[ox] Replik auf Krämers Kritik an 'Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Infoges.'
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- Date: Wed, 15 Nov 2000 06:29:19 CET
Replik auf Ralf Krämers Kritik an ?Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der
Informationsgesellschaft" (C. Fuchs) vom 13.11.2000
Wenn wir über produktive und unproduktive Arbeit sowie über Wissenschaft
oder Wissensarbeit sprechen, so sollten zunächst die Pre-Suppositionen
geklärt werden. Also vor allem, was unter Wissen und Wissenschaft verstanden
wird. Wird von falschen Grundkategorien ausgegangen, so erübrigt sich jede
Kritik.
Als individuelle Information können die Meinungen, Werte, Erkenntnisse,
Schlußfolgerungen, Normen, Regeln, Grundsätze, Deutungen, Vorstellungen,
Ideen und Erfahrungen einer Person bezeichnet werden. Es handelt sich dabei
nicht um statische Kategorien, sondern um sich dynamisch verändernde
Informationen. Individuelle Meinungen und Werte verändern sich
beispielsweise auf Grund neuer Erfahrungen permanent. D.h. nicht, daß sie
notwendigerweise permanent instabil sind und es daher z.B. keine
Anhängerschaft von Ideologien geben kann, sondern daß neues Wissen und neue
Erfahrungen unsere Meinungen und Werte anreichern und verfestigen, aber auch
radikal verändern können.
Die Konstitution oder Veränderung individueller Information erfolgt auf der
Grundlage von elementaren Informationen wie kommunizierten Meinungen anderer
oder neuangeeignetem Wissen aus Büchern, Medien, Gesprächen usw. Unter
Wissen kann eine Form von Information verstanden werden, die systematisiert
oder integriert wurde.
Diese Integration kann zunächst rein kognitiv vor sich gehen. Ich bilde mir
auf Grund individueller Information eine Realität, mit der ich die Welt
beschreibe. Individuelle Wissensproduktion ist also ein kognitiver Prozeß,
der aber immer eine soziale Dimension hat. Denn individuelles Wissen wir
meist im Rahmen von sozialen Beziehungen und der Auseinandersetzung mit
individueller Information Anderer und sozialem Wissen gebildet. Selbst wenn
ich ein Buch lese und im Erkenntnisprozeß neues individuelles Wissen
schaffe, so ist dies zwar kein sozialer Prozeß, aber ich setze mich mit
vergegenständlichtem, gesellschaftlich verfügbar gemachtem Wissen
auseinander. Wissen existiert niemals ausschließlich individuell oder
vergegenständlicht, sondern schließt immer soziale Verhältnisse mit ein.
Soziales Wissen entsteht nun dadurch, daß Erkenntnisse verallgemeinert und
gesellschaftlich gemacht wird. Individuelles Wissen wird dazu sozial
integriert. Schreibe ich Erkenntnisse nur für mich auf einen Zettel oder
speichere sie in meinen Computer, so mag dies individuelles Wissen
repräsentieren, es ist aber noch kein verallgemeinertes, soziales Wissen.
Sozial wird das Wissen erst, wenn ich es verallgemeinere, anderen zugänglich
mache etc. Veröffentliche ich meine Zettelnotizen also als Buch, so werden
sie zu sozialem Wissen. Genauso, wenn ich den Zettel anderen zum Lesen gebe
oder mit FreundInnen individuelles Wissen austausche.
Was könnte nun Wissenschaft und wissenschaftliche Arbeit sein? Wissenschaft
ist sicher nicht einfach die Schaffung von Wissen. Denn dann wäre eben jedeR
WissenschaftlerIn. Wissenschaft ist auf einer abstrakten Ebene die
Verallgemeinerung von neu geschaffenem Wissen mit Bezugnahme, Analyse und
Kritik auf das im Kontext dazu bereits existierende soziale Wissen. Schreibe
ich einen Roman oder ein Kinderbuch, so ist dies keine wissenschaftliche
Arbeit.
