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[ox] Replik auf Krämers Kritik an 'Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Infoges.'



Replik auf Ralf Krämers Kritik an ?Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Informationsgesellschaft" (C. Fuchs) vom 13.11.2000

Wenn wir über produktive und unproduktive Arbeit sowie über Wissenschaft oder Wissensarbeit sprechen, so sollten zunächst die Pre-Suppositionen geklärt werden. Also vor allem, was unter Wissen und Wissenschaft verstanden wird. Wird von falschen Grundkategorien ausgegangen, so erübrigt sich jede Kritik. Als individuelle Information können die Meinungen, Werte, Erkenntnisse, Schlußfolgerungen, Normen, Regeln, Grundsätze, Deutungen, Vorstellungen, Ideen und Erfahrungen einer Person bezeichnet werden. Es handelt sich dabei nicht um statische Kategorien, sondern um sich dynamisch verändernde Informationen. Individuelle Meinungen und Werte verändern sich beispielsweise auf Grund neuer Erfahrungen permanent. D.h. nicht, daß sie notwendigerweise permanent instabil sind und es daher z.B. keine Anhängerschaft von Ideologien geben kann, sondern daß neues Wissen und neue Erfahrungen unsere Meinungen und Werte anreichern und verfestigen, aber auch radikal verändern können. Die Konstitution oder Veränderung individueller Information erfolgt auf der Grundlage von elementaren Informationen wie kommunizierten Meinungen anderer oder neuangeeignetem Wissen aus Büchern, Medien, Gesprächen usw. Unter Wissen kann eine Form von Information verstanden werden, die systematisiert oder integriert wurde. Diese Integration kann zunächst rein kognitiv vor sich gehen. Ich bilde mir auf Grund individueller Information eine Realität, mit der ich die Welt beschreibe. Individuelle Wissensproduktion ist also ein kognitiver Prozeß, der aber immer eine soziale Dimension hat. Denn individuelles Wissen wir meist im Rahmen von sozialen Beziehungen und der Auseinandersetzung mit individueller Information Anderer und sozialem Wissen gebildet. Selbst wenn ich ein Buch lese und im Erkenntnisprozeß neues individuelles Wissen schaffe, so ist dies zwar kein sozialer Prozeß, aber ich setze mich mit vergegenständlichtem, gesellschaftlich verfügbar gemachtem Wissen auseinander. Wissen existiert niemals ausschließlich individuell oder vergegenständlicht, sondern schließt immer soziale Verhältnisse mit ein. Soziales Wissen entsteht nun dadurch, daß Erkenntnisse verallgemeinert und gesellschaftlich gemacht wird. Individuelles Wissen wird dazu sozial integriert. Schreibe ich Erkenntnisse nur für mich auf einen Zettel oder speichere sie in meinen Computer, so mag dies individuelles Wissen repräsentieren, es ist aber noch kein verallgemeinertes, soziales Wissen. Sozial wird das Wissen erst, wenn ich es verallgemeinere, anderen zugänglich mache etc. Veröffentliche ich meine Zettelnotizen also als Buch, so werden sie zu sozialem Wissen. Genauso, wenn ich den Zettel anderen zum Lesen gebe oder mit FreundInnen individuelles Wissen austausche. Was könnte nun Wissenschaft und wissenschaftliche Arbeit sein? Wissenschaft ist sicher nicht einfach die Schaffung von Wissen. Denn dann wäre eben jedeR WissenschaftlerIn. Wissenschaft ist auf einer abstrakten Ebene die Verallgemeinerung von neu geschaffenem Wissen mit Bezugnahme, Analyse und Kritik auf das im Kontext dazu bereits existierende soziale Wissen. Schreibe ich einen Roman oder ein Kinderbuch, so ist dies keine wissenschaftliche Arbeit. Auf einer konkreten Ebene kann nun Wissenschaft in ihrer kapitalistischen Daseinsweise analysiert und kritisiert werden. Hier erfüllt ein Großteil der wissenschaftlichen Arbeit eine von polit-ökonomischen Verhältnissen und Gegebenheiten