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[ox] Bericht von MES Tagung und zu "human capital"



UlrichLeicht t-online.de

Hi Oekonux-listige

Stefan Merten hat mich ermuntert, noch einmal kurz und frei von der Leber 
über meine Erlebnissee auf der MES-Tagung an die Liste zu berichten. Das bin 
ich Euch ja eigentlich nach der Ankündigung auch schuldig.

------------------------------- B e r i c h t -------------------------------

Helmut Weiss und ich  wurden eine Woche vor der Veranstaltung der Marx-Engels-
Stiftung als Vertreter der IG Medien Dortmund unerwartet von den Veranstaltern 
kontaktiert, doch daran teilzunehmen und einen Beitrag zu halten. Es fehle 
der Veranstaltung trotz prominenter Besetzung eigentlich an interesanten 
Farbtupfern. Die hoffte man durch uns zu gewinnen. Wer Ihnen den Hinweis 
gegeben hat, daß da in Dortmund Leute mit einem etwas anderen 
Gewerkschaftsverständnis sein müßten, weiß ich nicht. An der Tagung nahmen 
allerdings auch Dortmunder DKP- und PDS-Leute teil, die uns natürlich kennen 
und mit denen wir auch im Rahemn des linken Netztwerks und dem Forum 
kritischer Gewerkschafter zu tun haben.
Wir nahmen uns vor, der doch unerwarteten Einladung zu folgen, schickten Texte 
von uns aus den letzten 12 Monaten zu (Ver.di, zur Gewerkschaftslinken, 
Tarifauseinandersetzung, und Thesen, an denen wir gerade für die Debatte der 
Linken am werkeln waren). Kurzfristig wurden wir dann mit dem Thesen-Titel in  
den Tagungskalender aufgenommen.
Allein diese Tatsache ist doch ein Fortschritt, daß sich die auch in der Krise 
und Isolierung befindlichen altmarxistischen Formationen nicht alle ab- und 
einkapseln, sondern in ihrer Not auch bereit sind, sich mit alternativen 
Ansätzen auseinanderzusetzen. Tue ich als Gewerkschafter letztlich ja auch.