Auf einer konkreten Ebene kann nun Wissenschaft in ihrer kapitalistischen
Daseinsweise analysiert und kritisiert werden. Hier erfüllt ein Großteil der
wissenschaftlichen Arbeit eine von polit-ökonomischen Verhältnissen und
Gegebenheiten nicht unabhängige Funktion. Der General Intellect, das
allgemeine gesellschaftliche Wissen wird zu einer Basis des
Produktionsprozesses. Wissenschaft ist daher nicht neutral oder frei,
sondern frei, eine Basis der Kapitalakkumulation herzustellen. Was nicht
auch heißt, daß eine kritische Wissenschaft nicht möglich wäre, denn die
Verkopplung von kapitalistischer Produktion und Wissenschaft stellt keine
Totalität dar, auch wenn sie im Postfordismus tendenziell zu einer wird.
Wissensarbeit kann nun als Schaffung, Verarbeitung, Weiterverwendung und
Instandhaltung von gesellschaftlichem Wissen bezeichnet werden. Nun ist aber
genauestens zu differenzieren, welche Wissensarbeit produktiv ist und welche
unproduktiv. Denn derartige zusammenfassende Kategorien sagen auf Grund der
Komplexität und Differenziertheit der heutigen Arbeitswelt nichts über einen
für alle subsumierten Tätigkeiten verallgemeinerbaren Verwertungsprozeß aus.
Es kann nicht gesagt werden, daß nur Arbeit im Produktionsbereich produktiv
ist, alle Dienstleistungen oder jede Wissensarbeit als unproduktiv zu
erachten sind etc. So einfach verhält es sich heute eben nicht.
Wenn ich davon gesprochen habe, daß Wissenschaft keine abstrakte
wertschaffende Arbeit ist, so habe ich zunächst jene an öffentlichen
Institutionen gemeint. Nichtsdestotrotz stellt sie auch hier eine
wesentliche Basis der Kapitalakkumulation dar. Diese Arbeit ist Ware, indem
sie sich gegen Lohn tauscht. Daher hat sie einen Tauschwert. Aber das
entstehende Produkt hat keinen Tauschwert, es wird der Allgemeinheit nahezu
gratis zur Verfügung gestellt. Auch dem Kapital. Es entsteht hier kein
Mehrwert, ich denke, da stimmst du mir zu. In meiner Arbeit war an dem
meisten Stellen diese öffentliche Wissenschaft gemeint, vielleicht wurde
dies nicht ganz deutlich.
Wie sieht es nun mit Arbeit in Forschungsabteilungen kapitalistischer
Konzerne aus. Diese Forschungsarbeit wird für das Kapital direkt nutzbar,
die öffentlich-wissenschaftliche Arbeit ist es nur indirekt. Nun kann
darüber diskutiert werden, ob diese direkte Forschungsarbeit für das Kapital
überhaupt als Wissenschaft bezeichnet werden soll, denn was hier maximal nur
eine untergeordnete Rolle spielt, ist der Diskurs über geschaffenes Wissen,
die Auseinandersetzungen theoretischer Schulen, eine kritische Aufarbeitung
bestehenden Wissens und die Bezugnahme darauf. Wesentlich ist die
Generierung von für das Kapital unmittelbar nutzbarem Wissen. Ist diese
Arbeit nun mehrwertschaffend? Du meinst ja. Ich denke, daß dies genau
differenziert gehört.
Der Mehrwert ist zunächst nur das ?Inkrement über den ursprünglichen Wert"
(MEW 23, S. 165). Das ist eine Dimension. Eine andere ist aber, daß der
Mehrwert nur dadurch existieren kann, daß er Selbstzweck ist, also sich
verwertender Wert. Der Mehrwert ist keine statische Kategorie, sondern eine
dynamische, die nur durch die sich stets erneuernde Bewegung des Kapitals
erklärt werden kann. Ohne Akkumulation des Kapitals existiert der Mehrwert
nur in der ersten Dimension, wir müssen allerdings für den Spätkapitalismus
klarerweise in vielerlei Hinsicht von einer erweiterten Reproduktion
ausgehen. Natürlich hat diese Forschungsarbeit nun einen Tauschwert, sie
tauscht sich gegen Geld. Aber produziert sie Mehrwert? Nicht ja, sondern ja
und nein! Das entstehende materielle oder immaterielle Produkt ist zumeist
noch keine Ware, die auf dem Markt verkauft wird und mit anderen Waren
konkurriert. Sie ist nur für die exklusive Nutzung durch den
kapitalistischen Konzern bestimmt. Es kann daher noch keine Akkumulation des
