Message 02041 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT01989 Message: 4/5 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Fwd: Panokratie



Hi Tobias!

Ich sehe, da gibt's noch einen anderen Thread zu diesem Thema. Komme
ich irgendwann später dazu.

Last week (9 days ago) Stefan Merten wrote:
Date:  Wed, 4 Apr 2001 15:51:09 EDT
From:  TobiDemuth aol.com
Subject:  [pox] Panokratie
To:  projekt oekonux.de
Message-Id:  <8.129f34af.27fcd52d aol.com>

Geht mal auf www.panokratie.de, die haben das selbe Anliegen wie ihr. Nur
baut das Ganze seit Anbeginn der panokratischen Idee auf Politik auf und hat
sich nicht wie bei euch aus einem anderen Projekt entwickelt...

Ich war eben mal kurz auf der Site und habe die kurze Einführung unter

	http://www.panokratie.de/Panokratie-Buch-Download/Kurze_Einfuhrung_in_die_Panokr/kurze_einfuhrung_in_die_panokr.htm

gelesen. Puh - das erinnert mich doch sehr an die Sachen, in denen
auch ich meine Wurzeln habe. Dummerweise leider an das, was ich damals
bei vielen AnarchistInnen schon nicht mochte :-( . Ich hoffe, du bist
mir für den ironischen Tonfall nicht böse, der im Folgenden öfters
durchkommen dürfte.

Ich formatiere den Text mal als Zitat, auf das ich dann gleich
antworte.

Die Grundidee der Panokratie ist der konventionellen Anarchie nicht
ganz unähnlich, denn auch in einer Panokratie gibt es keine
Herrscher, keine Beherrschten, keine Gesetze, keine Justizbehörden
und kein Geld. Die Panokratie macht aber da weiter, wo die Anarchie
aufhört, so dass die Panokratie auch als moderne, hochkomplexe
Gesellschaftsform existieren kann.

Da muß ich aber doch eine Lanze für den Anarchismus brechen ;-) .
"Die" Anarchie gibt es nicht. Es gibt wohl kaum eine breitere
politische Schule als den Anarchismus. So gesehen würde ich die
Panokratie nur als eine weitere Schule innerhalb des breiten
anarchistischen Stroms betrachten.

Aber hier haben wir schon den m.E. wichtigsten Unterschied zu Oekonux:
Die Panokratie geht - wie die allermeisten politizistischen Strömungen
- von einer Idee aus. Sie ist mithin eine idealistische Angelegenheit
(idealistisch im Sinne der Marx'schen Kritik am Idealismus).

Das ist bei Oekonux aber ganz anders - und wie ich als alter
Materialist finde auch viel richtiger. Wir gehen von der sich
entwickelnden Realität aus, die uns heute netterweise den Gefallen zu
tun scheint, eine (r)evolutionäre Perspektive zu bieten, die den Namen
wirklich verdient.

Klar wir bauen auch Visionen und Utopien. Der Unterschied scheint mir
aber zu sein - und der wäre wichtig -, daß wir schauen, was sich ganz
konkret in der Welt entwickelt und nicht uns als quasi Außenstehende
überlegen, wie die Welt aussehen müßte, wenn sie so sein soll, wie wir
sie gerade gerne hätten.

Dieses in-der-Welt und mit-der-Welt Sein ist für mich jedenfalls einer
der wichtigsten Aspekte von Oekonux und nach meiner festen Überzeugung
auch der tiefere Grund für den Erfolg, den dieser Laden hier hat. Und
BTW: Ich weiß wovon ich rede, wenn ich von Erfolg rede. Nach zehn
Jahre in der anarchistischen Bewegung weiß ich, wie sich eine
marginalisierte - und sich selbst oft marginalisierende! - Gruppierung
anfühlt. Kein Vergleich zum Oekonux-Feeling :-) ...

Die Menschen leben in sogenannten "Moyzellen" zusammen, eine
Mischung aus Familie, Clique und WG, die aus ca. 15 bis 50 Personen
bestehen sollte. Die Moyzelle stellt die unterste Einheit der
panokratischen Parzellierung dar. Rund 15 bis 50 Moyzellen schließen
sich zur nächsthöheren Subsidiarzelle, der Poyzelle, zusammen.
Wiederum 15 bis 50 Poyzellen schließen sich zu einer Fayzelle
zusammen, und so geht es immer weiter nach oben, bis alle Menschen
erfaßt sind. Die jeweils höchste Subsidiarzelle stellt "Tjo" dar.
Tjo heißt das Land bzw. die Gesellschaft, in der eine Panokratie
verwirklicht wird.

