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[chox] Sportlicher Kommunismus



Solidarität mit "Florida-Rolf"!

von AK Sportlicher Kommunismus 


Über Sozialneid in Deutschland und das repressive Instrumentarium des
Sozialstaats handelt die erste Fluchschrift des Arbeitskreises (AK) Sportlicher
Kommunismus. Der AK Sportlicher Kommunismus ist dem Sozialreferat des
Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der FU Berlin nahestehend und bei dessen
"Aktuellen Analysen" zur Hochschulpolitik beratend tätig.



 

1.Fluchschrift des AK Sportlicher Kommunismus




Solidarität mit „Florida-Rolf“ !




Ein Leben unter Palmen? Auf Kosten des deutschen Staates? Als wir das
hörten, haben wir die Koffer gepackt und dachten „Auf nach Florida! Möge die
Sonne mit uns sein!“. Nun hat uns die doofe Sozialministerin Ulla
Schmidt einen Strich durch die Rechnung gemacht und wir bleiben vorerst hier. Aber
nicht ohne ein paar Worte zur Ideologie des Sozialneids und zum Sozialstaat
deutscher Prägung zu verlieren.




„Deutschland ist ein so schönes Land, dass man lieber außerhalb seiner
Grenzen lebt“

Der Exilant Karl Marx zu seiner Cousine Antoinette Philips, als diese ihn zu
Patriotismus befragte




Die Geschichte ist schnell erzählt. Rolf John, deutscher Staatsbürger, ist
Sozialhilfeempfänger und hat Glück im Unglück: „Per Gerichtsurteil ist
das niedersächsische Landessozialamt zur Wohngeldzahlung nach Florida
verpflichtet worden. Allerdings mit Einschränkungen und unter Rücksicht auf eine
Notlage des Empfängers. Das niedersächsische Landessozialamt muss einem in
Florida lebenden psychisch kranken [euphemistische Formulierung für
nichtverwertbares Menschenmaterial; Anm. AK] Deutschen vorerst 875 Dollar Miete für dessen
Wohnung in Miami zahlen. [...] Dem Rentner, dem unstreitig Hilfe zum
Lebensunterhalt zustehe, sei wegen seiner unheilbaren Depression nicht zuzumuten,
zurück nach Deutschland zu ziehen.“ (Netzeitung 15.8.03) Dem nationalen
Arbeitswahn entrinnen und unter Palmen statt schlechter deutscher
Anti-Depressiva einzuwerfen, den einen oder anderen Cocktail (so viel Raum lässt die Stütze
ja nun dummerweise auch nicht) zu schlürfen, können wir einiges abgewinnen!
So aber nicht der gemeine Nationalist, die BILD-Zeitung, auch nicht die
Wochen-BILD für Abiturienten und aufwärts: "Der Spiegel" und selbstverständlich
darf die politische Demokraten-Elite in der Diskussion nicht fehlen. Sie blasen
vereint zur Hetzjagd gegen diejenigen, die sich den wichtigsten drei
nationalen Vorgaben, „Schnall den Gürtel enger - für die Nation! Verzichte und
gehorche - für die Nation! Hasse die, die davon abweichen und an einem
schönen Leben festhalten!“ widersetzen.




Sozialneid - Exekution nationaler Befindlichkeiten an Volksschädlingen




Und auf geht's: "Sozialhilfe unter Palmen wird es künftig nicht mehr geben."
(Ulla Schmidt), "Er lacht uns alle aus." (BILD), „Schmarotzer“
(Guido Westerwelle), Edmund Stoiber meint, es müsse Schluss sein, „mit
dem süßen Leben unter Palmen auf Kosten des Steuerzahlers“,
„wirklich schlimmes Beispiel von Sozialmissbrauch“ (Gerhard Schröder),
„Exakt 1055 Deutsche lassen es sich, wie Rolf J., auf Kosten des Sozialamts
im Ausland gut [sic!] gehen. Sie leben in Argentinien (199), Brasilien (140)
oder Uruguay (84). Allein das Berliner Sozialamt unterstützt 160 Auswanderer,
die Hälfte davon in der Schweiz. Dort sind die Hilfen, die ein Bedürftiger
mit deutschem Pass bekommt, besonders üppig [sic!] ...“(Süddeutsche
Zeitung) Weiterhin dürfen brave Deutsche in der BILD-Zeitung zeigen, wie hart sie
für ihre 1900 Euro, die dem Betrag für Rolf John entsprechen, arbeiten
müssen. 




