Das Utopische Klo

Annette Schlemm


Inhaltsverzeichnis

Dieser Text wird auch als OpenTheory-ProjektRemote link diskutiert. Weiterhin gibt es eine ganze Web-SeiteRemote link rund um diesen Text.


Jede Utopie muß sich daran messen lassen, wie in ihr das Problem des Klo-Putzens gelöst wird.

Am Anfang war das Bedürfnis

Nichts geschieht ohne ein Bedürfnis. Im früheren Kapitalismus schien es ein Bedürfnis zu sein, Geld und Börsennotierungen zu vermehren. Da wurden extra Bedürftigkeiten geschaffen, ob die Menschen wollten oder nicht. Es war die hohe Kunst, auch Bedürfnisse dort zu schaffen, wo gar keine waren. Und wenn ein Mensch aber trotz aller Mühen und Werbetricks immer noch das Gefühl hatte, irgendwo, keinen Bedarf zu verspüren - obwohl man damit viel Geld verdienen konnte -, war er "out". Diese Zeit ist vorbei. Alle wirtschaftlichen Tätigkeiten drehen sich nur noch darum, wie die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen sind. Auch mich, das Utopische Klo, gibt's deshalb nur, weil ganz konkrete Menschen ab und zu mal ein echtes Bedürfnis haben. "Meine" Menschen leben in einer Gruppe, die mit 8 bis 12 Personen eine Wahlverwandtschaft bildet. Zwar wechseln die konkreten Menschen ab und an, aber eine Kerngruppe bleibt eigentlich meistens zusammen. Als sie sich vor zwei Jahren auf das Wohnobjekt geeinigt hatten, in dem sie ihre Einzel- und Gemeinschaftszimmer haben wollten, kümmerten sie sich um alles, was ihnen wichtig war. Sie wurden Mitglied in der lokalen FoodCoop, fanden heraus, wer was gerne kocht und was wem schmeckt und... nun ja - das gegenteilige Bedürfnis wurde auf der vorhandenen alten Toilette befriedigt. Warum eigentlich sind diese Örtchen meistens das Letzte, was Menschen wichtig finden...? Seit wann es "mich" gibt, kann ich gar nicht richtig sagen, denn unsereins lebt bereits in nicht-stofflicher Form als reine Idee, sobald jemand von den Menschen anfängt, zu überlegen, womit er sein Bedürfnis befriedigen kann. Das erste, was es materiell von mir gab, war ein Karton, in dem "meine" Menschen alle möglichen alten Keramik- und Glasscherben sammelten. Die dahinterstehende Idee war ein Erinnerungsbild an eine schöne Scherbenmosaikwand in einem früheren Kommune-Klo. Und dann ging's langsam los.

... und gearbeitet wird, um Arbeit zu sparen

Ich muß noch erwähnen, daß das alte Toilettenbecken noch eine Weile neben mir aufbewahrt wurde, bis sich eine andere Verwendung für das Material fand. Es war vor 4 Jahrzehnten als Ware in einem großen Konzern für Sanitärartikel am Fließband hergestellt worden. Es gab zwar Dutzende verschiedene Klo-Becken-Formen und -typen, aber von jedem Typ wurden Tausende gleichförmige Produkte meist automatisch in einer Fließreihe hergestellt - nur am Ende des Bandes standen Menschen, meistens Frauen, die es noch einmal per Hand blankputzen mußten.

Die erzeugten Dinge wurden dann auf Märkte gebracht und mußten warten, bis jemand mit einem entsprechendem Bedürfnis und dem zum Kauf nötigen Geld kam, dem es gefiel. Na ja. Meist klappte das irgendwie. Allerdings wurde der Aufwand zum Herstellen der Dinge gegenüber der Mühe, das viele Zeug irgendwie auch wieder in Geld umzusetzen, immer geringer. Irgendwann ging man immer mehr dazu über, die Käufer vorher zu fragen, was sie brauchen könnten und dann nur noch zu produzieren, wenn jemand vorher bestellte. Dazu mußte nur die Technik flexibler werden, aber technische Probleme sind ja immer die einfachsten. So hätte das noch Jahrzehnte weitergehen können, denn die Technik läuft einfach weiter, sie und die Waren können von selbst ja nichts tun.