Kapitals stattfinden, da wir erst in einer reinen Forschungsphase sind. Ein
entstehender Mehrwert kann hier also auch noch keine Selbstzweckdimension
haben. Der/Die Forschende wäre also in diesem Sinn keinE
produkiv-mehrwertschaffendeR ArbeitendeR. Das produzierte Wissen ist in
seiner Abstraktheit auch noch nicht akkumulierbar, sondern nur die Basis
eines akkumulierbaren Outputs. Es folgt erst eine weitere Phase, bis eine
marktfähige Ware hergestellt wird. Das dafür benötigte Wissen wurde nur
einmal erzeugt, das ist eben seine vorteilhafte Eigenschaft. Es ist nicht
akkumulierbar, die nun entstehende Ware schon. Sie tauscht sich auf dem
Markt gegen Geld, aller produzierter Mehrwert bekommt so eine
Selbstzweckdimension. Die Forschungsarbeit allein führt noch nicht zu dieser
Ware mit Tauschwert, das Produkt dieser reinen Forschungsphase hat keinen
Tauschwert (sehr wohl aber die dafür aufgewandte lebendige Arbeitskraft),
daran halte ich fest. EinE ForscherIn allein produziert keine Ware, er/sie
stellt nur eine Basis dafür her. Diese Ware kann nur durch einen
kooperativen Prozeß entstehen. Die Forschenden sind einerseits produktive
Arbeitende, wenn die kooperative Dimension hinzugenommen wird, unproduktive
Arbeitende ohne die kooperative Dimension (da dann die Selbstzweckhaftigkeit
entfällt). Nicht soziales Wissen wird hier verkauft, sondern seine
Vergegenständlichung. Das hergestellte soziale Wissen ist zwar
systematisiert, aber noch nicht in einer Ware mit Tauschwertcharakter
vergegenständlicht. Ich würde nicht so einfach sagen, daß diese Forschenden
produktive Arbeitende sind. Es kann übrigens auch nicht die EINE
Marxinterpretation geben, die uns sagt, ob sie nun produktiv, unproduktiv
oder beides sind. Es gibt viele Interpretationen davon, eine als ?Wahrheit"
zu setzen wäre stalinistische Taktik. Für mich ist meine wahr, d.h. aber
nicht, daß ich einen allgemeinen Wahrheitsanspruch erhebe und andere
Interpretationen nicht akzeptieren kann. Interessant, daß es andere gibt.
Ich erachte beispielsweise die Taktik der Krisis, die ?richtige"
Marxinterpretation zu beanspruchen, als problematisch. So stellen sie etwa
Michael Heinrich als ?Gotteslästerer" hin, da er Marx anders interpretiert.
Müßig, über so etwas zu streiten. Problematisch, andere Interpretationen
nicht zulassen zu wollen. Mir hat dann gut gefallen, daß Heinrich das als
stalinistisch bezeichnet hat.
Peter Fleissner sieht die Akkumulierbarkeit des Outputs als wesentliches
Kriterium für die Mehrwertproduktion. Soziales Wissens, das zwar
systematisiert ist, aber sich nicht vergegenständlicht, ist z.B. nicht
akkumulierbar. Das von den in unserem Beispiel für das Kapital Forschenden
erzeugte und noch nicht vergegenständlichte Wissen ist z.B. nicht
akkumulierbar. Es wurde hier auch noch keine Ware hergestellt, die sich auf
dem Markt gegen Geld tauscht. Du meinst nun aber, daß entscheidend ist, daß
Geld akkumulierbar ist. Schon, aber dazu muß in der Zirkulation W-G
erfolgen. Du nimmst m.E. nach unrealistischer Weise an, daß die erweiterte
Reproduktion so funktionieren kann, daß nicht immer die gleiche Ware
produziert wird. Dies ist aber m.E. tatsächlich kaum der Fall. Die
Selbstzweckdimension des Mehrwerts ist nur mit einem akkumulierbaren Output
möglich. Nehmen wir als Beispiel die Produktion einer nicht massenhaft
hergestellten Spezialsoftware, die für einen einzelnen Einsatzbereich
maßgeschneidert wird. Hier ist das klassische Schema der erweiterten
Reproduktion einfach nicht anwendbar. Man/Frau kann nicht davon ausgehen,
daß Marx ein Schema zur Verfügung gestellt hat, daß für immer und ewig in
genau dieser Art und Weise gilt. Marxens Beschreibungen entsprechen der
Zeit, zu der er lebte, dem heutigen Kapitalismus aber nur mehr bedingt.
