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Wer jetzt noch Zweifel sät . . .
. . . der hat in Wahrheit keine Argumente mehr: Die Welt muss gegen
den Klimawandel kämpfen, solange es noch möglich ist
Von Kofi Annan
Falls noch irgendwelche Zweifel über den dringenden
Handlungsbedarf im Kampf gegen den Klimawandel bestanden, so
sollten zwei vor wenigen Tagen veröffentlichte Berichte die Welt
aufgerüttelt haben. Gemäß den neuesten, den Vereinten Nationen
vorliegenden Daten steigen die Treibhausgas-Emissionen in den
wichtigsten Industrieländern weiterhin an. Darüber hinaus stellt
der Klimawandel nach einer Studie des ehemaligen Chefökonomen
der Weltbank, des Briten Sir Nicholas Stern, "das bisher größte
und weitreichendste Marktversagen" dar. Dieses Marktversagen
könnte zu einem Schrumpfen der Weltwirtschaft um 20 Prozent
führen. Die wirtschaftlichen und sozialen Zerrüttungen als Folge
daraus sind mit den Auswirkungen der beiden Weltkriege und der
großen Depression durchaus vergleichbar.
Der mittlerweile unbestreitbare wissenschaftliche Konsens neigt
sich zunehmend einer alarmierenden Einschätzung der Situation
zu. Zahlreiche Wissenschaftler, die lange Zeit für ihre
vorsichtige Einschätzung der Lage bekannt waren, weisen heute
darauf hin, dass die globale Erwärmung bereits erschreckende
Ausmaße angenommen hat und wir gefährlich nahe auf einen Punkt
zusteuern, an dem es kein Zurück mehr gibt. Ein ähnlicher Wandel
ist auch unter Wirtschaftsexperten zu beobachten. So sind einige
früher als zurückhaltend geltende Analytiker heute der Meinung,
dass eine Senkung der Emissionen letztlich weit weniger kosten
würde, als wenn man sich später an die Folgen anpassen müsste.
In der Zwischenzeit steigen jedes Jahr die
Schadenersatz-Zahlungen der Versicherungen für Schäden, die
durch extreme Wetterbedingungen verursacht wurden. Eine
wachsende Zahl führender Persönlichkeiten aus Wirtschaft und
Industrie sieht im Klimawandel bereits ein Unternehmensrisiko.
Einige wenige verbleibende Skeptiker werden auch weiterhin
Zweifel säen. Sie sollten als das gesehen werden, was sie sind:
argumentationslos und einfach nicht zeitgemäß.
Am vergangenen Montag hat in Nairobi eine wichtige
Klimakonferenz der Vereinten Nationen begonnen. Der Einsatz ist
hoch, es geht um viel. Der Klimawandel hat tiefgreifende
Auswirkung auf nahezu alle Aspekte des menschlichen Lebens und
Wohlergehens, von Arbeitsplätzen und Gesundheit über
Ernährungssicherheit und Frieden innerhalb von Ländern und
zwischen den Staaten. Dennoch wird der Klimawandel noch allzu
oft als reines Umweltthema betrachtet, obwohl er Teil einer
breiter angelegten Entwicklungs- und Wirtschaftsagenda sein
sollte. Solange wir die allumfassende Wesensart dieser Bedrohung
nicht anerkennen, werden unsere Reaktionen unzureichend sein.
Umweltminister bemühen sich seit längerem intensiv darum, ein
international abgestimmtes Vorgehen zu mobilisieren. Jedoch
fehlen in den Gesprächen und Diskussionsrunden oft noch zu viele
ihrer Amtskollegen aus den Energie-, Finanz-, Verkehrs- und
Industrieministerien und auch den Verteidigungs- und
Außenministerien. Der Klimawandel geht auch sie etwas an. Die
Barrieren, die sie voneinander trennen, müssen abgebaut werden,
damit sie sich in einer integrierten Vorgehensweise gemeinsam
überlegen können, wie in den kommenden dreißig Jahren die
Investitionen umweltgerechter und "grüner" getätigt werden
können, die angesichts der wachsenden globalen Nachfrage nach
Energie erforderlich sein werden.