Nur die Menschen fanden es irgendwann zu blöd, selber wie Automaten irgendwo ihren Dienst zu tun, oder von den Robotern ersetzt zu werden und immer viel zu wenig Geld zu haben, um die Dinge zu kaufen, die sie zur Bedürfnisbefriedigung brauchen. Sie sahen ja gleichzeitig, daß die Dinge im Überfluß hergestellt wurden. Das alte Toilettenbecken bei uns im Projekt kannte die Alte Welt ganz gut. In seinem ersten Leben war es in einem Baumarkt von einem Handwerker gekauft worden und landete in einem Haushalt, wo es jeden Tag geputzt und desinfiziert wurde. Es war nur komisch, daß die Frau, die das tun mußte, nicht zur Wohngemeinschaft gehörte, die das Klo benutzte. Sie sah auch irgendwie anders aus.

Als diese Wohngemeinschaft (die damals "Familie" genannt wurde) auszog und eine andere einzog, kaufte die sich ein neues Becken, obwohl das alte noch völlig intakt war. Sie warfen es in den Abfall - wo es sich junge Leute rausfischten, die es in das Gebäude einbauten, wo es bis zu meiner Inbetriebnahme seine Funktion erfüllte. In dieser Gemeinschaft, die sich "WG" nannte, erlebte das Becken nie wieder Desinfektionsmittel und es geriet ständig ins Zentrum der Aufmerksamkeit - was es ziemlich stolz machte. Leider bestand diese Aufmerksamkeit nicht in Lobreden und Fürsorge - sondern im Streit darum, wer denn das Ding saubermachen sollte. Die WG-Leute wechselten viele Male, das Gebäude wurde umgebaut, Jahre vergingen, der Streit blieb derselbe...

Als meine Idee entstand, hatte sich die Art und Weise, die Dinge herzustellen gewandelt. Es gibt keinen Vorrat an automatisch gefertigten Waren mehr - die sich die arbeitslosen Menschen immer weniger leisten konnten. Die im 21. Jahrhundert entstandene technische Möglichkeit, daß die Bedürftigen ihre Wünsche direkt äußern und auf ihren Wunsch hin sie selbst und andere tätig werden, um das Benötigte herzustellen, hatte das Dazwischentreten von Markt und Geld überflüssig gemacht. Es wird produziert, was benötigt wird.

Ganz früher soll das auch schon mal so gewesen sein, allerdings lediglich auf landwirtschaftliche und handwerkliche Produktion bezogen, nicht mit Hilfe der jetzt vorhandenen flexiblen Maschinen, Computersteuerungen und Kommunikationsvernetzungen. Dem entsprechend waren die Klos damals auch nur Löcher mit einem Sitzbrett und einem Häuschen drumrum. Die Industrialisierung führte dann zu solchen Keramikbecken, wie meinem Vorgänger. In manchen Wohnungen wurden die Bad-Toiletten zu wahren Konsumparadiesen mit künstlichen Blumen, Glasmuscheln, Plüschnippes und so weiter. Manchmal für eine einzige Person, die sich wunderte, warum sie nie genug Geld für alle ihre Bedürfnisse hatte... Fortschritt war dann immer mehr mit Technisierung verbunden: automatische Papierumrandungsabsenkung vor Benutzung, automatische Wasserspülung - oder bei Verzicht auf Wasser eine automatische Tütenwechseleinrichtung. Bis die Leute merkten, daß sie dafür eigentlich nicht tausende von Eurodollaryens tauschen und dafür ihre ganze Lebenszeit den Jobs hinterherjagen wollten. Wenn sie das nicht gemerkt hätten, bestünde das heutige Utopische Klo vielleicht aus einer biotechnisch in den Körper integrierten Recyclinganlage für die Reichen und einem Spaten für die Armen.

