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[ox] Re: Kapitalistische Technik wiederverwendbar?



Hi Matthias und alle!

Ich packe mal meine beiden Antworten in diese Mail. Subject paßt
ohnehin gut.

6 days ago Matthias Wirwall wrote:
hier nun meine dritte Mail, wobei ich bei den anderen Antworten langsam
Minderwertigkeitskomplexe bekomme.

Dazu vorweg. Also: Ich persönlich finde das Niveau hier auch oft sehr
hoch. Das freut mich einerseits weil es der Diskussion m.E. (in diesem
Fall) gut tut, andererseits finde ich es bedauerlich, wenn sich Leute
dadurch abgeschreckt fühlen wie Matthias hier andeutet. Und auch ich
z.B. muß oft erstmal einfach was hinfabulieren, damit in diesem
Ideen-Melting-Pot hier was Brauchbares draus wird. Aber das ist m.E ja
gerade der Sinn der Veranstaltung - und nicht nur eine reine
Paper-Abwurf-Liste mit gelegentlicher gegenseitiger Zerfleischung wie
ich das auf anderen Listen erlebt habe (Krisis-Kenner dürften jetzt
eine Assoziation haben ;-( ...).

In diesem Sinne kann ich nur an die vielen Schweigsamen auf der Liste
appellieren, uns ihre Gedanken nicht vorzuenthalten - gerade wenn ihr
Kritik an dem Gesagten habt. Nur dadurch wachsen wir alle.

Und BTW: Ich antworte auf viele Beiträge nicht, die ich gut und
gelungen finde. Reaktionsmenge ist also nicht unbedingt ein
Qualitätsmaß.

Genug der Vorrede:

Dito.

Stefan Merten schrieb:
Stefan hat ein anderes Beispiel für funktionierende Grundsicherung
ohne Arbeit angebracht. Dein Gegeneinwand war: Ja, aber global
gesehen funktioniert das nicht. Du sagst aber nirgends, warum das
nicht gehen sollte.

Doch sagt er:

1. Es gibt Tätigkeiten, die *können* aus irgendwelchen Gründen
niemals, zumindest aber in absehbarer Zeit nicht so gestaltet
werden, daß sie

* entweder automatisiert sind oder

* Leute das als Selbstentfaltung im erweiterten Sinne (also incl.
Notwendigkeit)

machen werden.

Dafür gibt er keine Gründe an, aber da sind wir auch sicher im
Bereich des Glaubens. Ernsthafte Prognosen würden hier einen
erheblichen Aufwand bedeuten und ich hätte nicht mal eine Idee, wie
so etwas angegangen werden könnte. Hat nicht jemensch hier einen
Lehrstuhl, wo so etwas mal erforscht werden könnte?

Dazu braucht man keinen Lehrstuhl.

Weiß ich nicht. Ich finde diese Frage durchaus nicht so einfach zu
beantworten. Und insbesondere wäre ja auch nach völlig neuen, eben
wertlosen Kriterien zu forschen. Anyway.

Ich arbeite bei einem großen Pneumatikhersteller, der für die
Automatisierungstechnik wichtige Bauteile entwickelt, baut und deren
Anwendungen beim Kunden auch projektiert.

Sehr interessant.

Natürlich hat er auch seine Produktion stark automatsiert. Trotzdem
müssen Leute die Maschinen und trotz der Fortschritte im
Werkzeugmaschinenbau (der ist im übrigen sehr konservativ - teils von
Facharbeiterehre, teils von Ingenieurspathos geprägt).
So bestimmen auch heute Lärm und Dreck (Späne, Bohrmilch etc.) die
vergleichbar angenehme Atmosphäre. Aber hier werden Teile aus Gießereine
bezogen (Alu - im heißen Zustand hinterläßt es schlecht heilende
Wunden). Hier sind die Arbeitsbedingungen naturgemäß mieser. Trotz neuer
Technologien.

Aber - und das wäre mir schon wichtig - ich vermute mal, daß auch die
Produktivität dabei permanent gestiegen ist und somit also der
Lärmdreckfaktor pro Produkt relativ gesunken ist - oder?

Wenn wir also automatsieren, haben wir auf lange Sicht immer noch
unangenehmste Arbeistbedingungen. Und sei es nur im Vergleich zur
automatsierten, sauberen Produktion.

