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[chox] Stupid white GerMen



Stupid white GerMen

NACH DER KRITIK IST VOR DER KRITIK

 
Die Kritik an den USA ist ja bekanntermaßen eine Sache, die alle Deutschen
in ein Boot bringt, mit Ausnahme derer, die sich maßgeblich daran formieren,
genau eine solche Kritik zu diffamieren. Die Bestsellerqualitäten des
Anti-US-Amerikanismus stellte jüngst die Kinodokumentation »Bowling for Columbine«
unter Beweis, in der der US-amerikanische Filmemacher Michael Moore seine
Landsleute mit kulturkritischem Blick aufs Korn nimmt. Moore ist mit seinem Film
über amerikanische Waffenliebe zum knuddeligen Liebling der deutschen
Kultur-Intelligenzia avanciert - und das, nachdem keiner seiner vorhergehenden Filme
auch nur in Deutschland gezeigt wurde. Moore darf man das nicht vorwerfen: er
ist sozusagen der Ebermann und Trampert der USA und macht seinen Job gut. Er
ist durch und durch Dissident, ein Staatsverräter allererster Güte. Mit
Schlabber-T-Shirt und Trottelblick taucht er bei den Repräsentanten der
öffentlichen Meinung auf und führt durch konsequentes blödes Fragen die Double Binds
vor, die aus der Demokratie eine so gewaltförmige Angelegenheit machen:
Selbstverteidigung und Rassismus, Meinungsfreiheit und Ressentiment gestehen vor
seiner Kamera ihre innige, nahezu identischmachende Verbindung. Ein bisschen zu
sehr basisdemokratelt Moore zuweilen, ein bisschen zu oft deutet sich an,
dass es ja eigentlich nur die Medien sind, die Schuld sind an der
US-amerikanischen »Angstkultur«. Aber diese Flachheiten verschmerzen sich leicht bei einer
so trefflichen Satire. Viele Deutsche sagen, dass »Bowling« ein guter Film
sei - sehr viel mehr Deutsche, als man z.B. zu den Lesern von Moores deutschen
Kollegen Ebermann/Trampert rechnen kann. Man muss nicht lange Rätselraten,
wie es dazu kommt, insbesondere, wenn man den Kommentaren des Publikums nach
dem Filmbesuch lauscht: Hier stellt einer fest, dass man den Unverschämtheit
der Amerikaner ja jüngst daran erkennen könnte, dass sie jetzt die
Überflugsrechte über Deutschland verlangten. Eine andere lässt verlautbaren, dass es
nach diesem Film schon beunruhigend sei zu sehen, wie viele McDonalds es in
Berlin gibt - wegen der amerikanischen Gewaltkultur und so. 

Nach der Kritik ist vor der Kritik: Moore sagt den Deutschen allzu viel von
dem, was sie ohnehin schon immer zu wissen meinten - bis hin zur
Feststellung, dass es ja die Amerikaner selbst waren, die Bin Laden ausgebildet haben.
Für viele ist es von dieser recht gesicherten Feststellung nur ein kleiner
Sprung zu der Überzeugung, der CIA hätte die Anschläge des 11. September geplant,
und plötzlich meinen sie zu wissen, dass die Juden an jenem Tag nicht im WTC
zur Arbeit erschienen ... Ist »Bowling« also gar ein antisemitischer Film?
Schwer vorstellbar, wenn man in Betracht zieht, wie sehr es in ihm gerade den
US-amerikanischen Verschwörungstheoretikern, bedeutenden Protagonisten des
Antisemitismus, ans Leder geht. Und trotzdem vermag der Film es nicht, sich
unter einem kritischen antinationalen Blick zu rehabilitieren: Zu aufdringlich
ist das Bild davon, wie deutsche Antiamerikaner jeder Coleur ihn als
Wichsvorlage verwenden. 


Richtig ist richtig negativ

Wenn nicht jeder Film das Publikum kriegt, dass er verdient, kriegt schon
gar nicht jeder Krieg die Linke, die nötig ist, um ihn richtig zu kritisieren.
Das Attribut »richtig« hat dabei nichts mit Tatsachentreue oder
Hintergrundwissen und auch nur sehr wenig mit Moral zu tun. Wer die US-amerikanischen
Luftwaffenstützpunkte im Nahen Osten abzählt, um eine imperialistische
Interessengemeinschaft zwischen Israel und den USA zu unterstellen, geht vielleicht
tatsachengemäß vor, trotzdem ist seine Kritik nicht richtig. Wer moralisch
konstatiert, dass Krieg immer schlecht sei und nichts als Leid hervorruft, hat
damit sicher nicht Unrecht. Seine Kritik ist aber »unrichtig«, weil sie nicht
dazu beiträgt, die Verhältnisse, die Krieg hervorbringen zu untersuchen,
vielmehr dazu, sie zu verschleiern. Noch dazu macht dieser Kritiker sich der
Gleichmacherei Schuld, indem er »den Krieg« von all den gesellschaftlichen
Verhältnissen zu trennen sucht, die untrennbar eng mit ihm verwoben sind und ihn
nicht nur verursachen, sondern auch seine ambivalenten Potentiale hervorbringen,
die sich keinesfalls im Unwort der »Gewaltspirale« erschöpfend beschreiben
lassen. 