nicht unabhängige Funktion. Der General Intellect, das allgemeine gesellschaftliche Wissen wird zu einer Basis des Produktionsprozesses. Wissenschaft ist daher nicht neutral oder frei, sondern frei, eine Basis der Kapitalakkumulation herzustellen. Was nicht auch heißt, daß eine kritische Wissenschaft nicht möglich wäre, denn die Verkopplung von kapitalistischer Produktion und Wissenschaft stellt keine Totalität dar, auch wenn sie im Postfordismus tendenziell zu einer wird. Wissensarbeit kann nun als Schaffung, Verarbeitung, Weiterverwendung und Instandhaltung von gesellschaftlichem Wissen bezeichnet werden. Nun ist aber genauestens zu differenzieren, welche Wissensarbeit produktiv ist und welche unproduktiv. Denn derartige zusammenfassende Kategorien sagen auf Grund der Komplexität und Differenziertheit der heutigen Arbeitswelt nichts über einen für alle subsumierten Tätigkeiten verallgemeinerbaren Verwertungsprozeß aus. Es kann nicht gesagt werden, daß nur Arbeit im Produktionsbereich produktiv ist, alle Dienstleistungen oder jede Wissensarbeit als unproduktiv zu erachten sind etc. So einfach verhält es sich heute eben nicht. Wenn ich davon gesprochen habe, daß Wissenschaft keine abstrakte wertschaffende Arbeit ist, so habe ich zunächst jene an öffentlichen Institutionen gemeint. Nichtsdestotrotz stellt sie auch hier eine wesentliche Basis der Kapitalakkumulation dar. Diese Arbeit ist Ware, indem sie sich gegen Lohn tauscht. Daher hat sie einen Tauschwert. Aber das entstehende Produkt hat keinen Tauschwert, es wird der Allgemeinheit nahezu gratis zur Verfügung gestellt. Auch dem Kapital. Es entsteht hier kein Mehrwert, ich denke, da stimmst du mir zu. In meiner Arbeit war an dem meisten Stellen diese öffentliche Wissenschaft gemeint, vielleicht wurde dies nicht ganz deutlich. Wie sieht es nun mit Arbeit in Forschungsabteilungen kapitalistischer Konzerne aus. Diese Forschungsarbeit wird für das Kapital direkt nutzbar, die öffentlich-wissenschaftliche Arbeit ist es nur indirekt. Nun kann darüber diskutiert werden, ob diese direkte Forschungsarbeit für das Kapital überhaupt als Wissenschaft bezeichnet werden soll, denn was hier maximal nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist der Diskurs über geschaffenes Wissen, die Auseinandersetzungen theoretischer Schulen, eine kritische Aufarbeitung bestehenden Wissens und die Bezugnahme darauf. Wesentlich ist die Generierung von für das Kapital unmittelbar nutzbarem Wissen. Ist diese Arbeit nun mehrwertschaffend? Du meinst ja. Ich denke, daß dies genau differenziert gehört. Der Mehrwert ist zunächst nur das ?Inkrement über den ursprünglichen Wert" (MEW 23, S. 165). Das ist eine Dimension. Eine andere ist aber, daß der Mehrwert nur dadurch existieren kann, daß er Selbstzweck ist, also sich verwertender Wert. Der Mehrwert ist keine statische Kategorie, sondern eine dynamische, die nur durch die sich stets erneuernde Bewegung des Kapitals erklärt werden kann. Ohne Akkumulation des Kapitals existiert der Mehrwert nur in der ersten Dimension, wir müssen allerdings für den Spätkapitalismus klarerweise in vielerlei Hinsicht von einer erweiterten Reproduktion ausgehen. Natürlich hat diese Forschungsarbeit nun einen Tauschwert, sie tauscht sich gegen Geld. Aber produziert sie Mehrwert? Nicht ja, sondern ja und nein! Das entstehende materielle oder immaterielle Produkt ist zumeist noch keine Ware, die auf dem Markt verkauft wird und mit anderen Waren konkurriert. Sie ist nur für die exklusive Nutzung durch den kapitalistischen Konzern bestimmt. Es kann daher noch keine Akkumulation des Kapitals stattfinden, da wir erst in einer reinen Forschungsphase sind. Ein entstehender Mehrwert kann hier