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[ox-de] keimform.de: Community Anti-Patterns



Community Anti-Patterns

http://www.keimform.de/2011/community-anti-patterns/

Von StefanMz

Dave Neary, langjÃhriges Mitglied der GNOME-Foundation 
<http://de.wikipedia.org/wiki/GNOME_Foundation> und Maintainer von 
maemo.org <http://maemo.org/>, hat auf der 
MeeGo<http://de.wikipedia.org/wiki/MeeGo>-Konferenz im November 2010 
einen interessanten Vortrag zur Frage gehalten, wie eine Community 
scheitern kann. Er wÃhlte dafÃr den Begiff ÂAnti-Patterns (nach 
Christopher Alexander 
<http://de.wikipedia.org/wiki/Christopher_Alexander>), also etwa ÂMuster 
destruktiven VerhaltensÂ. Viele (nicht alle) der aus der Software-
Entwicklung gewonnenen Beobachtungen lassen sich auf andere commons-
basierte Projekte Ãbertragen.

Zu Beginn des Vortrags erklÃrt Dave den Begriff ÂPattern (ÂMusterÂ) mit 
einem Picasso-Zitat: ÂGood artists copy, great artists steal (ÂGute 
KÃnstler kopieren, groÃartige KÃnstler stehlenÂ). Wenn man ein Muster 
von etwas wirklich versteht, dann nimmt man es in sich auf (Âstiehlt 
esÂ) und verwendet im eigenen, neuen Sinn weiter, anstatt das 
unverstandene Muster nur nachzuahmen (Âzu kopierenÂ).

Der Witz ist nun: Nachahmung funktioniert in Communities nicht! Aus 
bloÃer Nachahmung kÃnnen stattdessen Anti-Patterns entstehen, die Dave 
Neary dann in 8 Punkten beschreibt â inklusive VorschlÃgen (die sich 
v.a. an Maintainer <http://de.wikipedia.org/wiki/Maintainer> richten), 
damit umzugehen.

1. Cookie-Licker (Keks-Anlecker)

Im Bild leckt ein Kind, das den letzten Keks fÃr spÃter reservieren 
will, einen Keks an, damit ihn niemand anderes isst. In Communities wird 
dieses Verhalten auch Âvolunteerism (volunteer=Freiwilliger) genannt: 
Leute melden sich freiwillig fÃr eine Aufgabe, obwohl sie wissen oder 
ahnen, dass sie diese Aufgabe nicht erledigen kÃnnen (aus Zeitmangel 
etc.). Das Problem ist dabei, dass oft die besten Beitragenden in einer 
Community sich â hoch anerkannt â freiwillig melden und dann nicht nur 
die Aufgabe nicht hinbekommen, sondern den ganzen Prozess blockieren, 
weil auch niemand anderes inzwischen die Aufgabe erledigen kann. Der 
ganze Community-Prozess wird von wenigen Voluteeristen abhÃngig. Eine 
RÃckgabe der Aufgabe an die Community erscheint dann schwierig bis 
unmÃglich, weil sie es ja eigentlich hinbekommen kÃnnten und weil eine 
RÃckgabe das EingestÃndnis eines Fehlers oder einer Niederlage wÃre â 
verbunden mit dem entsprechenden Gesichtsverlust.

Was tun? Eine Fehlerkultur etablieren: Fehler mÃssen mÃglich sein. Es 
ist ok und erwÃnscht, eine Aufgabe zurÃckzugeben, dann jedoch mÃglichst 
zÃgig, nachdem klar ist, dass es nichts wird. Dieser Prozess muss 
community-Ãffentlich (also nicht Ãber private Mails) laufen, damit allen 
klar ist: Alle kÃnnen Aufgaben zurÃckgeben. Umso schneller dies nach dem 
Erkennen, dass die Umsetzung nicht klappt, geschieht, desto besser fÃr 
den gesamten Community-Prozess.

2. Help Vampire (Hilfe-Vampire)

Neue Community-Mitglieder kÃnnen die Hilfsbereitschaft und Projekt-
Ressourcen ÂaussaugenÂ. Jede (notwendige, erwÃnschte und sinnvolle) 
Frage auf einer Mailingliste erfordert die Aufmerksamkeit aller und 
entzieht die Ressourcen denen, die immer wieder antworten.