Technisch ist alles möglich - wie es wirklich läuft, entscheiden die Menschen. In lokalen Märkten wurde auch ganz früher schon immer ungefähr das produziert, was gebraucht wurde. Die meisten Klos wurden auf dem Bauernhof selbst zurechtgezimmert, manchmal wurde noch ein Handwerker zu Rate gezogen. Nur Luxusklos wurden weiträumig durch Händler an die gebracht, die sie bezahlen konnten. Und die persönlichen Händler wurden überflüssig, als im wesentlichen nur noch die sachliche Macht, das Geld über den Markt Produkte und Konsumenten zusammen brachte. Klobecken aus aller Welt standen im Sanitärmarkt in aller Welt rum. Es war natürlich auch entlastend für den Einzelnen: Er brauchte sich nur um seinen Job kümmern und es war nicht seine Sorge, wo die Dinge herkommen, die er brauchte. Mit Geld konnte man alles kaufen. Diese Strukturen entlasteten von allerhand Organisationsaufwand. Jetzt kümmern sich die Menschen wieder mehr direkt darum, wie ihre Bedürfnisse befriedigt werden, Entlastungen müssen sie sich selber organisieren. Durch Arbeitsteilung in der Lebensgemeinschaft, durch Absprachen, Abstimmungen und die Sorge darum, dies denn doch möglichst effektiv zu erledigen.

Damit nicht jeder Mensch jeden Kleinkram selber machen muß - und vielleicht keiner mehr durchblickt, was sinnvoll zu tun wäre, gibt es eine gewisse "Kümmerschaft". Jemand setzt sich den Hut für ein bestimmtes Problem auf, er kümmert sich darum. Er kann niemanden zur Mitarbeit zwingen - wenn er niemanden findet, der mit ihm das machen will, was er vorschlägt; hat er halt etwas erwischt, wonach niemand anders ein Bedürfnis hat. Z. B. hat bisher noch keine genügende Anzahl von Leuten das Bedürfnis, ins Weltall zu pinkeln. Deshalb wurde das Weltraumprogramm erst mal auf Eis gelegt, auch wenn es "Experten" gab, die behaupteten, die Menschheit müßte doch unbedingt ihre kosmische Wiege, die Erde verlassen. Das wird nicht ewig so sein - was ich daran erkenne, daß nicht nur einer der Menschen bei den Sitzungen bei mir "utopische Literatur" liest.

Bei den Sachen, die viele Menschen brauchen, wie morgens die Brötchen auf dem Tisch oder meine Wenigkeit, finden sich dann natürlich immer Kümmerer, die sich vor allem darum kümmern, den Aufwand für alle möglichst gering zu halten - außer wenn die Sache so viel Spaß macht, daß sie deshalb sogar in die Länge gezogen wird. Irgendwie merkt man's auch kaum noch, wann die "Leute" arbeiten und wann nicht. Sie sind meist aktiv, sie tun was. Meist mit viel Spaß, manchmal mit weniger. Ich weiß noch, daß das Thema "Klobauen" erst immer weiter nach hinten geschoben worden war, weil sich niemand kümmern wollte. Aber die alte Toilette machte auch bald keinen Spaß mehr. Deshalb hatte dann jemand angefangen, den Kasten zum Sammeln der vielen bunten und spiegelnden Scherben neben das alte Klo zu stellten und irgendwie entstanden einige witzige Ideen, die an die Wand gekritzelt wurden und irgendwann machten sie dann doch eine richtige Klo-Sitzung.

