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Message 00060 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT00060 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
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[chox] Bowling for Columbine



Bowling for Columbine.  
 

 
"I was made in America and America hates me for what I am." (Marilyn Manson)

Zur unterhaltsamen Einleitung sei folgendes gesagt, gleichzeitig auch als
Empfehlung zu lesen. Einen Film im Prager Frühling zu sehen nervt total.
Unglaublich, wenn in der freien Marktwirtschaft mehr Tickets verkauft werden als
Plätze vorhanden sind, ein wenig zuviel des guten Unternehmergeistes. Davon
abgesehen ist es dort scheißkalt, bei einem nicht gerade billigen
Eintrittspreis. Doch kommen wir zu dem, was ich sah und hörte.

122 Minuten Film, 122 Minuten Reportage, 122 Minuten pure Angst. Dies
beschreibt grob, was das neueste Werk von Michael Moore ausmacht. Es dreht sich um
die relativ frei erhältlichen Waffen in den USA, was daraus folgt und in
Ansätzen weshalb. Der Regisseur will kein Moralprediger sein und ist es doch. Er
selber ist, wie ich einem Interview entnahm, Waffennarr und Mitglied auf
Lebenszeit in der NRA (National Rifles Association). Dieser Umstand ist nicht
Mittel zum Zweck, wie es der Film eventuell durchscheinen lässt. Es ist der
Versuch eines humanistischen Liberalen, sich kritisch mit der Waffenvernarrtheit
der Amerikaner und somit auch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dies ist
ihm hoch anzurechnen, wobei er in seinem Film sich selbst als Gegenstand der
Kritik zu großen Teilen außen vorlässt. Schade eigentlich, aber dieses Manko
tut dem Ganzen keinen Abbruch. Lassen wir nun einige Motive der Reportage
sprechen. Ein Friseurbesuch in einer typischen amerikanischen Kleinstadt: während
jemand sich die Haare schneiden lässt, sucht er im Regal gegenüber dem
Frisierstuhl nach der passenden Munition für das nächste Schießtraining.
–Szenenwechsel – Eine Frau mittleren Alters, Mitglied einer Bürgerwehr und
gekleidet in Armyklamotten, spielt mit ihrer Tochter, während sie erklärt,
dass es gerade für Frauen wichtig ist, sich selbst verteidigen zu können, vor
allem geht es ihr dabei um den Schutz ihrer Familie. –Szenenwechsel
– Die Überwachungskameras der Columbine Highschool filmen die beiden
Jugendlichen, während sie umherziehen und gezielt Mitschüler erschießen und eine
Rohrbombe werfen, ein mitgeschnittener Anruf zeugt von der Bewunderung einer
jungen Dame, die sie irgendeiner Fernsehmoderatorin entgegenbringt, sie
telefoniert zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Highschool, während das Massaker
läuft. –Szenenwechsel. Das nur als kurzer Einblick in die Reportage, welche
bei weitem noch abgefahrenere Kuriositäten, die eben gar nicht so kurios
sind, zu bieten hat. Die inhaltliche Ausrichtung des Filmes, in subkulturellen
Kreisen oft mit einem einfachen „message“ gefasst, was umfasst
sie? Kann Moore erklären, weshalb gerade in den USA so viele Menschen durch
Schussverletzungen sterben, weshalb gerade dort nicht wenige Amokläufe
stattfinden, obwohl in bspw. Kanada ein Gros der Bevölkerung auch über Waffen verfügt?
Nein, er kann es nicht, obwohl er es krampfhaft versucht. Mitverantwortlich
sind wohl soziale Missstände, die Medien, das Grundgesetz, etc. Moore ist eben
wie gesagt Liberaler und kein Linker und erkennt folglich nicht, dass all
dem, was er kritisiert, die bürgerliche Gesellschaft zugrunde liegt. Deshalb
bleibt während der gesamten Reportage der blinde Fleck im Bewusstsein, das, was
letztlich wirklich dazu führt, sich eine Knarre zu schnappen und
durchzudrehen, unbeleuchtet. Trotz dieser Tatsache ist der Film unglaublich unterhaltsam
auf seine eigene furchteinflößende Art. Manchmal ernsthaft, manchmal
satirisch präsentiert er seine Suche nach Zusammenhängen und bleibt dabei objektiv,
zumindest in meinen Augen. In denen eines größeren Teils des anwesenden
Publikums sicherlich nicht. Manchmal möchte man aufstehen und das Kino verlassen,
wenn bspw. eine Reihe vor mir zwei Schmuddelzecken beim Anblick Bushs
brüllen: „Faschistenschwein!“. Aber das ist generell das Problem einer
Rezeption durch Deutsche, ein bisschen wie mit dem auch nicht üblen
„South Park“. Was hier wie dort wahrgenommen wird, ist plattester
Anti-Amerikanismus, der eben nicht die eigene Entstehungsgeschichte Amerikas
reflektieren will. Da schwatzt man schnell vom durchgeknallten Ami und will nicht
wahrhaben, wie durchgeknallt man selber ist. Gäbe es in Deutschland ein
Grundgesetz, das den Besitz einer Waffe für den Schutz der eigenen Familie erlauben
würde... Ach nein, dieses Szenario will ich mir nicht einmal in Ansätzen
vorstellen. Ein Polizeibeamter, der eben noch das „Arbeit statt
Sozialhilfe“-Programm der US-Regierung verurteilt, wird im nächsten Moment, als klar
wird, dass er Bulle ist, von denselben zwei Honks ausgebuht wie vorher Bush.
Die Suche nach dem Sündenbock für den alltäglichen Wahnsinn des
Kapitalismus, wie sie im Film noch einige Minuten davor kritisiert wurde. Für Littleton
fand man auch jemanden, nämlich den von mir sehr geschätzten Rockmusiker
Marilyn Manson, der wohl den intelligentesten Interviewbeitrag des Filmes
abliefert, weshalb ich im folgenden einige kurze Auszüge, entnommen seinem
schriftlichen Statement zu den Highschool-Morden, dokumentieren möchte.