Denen, die keine Befehlsgewalt haben, soll es ebenso schlecht gehen wie dem
Volk. Vom deutschen Beamten bis zu den Negern in Harlem haben die gierigen
Nachläufer im Grunde immer gewußt, sie würden am Ende selber nichts davon
haben, als die Freude, daß die andern auch nicht mehr haben. [...] Der eigentliche
Gewinn, auf den der Volksgenosse rechnet, ist die Sanktionierung seiner Wut
durch das Kollektiv.

Theodor W. Adorno / Max Horkheimer „Dialektik der Aufklärung“




Theo und Max haben hier Sozialneid als ein Element des Antisemitismus
bestimmt unter dem Motto: „Wenn es mir scheiße geht, dann sollen die anderen
erst recht beschissen dran sein!“ Die „anderen“ waren im
Falle von Theo und Max die von den Nazis und anderen Antisemiten verfolgten
Juden. Aber die Logik hinter diesem Schluss funktioniert ganz ohne Juden, weil
sowohl der oben angedeutete wie der antisemitisch motivierte Sozialneid, also
anderen kein schönes Leben zu gönnen, eine gemeinsame Grundlage haben:
Nationalismus. 




Dabei identifiziert der einer Nation unterworfene sein individuelles
materielles Lebensinteresse komischerweise mit dem Interesse des Staates, meint,
sein Interesse wäre im „Allgemeinwohl“ gut aufgehoben. Der Untertan
streicht sich selbst einmal komplett durch und ordnet sich blind den
Verhältnissen unter, auch wenn sie ihm unmittelbar schaden. Denn das
„Allgemeinwohl“, das so erstrebenswerte, ist nichts weiter als das Interesse der
Nation, die meisten Untertanen der prozessierenden Ökonomie, dem nationalen
Kapital, verfüg- und verwertbar zu machen. Damit sind neben dem gewaltmäßigen
Schutz von Freiheit und Eigentum und der Einrichtung eines ordentlich
ausgestatteten Militärs, also weiterer Verfügbarmachung von Menschenmaterial zum
Verheizen für´s Vaterland, die grundlegenden Bedingungen gelegt, um im Konzert
der Nationen den Ton anzugeben. Der Einzelne ist dem ganzen Prozess nur das
Material, das Mittel zum Zweck, aber nicht Zweck selbst. (1)




Ist der Einzelne erst einmal so weit, diesen unmittelbaren Schaden durch die
Herrschaft gar nicht mehr wahrzunehmen, sondern bedingungslos zu
affirmieren, seine eigenen Interessen mit denen des nationalen Kollektivs zu
identifizieren, dann liegt der nächste Schluss nahe: Diejenigen, die sich dem ganzen
nationalen Taumel verweigern, sind Volksschädlinge und müssen sanktioniert
werden. Wie Theo und Max richtig schrieben, richtet sich der Sozialneid an
diejenigen, „die keine Befehlsgewalt haben“. Wahrscheinlich – wir
wissen es nicht genau, aber darauf kommt es nicht an – ahnt der eine
oder andere Untertan durchaus, dass Staat und Kapital für den eigenen Schaden
verantwortlich sind. Die Angst – die nichts entschuldigt! - vor der
unmittelbaren Gewalt, also der Kündigung oder dem Knast/dem Knüppel/der
Psychiatrie und der Fehlschluss, gegen diese Verhältnisse nicht opponieren zu können,
lässt den sozialneidischen Deppen zu dem oben beschriebenen Ergebnis kommen,
sich an wehrlosen Personen abzuarbeiten. Die tun einem ja nichts, haben
„keine Befehlsgewalt“. Der Witz dabei – und wieder der Rekurs
auf Max und Theo: Sie haben nix davon, außer der perfiden Freude, „daß
die andern auch nicht mehr haben“. Die Verhältnisse, die die Sozialneider
täglich schädigen, sind die gleichen und der Schaden wird nicht weichen,
wird der ganze Schlamassel nicht einmal zugunsten einer Gesellschaft, die an
Bedürfnisbefriedigung und nicht an Verwertung orientiert ist, umgekrempelt. 

