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Re: [ox-de] Text zu Keimformen bzw. der Entwicklung sozialer Vermittlungsmechanismen



Hallo Stefan

Am 07.09.2011 21:58, schrieb Stefan Nagy:
Mir ist aufgefallen, dass ich in dem Text selbst zwischen Natur und
Kultur unterscheide; mir ist eigentlich klar, dass wir nichts anderes
als Kultur kennen, weil wir die Dinge an sich nicht erkennen kÃnnen und
jede Wahrnehmung bereits als Produkt unserer selbst begriffen werden
muss.

Wir verhalten uns gegen ein spannendes Gemisch von Welt einerseits (sinnliche Wahrnehmungen) und Beschreibungen von Welt andererseits. So ist jedes technische Artefakt in seinem bestimmungsgemÃÃen Gebrauch so eine Beschreibung von Welt, gegen die wir uns verhalten. Dass das technische Artefakt gelegentlich kollateralschadensfÃhig ist, sich also trotz bestimmungsgemÃÃen Gebrauchs nicht wie erwartet verhÃlt, zeigt, dass diese Art von Beschreibung der Welt in die Welt _eingebettet_ ist. Sie dennoch als Beschreibung der Welt von der Welt zu trennen - das ist dann Kultur. So etwa ... Das klassische Kantsche Diktum, die Materie der Erkenntnis lasse sich nicht dichten (sehr spannend dazu Renate Wahsner vor einiger Zeit in "Z"), dem entgegenzuhalten ist - aber Menschen kÃnnen dichten, also lasst uns dichten und Ãber unsere Dichtungen kommunizieren, auch wenn wir nicht wirklich verstehen (kÃnnen), was das mit Welt zu tun hat. So mal ganz grob den philosophischen Bezugsrahmen aufgespannt.

Ebenso bin ich mir dessen bewusst, dass es absurd ist den Menschen
gedanklich aus seinen Kontexten zu lÃsen bzw. ihn sogar in einen
Gegensatz zu diesen zu setzen. Es gilt also grundsÃtzlich, die
Dichotomie Natur/Kultur in beide Richtungen aufzulÃsen.

Das war der Kern meiner Bemerkung zu den Ameisen, die du ja als emergentes NaturphÃnomen so prononciert Kultur entgegengestellt hast - aus der Sicht der (denkenden und kommunizierenden) Ameisen enthÃlt dieses "emergente NaturphÃnomen" genauso eine in beide Richtungen aufzulÃsende Dichotomie Natur/Kultur. Die Unterscheidung Natur/Kultur hat also Ãberhaupt nur einen Sinn, wenn man sie vom Standpunkt der intersubjektiven menschlichen Kommunikation aus betrachtet. Wenn man diesen Standpunkt verlÃsst, und das machst du hier

D.h. mein Punkt ist eben genau der, dass die Gesamtheit in *keinem
Sinne* als "kulturelles PhÃnomen" begriffen werden kann.

dann ist die Frage, die Gesamtheit Ãberhaupt als "kulturelles PhÃnomen" adressieren zu wollen, bereits leer. In dieser Gesamtheit gibt es kulturelle Momente, aber man kann sich einer so aufgespannten "Gesamtheit" (andere sagen schlichter "Materie") nicht "als kulturelles PhÃnomen" nÃhern. Ich denke, da sind wir weitgehend d'accord, auch wenn mir scheint, dass genau dieser Moment in deinem Text nicht genÃgend konsequent verfolgt wird.

"Naturgesetz ihrer Bewegung" kann sich also nur auf die
Unreflektiertheit von VorgÃngen beziehen. Ich denke, dass Marx hier Kind
seiner Zeit ist und jegliche Reflexionsform der "prescience" abwertet.
Zumal er mit seinem von euch zu untersuchenden Versuch einer
Ãkonomietheoretischen Fundierung (auch wenn sie methodisch mit dem
geringeren Anspruch der "Kritik" daherkommt) nichts anderes erreichen
mÃchte als auch die Ãkonomie zur Science zu "adeln".

Wenn ich dich richtig verstehe, dann meinst du, dass die Marx'sche
Charakterisierung von Gesellschaft und ihrer Bewegung als "Natur" eine
temporÃre Zuschreibung ist; also dass es gilt, diese Natur zu
unterwerfen und in Kultur ÃberzufÃhren. Das entsprÃche dann meiner
Argumentation im ersten Drittel des Textes; also von wegen "klassisch
modernes Motiv der Naturbeherrschung".

Lies dazu den Text von Laitko, du hast den Begriff "science" hier nicht in dem von mir aufgerufenen Sinne verwendet. Dass science lange mit dem "Motiv der Naturbeherrschung" identifiziert wurde, ist richtig, aber die beiden sind nicht identisch und diese Identifizierung wird in den letzten Jahrzehnten auch zunehmend problematisiert (auch dazu Laitko). Marxens Ãkonomiekritik ist aber genau der Versuch, hier Ãberhaupt erst einmal science reinzubringen - und die Hilflosigkeit der heutigen Ãkonomietheorie gegenÃber den Finanzgeschichten zeigt, dass die Menschheit seitdem nicht viel weitergekommen ist, auch wenn in den Finanzgeschichten gewisse Aspekte von science in Gestalt der "rocket scientists" eine Rolle spielen. Allein die hohe KollateralschadensfÃhigkeit der so konstruierten "Technik" zeigt, dass hier allenfalls der Zustand scientistisch verbrÃmter prescience erreicht ist.

Ich glaube da nicht wirklich dran&  mÃchte die Diskussion, wie Marx das
eigentlich sieht, auch nicht unbedingt fÃhren. Die vielen
unterschiedlichen Zitate, die man in diesem Zusammenhang anfÃhren kann,
zeigen meiner Ansicht nach nur eines: nÃmlich dass es absurd wÃre, ihm
eine eindeutige Position zu unterstellen.

Ja, das ist auch nicht mein Ding. Allerdings, wenn man Dialektik ernst nimmt, dann _gibt_ es eine solche eindeutige Position auch schlicht nicht.

So weit mal meine 2ct dazu.

Viele GrÃÃe,
Hans-Gert
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