„Der Name Marilyn Manson hat niemals den traurigen Umstand zelebriert,
dass Amerika Killer auf die Titelseiten des Time Magazines bringt und ihnen
damit dieselbe traurige Berühmtheit zuteil werden lässt wie Filmstars. Von
Jesse James hin zu Charles Manson haben die Medien, seit ihrer Entstehung,
Kriminelle zu Volkshelden stilisiert. Erst kürzlich wurden zwei neue erschaffen,
als die beiden Volltrottel Dylan Klebold und Eric Harris
(Columbine-Amokläufer; Anm. d. A.) auf jede Titelseite gepflastert wurden. Seid nicht überrascht,
wenn jeder herumgeschubste Jugendliche zwei neue Idole hat. (...) Wenn es
darum geht, wer für die Highschool-Morde in Littleton, Colorado, zu verurteilen
ist, dann wirf einen Stein und du triffst einen Schuldigen. Wir sind
diejenigen, die sich zurücklehnen und tolerieren, dass Kinder Waffen besitzen, und
wir sind diejenigen die sich einschalten und minutiös jedes Detail davon
verfolgen, was sie damit anstellen. (...) Im Moment ist jeder damit beschäftigt,
wie ein weiteres Littleton verhindert werden könne. Doch wie verhindert man
AIDS, Autounfälle, Weltkriege oder Wirtschaftskrisen? Wir leben in einem freien
Land, aber mit dieser Freiheit kommt die Bürde der eigenen Verantwortung.
(...) Es ist kein Wunder, dass die Kids heute viel zynischer aufwachsen; ihnen
gegenüber stehen unendlich viele Informationen. Sie können sehen, dass sie in
einer Welt leben, die aus Scheiße gebaut ist. (...) Amerika ist ein einziges
großes Einkaufscenter geworden und aufgrund des Internets und all der
Technologie, über die wir verfügen, kann man sich nirgendwo verkriechen. Menschen
sind überall gleich. (...) Ich habe immer versucht aufzuzeigen, dass die
Teufel, auf die wir unsere Greueltaten schieben, keine anderen sind als ein jeder
von uns. Deshalb erwartet nicht, dass das Ende der Welt aus dem Nichts
hervorschießt – es passiert jeden Tag, seit einer langen Zeit.“(1)

Abschließend möchte ich jedem ans Herz legen, sich den Film unbedingt
anzusehen, sei es nur, um sich mal wieder so richtig vor dem Irrsinn der
bürgerlichen Gesellschaft zu fürchten. 

Schlaubi 
 

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