Die Richtigkeit von Kritik bestimmt sich vielmehr negativ: Sie darf weder
die bestehenden Verhältnisse affirmieren noch Ressentiments. Emanzipatorische
Kritik beruft sich nicht auf die Utopie, um ihr dann die schlechte
Wirklichkeit gegenüberzustellen. Ihre Verbindung zur Utopie ist konsequenter: Sie
begreift sie tatsächlich als Utopie, als Nicht-Ort (Nicht-Zeit), die durch keine
noch so große Gedankenanstrengung im Geiste erschaffen werden kann. Die Utopie
ist die immer mitgedachte und niemals konkrete Folge der Handlungsweise der
Kritik. Diesen Status teilt sie mit der Wahrheit. Auch in Bezug auf diese hat
die Kritik zwei Optionen: Die eine ist, dass sie gnadenlos versucht, die
wirklichen Verhältnisse offen zu legen; sie outet die Ölinteressen der USA,
stellt fest, dass Juden auch keine besseren Menschen sind, legt offen, wie viel
der CIA wirklich gewusst hat. Kritik, die diese Option gewählt hat,
interessiert sich maßgeblich für Interessen und fällt oft in eins mit der rein
moralischen Kritik, indem sie jede interessengeleitete Politik als schlecht, und jede
Politik, die allein auf Idealen und »Grundbedürfnissen « basiert als gut
auffasst. Über den Wahrheitsgehalt solcher Kritik lässt sich endlos streiten,
begibt man sich erst mal auf die gleiche Ebene. Schnell werden dann in sinnlosen
Rechenexempeln Terroropfer gegen Kriegsopfer aufgerechnet. 

Die zweite Option der Kritik ist es, die Wahrheit der Ereignisse als einen
Fluchtpunkt zu begreifen, dem man verpflichtet ist, gerade, weil er nicht
endgültig zu erschließen ist; gerade weil die Kritik sich selbst in dem Kontinuum
bewegt, dass von dieser Wahrheit geprägt wird und an ihrer Prägung
mitarbeitet. Solche Kritik ist diskurskritisch, in dem Sinne, dass sie anerkennt, dass
Wahrheit maßgeblich durch die Praxen des Erzählens zustande kommt. Diese
Praxen lassen es nicht zu, dass man »Ideologie« einfach von ihnen abzieht wie in
einer Rechenaufgabe - Sie lassen es zum Beispiel nicht zu, »objektiv«
festzustellen, dass Israel eine Besatzungspolitik betreibe, ohne dass sich dadurch
eine Nähe zum Antisemitismus herstellt, die doch durch die »objektive«
Aussage eigentlich nicht gegeben oder gemeint ist. Sie lassen es auch nicht zu,
dass man in Deutschland die USA als imperialistische Nahezu-Weltherrscher
darstellt, ohne dass dabei einem Antiamerikanismus Vorschub geleistet wird, der die
erdverwachsene deutsche Nation schon immer in hohen Ehren gehalten hat.
Solche Kritik will dieser Artikel, wie unschwer zu erkennen sein dürfte,
privilegieren. 


Was ist und was wahr

Nun unterhalten aber gerade weite Teile der antinationalen Linken ein
inniges Verhältnis zur Wahrheit - dabei geht es weniger um »wirkliche« Ereignisse,
sondern um eine Wahrheit der (westlichen und vermeintlich zivilisatorischen)
Werte. Diese Werte können Wahrheit nur durch ihre universelle Gültigkeit
erlangen, und diese Gültigkeit verlangt nach Durchsetzung. Die bürgerliche
Gesellschaft muss etabliert werden, erklärt der Bahamas-Histomat, damit der
Kommunismus seine historische Chance überhaupt erhalten kann. Die Wahrheit muss sich
auf die Wirklichkeit spiegeln lassen, beide müssen einander äußerlich sein,
um zum gegenseitigen Maßstab zu werden und einander innerlich werden, um das
Versprechen der Wahrheit einzulösen. Das Innerlich-werden geschieht für die
Bahamas durch die Durchsetzung der Idee mit militärischer Gewalt, bei den
Friedensbewegten dagegen in dessen absoluter Verhinderung. Beide Perspektiven
lassen außer acht, dass sowohl Staatssysteme als auch kriegerische Gewalt keine
Erscheinungen sind, die einfach aus dem Rest der Wirklichkeit herausgelöst
und durch etwas anderes ersetzt werden können. Geschichtsphilosophie ist kein
Legobausatz. Kriege entfalten je nach Zeit und Ort, an dem sie praktiziert und
rezipiert werden, ganz unterschiedliche Wirkungen. Eine Wirkung des
US-Kriegs gegen den Irak ist in der BRD zweifellos die Stärkung eines unerträglich
völkischen, antiamerikanischen Ressentiments, dass seine Exerzierer auf den
Friedensdemos findet. Allein das wäre ein Grund, ihn abzulehnen, würde nicht
genau diese Ablehnung das Ressentiment noch nähren. Eine Demokratisierung im
Irak ist zwar eine andere, entfernt denkbare Option, jedoch keinesfalls eine,
die sich im vorhinein als kommende historische Wahrheit feststellen ließe. Wie
man es also dreht und wendet, der Versuch, »die Wahrheit« über den Irakkrieg
zu sagen, führt zwangsläufig in überwunden geglaubten Welterklärerwahn. 