Unsere Texte waren wie gesagt nicht direkt für diese Tagung gemacht, unsere 
Thesen, die ja zunächst nur den sozusagen systemimmanenten Teil - anknüpfend 
an die Debatte unter der sogenannten Gewerkschaftslinken beinhalten - ergänzen 
wir gerade um die notwendigen systemsprengenden (wert- und arbeitskritischen, 
anti"ökonomischen" und anti"politischen"/-politizistischen)) und damit die 
realexistierenden Gewerkschaften sprengenden Aspekte sozialen 
gewerkschaftlichen Engagements in dieser Zeit. 
Also Version 1.2 oder 2.1, die dann auch als "ot-projekt" und in labournet.de 
für die bundesweite Debatte der Gewerkschaftslinken zur Verfügung stehen.
Da Helmut verhindert war, versuchte ich alleine mein Glück.
Mein Auftritt dort war auf jeden Fall im guten Sinne eine Provokation. 
Nachdem Frank Deppe (politischer Mentor der Gewerkschaftslinken), der 
Verantwortliche für Gewerkschaftsfragen beim DKP-Hauptvorstand (Wolfgang 
Teuber), ein "Sozialismus"-Redakteur und Ulla Lötzer (PDS-Bundestagsmitglied - 
HBV) ihre vorbereiteten Beiträge ziemlich langatmig und mit altbackenen 
Argumenten vorgetragen hatten, wurde mir gestattet aus dem Stehgreif mit 
mehreren längeren Dskussionsbeiträgen (statt Referat) zu den aufgeworfenen 
Fragen meine erwarteten Gegenstandpunkte zu den mehr oder weniger 
altmarxistischen und "klassenkämpferischen" Positionen und Einschätzungen der 
kapitalistischen Wirklichkeit heute usw. darzulegen. 
Bei Freunden und Verehrern der Arbeit und der Arbeiteravangarde ging zunächst 
auch ein Raunen/Staunen durch die Reihen, als ich meinte nachweisen zu können, 
daß sich der Klassenkampf wie auch seine Träger, die Arbeiterklasse, langsam 
verflüchtigen und verflüchtigen müssen. Daß es objektiv eine hoffnungsvolle 
Entwicklung und positive ist, daß im Zuge der mikrelektronischen 
Produktivkraftentwicklung abstrakte Arbeit wegschmilzt und mensch sie 
millionenfach l o s  wird. Unter den gegebenen Verhältnisssen zwar in perverser 
und existenzgefährdender Weise, weil alles an Geld und Verwertung hängt. Die 
Alternative aber nicht "Arbeit, Arbeit, Arbeit", "Vollbeschäftigung", die, 
wenn überhaupt, nur in prekären Beschäftinungsverhältnissen und Jobs 
vorübergehend realisiert werden könne, usw. ... sei,  sondern die Entkopplung 
des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens und damit auch Überlebenes von 
Wert, Arbeit, Geld, usw. und eine sozialemanzipatorische klassenlose Bewegung 
sein muß und wird. 
Die Anstöße für weiteren Fortschritt werden kaum aus den Reihen der Arbeiter- 
und Gewerkschaftsbewegung kommen, wenn sie sich nicht von diesen alten 
Vorstellungen löst und keine antimarktwirtschaftlichen Wege, wie z.B. eine 
Genossenschsftsbewegung auf neuer und höherer Stufe, fernab von Markt und 
Staat, in Bündnissen und Vernetzungen nicht für die Arbeit mit den Agenten und 
politischen Freunden des Kapitalismus sondern mit den alternativen Bewegungen 
und Ansätzen eingeht. 
Außerhalb ihrer Reihen gibt es schon viele bislang ignorierte hoffnungsvolle 
Ansätze, in freien Kooperativen, Selbsthilfen und und und ... und gerade auch 
unter denjenigen, die den neuen fortschrittlichen Produktivkräften nahe stehen 
und als "free software" Protagonisten Keinformen einer befreiten Gesellschaft 
überhaupt im Schoße der herrschenden Verhältnisse aufspüren, ausfindig machen 
und vorantreiben.
So in dieser Form habe ich versucht, mich einzumischen. bei wenigen 
Kopfschütteln, bei den allermeisten erst Erstaunen, immer öfter auch 
zustimmendes Kopfnicken und letztlich auch Freude darüber, daß die 
Veranstaltung doch noch eine weniger langweilige Wendung nahm. Frank Deppe, 
politisch klug genug, gestand auch die von mir beklagte Anbierderung der 
Linken und Altkommunisten an die Gewerkschaftführung und ihren Etatismus zu, 
das Kuschen vor Unvereinbarkeitsbeschlüssen, die Diffamierung der Opposition 
(linken oppositionellen Listen z.B.in den 70er Jahren) als reaktionäre 
Spaltungsmanöver seien in der Tat Leichen im eigenen Keller. 
Und es gelte sich, mit Kurz und Gorz und Linux auseinanderzusetzen. Ich hatte 
namentlich nichts von allem erwähnt (und halte nebenbei gesagt Gorz zwar in 
seinen Analysen für interessant aber in seinen Wegweisungen für die Zukunft 
für genau so nützlich bzw. unnützlich wie Bourdieu mit seinen wiederholten 
Aufrufen an die Generalstände Europs, die bürgerliche Revolution endlich zu 
Ende zu führen). 
Fazit: Mensch findet auch in "alter" Umgebung durchaus Gehör und Interesse für 
neue Überlegungen und Wege.
Die Veranstaltung wurde auch mit Video aufgenommen (wie versichert wurde nicht 
mehr auch für die Stasi). Die eingereichten Texte sollen veröffentlicht werden, 
die spontanen Interventionen sicher nicht, die gibts nur im Video-Bild.