Ja, aber da darfst du nicht übersehen, unter welchen
gesellschaftlichen Randbedingungen da automatisiert wurde. Ich meine
es ist ja klar, daß die KapitalistInnen nach Profitmaximierung
automatisieren. Der Lärmdreckfaktor pro Produkt kann ihnen dabei so
lange herzlich egal sein, solange die Gewerkschaften - als Agenten für
die unter dem Lärmdreckfaktor leidenden im Kapitalismus - diesen
Faktor nicht massiv verteuern ("Verbesserung der Arbeitsbedingungen"
ist da wohl das Stichwort).

Unter Selbstentfaltungsaspekt wäre das aber anders. Da wäre einerseits
der selbstlaufende Wachstumszwang beseitigt und andererseits wäre die
Minimierung des Lärmdreckfaktors zentrales gesellschaftliches Anliegen
- und nicht lästige Nebenkosten, die im Zweifelsfall in irgendwelche
Maquilladeros (sp?) ausgelagert werden.

D.h. es ist eben nicht egal, unter welchen gesellschaftlichen
Bedingungen Automatisierung betrieben wird. Kapitalistische
Automatisierung folgt über weite Strecken anderen "Gesetzen" als
GPL-Automatisierung. Und das war ja der Ausgangspunkt der Frage.

Ein anderer Aspekt ist die Wartung von Maschinen. So sitzen in den
Reinsträumen der Dresdner Halbleiterhersteller (AMD und Infineon)
Wartungsingenieure in Schutzkleidung und langweilen sich und warten auf
Maschinenstörungen. Trotz hoher Gehälter (tw. 100000 DM/a) fliehen die
Ingenieure in scheinbar schlechterbezahlte aber krativere Jobs.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie schon im Kapitalismus die Bedingungen
weiter heranreifen. Die KapitalistInnen werden natürlich sehen wollen,
daß sie solche Arbeitsplätze abschaffen / automatisieren - und spielen
uns damit in die Hände :-) . Das Dumme ist nur, daß wir sie
rechtzeitig davon abhalten müssen, den Planeten irreparabel zu
zerstören...

ad 1. Nun, ich glaube simpel, daß zumindest langfristig da noch viel
mehr möglich ist, als alles was wir uns heute vorstellen können.
Gerade wenn die kreativen Potentiale der Menschen in Freien
Projekten erstmal richtig Freigesetzt werden. Wieviel
arbeitssparende Innovationen gehen den KapitalistInnen durch die
Lappen, weil die Leute, die die Ideen haben, damit ihren eigenen
Arbeitsplatz gefährden würden?

Es reicht m. E. nicht allein auf das Rationaliserungspotential der
Mitarbeiter zu setzen. Denn es ändert nichts an der Verrücktheit einer
immer schneller werdenden und dadurch energie- und materialintensiveren
(damit man der Maschinendynamik gerecht werden) Produktion sowie
Projektierung/Konstruktion!

Klar. Diese Verrücktheit gelte es natürlich an der Wurzel zu
beseitigen. D.h. Abschaffung des Geld- und Tauschsystems (vulgo:
Kapitalismus).

Letztlich müssen wir tatsächlich die Produktion reduzieren, mehr auf
Qualität, Reperaturfreundlichkeit und Recyclingfähigkeit achten. Aber
das sind alte Hüte. Letztlich brauchen wir zumindestens über einen Teil
der Produktion Verfügungsgewalt.

Und die Freie Software hat genau das in einem nicht uninteressanten
Teil verwirklicht - auch wenn so etwas wie gesellschaftliche Kontrolle
noch wenig erkennbar ist - was aber daran liegen kann, daß wir die
neue Form nur noch nicht erkennen können.

(Zum Beispiel wünsche ich mir mal Schuhe die länger als ein Jahr
halten.)

Bei Linux hast du das. Du kannst auch heute (auf einem alten Rechner)
noch alte Linux-Versionen fahren. Wenn deine Ansprüche sich nicht
verändert haben reicht dir das auch heute noch.

Hier könnten wir bedürfnisgerechte Produktion ausprobieren. Und da
bietet der Maschinenmarkt schon einige Möglichkeiten.

Freut mich zu hören.

6 days ago Matthias Wirwall wrote:
Aber das war auch nicht mein Punkt. Mir ging es um den Einsatz und
Erhalt des kapitalistischen Produktionswissens als notwendige
Voraussetzung für die Umformung in eine neue Gesellschaft. Dazu gehört
heute natürlich auch der stoffliche Teil der Logistik - z.B.
Lieferbeziehungen.