Mein Materialisierungsweg

Dabei entschieden sie sich, für die maximal 12 oder 15 Personen zwei Toiletten zu bauen; eine davon bin ich, das "Utopische Klo". Da ich als Idee ja von Anfang an dabei war, weiß ich noch genau, wie das alles ablief. Der Ausgangspunkt war, daß die Leute zum Teil auch schon Erfahrungen mit dem alten Problem des Kloputzens gemacht hatten und deshalb einschätzten, daß es für 12 Leute durchaus auch 2 Klos geben kann, mit denen dann unterschiedlich verfahren werden kann. Zwar wird dann ihr Aufwand größer, aber das war es ihnen wert. Klar ist das Putzen des Klos kein unmittelbares Bedürfnis, und wird nie einfach aus Spaß und Lust am Tätigsein heraus gemacht, wie die meisten anderen Arbeiten. Aber so können sich die zusammen tun, für die ein desinfiziertes Klo ein Bedürfnis ist und jene, die sich das von der Arbeit her lieber sparen. Nebenbei: Ich bin das nicht desinfizierte Klo.

Als meine Leute zwecks meiner Planung zusammensaßen, witzelten sie ziemlich rum. Sie nannten das "Brainstorming" zur Ideenfindung. Dabei kamen dann einige wunderliche Bedürfnisse raus. Ein Bücherregal schien wichtig zu sein. Als der Vorschlag zum ersten Mal kam, feixten zwar alle, aber... inzwischen liegen ständig 5 bis 6 Bücher mit den Lesezeichen verschiedener Leute im Regal. Einen Ehrenplatz hat eine verblichene Broschüre namens "Das Utopische Klo" von den "FreundInnen des Maquis" - wer immer das auch war.

Ein anderer Wunsch war eine auswechselbare Witztafel. Die inzwischen gesammelten Plakate mit diversen ausgeschnittenen und geklebten Witzen werden ab und an mit anderen Gruppen ausgetauscht. Einen Witz darauf verstehe ich nicht. Da werden Männer aufgefordert, sich auf dem Klo zu setzen. Wie sollten sie es denn sonst machen?!... Ansonsten ist die Wand immer noch mit der ersten Version des Keramik-, Glas- und Spiegelmosaiks verziert - das scheint allen zu gefallen. Im anderen Klo ist die Wand mit Landschaftsbildern bemalt und an der Urwald-Seite hängen rankende Pflanzen... Paßt "gut" zur Desinfektionswut der BetreiberInnen - sie brauchen die Natur anscheinend zum Ausgleich. Es sind wenigstens echte Pflanzen. Wenn ich Mensch wäre, würde ich mal eine Schlange reinschmuggeln...

Ach ja, die Technik. Ich muß ja auch meine Funktion erfüllen. Die Zeiten der Löcher mit Brett sind wohl in fast allen Wohngruppen vorbei. Ich weiß noch, wie ich noch als Multiplett von Ideen in ihren Köpfen schwebte - die meisten Ideen kamen aus einer Datei aus dem Internet, in der eine Schülerin aus dem 21. Jahrhundert in einer Belegarbeit so ziemlich alle in der Geschichte verwendeten Toilettenarten zusammen gestellt hatte. Ich will die technischen Einzelheiten hier aussparen. Meine Leute machten sich die meiste Arbeit damit, darüber nachzudenken, wie sie Arbeit einsparen könnten. Dadurch bin ich nicht vergleichbar mit den technisch versiertesten Klos vor der Großen Gesellschaftlichen Wende. Aber da die Leute ja die technischen Ideen davon kannten, konnten sie viel davon in mich integrieren, ohne übertriebenen Blödsinn einbauen zu müssen.

Etwas länger dauerte die Diskussion darüber, was sie selber tun wollten und könnten, und wozu sie andere fragen müßten, ob sie es für sie tun würden. Dazu war eine kleine Recherche im Netz nötig um zu schauen, wer kundtat, was er gerne für andere machen würde oder was jemand zum Verwenden übrig hätte.

Es gibt da eine Web-Seite namens "Klotopia", von der aus alles über Klo-Bauen und -verwenden recherchiert werden kann. Da haben dann meine heutigen BenutzerInnen alle zusammen zuerst einmal um die Web-Seite rumgesessen, bei der sie verschiedene Parameter eines möglichen Klos einstellen konnten. Lange haben sie da gesessen bis aus dem Bedürfnis nach einem neuen Klo so etwas wie ein Vorentwurf wurde. Und was es da nicht alles zu entscheiden gab! Die Fragen nach der äußeren Gestaltung waren da noch eher einfach zu lösen.

