[ox] Selbstentfaltung und Infrastruktur (was Text zur Konferenz)
- From: Hans-Gert Graebe <graebe informatik.uni-leipzig.de>
- Date: Mon, 20 Nov 2000 10:22:07 +0100 (MET)
Sabine Nuss
Letztlich ist auch Wohngemeinschaft, wenn sie denn wohl
funktioniert, ein Beispiel dafür, dass Leute auch ohne
Geldzwang gemeinsam etwas tun. Müll runterbringen, Essen
machen, Wohnung renovieren. Ganz ohne Geld. Und in
Kooperation.
Stefan Meretz
Siehe erstes Stichwort. WG ist die Ebene der unmittelbaren
Kooperation, FS ist die Ebene der gesellschaftlichen
Kooperation. Nur irgendwie "ohne Geld" ist doch nicht der
Witz alleine.
WG ist gemeinsame Bewältigung der Infrastrukturarbeit im Kleinen,
FS Teil einer Bewältigung von Infrastrukturarbeit im Großen. Aus
dieser Sicht ein nur gradueller Unterschied. Der wichtigste ist,
dass in der WG alles _direkt_ vereinbart und ausdiskutiert werden
kann, in der Gesellschaft dagegen nur verMITTELt. Und um dieser
Strukturen und Mittel geht es wohl.
Stefan weiter
Der Maßstab des Geldes verliert an Bedeutung, weil andere
Maßstäbe wichtiger werden - Selbstentfaltung usw. Dies ist
auch deswegen möglich, weil die Kohle von woanders kommt. Die
Tatsache, dass die Kohle von woanders kommt, ist aber _nicht_
die entscheidende. Ich will sie als massenhafte Ermöglichung
gar nicht wegreden (s.o.), aber darauf im Sinne eines "NUR SO"
zu gucken, übersieht die eigentliche Potenz. Es übrigens super
viele Beispiele von Menschen (oft Wissenschaftlern abseits des
Mainstreams), die total verarmten, weil ihnen ihre Entfaltung
individuell wichtiger war. Nimm Marx, der glücklicherweise
einen kapitalistischen Freund Engels, der ihn sponsorte. Wenn
heute RedHat Alan Cox bezahlt und der aber machen kann was er
will (nämlich Kernelhacken ohne Reinreden von RedHat - sagt
er), dann ist das ok. Und wenn ich von zwei Tagen Arbeit
leben kann, ist das auch ok, und wenn mich jmd. mein Leben
lang sponsort, dann höre ich auf mit arbeiten für Geld.
Bleibt nur die Frage, ob wir's dem guten Willen der Geldsäcke
überlassen wollen, dass Du oder der andere Stefan (ich weiß nicht
mehr, wer von Euch beiden das gerne wollte) endlich die ganze
Woche Oekonux widmen kann oder ob es Strukturen gibt, aus denen
sich diese Möglichkeit von selbst ergibt (zB weil er sich hier
schon viel engagiert hat). "Selbstentfaltung" ist mir da eine zu
geringe Antwort, denn das ist ja keine gesellschaftliche, sondern
eine individuelle Kategorie. Und dann habe ich immer noch die
zweite Frage: Wenn das Stefan darf, darf das dann auch jede(r)
der "Heissluftproduzenten, Drittmittelergatter, Konferenzhopper
und Studentenfertigmacher", von denen Franz und Benni geschrieben
haben? Oder gibt's die in der GPL-Welt nicht mehr? Dann
wenigstens die bescheidenere Frage: Was machen wir so lange?
Sabine Nuss zu Open Source und New Economy
... und die herrschenden Ökonomen beschwören eine New Economy
hervor, die gaaaaanz anders funktioniere, als die
traditionelle, nämlich mit verschenken (!) und verkaufen dann
erst auf einer zweiten Stufe, usw. usf. Wenn das nicht stutzig
machen sollte, ganz zu schweigen von den Parallelen....
Stefan Meretz
Es wäre naiv, etwas anders vom Kapitalismus zu erwarten als
Versuche der Integration, der Umarmung, der Generierung von
Begriffsmoden usw. Der Kampf ist nicht ausgestanden und läuft
- insofern offen. Nur sind für mich viele Versuche eben
Erscheinungen eines Zersetzungprozesses und nicht der Stärke.
Oder einfach nur: Die haben das mit der Pflege der Infrastruktur
inzwischen auch geschnallt? Übrigens gibt es da zwei grundlegend
verschiedene Ansätze: (1) Privatisieren, was das Zeug hält (Bahn,
Post, Telekom); (2) die hier benannte "Verschenk"-Infrastruktur,
wo ein Teil der Revenues _auch_ der ökonomischen Nutznießer in
die Infrastruktur gesteckt wird, ohne daraus Eigentumsansprüche
abzuleiten. Und zwar _nicht_ über den Umweg Steuern, der sonst
eine einigermaßen gleichmäßige Belastung der Marktteilnehmer mit
diesen Aufwendungen sichert oder das wenigstens soll.
Hans-Gert Gräbe
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