Theorie ist eben nicht starr, sondern muß sich mit gesellschaftlicher
Veränderung weiterentwickeln. Genauso die Wertkritik. Das wird aber von
vielen meist zu wenig berücksichtigt. Die ?Individualsoftware" ist nicht
akkumulierbar, da sie eben nur einmal hergestellt und verkauft wird. Der
Mehrwert hat hier keine Selbstzweckdimension.
Akkumulation des Kapitals basiert auf der immer erneuten Produktion einer
Warenart. Was du beschreibst, ist der Abbruch eines Reproduktionsprozesses
und der Entzug eines Teils des Kapitals als Basis eines anderen
Akkumulations- oder Reproduktionsprozesses. Die Herstellung einer
Individualsoftware ist kein Akkumulationsprozeß, die Herstellung der immer
gleichen Massensoftware, um immer mehr Geldkapital anzuhäufen, schon. Stellt
eine Firma nun nur Individualsoftware her, so sind dies lauter einfache
Reproduktionsprozesse, aus denen immer ein Teil des Kapitals als Basis für
einen anderen Produktionsprozeß entzogen wird. (Re-)Produktionsprozeß meint
für mich nur die (Re-)Produktion einer Warenart, sonst gäbe es nur einen
gesellschaftlichen Produktionsprozeß und jede differenzierende Untersuchung
wäre hinfällig: Revenue dient auch dem Zweck der Konsumtion von Waren durch
Kapitalisten. Revenue als ein Ergebnis eines Produktionsprozesses fließt
also in viele andere Produktionsprozesse ein. Genau das beschreibst du. Ich
sage deshalb aber nicht, daß das alles zusammen ein Produktionsprozeß ist.
So kann das für mich nicht richtig betrachtet werden. Produktion bedeutet
nicht automatisch Akkumulation. Ein spezifischer Akkumulationsprozeß des
Kapitals ist mit Produktion immer derselben Ware verbunden. Wird eine andere
produziert, dann handelt es sich um einen neuen Akkumulationsprozeß. Wenn
einer heute Spielzeugpuppen und unter Verwendung dabei erwirtschafteten
Kapitals einige Zeit später Autos produziert, handelt es sich dann um
denselben Produktionsprozeß? Nein.
Fehlt nun allerdings ein akkumulierbares materielles oder immaterielles
Produkt, so hat auch keine Mehrwertproduktion stattgefunden haben. Das
Arbeitsresultat kann sowohl bei produktiver als auch bei unproduktiver
Arbeit materiell oder immateriell sein. Entscheidend ist, ob Mehrwert
produziert wird (auch als Selbstzweck) und das Mehrprodukt akkumulierbar
ist.
Ohne Mehrprodukt kein Mehrwert, denn das Mehrprodukt ist der Teil des
Produkts, worin sich der Mehrwert darstellt. Ein Ziel der Akkumulation ist
die Vergrößerung des Mehrprodukts, um das akkumulierte Kapital stetig zu
vergrößern. Daraus folgt, daß Akkumulation auf die Existenz eines
akkumulierbaren Outputs der immer gleichen Warenart angewiesen ist. Denn
würden wechselweise verschiedene Warenarten verwendet, so könnte auch immer
nur ein verschiedenes Mehrprodukt gebildet werden, was gar keine stetige
Akkumulation ermöglichen würde. Die Steigerung des Mehrprodukt ist bei einem
Akkumulationsprozeß an eine einheitliche Warenart gebunden.
Du meinst, der Produktionsprozeß einer Software, die auf CD vertrieben wird,
ist von jenem der CD zu unterscheiden. Softwareproduktion ist zwar eine
Wissensarbeit, aber sicherlich nicht Wissenschaft. Hier wird bestehendes
Wissen angewandt und vergegenständlicht, aber es wird nicht neues Wissen
geschaffen. Und auch andere Merkmale von Wissenschaft (Diskurs, Kritik,
Auseinandersetzung etc.) treffen nicht zu. Software enthält kein neues
Wissen, bereits bestehendes vergegenständlicht sich aber in ihm. Es handelt
sich um Code, hergestellt auf der Basis bereits existierender Erkenntnisse.
