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[chox] Monopoly der kleinen Leute




Die Grameen Bank des Preisträgers vermittelt Kleinstkredite an Arme - und 
misst ihren Erfolg nicht am Profit

Von Achim Zons

Manchmal muss man das Gegenteil von dem machen, was vernünftig ist. Vernünftig 
ist es zum Beispiel für eine Bank, Sicherheiten für verliehenes Geld zu 
verlangen. Vernünftig ist auch, nur solide, einigermaßen gut ausgebildete und 
sozial verankerte Menschen zu unterstützen, weil bei diesen die 
Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sie sowohl die Zinsen bezahlen als auch den 
Kredit zurückgeben können. So ist es nun einmal: Banken lieben Menschen, die 
schon etwas haben, dann erst sorgen sie dafür, dass diese Menschen eines 
Tages noch mehr haben - zum beiderseitigen Vorteil. Diesen Prozess lernen zum 
Beispiel Kinder schon früh kennen, wenn sie die Parkstraße oder die 
Schlossallee beim Kapitalistenspiel Monopoly kaufen und anschließend horrende 
Mieten verlangen.

Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Wer nichts hat, bleibt da sitzen, wo er 
sich am besten auskennt - in der Armutsfalle. Weshalb Menschen wie Muhammad 
Yunus Ausnahmeerscheinungen sind: Er war unvernünftig, warf für einen Moment 
all sein Wissen über Bord und hat im Grunde alles falsch gemacht, was falsch 
zu machen war. Niemand konnte deshalb ahnen, dass ihm das eines Tages den 
Friedensnobelpreis einbringen würde.

Seine verrückte Idee war: auf Sicherheiten zu verzichten und auf eine 
Kontoverbindung bei seinen Kunden zu pfeifen, über die ja normalerweise 
Kredite, Zinsen und Tilgungsraten laufen. Dann akzeptierte er auch noch 
Kreditsummen, die so gering sind, dass sich die Bearbeitung durch die Bank 
nicht im Ansatz lohnen kann. Aber vielleicht war es in diesem Fall von 
Vorteil, dass Muhammad Yunus Wirtschaftsprofessor ist - so einer kommt auch 
mal auf eine Idee, die jeder versteht. Und vielleicht hat er sich ja auch 
selbst gewundert, dass das alles funktioniert.

Man kann sich denken, dass es ein weiter Weg ist von der Idee bis zur 
Umsetzung. Wie zum Beispiel kann man als Geldverleiher Zinsen einstreichen, 
wenn es weder Bankfilialen, noch Kontoverbindungen, Kreditverträge oder 
Abzahlungspläne gibt? Die Antwort in Zahlen: Jede Woche schickt Professor 
Muhammad Yunus Tausende Mitarbeiter mit Fahrrad-Rikschas, Mofas oder zu Fuß 
übers Land, um Zins und Tilgung persönlich bei den Schuldnern abzuholen. Nach 
jüngsten Schätzungen soll er dafür 18 000 Angestellte in rund 2000 
Dorffilialen Bangladeshs haben. Und die haben zu tun: Sechs Millionen 
Familien sollen an seinem Tropf hängen, arme Menschen, denen er hilft, eine 
kleine Hühnerfarm zu betreiben, eine neue Nähmaschine zu kaufen oder eine 
Teebude zu eröffnen am Rand lehmiger Feldwege. Dass das funktioniert - auch 
aus Sicht der Bank - zeigt eine weitere Zahl: Mehr als 95 Prozent aller 
Kredite werden zurückgezahlt. Das ist eine Quote, bei der in den 
Kreditabteilungen westlicher Banken Champagnerkorken knallen würden.

Leider kann aber auch eine gute Idee nichts ausrichten, wenn das 
gesellschaftliche System oder die Traditionen stärker sind als jede Vernunft. 
Problematisch ist zum Beispiel, dass in Bangladesh viele Kredite gar nicht 
für den Aufbau eines kleinen Geschäfts, sondern als Mitgift für die 
Verheiratung der Tochter verwendet werden - eine Investition, mit der in der 
Regel weder Zinsen noch Tilgungsraten aufzubringen sind.

Noch schlimmer aber ist, dass geschäftliche Aktivitäten von Frauen außerhalb 
des Hauses in Bangladesh mit einem Verlust an Ansehen und Status verbunden 
sind. Was oft dazu führt, dass die Kredite, für welche die Frauen haften, von 
den männlichen Verwandten genutzt werden. Das wiederum hat die Folge, dass 
die Männer das Geld nicht selten in den Sand setzen, für deren Rückzahlung 
die Frauen aufkommen müssen. Was im Ergebnis bedeutet, dass die gut gemeinten 
Kredite der Grameen Bank die Abhängigkeit der Frauen nicht verringert, 
sondern stabilisiert. Und die Gewalt gegen die Frauen vergrößert.

Aber das ist eine andere Geschichte.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.237, Samstag, den 14. Oktober 2006 , Seite 2
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