Meinst Du neue Verpackungensverfahren für den Transport, neue LKWs und
Telematiksysteme und das Verkehrschaos zu lenken?
Oder doch eher die Managementsysteme die in Software *verstofflicht*
werden?

Ich dachte vor allem an Dinge der Art: Von wem/wo bekomme ich dieses
und jenes Vorprodukt für meine eigene Produktion. Da sind die
Stoffströme ja doch schon sehr kompliziert.

Wie das Bedürfnis nach einem bestimmten Vorprodukt bzw. dessen
Transport dann gelöst wird ist aber eine andere Frage. Ob mit einem
Rohrpostsystem, per LKW oder einem Eisenbahnsystem ist eine Frage, die
von anderen gelöst werden müßte. Ah, ein Teil des alten Wissens ist
damit natürlich auch überflüssig.

BTW: Ich finde es spannend, daß die Frage des Verkehrs immer und immer
wieder so schnell hochpoppt. Folgt daraus was?

Ich halte Deine Ansichten für nicht falsch, Deine Beispiele auf jeden
Fall.

Na, ich versuch's halt mal :-) .

Illustration: Hast du bei einer altertümlichen Stanze (stelle ich mir
jetzt mal so vor - bin kein Maschinenbauer) es noch ganz klar, daß der
Mensch eben genau nur als eine Verlängerung der Maschine gedacht
werden konnte - eben weil es die Maschine noch nicht selbst konnte, so
ist das Verhältnis bei einem Industrieroboter doch eher umgedreht: Da
ist die Maschine die Verlängerung der geistigen Fähigkeiten der
Menschen.
Bei den ersteren ist also die Funktion des Menschen klar festgelegt
und völlig unvereinbar mit Selbstentfaltung. Im letzteren Fall könnte
durchaus ein Mensch seine Selbstentfaltung darin sehen, Autos mit
künstlerischer Lackierung versehen zu lassen anstatt eintönigem Uni.
Das zeigt ja sogar schon die Werbung ;-) .

Es ist ein Irrtum, dass Indsutrieroboter einen von sinnloser Tätigkeit
befreit.
Erstens muss man die Programme programmieren. Und ihr habt oft genug
beschrieben, wie nervtötend Softwareprojekte sein können.

Ja, aber der Witz an Software / Computern ist, daß du die
nervtötenden, langweiligen Sachen an den Rechenknecht delegieren
kannst - zumindest prinzipiell. Das mögen Leute, die nur Klicki-Bunti
kennen, nicht verstehen, aber da steckt die wahre Power der Computer:
Sie lassen letztlich nur die Tätigkeiten den Menschen "übrig", für die
es auch wirklich Menschen braucht - und das sind gerade die kreativen,
zum künstlerisch-wissenschaftlichen neigenden. Und einer meiner
älteren Erkenntisse ist: Arbeit, die auch von Maschinen gemacht werden
kann, ist menschenunwürdig.

Zweitens führe ich mein Wartungspersonal heran. Erst langweilen sie
sich, aber wenn es brennt müssen sie arbeiten bis es wieder klappt. Egal
wie lange. Natürlich liegt hier noch viel Potential der Autmatsierung
brach (Ferndiagnose und so).
Aber letztlich steht man wieder am Fließband.

Na, aber das ist ja wohl nicht wahr. Der Anteil(!) derer, die
tatsächlich am Fließband stehen dürfte sich aber seit Fords Zeiten
erheblich reduziert haben - oder?

Und was wollen wir mit Millionen von Autos?

Ins Meer kippen um die Preise zu stabilisieren ;-) .

Macht das Sinn?

Nicht wirklich!
Aber was können wir aus der heutigen Technik übernehmen.
Nund, es fängt beim Wissen über Werkstoffe und deren Bearbeitung an.
Geht über die Erkenntnisse der Anwendung der Technik (auch was man
lieber nicht machen sollte) bis hin zu Fragen der Arbeistmedizin.
Aber eine nichtwertmäßige Produktion bedarf einer anderen Technik.
Warum?
Weil nicht die Profitmaximierung als Ziel steht, sondern die
Produkteigenschaften, abgeleitet aus den konkreten Bedürfnissen.
Hoff ich doch.

Ja genau. Vielleicht hast du ja bessere Beispiele?

P.S: Irgend jemand wollte auch nach der Revolution Bananen.

Mehrere ;-) .

Als Ossi kann ich dem nur zustimmen. Und Schokolade. ;-)

Dann haben wir also schon mal zwei Bedürfnisse, die wir unbedingt
decken müssen ;-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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