Im Wissenschaftsbetrieb wird im Bereich der Informatik aus Software neues
Wissen abgeleitet, sie selbst enthält aber kein neues Wissen. Software ist
nicht tauschfähig ohne einen materiellen Träger, sei dies eine CD, das
Internet oder sonstwas. Ich habe nirgendwo behauptet, daß Software nur
tauschfähig sein kann, wenn sie auf CDs gepreßt wird. Ich sage vielmehr:
?Erst wenn sie einen Träger wie Diskette, CD-ROM oder Internet bekommt, kann
sie im großen Ausmaß gegen Geld getauscht werden". Ohne ein Trägermedium ist
die Software nicht tauschbar, ihr Produktionsprozeß noch nicht vollendet.
Das wollte ich ausdrücken. Die dahintersteckende Arbeit hat daher noch keine
Selbstzweckdimension des Mehrwerts. Diese kann erst entstehen, wenn Software
auf einem Medium bereitgestellt wird. Ob dies nun eine CD oder das Internet
ist, ist völlig egal. Hier wird nun der Produktionsprozeß fortgesetzt, eine
wesentlich weitere Basis für die Akkumulation wird so erst ermöglicht. Ohne
Trägermedium hier keine Akkumulation des Kapitals, da der Output ansonsten
nicht akkumulierbar ist. Daher kann ohne ihn auch keine Akkumulation des
Kapitals geschehen. Aber da sind wir wieder beim eigentlichen
Auffassungsunterschied. Und den gibt es halt, und daran wird sich auch
nichts ändern. Produktion einer Software, die auf CD vertrieben wird,
bedeutet für mich nicht zwei Produktionsprozesse, so wie du das anscheinend
auffaßt (Produktionsprozeß der Software und Produktionsprozeß - d.h. Pressen
von Information auf CD - der CD), sondern einen zusammengehörigen
Produktionsprozeß.
Ich denke man kann nicht sagen, daß Dienstleistungen generell unproduktiv
sind (Peter Fleissners Argumentation geht in diese Richtung), da es sich
eben um eine Restkategorie handelt. Genauso kann aber nicht gesagt werden,
Dienstleistungen sind grundsätzlich produktiv, wenn sie für private
kapitalistische Unternehmen erbracht werden. Die Putzfrau z.B. arbeitet für
das kapitalistische Unternehmen, ihr Dienst wird aus Revenue bezahlt, ihre
Arbeit ist unproduktiv. Da es aber eben eine Restkategorie ist, müßte für
jede Dienstleistung extra diskutiert werden, ob sie produktiv oder
unproduktiv ist. Da stimmen wir - denke ich - überein. Mich interessiert vor
allem die Wissensarbeit und ich formuliere vorsichtig, daß eine
Wissensarbeit produktiv ist, wenn sie auf einem akkumulierbaren
Informationsprodukt basiert.
Ob eine bestimmte Arbeit produktiv ist, kann doch nur entschieden werden,
wenn es um die Produktion einer speziellen Ware geht. Bei dir geht es aber
anscheinend um produktive Arbeit, bei der verschiedene Waren hergestellt
werden. So ist die Kategorie der produktiven Arbeit dann aber für mich nicht
sinnvoll.
Vielleicht kann gesagt werden, daß aus unproduktiver Arbeit heute
tendenziell produktive wird. Gesang, Schauspiel, Musik waren früher
unproduktive Tätigkeiten, durch Hinzukommen eines Trägermediums entstehen
CD, LP, Video, Kassette etc. Und daher sind diese Arbeiten produktiv
geworden. Gehe ich in ein Restaurant, so bezahle ich mit Revenue für eine
unproduktive Arbeit. Durch Tiefkühlung etc. wird das Resultat
gastronomischer Tätigkeiten am Markt tauschfähig. Die dahintersteckende
Arbeit wurde produktiv. Andererseits wird aber durch die
Produktivkraftentwicklung auch immer mehr lebendige durch tote Arbeit
ersetzt, variables Kapital durch konstantes, die wertschaffende Arbeit wird
dadurch quantitativ reduziert. Schon Marx hatte darauf hingewiesen, daß
darum wiederum die unproduktive Arbeit ansteigt: ?Endlich erlaubt die
außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphären der großen Industrie,
begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter Ausbeutung
der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphären, einen stets größren
Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu werden und so namentlich die alten
Haussklaven unter dem Namen der ?dienenden Klasse?, wie Bediente, Mägde,
Lakaien usw., stets massenhafter zu reproduzieren" (MEW 23, S. 469). Welche
Tendenz nun stärker ist, wäre zu untersuchen.