Weltuntergangs-Szenarien, die die Menschen mit Schockmethoden
zum Handeln bewegen wollen, haben letztlich oft den
gegenteiligen Effekt. So war es zeitweise auch mit dem
Klimawandel. Wir dürfen uns nicht nur auf die Gefahren
konzentrieren, sondern müssen unser Augenmerk auch auf die
Möglichkeiten richten, die mit dem Klimawandel einhergehen. Die
Kohlenstoffmärkte haben dieses Jahr ein Volumen von 30
Milliarden US-Dollar erreicht, doch ist ihr Potential damit noch
lange nicht ausgeschöpft. Das Kyoto-Protokoll kann nun in vollem
Maß umgesetzt werden - einschließlich seines Mechanismus zur
umweltverträglichen Entwicklung, der den Entwicklungsländern 100
Milliarden US-Dollar einbringen könnte. Dem Bericht von Sir
Nicholas Stern zufolge werden die Märkte für Energieprodukte mit
niedrigem Kohlenstoffgehalt bis zum Jahr 2050 wahrscheinlich
mindestens 500 Milliarden US-Dollar jährlich wert sein. So
erscheint es unverständlich, dass energiesparende Technologien
und entsprechendes Knowhow nicht häufiger eingesetzt werden,
obwohl sie heutzutage bereits verfügbar sind - eigentlich ein
Ansatz, der für beide Seiten ein Gewinn ist, der eine geringere
Umweltbelastung und globale Erwärmung sowie eine höhere
Stromerzeugung und einen größeren Ertrag ermöglicht. Niedrige
Emissionswerte bedeuten keineswegs geringes Wachstum oder ein
Ersticken der Entwicklungsbestrebungen eines Landes. Außerdem
können wir dank der Einsparungen Zeit gewinnen, um Sonnen- und
Windenergie sowie andere alternative Energiequellen zu
entwickeln und ihre Kosteneffizienz zu verbessern.
Die Bemühungen um eine Senkung sowie um die Vermeidung künftiger
Emissionen dürfen zugleich nicht die Notwendigkeit verschleiern,
sich dem Klimawandel anpassen zu müssen - was angesichts der
heute bereits bestehenden enormen Kohlenstoffkonzentrationen ein
gewaltiges Unterfangen ist. Die ärmsten Länder der Welt, von
denen sich viele in Afrika befinden, sind am wenigsten in der
Lage, diese Belastungen zu bewältigen - eine Bürde, zu der sie
selbst nur sehr wenig beigetragen haben. Sie werden
internationale Hilfe benötigen, wenn ihre Bemühungen um die
Erfüllung ihrer Entwicklungsziele nicht weiter vereitelt werden
sollen.
Noch ist Zeit für einen Kurswechsel in all unseren
Gesellschaften. Wir dürfen nicht die Angst unserer Wähler
schüren oder ihre Bereitschaft zu großangelegten Investitionen
und langfristigen Veränderungen unterschätzen. Die Menschen
sehnen sich danach, endlich die erforderlichen Maßnahmen zu
ergreifen, um diesen Bedrohungen zu begegnen und zu einem
gefahrloseren und vernünftigeren Entwicklungsmodell überzugehen.
Die Konferenz in Nairobi kann und muss Teil dieser Entstehung
von kritischer Masse sein. Von ihr muss ein klares und
glaubwürdiges Signal ausgehen, dass die politische Riege den
Klimawandel ernst nimmt. Die Frage lautet nicht, ob sich der
Klimawandel vollzieht, sondern, ob wir in der Lage sind, unsere
Denk- und Verhaltensweise rasch genug dieser drohenden Krise
anzupassen.
Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen. Foto: Reuters
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.261, Montag, den 13. November 2006 , Seite 2
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