Es war sogar so, daß manche Bedürfnisse überhaupt erst formuliert werden konnten, als meine BenutzerInnen sahen, daß es eine technische Lösung gab. So waren meine BenutzerInnen noch gar nicht auf die Idee gekommen, daß meine Benutzung durch kleine Kinder mit Hilfe besonderer Vorrichtungen vereinfacht werden könnte. Na ja, und weil sie eben kleine Kinder als mögliche DauernutzerInnen für mich vorsehen wollten - einige meiner BenutzerInnen planten bereits Nachwuchs ;-) -, haben sie dann eine Reihe von Vorrichtungen in mich integriert, die ihrer Nachkommenschaft das Leben erleichtern.

Unterstützt wurden sie durch die Web-Site bei diesen Design-Überlegungen dadurch, daß ständig Bilder von Modellen des gerade eingestellten Entwurfs verfügbar waren. Das half meinen BenutzerInnen sehr, sich die Auswirkung der einen oder anderen Entscheidung vorzustellen. Diese Modelle hätten sie sogar noch in ihr konkretes Bad hineinmodellieren lassen können, aber das hielten meine BenutzerInnen nicht für notwendig.

Vor der Großen Gesellschaftlichen Wende soll so etwas ganz anders abgelaufen sein. Da gab es überhaupt keinen solchen Planungsprozeß, sondern die Menschen, die ein Bedürfnis hatten, konnten lediglich in den erwähnten Sanitärmarkt - im wesentlichen eine große, unfreundliche Halle - gehen, in denen verschiedene vorkonfigurierte Klos angeboten wurden. Und für diesen bestenfalls halbwegs brauchbaren Mist haben die Leute damals sogar ihr heißgeliebtes Geld hergegeben...

Nun war es aber nicht so, daß meinen BenutzerInnen jede Entscheidung für die Erfüllung eines bestimmten Bedürfnisses leicht gefallen wäre. Penibel hat ihnen die Web-Site nämlich für jeden ihrer Entwürfe ausgerechnet, wie groß der Energie- und Rohstoffbedarf für die Realisierung dieses oder jenes Wunsches wäre - sowohl was meine Produktion als auch was meinen Unterhalt betrifft. Eine ganz heftige Diskussion gab es darum, wie wichtig eine Oberfläche ist, die von sich aus schmutzabweisend ist, so daß es in Verbindung mit einer Wasserspülung einer Reinigung gar nicht mehr bedarf. Leider ist so eine Oberfläche auch heute noch nur mit hohem Energieaufwand herzustellen, den einige meiner BenutzerInnen nicht aufwenden lassen wollten. Und auch der Hinweis darauf, daß doch mal ein paar Menschen ein wenig Hirnschmalz in eine Lösung dieses Produktionsproblems stecken sollten, half in der konkreten Situation nicht weiter. Zum Schluß konnten sich die Befürworterinnen der schmutzabweisenden Oberfläche - nur Frauen seltsamerweise - dann doch durchsetzen. Dafür haben sie dann eine etwas weniger aufwendige äußere Gestaltung hingenommen. Na ja, und so habe ich heute zwar eine schmutzabweisende Oberfläche und Wasserspülung aber dafür bin ich außen einfach nur weiß und nicht blau-metallic. Aber jedeR meiner BenutzerInnen weiß ganz genau, warum das so ist.

Auch früher muß es solche Diskussionen gegeben haben. Diese drehten sich dann allerdings nur um irgendwelche abstrakten Zahlen und nicht um konkreten Umwelt- oder Energieverbrauch. Klar, daß es bei den Leuten, die viel von diesem ominösen Geld hatten, da nur wenig Diskussionen gab, während gerade in den Wohngruppen mit eher geringen Geldsummen solche Diskussionen zum permanenten Streit führten. Das muß ganz furchtbar gewesen sein. Manchmal frage ich mich, wie es die Menschen damals überhaupt miteinander ausgehalten haben.

