfenden
?produktiven Arbeit' auch die Wert-, sprich Profit-Masse effektiv sinkt.
Vielleicht sind wir heute näher am ?point of no return' zu ?besseren alten
Zeiten' eines sozial gezähmten und regulierten Kapitalismus, und bewahrheitet
sich Marx Aussage "Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das
Kapital selbst" (Kapital, III Band) realer als je zuvor.
Dies ist nur ein Beispiel für die gründliche und zugleich anschauliche
Vorgehensweise Rainer Roths. Er nimmt den Leser mit auf die Reise gängiger
Argumentationen, um diese systematisch anhand empirischen Materials und im
Lichte einer politökonomischen Kritik auf den Prüfstand zu stellen. Kaum ein
solch umfangreiches Werk (mehr als 400 Seiten, gespickt mit vielem
Zahlenmaterial und Tabellen) präsentiert sich dabei so übersichtlich und gut
lesbar wie dieses. Am Ende der vier Hauptkapitel "Logik des Kapitals als
Ursache der Staatsverschuldung" , "Logik des Geldkapitals als Ursache der
Staatsverschuldung", "Privatinteressen als Ursache der Staatsverschuldung" und
"Internationalisierung (Globalisierung) als Ursache der Staatsverschuldung"
finden sich jeweils orientierende Zusammenfassungen. In einem Extra-Kapital
werden die sich gar nicht so feindlichen Brüder "Keynesianismus und
Neoliberalismus" genauer beleuchtet und als zwei Seiten einer Medaille des
Staatsinterventionismus analysiert. Und es fehlt auch nicht ein Ausblick, den
Roth als Hinführung zu einem System der Produktion und Versorgung der Menschen
vorstellt, das nach gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen und Interessen sowie
nach "gesamtwirtschaftlicher Rentabilität" statt nach betriebswirtschaftlicher
(Kapital)Logik abläuft.
Wahrscheinlich würde ich um diese wichtigen, aber schwierigen Fragen des
Auswegs und was wir heute tun können und müssen, mit Rainer Roth trefflich
streiten können. Z.B. darüber, ob das "Allgemeininteresse" und das Interesse
der LohnarbeiterInnen wirklich identisch sind und 'nur noch' zusammenfinden
müssen, oder ob nicht "konstantes" und "variables Kapital" nicht auch nur zwei
Seiten einer gar nicht grundwidersprüchlichen (Kapital)Medaille sind, eines
sich gegenseitig bedingenden Kapitalverhältnisses, und die Perspektive einer
nicht profitorientierten Gesellschaft jenseits von Kapital, aber auch
(Lohn)Arbeit liegen muss.
Dies tut aber der wirklich einzigartigen Analyse und Kritik, die Rainer Roth
mit diesem Buch gelungen ist, keinen Abbruch. Einzigartig ist auch der Preis:
nur DM 25 für 450 Seiten.
·Ulrich Leicht ist Industriebuchbinder, Schichtarbeiter,
Betriebsratsvorsitzender und Sprecher der IG Medien Dortmund, jetzt auch
Mitglied des Bezirksvorstandes Dortmund von ver.di.
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