Die herrschenden Demokraten nehmen solche Einstellungen ihrer Untertanen
natürlich mit Freude auf, reproduzieren sie gar, falls sie nicht sowieso schon
so weit waren. Sie haben es zwar nicht nötig, sich solch plumpem Ressentiment
hinzugeben, denn sie haben genug, um in diesen Verhältnissen klarzukommen.
Andererseits sind sie es ja gerade, denen das Wohl der Nation so am Herzen
liegt, also muss an Beispielen wie dem von Rolf John aufgezeigt werden, dass so
ein Verhalten nicht erwünscht ist und Nachmachen schädlich ist. (2) „Wo
kämen wir denn hin, wenn alle so...!“ hört man regelmäßig aus deren
Munde. Dafür haben sie auch ein nettes repressives Instrumentarium:




Der Sozialstaat – unangenehme Zwangsverwaltung und Überwachung der
sozial Depravierten (3)




Egal, wie man den Sozialstaat bestimmt, ob historisch oder logisch, eines
kann festgestellt werden: Ein schönes Leben für die „Begünstigten“
sollte er nie gewährleisten. Er hatte immer repressiven Charakter. In
Deutschland bedeutete seine Einführung durch Bismarck beispielsweise ein Zuckerbrot
gegen die Verelendung der Arbeiter, die in ihrer erstarkenden Bewegung
anfingen, zu revoltieren. Das Zuckerbrot ging allerdings einher mit der Peitsche
der Sozialistengesetze, dem Verbot sozialdemokratischer Umtriebe. Summa
summarum war die Einführung von Arbeitslosenversicherung usw. also die Gewinnung der
Kontrolle des beherrschten ausgebeuteten Menschenmaterials.

Daran hat sich heute nichts geändert. Ein Mensch hält´s Maul, wenn er es
gestopft kriegt, und wenn es der konservierungsstoffverseuchte Mist aus´m Lidl
ist, den man für Lebensmittelgutscheine bekommt. Wer nicht arbeitet, soll zwar
essen, aber eben nur das für die Neger bestimmte. Dafür muss man sich
allerdings einiges an Überwachung und Drangsale gefallen lassen. Man muss sich
abmelden, wenn man Deutschland verlässt, regelmäßig beim Amt antanzen, scheiß
Jobs annehmen oder eine bestimmte Anzahl (abgelehnter) Bewerbungen vorweisen.
Klappt das alles nicht, kann es schon einmal vorkommen, dass man keine
„Zuwendungen“ mehr erhält und auf der Straße verreckt. (4) 

Zudem hat der Sozialstaat noch einen anderen Vorteil für die Nation:
Menschliche Arbeitskraft, die brach liegt, könnte durchaus wieder später gebraucht
werden, und wenn es nur zum Verheizen im nächsten Krieg reicht. Sicher ist es
in dieser unvernünftigen Produktionsweise zwar nie, dass wieder Arbeit
gebraucht würde. Es wäre allerdings eine dumme Sache, würden in einer solchen
Situation nur Gerippe und Kranke zur Verfügung stehen. Um erstens also sozialem
Protest vorzubeugen, zweitens die sozial Depravierten unter Kontrolle zu halten
und drittens das kontrollierte Menschenmaterial verwertbar zu erhalten, ist
es – so ein Staat über die notwendigen Ressourcen verfügt –
sinnvoll, gewisse sozialstaatliche Existenzminima zu schaffen. Der Sozialstaat ist
also ein Korrektiv zu den Auswirkungen kapitalistischer Vergesellschaftung.