Du erfaßt den TFPR nur als langfristige Tendenz. Ok, das ist er einerseits,
da es einen Widerspruch zwischen lebendiger und vergegenständlichter Arbeit
gibt: Basis der Mehrwertproduktion ist die lebendige Arbeit. Durch die
Produktivkraftentwicklung wird sie aber immer mehr durch vergegenständlichte
Arbeit (Produktionsmittel) ersetzt. Der pro Arbeitstag erzielbare Zuwachs an
Mehrwert steigt also dadurch in abnehmender Progression. Langfristig kann
dadurch die Wachstumsrate der Mehrwertrate nicht größer sein als jene der
organischen Zusammensetzung. Die Zersetzung der Basis der Wertproduktion
durch die Produktivkraftentwicklung der lebendigen Arbeit ist dabei von
entscheidender Bedeutung. Vergegenständlichte Arbeit ersetzt lebendige und
damit die Basis des Werts. Im Lauf der kapitalistischen Entwicklung steigt
die tote Arbeit im Verhältnis zur lebendigen. Dies ist eine langfristige
Tendenz, die sich gerade auch in der heutigen Phase des Kapitalismus äußert.
Marx brachte diesen Widerspruch in den Grundrissen auf den Punkt: ?Das
Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch, daß es die
Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die
Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt" (Grundrisse, S.
601).
Kurz und Co. sehen nun auf Grund dieses Widerspruchs den Zusammenbruch des
Kapitalismus herannahen. Das Denke ich allerdings nicht. Klar ist aber, daß
es zyklische Krisen gibt. Diese haben vielfältige Ursachen und eine davon
ist sehr wohl der TFPR. Allerdings nicht die einzig mögliche, das wäre ein
zu mechanistisches Denken. Wesentlich ist, daß jede Krise des Kapitalismus
die Äußerung einer Zusammenbruchs-TENDENZ ist. Nun gibt es aber
entgegenwirkende Ursachen, die diese TENDENZ wiederum stoppen können. Im
Postfordismus sind dies z.B. politische Maßnahmen, die zum Neoliberalismus
und einem neuen Schub der ökonomischen Globalisierung führen (nationaler
Wettbewerbsstaat, Deregulierung etc.). Ich denke nicht, daß ein rein
ökonomischer Zusammenbruch des Kapitalismus realistisch ist, sondern daß
dazu auch ein politisch-revolutionäre Komponente notwendig ist. Quasi
besteht eine Dialektik von ökonomischen Strukturen und gesellschaftlichem
Handeln. Das heißt nicht eine moderne Form der ?Verelendung" als Basis einer
Revolution, sondern gesellschaftliche Krisensituationen (nicht nur
ökonomisch, auch politisch, ökologisch, sozial etc.) als Bifurkationspunkte,
in denen die weitere gesellschaftliche Entwicklung durch aktives Handeln
entschieden wird und nicht determiniert ist. Diese Krisen sind aber wiederum
nicht die einzigen Ausgangspunkte für Veränderung. Emanzipatorisches Handeln
kann auch relativ spontan einsetzen. Heute haben wir offensichtlich eine
gesellschaftliche Krise (ökonomisch, politisch, sozial, ökologisch) und sind
in so einem Bifurkationspunkt angelangt.
Wenn wir davon ausgehen, daß die Durchschnittsprofitrate abhängig von der
organischen Zusammensetzung des Kapitals und von der Mehrwertrate ist, so
gibt es mehrere Möglichkeiten, die mittelfristig zu einem Fall der
Profitrate führen können:
· Die Produktivkraftentwicklung verlangsamt sich, da eine Sättigung der
Nachfrage nach neuen Produktionsmitteln eintritt. Die Zuwächse der
Produktivität werden dadurch vermindert. Der Anstieg der Rate des Mehrwerts
verlangsamt sich.
· Der konstante Kapitalanteil und damit die organische Zusammensetzung des
Kapitals steigt überproportional an (z.B. durch hohe Material- und
Instandhaltungskosten).
· die Nachfrage nach Konsumtionsmitteln erreicht eine Sättigung. Der
realisierte Mehrwert sinkt dadurch. Dies wirkt negativ auf die Rate des
Mehrwerts.
· Die Entwicklung der Produktivkräfte führt zur Freisetzung von Arbeitenden.
Dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit vernichtet Kaufkraft, aus KäuferInnen
werden NichtkäuferInnen. Dies wirkt negativ auf den realisierten Mehrwert
und damit auch auf die Mehrwertrate.
· die politische Ebene wirkt zurück auf die ökonomische und verursacht einen
überproportionalen Anstieg der Investitionskosten (c und v). Dies kann z.B.
durch Klassenkämpfe verursacht werden. Dadurch verlangsamt sich das Wachstum
der Mehrwertrate und es beschleunigt sich jenes der organischen
Zusammensetzung.
· oder der Widerspruch von toter und lebendiger Arbeit (siehe oben) kommt
durch einen Schub an Automation oder Rationalisierung zum Ausdruck
Wie gesagt: TFPR als eine mögliche Ursache einer ökonomischen Krise. Sicher
nie die einzig mögliche, denn es gibt viele Widersprüche in der
kapitalistischen Gesellschaftsformation. Problematisch ist immer eine
reduktionistische Herangehensweise, da der Kapitalismus äußerst komplex ist.
Eine gesellschaftliche Krise kann genauso gut z.B. einen politischen
Ausgangspunkt haben, der auch auf den ökonomischen Bereich rückwirken kann.
Zum Glück erkennen heute immer mehr TheoretikerInnen die Bedeutung des
Verhältnisses der gesellschaftlichen Subsysteme zueinander und versuchen,
nichtreduktionistische und nichtökonomistische Analysen und Kritiken des
Kapitalismus zu schaffen.
Der TFPR ist nicht die eine Erklärung der zyklischen Krisen für mich, wie du
zu meinen scheinst. Es gibt eben viele. Aber es ist auch nicht so, daß er
keine Bedeutung für zyklische Krisen hat. Zusammenbruch ist kein
Automatismus, sondern ein politisch zu erreichendes Ziel. Zumindest
außerhalb der Sozialdemokratie bei ein paar Leuten heute noch. Den TFPR für
völlig unbedeutend zu erklären, heißt eigentlich, die marxistische
Krisentheorie auf den Müllhaufen der Geschichte zu schmeißen und den
Kapitalismus als den historischen Sieger, das Ende der Geschichte, zu
betrachten. Da wird dann auch schnell argumentiert, daß es Ziel sei, den
Kapitalismus durch den Staat zu ?zivilisieren" oder zu humanisieren. Aber
das schließt sich eben aus. Humanismus gibt es im Kapitalismus nicht,
sondern Basis von erstem wäre die Aufhebung des zweiten (und eben wieder
kein Automatismus). Eine Stabilisierung des Kapitalismus ist unmöglich, da
diese Gesellschaftsformation strukturell ökonomisch, politisch, ökologisch
etc. krisenhaft ist. Das müßte jeder Reformismus heute nach Scheitern des
Keynesianismus eigentlich begriffen haben. Auch ein Neokeynesianismus
(sollte es ihn jemals geben) wird diese Krisenhaftigkeit nicht beseitigen.
Den Kapitalismus nicht als gesellschaftliche Totalität in Ökonomie, Politik
und Kultur zu begreifen und vor allem nicht zu kritisieren, bedeutet jedoch,
mit dem Leben von Menschen zu spielen. Und das ist bei den Sozialdemokraten
Europas und bei anderen heute eben der Fall.
?Der Staat ist und bleibt entscheidende Mittel der Umsetzung linker Politik"
(Krämer, Strategische Differenz: Die Bedeutung des Staates für linke
Politik, SPW 6/95) - da gibt es eben auch zulässige und zu akzeptierende
Auffassungsunterschiede. Der Staat ist und bleibt entscheidendes Mittel der
Umsetzung des Interesses des Kapitals. Denn die Formbestimmung des
kapitalistischen Staates besteht aus:
1. Organisation der Infrastruktur und der Rahmenbedingungen der
Kapitalakkumulation sowie der kapitalistischen Produktion und Reproduktion
(Forschung, Bildung, Wissenschaft, Garantie der Rechtsverhältnisse,
Gesundheitswesen, Verkehr, Erhaltung der ArbeiterInnenklasse als
Ausbeutungsobjekt des Kapitals, Garantie der Verfügbarkeit von Lohnarbeit
für das Kapital, Subventionspolitik, Finanz- und Kreditwesen, Steuerpolitik,
Stadtsanierung, Umweltschutz, Raumordnung, Reproduktion der Arbeitenden
usw.).