also auch noch keine Selbstzweckdimension haben. Der/Die Forschende wäre also in diesem Sinn keinE produkiv-mehrwertschaffendeR ArbeitendeR. Das produzierte Wissen ist in seiner Abstraktheit auch noch nicht akkumulierbar, sondern nur die Basis eines akkumulierbaren Outputs. Es folgt erst eine weitere Phase, bis eine marktfähige Ware hergestellt wird. Das dafür benötigte Wissen wurde nur einmal erzeugt, das ist eben seine vorteilhafte Eigenschaft. Es ist nicht akkumulierbar, die nun entstehende Ware schon. Sie tauscht sich auf dem Markt gegen Geld, aller produzierter Mehrwert bekommt so eine Selbstzweckdimension. Die Forschungsarbeit allein führt noch nicht zu dieser Ware mit Tauschwert, das Produkt dieser reinen Forschungsphase hat keinen Tauschwert (sehr wohl aber die dafür aufgewandte lebendige Arbeitskraft), daran halte ich fest. EinE ForscherIn allein produziert keine Ware, er/sie stellt nur eine Basis dafür her. Diese Ware kann nur durch einen kooperativen Prozeß entstehen. Die Forschenden sind einerseits produktive Arbeitende, wenn die kooperative Dimension hinzugenommen wird, unproduktive Arbeitende ohne die kooperative Dimension (da dann die Selbstzweckhaftigkeit entfällt). Nicht soziales Wissen wird hier verkauft, sondern seine Vergegenständlichung. Das hergestellte soziale Wissen ist zwar systematisiert, aber noch nicht in einer Ware mit Tauschwertcharakter vergegenständlicht. Ich würde nicht so einfach sagen, daß diese Forschenden produktive Arbeitende sind. Es kann übrigens auch nicht die EINE Marxinterpretation geben, die uns sagt, ob sie nun produktiv, unproduktiv oder beides sind. Es gibt viele Interpretationen davon, eine als ?Wahrheit" zu setzen wäre stalinistische Taktik. Für mich ist meine wahr, d.h. aber nicht, daß ich einen allgemeinen Wahrheitsanspruch erhebe und andere Interpretationen nicht akzeptieren kann. Interessant, daß es andere gibt. Ich erachte beispielsweise die Taktik der Krisis, die ?richtige" Marxinterpretation zu beanspruchen, als problematisch. So stellen sie etwa Michael Heinrich als ?Gotteslästerer" hin, da er Marx anders interpretiert. Müßig, über so etwas zu streiten. Problematisch, andere Interpretationen nicht zulassen zu wollen. Mir hat dann gut gefallen, daß Heinrich das als stalinistisch bezeichnet hat. Peter Fleissner sieht die Akkumulierbarkeit des Outputs als wesentliches Kriterium für die Mehrwertproduktion. Soziales Wissens, das zwar systematisiert ist, aber sich nicht vergegenständlicht, ist z.B. nicht akkumulierbar. Das von den in unserem Beispiel für das Kapital Forschenden erzeugte und noch nicht vergegenständlichte Wissen ist z.B. nicht akkumulierbar. Es wurde hier auch noch keine Ware hergestellt, die sich auf dem Markt gegen Geld tauscht. Du meinst nun aber, daß entscheidend ist, daß Geld akkumulierbar ist. Schon, aber dazu muß in der Zirkulation W-G erfolgen. Du nimmst m.E. nach unrealistischer Weise an, daß die erweiterte Reproduktion so funktionieren kann, daß nicht immer die gleiche Ware produziert wird. Dies ist aber m.E. tatsächlich kaum der Fall. Die Selbstzweckdimension des Mehrwerts ist nur mit einem akkumulierbaren Output möglich. Nehmen wir als Beispiel die Produktion einer nicht massenhaft hergestellten Spezialsoftware, die für einen einzelnen Einsatzbereich maßgeschneidert wird. Hier ist das klassische Schema der erweiterten Reproduktion einfach nicht anwendbar. Man/Frau kann nicht davon ausgehen, daß Marx ein Schema zur Verfügung gestellt hat, daß für immer und ewig in genau dieser Art und Weise gilt. Marxens Beschreibungen entsprechen der Zeit, zu der er lebte, dem heutigen Kapitalismus aber nur mehr bedingt. Theorie ist eben nicht starr, sondern muß sich mit gesellschaftlicher