Endlich waren dann alle Wünsche formuliert, alle Trade-Offs zwischen Umweltverbrauch und Bedürfnisbefriedigung ausdiskutiert und alle Entscheidungen getroffen. Zum Schluß waren auch alle meine BenutzerInnen mit der gefundenen Entscheidung einverstanden, da sie sich alle darin wiederfinden konnten. Vielleicht ist das ja auch der Grund dafür, daß alle meine BenutzerInnen besonders sorgsam mit mir umgehen?

Jedenfalls ging es jetzt zum nächsten Schritt meiner Materialisation. Das Design, das meine BenutzerInnen mit Hilfe der Web-Site erstellt hatten, wurde an eine Gruppe von Leuten geschickt, die auch die Web-Site betreuen. Es gab ein paar Feinheiten beim Klo-Design, die die Software hinter der Web-Site noch nicht selbst abdecken konnte, so daß die Designs nochmal von einem Menschen auf ihre Realisierbarkeit geprüft werden mußten. Zwar entwickelten die BetreuerInnen der Web-Site permanent die Software weiter, aber auch neue Bedürfnisse und mögliche Realisierungen kamen durch die ständige Kommunikation mit den potentiellen Klo-BenutzerInnen ständig hinzu, so daß die Herausforderung eine möglichst benutzerfreundliche Klo-Design-Site zu entwickeln ständig bestehen blieb.

Kein Vergleich übrigens mit dem, wie früher solche Designs abliefen. Da gab es angeblich irgendwo ein paar einsame Ingenieure oder gar Firmenchefs, die genauso einsame Design-Entscheidungen fällten. Sicher hatte der eine oder andere von denen was drauf, aber sie hatten einfach schlechte Voraussetzungen, da sie nicht das kumulierte Wissen der NutzerInnen ihrer Designs zur Verfügung hatten. Vor der Großen Gesellschaftlichen Wende mußten erst umständlich diese schlecht designten, kaum brauchbaren Produkte den potentiellen NutzerInnen angeboten werden. Erst nachdem das eine oder andere dieser fixierten, aber dennoch in Massen hergestellten Designs von ihnen angenommen worden war - oder auch nicht -, stellte sich heraus, ob es denn wenigstens einigermaßen nützlich war. Welche Verschwendung von Energie und Ressourcen für Dinge, die vielleicht sowieso keiner haben will!

Bei meinen BenutzerInnen trudelten dann auch noch per eMail ein paar Nachfragen der Klo-Designer-Gruppe ein und es mußten ein paar Kleinigkeiten nochmal diskutiert werden. Aber außer einigen lustigen Stilblüten, die wohl auf das Konto der schlechten Deutschkenntnisse der Mitglieder der Klo-Designer-Gruppe gingen, war das eigentlich recht unproblematisch, so daß das Design fertig für die Materialisation war.

Na, und meine eigentliche Materialisation war dann eigentlich schnell erledigt. Mein Design lag ja ohnehin schon in computerisierter Form vor, so daß es mit der entsprechenden Software nicht weiter schwierig war, dieses Design in Anweisungen an einen Maschinenpark umzusetzen, der letztlich meine Materialisation zuwege brachte. Und das waren wirklich tolle Maschinen! Die konnten nicht nur Klos herstellen, nein. An einer Stelle wurde z.B. in einer Nachbarmaschine gerade die Grundlage für einen Stuhl materialisiert. So etwas Verrücktes wie diese Sitzgelegenheit habe ich danach übrigens nie wieder gesehen.

Große Teile meiner Materialisation bestanden darin, daß die heute weit verbreiteten Materialisatoren aus den Daten meines Designs Werkstücke materialisierten, die dann später mit Hilfe technischer Verfahren in andere Materialien überführt wurden, die für den konkreten Verwendungszweck besser geeignet waren. So wurden einige Teile, die zunächst als Modell in einem speziellen Kunststoff gefertigt worden waren, später in Metall gegossen. Natürlich konnten die Modelle wieder eingeschmolzen und das Material weiterverwendet werden, so daß nur die später tatsächlich nötigen Teile auch tatsächlich aus neuen Ressourcen hergestellt werden mußten.