Was tun? ZunÃchst eine gute Dokumentation fÃr die immer wiederkehrenden 
Fragen schaffen. Versetze die Neuen in die Lage, sich selbst 
Informationen zu beschaffen und sich selbst zu helfen. Dann sollten die 
jeweils vor kurzem eingestiegenen Mitglieder, die den Einstiegsprozess 
gerade geschafft haben, ermutigt werden, die Fragen der gerade neu 
Hinzukommenden zu beantworten. Wichtig ist, dass die erfahrenen 
Mitglieder den Raum dafÃr lassen, die Einsteigerfragen durch die zu 
beantworten zu lassen, die die HÃrde vor kurzem erst geschafft haben.

3. RTFM (ÂLies das verdammte HandbuchÂ)

Das GegenstÃck zum Beantworten jeder kleinen, neuen Frage eines ÂHilfe-
Vampirs ist der schlichte RTFM-Verweis: Lies erst die Doku, lies erst 
das Wiki, lies erst die Mailingslisten-Archive â und dann komm wieder. 
Das ist genauso schlecht, wie auf jede triviale Frage immer wieder 
einzugehen.

Was tun? Hier greift die gleiche LÃsung wie beim ÂHilfe-VampirÂ.

4. Headless Chicken (Kopfloses Huhn)

In Communities ohne Âleadership (FÃhrerschaft, im Englischen nicht 
negativ besetzt) zerren die unterschiedlichen StrÃmungen das Projekt in 
verschiedene Richtungen, und es kommt nicht von der Stelle. Dies fÃhrt 
hÃufig zu Âbike shed (Fahrradunterstand) Diskussionen: Endlose 
Kontroversen Ãber nebensÃchliche Punkte, bei denen alle mitreden kÃnnen, 
wÃhrend die wichtigen Entscheidungen gar nicht getroffen oder 
durchgewunken werden, weil sie nicht wirklich beurteilt werden kÃnnen 
(Fahrradunterstand im Vergleich zur nÃchsten GroÃinvestition). Dies 
wurde von C.N. Parkinson 
<http://de.wikipedia.org/wiki/Cyril_Northcote_Parkinson> als 
ÂTrivialitÃtsgesetz 
<http://de.wikipedia.org/wiki/Parkinsonsches_Gesetz> formuliert.

Was tun? ÂLeadership etablieren, das heiÃt Maintainer finden, die die 
FÃhigkeit haben, die notwendigen Entscheidungen herbeizufÃhren. Oft gibt 
es Âde-facto leaderÂ, die eine entsprechende Reputation besitzen und 
deren VorschlÃgen das Projekt folgt, die sich aber selbst nicht als 
solche ansehen wollen. Hier gilt es, die De-Facto-Situation in explizit 
erklÃrte VerhÃltnisse umzuwandeln. In und zu klaren VerhÃltnissen kÃnnen 
sich die Projekt-Mitglieder auch klarer verhalten.

Zweite Option ist, eine Kultur des ÂMachens zu etablieren, anstatt eine 
Kultur des bloÃen Redens hinzunehmen. So kÃnnten Opponenten bei 
Konflikten aufgefordert werden, nach einer Auszeit ihre VorschlÃge 
ausformuliert vorzulegen. Oft ist es so, dass nach der Auszeit nur der 
initiale Vorschlag vorliegt, wÃhrend es die Einwender beim Reden und 
Meckern belassen haben. Und sollten doch zwei VorschlÃge vorliegen, dann 
ist eine Entscheidung auf ausformulierter Grundlage einfacher mÃglich.

5. Water Cooler (Wasserspender)

Dieses PhÃnomen ist aus Unternehmen bekannt: An allen mÃglichen Orten 
wird kreativ gearbeitet, nur nicht am Arbeitsplatz, z.B. beim Quatschen 
am Wasserspender, in der TeekÃche etc. Ãbertragen auf Community-Projekte 
wird dieses Problem in der Zusammenarbeit mit Unternehmen zum Problem, 
wenn Unternehmensmitarbeiter sich nicht transparent in den 
Kommunikationsstrukturen des Projekts bewegen, sondern Âmal eben zum 
Kollegen oder zur Kollegin nebenan gehen, um das Problem zu besprechen. 
Das hat mit einer ÂAngst vor Community zu tun in dem Sinne, dass nicht 
geglaubt wird, in der offenen Projektarbeit genauso viel Arbeit leisten 
zu kÃnnen wie im Unternehmen (Âauf der Mailingliste wird alles 
durchgekaut, dafÃr habe ich keine ZeitÂ).