Für eine Kritik des Unerträglichen

Emanzipatorische Kritik hat eben nicht die Aufgabe, Gottes Berater für die
weitere Gestaltung der Geschichte zu spielen. Vielmehr muss sie feststellen,
wo genau diese Geschichte unerträgliche Verhältnisse produziert - und wo das
Potential liegt, gegen die Verhältnisse anzustinken. Immer und überall das
Unerträgliche zu thematisieren ist die Aufgabe der Linken. Das Unerträgliche ist
konkret ebenso sehr der urdeutsche Antiamerikanismus wie die US-Regierung
wie das Baath-Regime. Freilich dominieren je nach Aufenthaltsort des Kritikers
jedoch gewisse Unerträglichkeiten. Wie schon erwähnt baut die Kritik selbst
sich in die Wahrheit ein, mit der sie sich auseinander setzt: So ist es
möglich, dass »Bowling« in den USA in erster Linie ein antirassistischer und
staatsfeindlicher Film ist - in Deutschland hingegen bekräftigt er den
Nationalmythos einer friedliebenden, traditionsbewussten kulturellen Gemeinschaft, die
sich erfolgreich vom hektischen, neoliberalen und global gewalttätigen
amerikanischen Imperialismus abgrenzt. Ein objektives Urteil über den Film anhand
seines Wahrheitsgehalts ist also nicht möglich. 

Ganz ähnliches gilt für die Friedensbewegung: Während die US-amerikanische
Friedensbewegung in Amerika noch durchaus als Träger dissidenter und
kritischer Potentiale gesehen werden kann, steckt die deutsche tief im Sumpf des
Ressentiments und wird sich aus eigener Kraft kaum aus ihm befreien können. Will
man die deutsche Friedensbewegung kritisieren, dann muss man ihr nicht etwa
nachweisen, dass ihre Sache an sich falsch sei - etwa, indem man die absurde
Behauptung aufstellt, ein Krieg sei die einzige Möglichkeit, eine bürgerliche
Ordnung im Irak einzurichten, der dann eines fernen Tages der Kommunismus
folgen werden - es geht vielmehr darum, dass ihre Sache für sich falsch ist, also
in der Praxis, die sich Kritik nennt. Die deutsche Friedensbewegung ist
nicht unerträglich, weil sie lügt, sondern weil sie sich nicht um die Wahrheiten
schert, die sie sät. Als linkes Gegenmittel bleibt eigentlich nur die
freiwillige Selbstkontrolle - also die ständige Reflexion über die Frage, warum
insbesondere in Deutschland bestimmte Themen auf der Tagesordnung stehen (bei
denen es sich meistens um die Sache eines bestimmten Volkes handelt). In die
entstehenden Diskurse zu intervenieren und immer wieder die Ressentiments, die
in ihnen reproduziert werden, als solche zu brandmarken, ist Aufgabe linker
Kritik, die immer auch Selbstkritik ist. Diese Selbstkritik darf sich jedoch
nicht allein, wie weiland Stalin es vorschlug und wie es jetzt die Bahamas
gerne treibt, an der vermeintlich so abstrakten Theorie messen. Sie muss sich
bewusst sein, zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort
stattzufinden, und dass diese Zeiten und Orte mit Ressentiments und völkischen Mythen
aufgeladen sind, die sich von allem nähren, was ihnen auch nur ansatzweise
mundgerecht daherkommt. 

Also Kinoverbot für »Bowling« in Deutschland? Diese Konsequenz wäre allein
schon deshalb falsch, weil die deutschen Antiamerikaner bei einem Erfolg
dieser Forderung ganz genau wüssten, welcher »Lobby« sie diesen Angriff auf die
Meinungsfreiheit anlasten könnten. Ähnliches gilt für die deutsche
Friedensbewegung. 

Phase 2, Berlin 


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