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[chox] Fwd: [krisisinfo] Ernst Lohoff zu linkem Bellizismus





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Subject: [krisisinfo] Ernst Lohoff zu linkem Bellizismus
Date: Mon, 14 Apr 2003 08:26:34 -0000
From: "krisisweb <krisisweb gmx.net>" <krisisweb gmx.net>
To: krisisinfo yahoogroups.de

Hallo News-Letter Leser,
hier noch mein Beitrag zum Problem "linker Bellizismus". Er erscheint
diese oder nächste Woche als Disko-Beitrag in der Jungle World.
Was die jetzt hoffentlich abgeschlossene Debatte um den Text von
Robert Kurz angeht, möchte ich mich an dieser Stelle nachträglich für
zwei Beiträge ausdrücklich bedanken. Zum einen für die mir aus dem
Herzen sprechende Kritik von Holger Schatz. Zum anderen für die
Antwort von Norbert Trenkle. Ihre Beschreibung des Antideutschtums als
eines osmotisch funktionierenden, und keineswegs "strategisch"
angelegten Phänomens, hat die Diskussion erst ins richtige Gleis
 gebracht.


Ernst Lohoff

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Ernst Lohoff
Bomben aus tausend und einer Nacht

Ob es gefällt oder nicht, Kriegszeiten sind allemal binäre Zeiten und
laufen auf so etwas wie einen kollektiven Lackmustest hinaus. Wenn
US-Army oder NATO als bewaffneter Arm des Gesamtimperialismus bomben
und massakrieren, dann schrumpft die Palette möglicher Meinungen und
Positionierungen unweigerlich auf eine simple Alternative zusammen:
dafür oder dagegen.
Gerade aufgrund dieses inhärenten Zwangs, Farbe zu bekennen, markieren
Kriege in der Entwicklung der europäischen und US-amerikanischen Neuen
Linken seit jeher Wende- und Scheidepunkte. Ohne die Empörung über den
Vietnamkrieg wäre der Bruch mit der Ideologie von freedom and
democracy und die Formierung der Neuen Linken gar nicht denkbar
gewesen. Umgekehrt bildeten die sicherheitsimperialistischen Kriege
aber auch Meilensteine beim beschleunigten Zersetzungsprozess des
ehemals gesellschaftskritischen Lagers nach dem Ende der
Blockkonfrontation. In drei Schüben haben Ex-Linke hierzulande mit
ihrem Ja zu einem Interventionskrieg ihren bedingungslosen Frieden mit
den herrschenden Verhältnissen geschlossen und sich endgültig aus dem
oppositionellen Lager verabschiedet. Die Vorhut setzte sich gleich
anlässlich des 2. Golfkriegs 1991 in die Arme der westlichen
Demokratie ab. Die Kosovo-Intervention, der erste Krieg seit 1945 mit
direkter deutscher Beteiligung, brachte den großen Exodus. Sie
kennzeichnet den Punkt, an dem die Partei der Alt- und Spät-68er samt
ihres Anhangs die letzten restkritischen Anwandlungen fahren ließ.
Heute, angesichts des 3. Golfkriegs macht sich ein letzter kleiner
Nachtrab-Trupp demokratischer Spätheimkehrer und Bellizisten auf den
Weg, diesmal aus dem vormals linksradikalen Spektrum.
Zu den uralten Schwächen der antiimperialistischen Linken gehört die
Gewohnheit, das Nein zum imperialistischen Krieg mit einem Bekenntnis
zu den ins Fadenkreuz geratenen Regimes zu verknüpfen. Schon Herbert
Marcuse brachte es nicht fertig, Stellung gegen die amerikanischen
Bombardements in Nordvietnam zu nehmen, ohne gleichzeitig alberne Oden
auf die utopischen Qualitäten der ziemlich schmal geratenen und von
daher angeblich besonders liebespaarfreundlichen Hanoier Parkbänke
anzustimmen. In den 90er Jahren entblödeten sich linke
Antiimperialisten nicht, selbst noch dem durch und durch
kleptokratischen und mafiotischen Milo?evi&#263;-Regime irgendetwas
Restsozialistisches anzudichten.
Diese affirmative Wendung findet ihre Entsprechung auf Seiten der
ex-linken Bellizisten. Sie können ihre Verwandlung in Vorkämpfer des