2. Repressive Absicherung des Kapitalverhältnisses durch Gesetzgebung,
Justiz, Polizei und Militär und das staatliche Gewaltmonopol: der Staat
dient also der repressiven und gewaltsamen Niederhaltung des Proletariats,
wenn es die Grundlagen seiner Ausbeutung angreift
3. Organisation von Gegentendenzen zum tendenziellen Fall der Profitraten
und der krisenhaften ZusammenbruchsTENDENZEN des Kapitalismus
4. Herstellung der Einheit der Fraktionen des Kapitals: Klassen stellen
keine homogenen Einheiten darstellen, sondern sind intern fraktioniert
(siehe Poulantzas, Staatstheorie, 1978). Der Staat hält die kapitalistische
Gesellschaftsform zusammen, er ist ein Kohäsionsfaktor, der die Einheit der
fraktionierten Bourgeoisie organisiert. Er organisiert den Block an der
Macht. Als eine Aufgabe des Staates kann die Formulierung eines
kapitalistischen Gesamtinteresses angesehen werden, das die zersplitterten
und konkurrierenden Kapitalfraktionen eint.
5. Befriedung der ArbeiterInnenklasse: um nicht gewalttätig die
Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung durchsetzen zu müssen, agiert
der Staat ideologisch als massenintegrativer Apparat. Eine wesentliche Rolle
dabei spielt die Regulation des Klassenverhältnisses durch Instrumente wie
Sozialpartnerschaften, Zugeständnisse an die ArbeiterInneklasse und die
Gewerkschaften und der klassenneutrale Schein des Staates. Die ideologische
Funktion des Staates besteht in dem Versuch, einen Konsens von Beherrschten
und Herrschenden herzustellen.
?Um den Staat kämpfen!" (Krämer). Nein: Gegen den Kapitalismus und den damit
integral verkoppelten Staat kämpfen. Eine ?Rückeroberung des Staates für
fortschrittliche Politik" kann es nicht geben, denn dieser Staat und dieser
Kapitalismus waren auch im Keynesianismus nicht fortschrittlich. Denn
Keynesianismus bedeutete nichts anderes, als verstärkte Mithilfe des Staates
bei der Erhaltung des Ausbeutungsmaterials und der Kapitalakkumulation durch
Sozialstaat und Förderung von Massenproduktion und Massenkonsum. Nur
beschränkt Ergebnis des Kampfs der Arbeiterklasse, vor allem aber eine
ideologische Finte und ein Zugeständnis des Kapitals. Keynesianismus als
klassenneutraler Schein des Staats.
Neokeynesianistischer Versuch der Stabilisierung des Kapitalismus, Absage an
die Krisentheorie, Durchsetzung eines neuen Regulationsmodells (wie bei
Hirsch, Lipietz, Altvater etc.) sind für mich nicht der richtige Weg. Aber
das ist eben alles miteinander verschränkt. Daher hier die Kritik am linken
sozialdemokratischen Reformismus. Natürlich hat der seine Legitimität
innerhalb der Linken wie anderes aus. Aber meine Alternative ist die
Fundamentalkritik. Ziel kann nur ein Leben ohne Tausch, Lohnarbeit, Kapital,
Herrschaft, Staat, Konkurrenz, Ware, allgemeinem Äquivalent, etc. sein. Und
das unmittelbar. Geschichte ist heute nicht am Ende, erst dann beginnt die
Geschichte.
Kritik stimuliert das eigene Denken. So auch hier. Kritik und Diskurs sind
nötig, um Klarheit über die eigenen Positionen zu erlangen. Daher auf alle
Fälle Danke für deine Kritik. Angebrachter finde ich es aber wie gesagt,
nicht alles, was nicht der eigenen Meinung entspricht und trotzdem links
ist, als ?Unfug" abzutun, sondern die Existenz verschiedener linker Ansätze
zu respektieren. Ich respektiere die Existenz deines, auch wenn ich ihn
nicht teile, kritisiere du meinen, aber mit Respekt. ?Schief und theoretisch
fehlerhaft" könnte etwas nur dann sein, wenn es eine wahre Theorie oder
Interpretation gibt. Die gibt es aber nicht. Oder dann, wenn die
theoretischen Annahmen des/r Autors/Autorin nicht konsistent sind. Aber um
das beurteilen zu können, darf man halt nicht einen kleinen Teil aus einem
umfassenden Ganzen herausreißen.
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