Und da lief es mir früher schon immer kalt den Rücken runter: Wenn die
gestandenen AnarchistInnen sich hinsetzen und beginnen Kästchen zu
malen und Striche dazwischen zu ziehen und das dann als die neue
Gesellschaft verkaufen. Was mich früher schon immer gewundert hat:
Diejenigen, die die Hierarchien lautstark verteufeln, haben überhaupt
kein Problem damit, eine mega-mächtige Hierarchie zum Grundstein ihres
Modells zu machen. So nach dem Motto: Wir müssen die Hierarchie nur
richtig bauen dann ist das schon ok.

Wenn ich's mit heutigen Augen nochmal betrachte, fällt mir auch auf,
was mich da so abstößt. Da wird nämlich im Kern die ganze alte
Gesellschaft mir nichts dir nichts mal schnell reproduziert. Alles ein
bißchen sauberer und wir wissen jetzt auch genau wieviele Leute in den
Großfamilien leben - aber letztlich doch nur alter Wein in neuen
Schläuchen.

Ganz anders bei Oekonux. Wir schauen uns an, was sich an der Spitze
der Entwicklung tut. Über die Freie-Software-Szene läßt sich sicher
viel sagen - aber in Kästchen pressen läßt sie sich sicher nicht. Und
das finde ich eine der spannendsten Sachen daran. *Das* ist das
richtige Leben. *Da* entwickeln real existierende Menschen aus ihren
hochkonkreten Bedürfnissen heraus und ohne irgendeinen ideologischen
Monster-Überbau im Kopf die Formen, die gut für sie sind. Und die
entsprechen eben nicht der reinen anarchistischen oder sonst-was
Lehre. Die sind unterschiedlich und bunt und passen auf die
Verschiedenartigkeit der Leute, die sie sich gerade so zurecht biegen,
wie sie's gerade brauchen.

Und glaube mir: Ich habe das auch erstmal verdauen müssen, daß es da
durchaus auch autoritäre Formen gibt. Aber ich habe heute auch eine
Erklärung dafür, warum das geht und habe nicht versucht, das
Rauszurechnen. Daß das für die Betroffenen ok ist, ist hier sowieso
klar. Und die Bedürfnisse der Betroffenen wären für mich sowieso die
letzte Meßlatte, die AnarchistInnen leider auch schon mal gerne aus
der Hand legen.

Der Sinn dieser Schachtelung ist, dass anfallende Arbeiten gemäß den
Fähigkeiten und Wünschen der unteren Subsidiarzellen so weit wie
möglich nach unten verteilt werden.

Eine Vorgabe, die heute gerechterweise kein Mensch machen kann. Warum
soll das sinnvoll sein? Subsidiarität ist kein Wert an sich (oder
Franz?). Zentralisierte Industrieproduktion hat z.B. völlig
unbestreitbar ihre ganz massiven Vorteile.

Außerdem ist diese Schachtelung
Voraussetzung für die Individualwacht, welche die Gewalt auf alle
Personen gleichmäßig verteilt, da in es in der Panokratie keine
konzentrierte Macht (Polizei u.a.) mehr gibt. Ziel dieser
Individualwacht ist es, die Bildung von neuen Hierarchie zu
verhindern. Das wird erreicht indem jedeR einzelne auf sich selbst
und auf die Rechte und Freiheiten der ihn/sie Umgebenden aufpaßt.
Genau so wird es mit den einzelnen Subsidiarzellen gehandhabt, das
heißt das jede Moyzelle ihre Nachbar- Moyzellen kontrolliert; jede
Poyzelle ihre Nachbar-Poyzellen und so weiter.

Darauf gehe ich mal im Rahmen dieser Debatte nicht ein.

In der Panokratie wird es sowieso kaum Verbrechen geben, weil es
ganz einfach kaum noch Motive dafür geben wird. Da es in der
Panokratie kein Geld mehr geben wird, wird es auch keine
Eigentumsdelikte mehr geben. Und weil alle Menschen in einer
friedlichen und angenehmen Atmosphäre leben, wird es auch nicht mehr
zu Gewaltverbrechen in den Dimensionen, wie sie zur Zeit vorhanden
sind, kommen. Sollte es doch mal zu Konflikten kommen, werden diese
"rituell" gelöst.

Das ist natürlich ausgesprochen wohlfeil: Einfach Konflikte
wegdefinieren. Nee, das halte ich für Humbug. Konflikte wird es geben
solange es Menschen gibt und das ist ja auch eine spannende
Herausforderung.

Die Hoffnung, die ich mit einer GPL-Gesellschaft hege, ist, daß die
Konflikte nicht mehr über den Fetisch Geld oder einen anderen Fetisch
abgewickelt werden, sondern daß es konkrete Abwägungen bzgl. konkreter
Bedürfnisse gibt. Das fände ich schon einen Riesenfortschritt.