----------------------------- Ende Bericht ----------------------------------

Ich bin so frech und nutze diese mail, noch auf ein hier erwähntes anderes 
Thema einzugehen, auf das Franz Nahrada hingewiesen hat. Den Artikel unseres 
Dortmunder "Kampfgefährten" Ralf Krämer in der SPW (Sozailaistische Politik 
und Wirtschaft - Organ der linken und marxistischen Gruppe in der SPD) zu 
"human capital".
Ich schaffe es nicht eine wohldurchdachte und dem Thema angemessene Kritik so 
flott zu formulieren, kann nur Anmerkungen machen. 
Vorweg kurz zu Ralf und seinem politischen Engagement (vor dem ich trotz 
letztlich großer Meinungsunterschiede - Linkskeyneseanismus, Marktsozialismus, 
Arbeitskritik u.a. - großen Respekt habe), daß auch für unsere Anliegen sehr 
nützlich sein kann.
1. Ralf und ich waren die wesentlichen Initiatoren einer etwas anderen 
Dortmunder "Iniative für eine andere Politik", die versuchte über die Erfurter 
Erklärung hinauszukommen. Heute sind wir noch gemeinsam im Rahmen des 
links-alternativen Netzwerkes aktiv. Ralf war jahrelang, bis zu seinem 
kürzlichen Austritt aus der SPD, Geschäftsführer und Chefredakteut der 
Zeitschrift SPW (in der Tradition von Paul Levi). Als studierter Soziologe und 
geschulter Marx-Kenner ein interesanter und fähiger politischer Kopf, der sich 
verdienstvoller Weise auch mit Wertkritik, Problemen der 
Dienstleitungsgesellschaft usw. auseinandersetzt.
Er hat jetzt für Dortmund/Bochum im Rahmen der Rosa-Luxemburg-Stiftung einen 
Rosa-Luxemburg-Club (so etwa in der Traditiom der früheren Clubs Voltaire, 
Republikanische Clubs) - im Netz auch unter linksnet.de zu finden -ins Leben 
gerufen, der unter anderem verschiedene interessante Veranstaltungsreihen 
plant. Im November wird es dort eine Jahresplanung 2001 geben. Dies alles ist 
ganz neu, und mir fällt erst jetzt ein, daß es möglicherweise machbar sein 
könnte, in Zusammenarbeit auch mit RLS bzw. RL-Club und IG Medien die geplante 
Konferenz angehen zu können. Ich/wir sollten das prüfen. Vielleicht kann 
jemensch, z.B. Stefan Mz. nach Dortmund kommen, um dies gemeinsam zu beraten, 
wenn nicht die anderen Kanäle in diese Richtung schon Wege eröffnet haben. 
Vielleicht wäre auch Fiete Saas, Ralf oder ein Referent aus diesem SPW-Umkreis 
interessant.

2. zu "human-capital"
Da ich Abonnent der "spw" bin, kenne ich den Artikel von Fiete Sass ("Human 
Capital, menschliche Fähigkeiten im Zentrum der Produktivkraftentwicklung") und 
die Nummer 114 (die sich hauptsächlich mit dem Thema 
Dienstleistungsgesellschaft) befaßt, auf die sich Ralf Krämer in seinem 
kritisch-ergänzenden Artikel befaßt. Leider ist diese Nummer unter 
"linksnet.de" Rubrik spw noch nicht zu finden. Dieser Artikel ist in jedem 
Fall sehr lesenswert und scheint mir in manchen Aspekten durchaus richtig zu 
liegen und wurde durch die wert-ökonomische Vertiefung durch Ralf nicht in 
jedem Falle besser.
Hier wurde kurz darüber gestritten, ob der englische Begriff sinnvoll oder ein 
Ärgernis sei. Dieses Problem habe ich nicht. Ich bin kein ausgewiesener Kenner 
in ökonomischen Fragen, mir scheint aber, daß der Begriff überhaupt aus 
system- und wertkritischer Sicht falsch und für unsere Analyse nicht so 
hilfreich ist, und auch nicht die abgeleiteten und auftauchenden 
Beschreibungen wie "Informationsrenten", "Informationskapitalismus und 
moderner Imperialismus", "Cyberlords", "Wert des 'Human Capital'".
Fragen, auf die ich jetzt noch nicht eingehender eingehen kann, wären:

- was ist "human capital" eigentlich so besonderes? Ein Begriff aus der VWL, 
der die "skillness" (Wissen, Können, Fähigkeiten, Talent und Wollen), dann 
auch von Agenten im kapitalistischen Produktionsprozeß auf toter und lebendiger 
Kapitalsseite fassen könnte? 
- hunamn capital eine "Erscheinungsform des immaterillen Kapitals", des "fixen 
Kapitals", sein Einkommen eine Form der "Grundrente"? Was denn nun?
- heute wirklich ein wesentliches Moment der Wertschöpfung oder richtiger der 
Abschöpfung von gesellschaftlichen Mehrwert und immer mehr Bedingung und Moment 
der Produktivkraftentwicklung und des Reichtums im Sinne von wachsenden 
Potenzen der Prokution von nützlichen High-tech und sonstigen Gebrauchgütern? 
- Finanziert aus Extraprofiten oder wesentlich aus dem "Geisterkapitalismus,
dessen ruhelose Seele die für sich auf Dauer nicht lebensfähige aufgeblasene
Börsenkapitalisierung ist."(Kurz in "New Economy")?
- neben der Masse der "knowledge worker", die offensichtlich in einem 
Lohnverhältnis stehen, und deren Einkommen sich nicht aus Profit oder gar 
Grundrente speisen, gibts dann diese Windhorsts, Ex-Hacker-Schmidts etc, die 
"start-upper", die Schumachers und Rinaldos der New Informations- und 
Internet-Economy? Sind das wirklich Cyberlords. Haben wir es mit 
Wissensfeudalismus zu tun? Was sind dann Patente und Patent-Inhaber?