Der Fabrikant hat seine Schuldner, die Arbeiter, in der Fabrik unter den
Augen und kontrolliert ihre Gegenleistung, ehe er noch das Geld vorstreckt. Was
in Wirklichkeit vorging, bekommen sie erst zu spüren, wenn sie sehen, was sie
dafür kaufen können: der kleinste Magnat kann über ein Quantum von Diensten
und Gütern verfügen wie kein Herrscher zuvor; die Arbeiter jedoch erhalten
das sogenannte kulturelle Minimum. Nicht genug daran, dass sie am Markt
erfahren, wie wenig Güter auf sie entfallen, preist der Verkäufer noch an, was sie
sich nicht leisten können. Im Verhältnis des Lohns zu den Preisen erst drückt
sich aus, was den Arbeitern vorenthalten wird.

Theodor W. Adorno / Max Horkheimer aaO




Was offenbar fast niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlockt, ist die
Tatsache, dass so ein Sozialstaat überhaupt existiert. Die Frage anders gestellt:
Was ist das eigentlich für eine komische Gesellschaft, in der Menschen täglich
gucken müssen, dass sie nicht unter die Räder kommen? Theo und Max haben das
in dem Zitat deutlich gesagt: In einer Gesellschaft, deren ökonomisches
Verhältnis der Menschen zueinander die Ausbeutung und Verwertung von Arbeitskraft
einschließt, deren zentrales Moment also die Verwertung von angeeigneter
Mehrarbeit und nicht Bedürfnisbefriedigung des Einzelnen ist, wird es Verarmung
immer geben, eben weil die Menschen nur Mittel und nicht Zweck der
Veranstaltung sind. 




Dann eben nur Ostsee und Dünen...




...statt Palmen und dem Strand von Miami. denn die Ulla Schmidt will mit
ihrer vorgestellten Reform der Sozialhilfe im Ausland solche Situationen wie die
von Rolf John zukünftig unterbinden. Und so wird es wohl noch eine Weile
dauern, bis wir die Palmen von Miami begutachten können. Stattdessen bleibt ein
Äquivalent z.B. im Nordosten Deutschlands, wo es zwar nicht immer schönes
Wetter gibt, neonazistische Kahlköpfe den einen oder anderen Strand unsicher
machen und die Cocktails zu teuer sind. Immerhin können wir vielleicht beim
Wellenrauschen der Ostsee von dem Ende des oben beschriebenen Wahnsinns träumen. 




Arbeitskreis (AK) Sportlicher Kommunismus 11.9.2003 




Der AK Sportlicher Kommunismus ist dem Sozialreferat des Allgemeinen
Studierendenausschuss (AStA) der FU Berlin nahestehend und bei dessen
„Aktuellen Analysen“ zur Hochschulpolitik beratend aktiv. Weitere
Fluchschriften und Projekte sind in Planung. Der AK ist unter akspoko x-berg.de für
Kritik, Fragen, Anregungen zu erreichen.

(1) Man möge uns die etwas verkürzte Darstellung dieses Gegenstandes an
dieser Stelle verzeihen. In der letzten Analyse des Sozialreferats des AStA FU
„Über Nation, Gewalt und was Studierende damit zu tun haben“ wurde
ausführlich dazu Stellung genommen. Vgl.
http://www.astafu.de/inhalte/artikel/a_2003/analyse1 oder die Ausgabe des „Out Of Dahlem“ im Oktober
2003

(2) Ob die StaatsführerInnen dabei selbst ressentimentgeladen handeln oder
ihre Handlungen und Äußerungen hinsichtlich der Volksschädlinge dazu nutzen,
um von ihrem eigenen schädigenden Tun dem Einzelnen gegenüber abzulenken, kann
dahingestellt bleiben. Es macht für das Ergebnis keinen Unterschied.

(3) Wir lassen hier kein gutes Wort am Sozialstaat. Das heißt nicht, dass
wir wie die Liberalen dessen Abschaffung fordern. Wir sind uns der Tatsache
bewusst, dass der Sozialstaat den Menschen eine Verschnaufpause gewähren kann.
Trotzdem halten wir es für wichtig, zu klären, was diese eigentlich bedeutet
und wieso es überhaupt einer solchen Verschnaufpause bedarf.

(4) Und das sind nur die Bedingungen für Menschen, die der deutschen Hoheit
direkt unterworfen sind. Nicht-Deutsche haben hier noch viel größere
Probleme, inkl. der ständigen Angst, auf die „Begünstigungen“ verzichten
zu müssen und abgeschoben zu werden.


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