In der Panokratie existiert eine geldlose Schenkwirtschaft. JedeR
MoyzellenbewohnerIn arbeitet aus freien Willen nach seinen/ihren
Fähigkeiten und Wünschen und verschenkt danach seine/ihre Güter bzw.
Dienstleistungen an die übrigen MitbewohnerInnen. Da sich die
MoyzellenmitgliederInnen untereinander sympathisch sind (sonst
würden sie ja auch nicht zusammen leben), stellt diese
Schenkwirtschaft auch kein Problem dar.

Das ist natürlich ein völlig krasser Gegensatz zu Oekonux: Die
GPL-Gesellschaft ist *keine* Schenkwirtschaft. Freie Software wird
nicht verschenkt. Die beste Formulierung, die ich für dieses
Verhältnis bisher gefunden habe, ist das Nehmen von Gütern, die zur
Verfügung stehen. Das ist etwas fundamental anderes als Schenken.

Dazu leuchtet durch dieses Bild m.E. doch das universelle
Handwerkertum durch. Auch das ein krasser Gegensatz zu Oekonux, wo wir
auf der industriellen Basis weit jenseits von Handwerkertum aufsetzen
und diese Basis weiterentwickeln. Nach meiner Überzeugung kann keine
Utopie unterhalb des erreichten Stands antreten. Leider neigen die
AnarchistInnen - und mit ihnen viele Ökos - sehr dazu, sich auf eine
vormoderne und noch dazu hoffnungslos romantisierende Idylle
zurückzuziehen.

Aufgrund der Schachtelung Tjo´s stehen alle Güter und Maschinen
allen MoyzellistInnen gleichzeitig zur Verfügung. Daraus resultiert,
das die anarchistische Wirtschaftsform um vieles wirtschaftlicher
und effektiver sein wird als der derzeit existierende Kapitalismus.
Außerdem tritt in der Panokratie eine Produktreduktion ein, denn es
werden durch die Gemeinschaftsnutzung viel weniger Güter benötigt.
So hat dann nicht jedeR einen eigenen Fernseher oder eine eigene
Küche, sondern es gibt einen gemeinsamen Kinosaal oder eine
gemeinsam benutzbare, gemütliche Kantine. So ist es sogar möglich
einen gemeinsamen Fitnessraum, Swimmingpool, ein Labor oder ein
Atelier bereit zu stellen. Selbstverständlich hat jede Person
weiterhin sein/ihr eigenes Zimmer, eigene Klamotten, ein eigenes
Bett, eine eigene Zahnbürste und ganz persönliche, private
Gegenstände. Wichtige Entscheidungen, die in Tjo zu treffen sind,
werden mittels modernster Technik per Volksabstimmung getroffen, so
dass alle die Möglichkeit haben, mitzubestimmen.

Beim Loblied auf die Kollektivierung würde ich ja sogar ein Stück
mitgehen. Aber das ist eigentlich mehr eine recht logische Folge aus
der Idiotie der Zwangsprivatisierung im Kapitalismus.

Oekonux betont aber von der Freien Software lernend die Effektivität,
die insbesondere die Vergesellschaftung von Wissen hat.

Mortek

Ach und auch noch diese Pseudonym-Verliebtheit... Ein weiteres Indiz
für das Nicht-in-der-Welt sein.

Was ich auf eurer Link-Seite nicht verstehe sind die Links zu den
Gesellianern/Freiwirten. Wenn ihr ohne Geld auskommen wollt, dann
müßten doch eigentlich alle Brücken zu diesen Leuten, die letztlich
nur mit untauglichen Mitteln den Tausch optimieren wollen, abgebrochen
sein.


Nee, nee, irgendwie finde ich die Ähnlichkeiten zwischen der
Panokratie und dem was wir hier so diskutieren doch - wenn überhaupt -
sehr an der Oberfläche. Vielleicht ist ja die Darstellung falsch, die
ich mir auf die Schnelle gegriffen habe. Aber dafür können wir das ja
hier debattieren.

Womit ich aber richtig ein Problem habe, um dessen Abstellung ich BTW
auch bitten würde, ist dieser Eintrag auf eurer Link-Seite:

Konferenz zur GPL- oder Schenkwirtschaft: www.oekonux-konferenz.de

Das ist - landläufiges Verständnis vorausgesetzt - schlicht falsch. Es
geht in unserer Denke *nicht* um eine Schenkwirtschaft. Näheres s.o.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT01989 Message: 4/5 L1 [In index]
Message 02041 [Homepage] [Navigation]