westlichen Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus nur
legitimieren, indem sie die demokratische Kriegspropaganda nicht nur
übernehmen, sondern die Dämonisierung der vom Westen bekämpften
Regimes auf die Spitze treiben. Fischers ungeheuerliche Gleichsetzung
der Albaner-Verfolgungen des Milo?evi&#263;-Regimes mit Auschwitz kam
genauso wenig von ungefähr wie Enzensberger irres Gerede von Saddam
Hussein als dem ?Wiedergänger Hitlers" anlässlich des 2. Golfkriegs.
Es handelt sich hier nicht nur um die Verdrängung der deutschen
Verbrechen qua Projektion, sondern erfüllt zugleich noch eine andere
perfide Aufgabe: Nur der Einsatz des allerschwersten ideologischen
Geschützes sorgt für Rauchschwaden, die dicht genug sind, um
gleichzeitig den realen Hintergrund des imperialistischen Zugriffs,
nämlich den irrwitzigen Versuch, mit den ?Schurkenstaaten" die
Gespenster der Weltmarktkrise wegzubomben, und die Ungeheuerlichkeit
des eigenen neuen Standpunkts zu vernebeln.
Die beiden Heim-ins-demokratische-Reich-Bewegungen der 90er Jahre
hatten  gesellschaftlichen Tiefgang. Bei der derzeitigen Neuauflage
handelt es sich dagegen nur noch um ein Szenephänomen. Allein vor
diesem Hintergrund werden einige spezielle Seltsamkeiten des
nachklappernden, ?antideutsch" unterlegten Bellizismus verständlich.
Seine Hauptabsurdität liegt auf der Hand. Alle Vorgänger wussten, dass
sie die Fronten wechseln und bekannten sich offen dazu. Diesmal
gerieren sich die Überläufer als besonders radikale
Gesellschaftskritiker und es steht zu befürchten, dass die meisten von
ihnen sich selber das auch noch abnehmen.
Eine teils implizite teils explizite Themaverschiebung macht dieses
(Selbst)täuschungsmanöver und diese Maskerade möglich. Ausgangspunkt
des nachholenden Links-Bellizismus ist höchstens oberflächlich
betrachtet die Einschätzung des Hussein-Regimes als einer realen
Bedrohung für die Welt und insbesondere für Israel; die wird nur
nachgeschoben. Seine hauptsächlichen ?Argumente" und seine
Scheinplausibilität schöpft der Bellizismus vielmehr aus einer recht
billigen Abgrenzung zur hiesigen Antikriegsbewegung. Dass diese
Melange aus gegenläufigen Motiven und Tendenzen, deren gemeinsame
Basis sicherlich in der Angst vor dem Wegbrechen der
warengesellschaftlichen Normalität zu suchen ist, kritisiert werden
muss, steht außer Frage. Aber die Bellizisten reduzieren sie
konsequent auf ihre dubiosesten Elemente und denunzieren sie als rein
völkische und antisemitische Veranstaltung. Wird diese Denunziation,
die mit Kritik nichts mehr zu tun hat, weil das Urteil über ihren
Gegenstand von vorneherein feststeht, von den Hardcore-Bellizisten des
?antideutschen" Lagers mit systematischer Perfektion praktiziert, so
hat sich der damit verbundene Habitus längst in weiten Teilen des
linken Spektrums verallgemeinert, die sonst nur wenig mit den
?Antideutschen" verbindet. In Reinkultur wurde dies bei Stefan
Ripplinger deutlich, der in einem Diskussionsbeitrag für diese Zeitung
(Jungle World 47/2002) ganz offenherzig aussprach, dass er zwar gar
keine Ahnung davon habe, was im Irak vor sich gehe, ihm aber die
Antikriegsstimmung in Deutschland genüge, um zumindest nicht gegen den
Krieg zu sein. Ripplinger plaudert aus, was viele andere in der linken
Subkultur tatsächlich umtreibt: pure Identitätsbehauptung jenseits
aller Analysen der kapitalistischen Wirklichkeit.
In früheren Entwicklungsphasen gingen die Differenzen im linken Lager
auf unterschiedliche Einschätzungen der kapitalistischen Wirklichkeit
zurück. Im links-bellizistischen Lager ist man autistisch und