Mir scheinen diese Einordnungen in der Analyse und Begrifflichkeit eher 
verwirrend, so verdienstvoll das Aufgreifen dieser Thematik auch durch 
Ralf ist. Es wäre spannend, wenn kompetentere Listenteilnehmer als ich dem 
noch einmal nachgehen könnten. Ich bin in diesem Falle wieder einmal eher ein 
Fan der Kurzschen Analysen und Einordnungen von "New Economy", die übrigens 
dann auch die potentiellen Keinformen, die in von mir aus auch "human capital" 
genannten Produktivkräften für die Gesellschaft jenseits der 
Verwertungsmaschinerie stecken, hervorheben:

	"Jedes Kind kann sich ausrechnen, daß dieser virtuelle 
Scheinkapitalismus noch viel unhaltbarer ist als die spekulative
Vorwegnahme eines traditionellen Wirtschaftswunders bei den "Blue Chips", das 
ebenfalls nie mehr nachfolgen wird. Das Internet revolutioniert in der Tat die 
Kommunikationsmöglichkeiten, aber in Wahrheit über den Kapitalismus hinaus. 
Eine tragfähige kapitalistische "Webwirtschaft" wird es mangels Produktion und 
Beschäftigung nicht geben. Außerdem ist der E-Commerce äußerst anfällig, denn 
es erweist sich als ziemlich aufwendig, die weitgehend (von den Telefongebühren
abgesehen) kostenlose Nutzung des globalen Netzwerks in einem wirklich großen 
Maßstab als kapitalistisches Angebot zu organisieren und dabei die kommerzielle 
Abwicklung störungsfrei sicherzustellen. Dieselbe Kostenlosigkeit, die
betriebswirtschaftlich als Kostenkiller erscheint und dadurch zum 
Beschäftigungskiller wird, führt den Kapitalismus endgültig ad absurdum. 
Und nicht nur in negativer Hinsicht, nämlich als Abschied von einer Welt der 
abstrakten Arbeit, sondern auch als positiver Vorschein: Das Internet verweist 
auf eine Welt jenseits des Kaufens und Verkaufens, auf ein wechselseitiges
Gratis-Verhältnis bewußt vergesellschafteter Individuen, während ein 
Gratis-Kapitalismus ein Widerspruch in sich wäre. Mehr oder weniger deutlich 
spüren diesen Impuls auch die Websurfer und Hacker, die sich gegen die 
Kommerzialisierung des Internet wehren und durchaus das Know-how für eine 
effiziente elektronische Sabotage besitzen. Das zeigte sich Anfang 2000,
als anonyme Angreifer in den USA und der BRD die Portale namhafter 
Web-Kapitalisten stundenlang blockierten und damit eine aufgeregte Debatte 
unter Bankern, Politikern und Geheimdiensten über den Schutz des heiligen 
Privateigentums an virtuellen Produktionsmitteln im Cyberspace auslösten.
Die eigentliche revolutionäre Bedeutung des Internet könnte in seinem Gehalt 
als postkapitalistisches Universalmedium liegen, das innerhalb der 
kapitalistisch verfaßten Gesellschaft vor allem der oppositionellen 
Kommunikation dient. An kapitalistisch denkende und handelnde Menschen ist ein 
solches Universalmedium sowieso verschwendet, denn was hätten diese einander
mitzuteilen, das der Rede wert wäre? Außer kindischem Geplapper und 
wechselseitigem Verkäufergrinsen nichts gewesen. Als Medium einer sozialen 
Gegen- und Massenbewegung dagegen hat das Internet Zukunft. Es könnte die 
Konkurrenz durch globale Direktkommunikation aufheben und würde perspektivisch 
zum Kinderspiel machen, was der Räte-Idee immer als angebliche praktische 
Unmöglichkeit vorgehalten wurde: die unmittelbare Interaktion einer globalen
Selbstverwaltungsgesellschaft ohne Geld und ohne Staat. Der verborgene Sinn 
des "World Wide Web" ist ein global vernetztes elektronisches Rätesystem. Die 
falschen Blütenträume vom Internetkapitalismus dagegen können nur noch eines: 
nämlich platzen."
(aus: Kurz, "Euphorie um New Economy", im Netz zu finden unter
http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_euphorie-um-new-economy_jungle-world_
2000.html)

Ciao Uli


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