Früher muß es dagegen viel stärker spezialisierte Maschinen gegeben haben, die nur ganz bestimmte Dinge herstellen konnten. Na ja, die technische Entwicklung ist halt ziemlich schnell weitergegangen und es ist einfach praktischer, wenige universelle Materialisatoren zu haben als viele hochspezialisierte Produktionsmaschinen. Begünstigt wurde diese Entwicklung damals durch die vielen Freien Projekte, die vor der Großen Gesellschaftlichen Wende aus dem Boden geschossen waren. Da viele dieser Projekte vor allem an Informationen über bestimmte Produkte bzw. über deren Herstellung arbeiteten, wuchs der Bedarf nach solchen Materialisatoren immer stärker. Als dann immer mehr Freie Projekte dazu übergingen, sich einen solchen Materialisator anzuschaffen, kamen auch sukzessive immer mehr Freie Produkte auf.

Als ich dann fertig materialisiert war, kam ich in einen dunklen Kasten und nach einigem Gerumpel - war das Steuerprogramm des Schienentransporters etwa von einem Virus befallen? - habe ich dann das erste Mal meine BenutzerInnen zu Gesicht bekommen. Gekannt habe ich sie ja schon ziemlich gut, da immerhin die Befriedigung einiger ihrer elementarsten Bedürfnisse in mir vergegenständlicht war. Hei, war das eine Freude, als ich endlich vor ihnen stand! Und meine Montage war gar nicht weiter schwer, da die Installationanschlüsse so weit genormt und vereinfacht waren, daß jeder Mensch mich mit ein paar Handgriffen montieren konnte.

Da die Gruppe relativ viel Hirnschmalz investiert hatte, bekam der "Kümmerer" dann noch den Auftrag, die dabei entstandenen neuen Ideen den Web-Site-Betreuern mitzuteilen, damit auch andere von ihren Erfahrungen mit mir "profitieren" können. Während früher nur profitiert werden konnte, wenn Wissen in Form von "Patenten" und Lizenzen privatisiert und kommerzialisiert war, wurde im Übergang zur jetzigen völlig freien Verwendung aller Ideen durch alle eine neue Lizenzform verwendet, die erstmals in der sog. Freien Softwareszene zum Einsatz gekommen war: die GPL (GPL heißt General Public License). Diese Lizenz benutzte das damalige "Vervielfältigungsrecht" (Copyright) entgegen seinem Sinn, dem Bürger das Recht zur Bearbeitung und Vervielfältigung eines Werkes zu nehmen, dazu, ihm genau diese Freiheiten zu geben, gerade so als ob es gar kein Copyright gäbe. Einzig der Versuch, diese Freiheiten zu schmälern konnte zur Beendigung der Lizenz führen. So konnten Computer-Programme, Konstruktionsunterlagen, Texte und andere Kulturgüter endlich lizenzkostenfrei vervielfältigt und benutzt werden. Weil dieser Text in seiner ersten Version auch schon im Copyleft erschien, haben Dutzende Leute weiter dran geschrieben und ihn so verändert, wie er ihnen zum Weitergeben am besten gefällt.

Heute kommt niemand mehr auf die Idee, etwas Wichtiges privat zu behalten oder nur gegen Gegenleistung oder mehr in Umlauf zu bringen, deshalb braucht GPL kaum noch explizit erwähnt oder verwendet zu werden. Die Eigentumsordnung der jetzigen Menschen beruht aber prinzipiell auf diesen Prinzipien. Nicht nur die Wissensinhalte, für die die GPL ursprünglich entwickelt wurde, auch alle "Hardware", sprich allgemeine Produktions- und Konsumtionsmittel steht unter GPL: Alle dürfen nutzen, verwenden, weiterverbreiten und weiterentwickeln, was sie brauchen.