Veränderung weiterentwickeln. Genauso die Wertkritik. Das wird aber von vielen meist zu wenig berücksichtigt. Die ?Individualsoftware" ist nicht akkumulierbar, da sie eben nur einmal hergestellt und verkauft wird. Der Mehrwert hat hier keine Selbstzweckdimension. Akkumulation des Kapitals basiert auf der immer erneuten Produktion einer Warenart. Was du beschreibst, ist der Abbruch eines Reproduktionsprozesses und der Entzug eines Teils des Kapitals als Basis eines anderen Akkumulations- oder Reproduktionsprozesses. Die Herstellung einer Individualsoftware ist kein Akkumulationsprozeß, die Herstellung der immer gleichen Massensoftware, um immer mehr Geldkapital anzuhäufen, schon. Stellt eine Firma nun nur Individualsoftware her, so sind dies lauter einfache Reproduktionsprozesse, aus denen immer ein Teil des Kapitals als Basis für einen anderen Produktionsprozeß entzogen wird. (Re-)Produktionsprozeß meint für mich nur die (Re-)Produktion einer Warenart, sonst gäbe es nur einen gesellschaftlichen Produktionsprozeß und jede differenzierende Untersuchung wäre hinfällig: Revenue dient auch dem Zweck der Konsumtion von Waren durch Kapitalisten. Revenue als ein Ergebnis eines Produktionsprozesses fließt also in viele andere Produktionsprozesse ein. Genau das beschreibst du. Ich sage deshalb aber nicht, daß das alles zusammen ein Produktionsprozeß ist. So kann das für mich nicht richtig betrachtet werden. Produktion bedeutet nicht automatisch Akkumulation. Ein spezifischer Akkumulationsprozeß des Kapitals ist mit Produktion immer derselben Ware verbunden. Wird eine andere produziert, dann handelt es sich um einen neuen Akkumulationsprozeß. Wenn einer heute Spielzeugpuppen und unter Verwendung dabei erwirtschafteten Kapitals einige Zeit später Autos produziert, handelt es sich dann um denselben Produktionsprozeß? Nein. Fehlt nun allerdings ein akkumulierbares materielles oder immaterielles Produkt, so hat auch keine Mehrwertproduktion stattgefunden haben. Das Arbeitsresultat kann sowohl bei produktiver als auch bei unproduktiver Arbeit materiell oder immateriell sein. Entscheidend ist, ob Mehrwert produziert wird (auch als Selbstzweck) und das Mehrprodukt akkumulierbar ist. Ohne Mehrprodukt kein Mehrwert, denn das Mehrprodukt ist der Teil des Produkts, worin sich der Mehrwert darstellt. Ein Ziel der Akkumulation ist die Vergrößerung des Mehrprodukts, um das akkumulierte Kapital stetig zu vergrößern. Daraus folgt, daß Akkumulation auf die Existenz eines akkumulierbaren Outputs der immer gleichen Warenart angewiesen ist. Denn würden wechselweise verschiedene Warenarten verwendet, so könnte auch immer nur ein verschiedenes Mehrprodukt gebildet werden, was gar keine stetige Akkumulation ermöglichen würde. Die Steigerung des Mehrprodukt ist bei einem Akkumulationsprozeß an eine einheitliche Warenart gebunden. Du meinst, der Produktionsprozeß einer Software, die auf CD vertrieben wird, ist von jenem der CD zu unterscheiden. Softwareproduktion ist zwar eine Wissensarbeit, aber sicherlich nicht Wissenschaft. Hier wird bestehendes Wissen angewandt und vergegenständlicht, aber es wird nicht neues Wissen geschaffen. Und auch andere Merkmale von Wissenschaft (Diskurs, Kritik, Auseinandersetzung etc.) treffen nicht zu. Software enthält kein neues Wissen, bereits bestehendes vergegenständlicht sich aber in ihm. Es handelt sich um Code, hergestellt auf der Basis bereits existierender Erkenntnisse. Im Wissenschaftsbetrieb wird im Bereich der Informatik aus Software neues Wissen abgeleitet, sie selbst enthält aber kein neues Wissen. Software ist nicht tauschfähig ohne einen materiellen Träger, sei dies eine CD, das Internet oder sonstwas. Ich habe nirgendwo