szenefixiert genug, umgekehrt aus der Feinderklärung an die
antiimperalistischen Nachbarfraktionen, die in der Antikriegsbewegung
mitlaufen, die Einschätzung der Weltlage abzuleiten. Unseren
Szenefeinden ist das Sternenbanner ein rotes Tuch, ergo marschieren
wir unter dieser Fahne, so das stillschweigende Motto. Der Feind
unseres Feindes muss freiwillig oder unfreiwillig irgendwie doch eine
gute Sache vertreten.
Natürlich flankieren pseudoinhaltliche Spekulationen diesen
szeneidentitären Mechanismus. So werden etwa Vermutungen darüber
angestellt, ob die Installation demokratischer Regime im Nahen Osten
nicht doch eine realistische Perspektive wäre um die
Lebensverhältnisse der Menschen dort zu verbessern; natürlich nur um
in letzter Instanz die gesellschaftliche Emanzipation zu ermöglichen.
Ausgerechnet im Irak soll funktionieren, was nirgendwo mehr
funktioniert: nachholende Modernisierung und Inwertsetzung. Man muss
wahrlich kein ausgewiesener Politökonom, sondern nur einigermaßen bei
Trost sein, damit es einem angesichts solcher Diskussionen die Sprache
verschlägt. Die Frage ist nicht, ob den Menschen im Irak nach dem
Sturz Saddam Husseins nun ein besseres Leben und die Segnungen der
westlichen Demokratie ins Haus stehen. Erklärungsbedürftig ist
vielmehr, warum linke Zeitschriften und Zeitungen wie diese hier, die
schon einmal relevante Debatten geführt haben, so etwas überhaupt
ernsthaft erörtern. Angesichts von mit Bombenopfern überquellenden
Leichenhallen ist es mehr als frivol, ausgerechnet die Bush-Propaganda
zur innerlinken Diskussionsgrundlage zu machen.
Der Antiimperialismus verwechselt den prekären
Sicherheitsimperialismus des Globalisierungszeitalters auf Schritt und
Tritt mit klassischer imperialer Landnahme. Die große Beliebtheit, der
sich die blödsinnigen Parole ?Kein Blut für Öl" weltweit in der
Antikriegsbewegung erfreut, verweist darauf, dass ihr ein taugliches
Bezugssystem zur Einordnung des ?Kriegs gegen den Terror" fehlt. Der
Szene-Bellizismus nutzt dieses eklatante Manko, um sich einer
Weltsicht zu versichern, die freilich um keinen Millimeter weniger
anachronistisch ist als die bekämpfte - nur hermetischer.
Lokalborniert war es schon immer die Welt permanent am deutschen
Unwesen verwesen zu sehen. Selbst noch den Irakkrieg und die weltweite
Protestbewegung gegen ihn in diesem Raster wahrzunehmen, hat schon
zwanghafte Züge.
Keine Frage, Kriegsgegnerschaft allein macht noch keinen emanzipativen
Standpunkt. Eine radikale Linke, die ihren Namen verdient statt sich
selber aufzugeben, wäre gerade in der jetzigen Situation weder zum
Trittbrettfahren noch zur Publikumsbeschimpfung aufgefordert, sondern
zum kritischen Intervenieren und Polarisieren. Jede Form von
Bellizismus aber steht von vornherein außerhalb des
gesellschaftskritischen Lagers. Die Suche nach einer gemeinsamen
Diskussionsgrundlage erübrigt sich. Auch wer zu Recht auf der
Offenheit des gesellschaftskritischen Diskurses besteht, wird zugeben
müssen: Über die Frage von Krieg und Frieden ist nicht in der gleichen
Weise zu diskutieren wie über die Verschuldungskrise oder
unterschiedliche Einschätzungen des Foucaultschen Machtbegriffs.
  Bellizismus ist keine Frage von Toleranz oder Intoleranz, sondern
von Tolerabilität. Wer dem Bellizismus etwas abgewinnen kann und
zugleich eine Kritik des Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus
formulieren will, argumentiert in einer nicht existierenden
Zwischenwelt. Ob es gefällt oder nicht: Wer sich selber ernst nimmt,
muss sich schon entscheiden.



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