Es ist ja seit Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr so, dass die Sachen nicht ausreichend vorhanden wären und deshalb in einer Art "Mangelverwaltung" stehen müssten. Die Form der Mangelverwaltung kennzeichnete eigentlich alle früheren Gesellschaftsordnungen, entweder über persönliche Herrschaft oder die scheinbar sachliche Macht der Kapitalverwertung. Diese Mächte unterwarfen sich die gesamte Organisation des Umgangs mit den nötigen Mitteln - wobei die menschlichen Interessen und auch die der Natur litten. Vor der Großen Gesellschaftlichen Wende gab's dann so eine schizophrene Situation: Man lebte in einer Überflussgesellschaft (hunderte Toilettenbecken wurden "auf Halde" produziert, ohne jemals wirklich gebraucht zu werden), jammerte darüber, nicht noch mehr arbeiten zu dürfen (die Menschen brauchten Jobs, um über das dabei verdiente Geld Zugang zu den benötigten Dingen zu haben) und gleichzeitig darüber, daß die Knappheitsökonomie das ganze Leben von immer mehr Menschen auffraß - oder sie gar nicht als menschliche Persönlichkeiten ernst nahm, solange sie nicht wirtschaftliche "Leistungen" erbringen konnten. Ich "gehöre" niemandem so richtig, wer mich braucht, nutzt mich für seine (ganz unterschiedlichen) Bedürfnisse. Für was auch sonst...

Nach dem Benutzen kommt immer noch das Putzen!

Woher ich das alles weiß? Tja, als eines der Bedürfnisse entwickelte sich, dass meine BenutzerInnen heute nicht nur ihre Bücher lesen, wenn sie mich nutzen, sondern - da sie zwar eine Sichtblende haben, aber das Bad gleich neben meinem Örtchen ist - sie sich auch nicht peinlich aus dem Weg gehen, sondern auch mal im gleichen Raum bleiben und so lange quatschen, bis der Wechsel möglich wird. Was man da so alles hört... Ich werde mich aber hüten, hier Allzumenschliches zu verraten, sondern nur, was mich angeht. Wobei wir wieder bei dem Problem des Putzens wären. Ich glaube, alle machen alles andere lieber, als mich zu putzen, auch wenn ich noch so utopisch bin. Das kränkt mich zwar ein wenig, denn es ist ja ihr ureigenster Mist, der sie stört, nicht ich selber. Aber eigentlich hat es sich eingespielt. Das ganze Bad gehört zur Reinigungsaufgabe für alle, bei der sie sich abwechseln. Eine Frau ist nie dran, soviel ich weiß, macht sie irgend etwas anderes, was die anderen auch nicht machen wollen. Sie haben sich das halt abgesprochen. Sichtbaren Mist macht jeder Mensch gleich weg, der ihn verursacht.

Etwas gründlicher machen's einige jeden Tag, andere nur aller paar Tage, dafür aber eben gründlicher. Da hat jeder der Menschen so seine Methode. Essigreste kriege ich eigentlich öfter zu schlucken, da das kalkige Wasser hier mir ziemlich zusetzt. Sauer macht lustig... Zwar wollte jemand die Wasserzufuhr verändern, aber die anderen meinten, das wäre für die Klospülung nicht notwendig, sondern Verschwendung. Ab und an wechseln die Gepflogenheiten auch. Es gibt zwar eine richtige geschriebene "Klo-Benutzungs-Ordnung" - aber die hängt nur am Witze-Plakat. Letztlich entscheiden meine Menschen immer selber, wie es für sie gerade am besten ist. Zu ihren eigenen Bedürfnissen gehört dann auch, daß sie nicht stets und ständig neu verhandeln, sondern sich auch mal damit in Ruhe lassen. Das spielt sich ein. Meine Spülung wird grad aktiviert. Gehst Du etwa schon? Ich wollte Dir eigentlich noch mehr erzählen...


Besten Dank an C.E., Stefan Merten, Stefan Meretz, Thomas-Uwe Grüttmüller und andere für die bisherigen Ergänzungen und Hinweise.

Version 2/03 (Stefan Merten)