behauptet, daß Software nur tauschfähig sein kann, wenn sie auf CDs gepreßt wird. Ich sage vielmehr: ?Erst wenn sie einen Träger wie Diskette, CD-ROM oder Internet bekommt, kann sie im großen Ausmaß gegen Geld getauscht werden". Ohne ein Trägermedium ist die Software nicht tauschbar, ihr Produktionsprozeß noch nicht vollendet. Das wollte ich ausdrücken. Die dahintersteckende Arbeit hat daher noch keine Selbstzweckdimension des Mehrwerts. Diese kann erst entstehen, wenn Software auf einem Medium bereitgestellt wird. Ob dies nun eine CD oder das Internet ist, ist völlig egal. Hier wird nun der Produktionsprozeß fortgesetzt, eine wesentlich weitere Basis für die Akkumulation wird so erst ermöglicht. Ohne Trägermedium hier keine Akkumulation des Kapitals, da der Output ansonsten nicht akkumulierbar ist. Daher kann ohne ihn auch keine Akkumulation des Kapitals geschehen. Aber da sind wir wieder beim eigentlichen Auffassungsunterschied. Und den gibt es halt, und daran wird sich auch nichts ändern. Produktion einer Software, die auf CD vertrieben wird, bedeutet für mich nicht zwei Produktionsprozesse, so wie du das anscheinend auffaßt (Produktionsprozeß der Software und Produktionsprozeß - d.h. Pressen von Information auf CD - der CD), sondern einen zusammengehörigen Produktionsprozeß. Ich denke man kann nicht sagen, daß Dienstleistungen generell unproduktiv sind (Peter Fleissners Argumentation geht in diese Richtung), da es sich eben um eine Restkategorie handelt. Genauso kann aber nicht gesagt werden, Dienstleistungen sind grundsätzlich produktiv, wenn sie für private kapitalistische Unternehmen erbracht werden. Die Putzfrau z.B. arbeitet für das kapitalistische Unternehmen, ihr Dienst wird aus Revenue bezahlt, ihre Arbeit ist unproduktiv. Da es aber eben eine Restkategorie ist, müßte für jede Dienstleistung extra diskutiert werden, ob sie produktiv oder unproduktiv ist. Da stimmen wir - denke ich - überein. Mich interessiert vor allem die Wissensarbeit und ich formuliere vorsichtig, daß eine Wissensarbeit produktiv ist, wenn sie auf einem akkumulierbaren Informationsprodukt basiert. Ob eine bestimmte Arbeit produktiv ist, kann doch nur entschieden werden, wenn es um die Produktion einer speziellen Ware geht. Bei dir geht es aber anscheinend um produktive Arbeit, bei der verschiedene Waren hergestellt werden. So ist die Kategorie der produktiven Arbeit dann aber für mich nicht sinnvoll. Vielleicht kann gesagt werden, daß aus unproduktiver Arbeit heute tendenziell produktive wird. Gesang, Schauspiel, Musik waren früher unproduktive Tätigkeiten, durch Hinzukommen eines Trägermediums entstehen CD, LP, Video, Kassette etc. Und daher sind diese Arbeiten produktiv geworden. Gehe ich in ein Restaurant, so bezahle ich mit Revenue für eine unproduktive Arbeit. Durch Tiefkühlung etc. wird das Resultat gastronomischer Tätigkeiten am Markt tauschfähig. Die dahintersteckende Arbeit wurde produktiv. Andererseits wird aber durch die Produktivkraftentwicklung auch immer mehr lebendige durch tote Arbeit ersetzt, variables Kapital durch konstantes, die wertschaffende Arbeit wird dadurch quantitativ reduziert. Schon Marx hatte darauf hingewiesen, daß darum wiederum die unproduktive Arbeit ansteigt: ?Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphären der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphären, einen stets größren Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu werden und so namentlich die alten Haussklaven unter dem Namen der ?dienenden Klasse?, wie Bediente, Mägde, Lakaien usw., stets massenhafter zu reproduzieren" (MEW 23, S. 469). Welche Tendenz nun stärker ist, wäre zu untersuchen. Du erfaßt den TFPR nur als langfristige Tendenz. Ok, das ist er einerseits, da es einen Widerspruch zwischen lebendiger und vergegenständlichter Arbeit gibt: Basis der Mehrwertproduktion ist die lebendige Arbeit. Durch die Produktivkraftentwicklung wird sie aber immer mehr durch vergegenständlichte Arbeit (Produktionsmittel) ersetzt. Der pro Arbeitstag erzielbare Zuwachs an Mehrwert steigt also dadurch in abnehmender Progression. Langfristig kann dadurch die Wachstumsrate der Mehrwertrate nicht größer sein als jene der organischen Zusammensetzung. Die Zersetzung der Basis der Wertproduktion durch die Produktivkraftentwicklung der lebendigen Arbeit ist dabei von entscheidender Bedeutung. Vergegenständlichte Arbeit ersetzt lebendige und damit die Basis des Werts. Im Lauf der kapitalistischen Entwicklung steigt die tote Arbeit im Verhältnis zur lebendigen. Dies ist eine langfristige Tendenz, die sich gerade auch in der heutigen Phase des Kapitalismus äußert. Marx brachte diesen Widerspruch in den Grundrissen auf den Punkt: ?Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch, daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt" (Grundrisse, S. 601). Kurz und Co. sehen nun auf Grund dieses Widerspruchs den Zusammenbruch des Kapitalismus herannahen. Das Denke ich allerdings nicht. Klar ist aber, daß es zyklische Krisen gibt. Diese haben vielfältige Ursachen und eine davon ist sehr wohl der TFPR. Allerdings nicht die einzig mögliche, das wäre ein zu mechanistisches Denken. Wesentlich ist, daß jede Krise des Kapitalismus die Äußerung einer Zusammenbruchs-TENDENZ ist. Nun gibt es aber entgegenwirkende Ursachen, die diese TENDENZ wiederum stoppen können. Im Postfordismus sind dies z.B. politische Maßnahmen, die zum Neoliberalismus und einem neuen Schub der ökonomischen Globalisierung führen (nationaler Wettbewerbsstaat, Deregulierung etc.). Ich denke nicht, daß ein rein ökonomischer Zusammenbruch des Kapitalismus realistisch ist, sondern daß dazu auch ein politisch-revolutionäre Komponente notwendig ist. Quasi besteht eine Dialektik von ökonomischen Strukturen und gesellschaftlichem Handeln. Das heißt nicht eine moderne Form der ?Verelendung" als Basis einer Revolution, sondern gesellschaftliche Krisensituationen (nicht nur ökonomisch, auch politisch, ökologisch, sozial etc.) als Bifurkationspunkte, in denen die weitere gesellschaftliche Entwicklung durch aktives Handeln entschieden wird und nicht determiniert ist. Diese Krisen sind aber wiederum nicht die einzigen Ausgangspunkte für Veränderung. Emanzipatorisches Handeln kann auch relativ spontan einsetzen. Heute haben wir offensichtlich eine gesellschaftliche Krise (ökonomisch, politisch, sozial, ökologisch) und sind in so einem Bifurkationspunkt angelangt. Wenn wir davon ausgehen, daß die Durchschnittsprofitrate abhängig von der organischen Zusammensetzung des Kapitals und von der Mehrwertrate ist, so gibt es mehrere Möglichkeiten, die mittelfristig zu einem Fall der Profitrate führen können: · Die Produktivkraftentwicklung verlangsamt sich, da eine Sättigung der Nachfrage nach neuen Produktionsmitteln eintritt. Die Zuwächse der Produktivität werden dadurch vermindert. Der Anstieg der Rate des Mehrwerts verlangsamt sich. · Der konstante Kapitalanteil und damit die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt überproportional an (z.B. durch hohe Material- und Instandhaltungskosten). · die Nachfrage nach Konsumtionsmitteln erreicht eine Sättigung. Der realisierte Mehrwert sinkt dadurch. Dies wirkt negativ auf die Rate des Mehrwerts. · Die Entwicklung der Produktivkräfte führt zur Freisetzung von Arbeitenden. Dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit vernichtet Kaufkraft, aus KäuferInnen werden NichtkäuferInnen. Dies wirkt negativ auf den realisierten Mehrwert und damit auch auf die Mehrwertrate. · die politische Ebene wirkt zurück auf die ökonomische und verursacht einen überproportionalen Anstieg der Investitionskosten (c und v). Dies kann z.B. durch Klassenkämpfe verursacht werden. Dadurch verlangsamt sich das Wachstum der Mehrwertrate und es beschleunigt sich jenes der organischen Zusammensetzung. · oder der Widerspruch von toter und lebendiger Arbeit (siehe oben) kommt durch einen Schub an Automation oder Rationalisierung zum Ausdruck Wie gesagt: TFPR als eine mögliche Ursache einer ökonomischen Krise. Sicher nie die einzig mögliche, denn es gibt viele Widersprüche in der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Problematisch ist immer eine reduktionistische Herangehensweise, da der Kapitalismus äußerst komplex ist. Eine gesellschaftliche Krise kann genauso gut z.B. einen politischen Ausgangspunkt haben, der auch auf den ökonomischen Bereich rückwirken kann. Zum Glück erkennen heute immer mehr TheoretikerInnen die Bedeutung des Verhältnisses der gesellschaftlichen Subsysteme zueinander und versuchen, nichtreduktionistische und nichtökonomistische Analysen und Kritiken des Kapitalismus zu schaffen. Der TFPR ist nicht die eine Erklärung der zyklischen Krisen für mich, wie du zu meinen scheinst. Es gibt eben viele. Aber es ist auch nicht so, daß er keine Bedeutung für zyklische Krisen hat. Zusammenbruch ist kein Automatismus, sondern ein politisch zu erreichendes Ziel. Zumindest außerhalb der Sozialdemokratie bei ein paar Leuten heute noch. Den TFPR für völlig unbedeutend zu erklären, heißt eigentlich, die marxistische Krisentheorie auf den Müllhaufen der Geschichte zu schmeißen und den Kapitalismus als den historischen Sieger, das Ende der Geschichte, zu betrachten. Da wird dann auch schnell argumentiert, daß es Ziel sei, den Kapitalismus durch den Staat zu ?zivilisieren" oder zu humanisieren. Aber das schließt sich eben aus. Humanismus gibt es im Kapitalismus nicht, sondern Basis von erstem wäre die Aufhebung des zweiten (und eben wieder kein Automatismus). Eine Stabilisierung des Kapitalismus ist unmöglich, da diese Gesellschaftsformation strukturell ökonomisch, politisch, ökologisch etc. krisenhaft ist. Das müßte jeder Reformismus heute nach Scheitern des Keynesianismus eigentlich begriffen haben. Auch ein Neokeynesianismus (sollte es ihn jemals geben) wird diese Krisenhaftigkeit nicht beseitigen. Den Kapitalismus nicht als gesellschaftliche Totalität in Ökonomie, Politik und Kultur zu begreifen und vor allem nicht zu kritisieren, bedeutet jedoch, mit dem Leben von Menschen zu spielen. Und das ist bei den Sozialdemokraten Europas und bei anderen heute eben der Fall. ?Der Staat ist und bleibt entscheidende Mittel der Umsetzung linker Politik" (Krämer, Strategische Differenz: Die Bedeutung des Staates für linke Politik, SPW 6/95) - da gibt es eben auch zulässige und zu akzeptierende Auffassungsunterschiede. Der Staat ist und bleibt entscheidendes Mittel der Umsetzung des Interesses des Kapitals. Denn die Formbestimmung des kapitalistischen Staates besteht aus: 1. Organisation der Infrastruktur und der Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation sowie der kapitalistischen Produktion und Reproduktion (Forschung, Bildung, Wissenschaft, Garantie der Rechtsverhältnisse, Gesundheitswesen, Verkehr, Erhaltung der ArbeiterInnenklasse als Ausbeutungsobjekt des Kapitals, Garantie der Verfügbarkeit von Lohnarbeit für das Kapital, Subventionspolitik, Finanz- und Kreditwesen, Steuerpolitik, Stadtsanierung, Umweltschutz, Raumordnung, Reproduktion der Arbeitenden usw.). 2. Repressive Absicherung des Kapitalverhältnisses durch Gesetzgebung, Justiz, Polizei und Militär und das staatliche Gewaltmonopol: der Staat dient also der repressiven und gewaltsamen Niederhaltung des Proletariats, wenn es die Grundlagen seiner Ausbeutung angreift 3. Organisation von Gegentendenzen zum tendenziellen Fall der Profitraten und der krisenhaften ZusammenbruchsTENDENZEN des Kapitalismus 4. Herstellung der Einheit der Fraktionen des Kapitals: Klassen stellen keine homogenen Einheiten darstellen, sondern sind intern fraktioniert (siehe Poulantzas, Staatstheorie, 1978). Der Staat hält die kapitalistische Gesellschaftsform zusammen, er ist ein Kohäsionsfaktor, der die Einheit der fraktionierten Bourgeoisie organisiert. Er organisiert den Block an der Macht. Als eine Aufgabe des Staates kann die Formulierung eines kapitalistischen Gesamtinteresses angesehen werden, das die zersplitterten und konkurrierenden Kapitalfraktionen eint. 5. Befriedung der ArbeiterInnenklasse: um nicht gewalttätig die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung durchsetzen zu müssen, agiert der Staat ideologisch als massenintegrativer Apparat. Eine wesentliche Rolle dabei spielt die Regulation des Klassenverhältnisses durch Instrumente wie Sozialpartnerschaften, Zugeständnisse an die ArbeiterInneklasse und die Gewerkschaften und der klassenneutrale Schein des Staates. Die ideologische Funktion des Staates besteht in dem Versuch, einen Konsens von Beherrschten und Herrschenden herzustellen. ?Um den Staat kämpfen!" (Krämer). Nein: Gegen den Kapitalismus und den damit integral verkoppelten Staat kämpfen. Eine ?Rückeroberung des Staates für fortschrittliche Politik" kann es nicht geben, denn dieser Staat und dieser Kapitalismus waren auch im Keynesianismus nicht fortschrittlich. Denn Keynesianismus bedeutete nichts anderes, als verstärkte Mithilfe des Staates bei der Erhaltung des Ausbeutungsmaterials und der Kapitalakkumulation durch Sozialstaat und Förderung von Massenproduktion und Massenkonsum. Nur beschränkt Ergebnis des Kampfs der Arbeiterklasse, vor allem aber eine ideologische Finte und ein Zugeständnis des Kapitals. Keynesianismus als klassenneutraler Schein des Staats. Neokeynesianistischer Versuch der Stabilisierung des Kapitalismus, Absage an die Krisentheorie, Durchsetzung eines neuen Regulationsmodells (wie bei Hirsch, Lipietz, Altvater etc.) sind für mich nicht der richtige Weg. Aber das ist eben alles miteinander verschränkt. Daher hier die Kritik am linken sozialdemokratischen Reformismus. Natürlich hat der seine Legitimität innerhalb der Linken wie anderes aus. Aber meine Alternative ist die Fundamentalkritik. Ziel kann nur ein Leben ohne Tausch, Lohnarbeit, Kapital, Herrschaft, Staat, Konkurrenz, Ware, allgemeinem Äquivalent, etc. sein. Und das unmittelbar. Geschichte ist heute nicht am Ende, erst dann beginnt die Geschichte. Kritik stimuliert das eigene Denken. So auch hier. Kritik und Diskurs sind nötig, um Klarheit über die eigenen Positionen zu erlangen. Daher auf alle Fälle Danke für deine Kritik. Angebrachter finde ich es aber wie gesagt, nicht alles, was nicht der eigenen Meinung entspricht und trotzdem links ist, als ?Unfug" abzutun, sondern die Existenz verschiedener linker Ansätze zu respektieren. Ich respektiere die Existenz deines, auch wenn ich ihn nicht teile, kritisiere du meinen, aber mit Respekt. ?Schief und theoretisch fehlerhaft" könnte etwas nur dann sein, wenn es eine wahre Theorie oder Interpretation gibt. Die gibt es aber nicht. Oder dann, wenn die theoretischen Annahmen des/r Autors/Autorin nicht konsistent sind. Aber um das beurteilen zu können, darf man halt nicht einen kleinen Teil aus einem umfassenden Ganzen herausreißen.

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