Was tun? Niemand muss Ãberall mitreden, was in der offenen 
Projektkommunikation ablÃuft. Insbesondere, wenn es darum geht, 
bestimmte Ideen als integrales Konzept durchzusetzen, kann man 
(befristet) die Glashaus-Methode anwenden. Dabei wird z.B. eine 
themenbezogene Mailingliste eingerichtet, auf der ernannte Personen ein 
bestimmtes Problem bearbeiten. Die Mailingliste ist wie Ãblich offen fÃr 
Eintragungen, hat ein Archiv, ist also transparent. Aber BeitrÃge von 
Nichtmitgliedern der Arbeitsgruppe sind nicht mÃglich (z.B. per Listen-
Moderation). Auf diese Weise ist klar, wie Entscheidungen zustande 
kommen, was die GrÃnde waren etc. Das ist besser als sich still ins 
(virtuelle oder reale) Hinterzimmer zurÃck zu ziehen und dann plÃtzlich 
eine LÃsung vorzulegen, die alle Ãberrascht bzw. vor den Kopf stÃÃt.

6. Blackhole (Schwarzes Loch)

Wenn ein sehr aktiver Entwickler dafÃr fest angestellt wird, genau das 
zu tun, was er bisher getan hat, dann sinkt die AktivitÃt im Projekt. 
Der Hintergrund ist, dass im Unternehmen die Vorgesetzen ÂCode-
Schreiben als Aufgabe eines Entwicklers ansehen, nicht aber Review von 
Code von anderen Entwicklern, Kommunikation auf der Mailingliste, 
Beantworten von Fragen etc. Wenn nur noch Code geschrieben wird, keiner 
aber mehr weiss, wie der Stand ist, dann verschwinden solche 
Entwicklungen aus Sicht des Projekts in einem schwarzen Loch. Dann 
besteht die Gefahr paralleler Entwicklungen, Leute kÃnnen frustiert 
werden, wenn das, woran sie arbeiten, plÃtzlich aus dem schwarzen Loch 
als fertige LÃsung auftaucht. Frustrierte Entwickler verschwinden dann 
meist aus dem Projekt.

Was tun? ZunÃchst einmal sicherstellen, dass die komplette Bandbreite 
der bisherigen offenen TÃtigkeiten Teil der TÃtigkeitsbeschreibung im 
neuen Job wird. Es ist sinnvoll, dass auch die Manager Schulungen in 
ÂCommunity-Software-Entwicklung bekommen, denn die Software-Entwicklung 
in Communities funktioniert nun mal anders als in Unternehmen, und 
Manager mÃssen das verstehen. Die Transparenz darÃber, wer woran 
arbeitet, muss kontinuierlich gegeben sein. Ãffentliche Roadmaps sind 
hier sinnvoll. Die angestellten Entwickler sollten klar benennen, welche 
Aufgaben sie bearbeiten, und welche Aufgaben offen fÃr andere Entwickler 
sind.

7. Broken Window (zerbrochenes Fenster)

Das PhÃnomen spielt auf die inkonsequente Reaktion auf RegelverstÃÃe im 
Projekt an: Wenn ringsum die Fenster zerbrochen sind, ist es ein Signal 
dafÃr, folgenlos auch selbst ein Fenster einzuwerfen. Ãbertragen auf die 
Community sind das zum Beispiel Off-Topic- oder Bike-Shed-Diskussionen, 
Wiki-Vandalismus, VerstÃÃe gegen verabredete Namenskonventionen in Wikis 
oder im Code etc.

Was tun? Best Practices dokumentieren, aufschreiben, was im Projekt 
erwÃnscht ist; dann frÃhe, freundliche Erinnerungen, die Verabredungen 
einzuhalten, an solche Mitglieder, die dies nicht tun.

8. Community as emotional places (Gemeinschaften als Orte der GefÃhle)

Communities kÃnnen frustrierende Orte werden, Leute kÃnnen verzweifeln; 
Communities kÃnnen Orte werden, wo alle als wirkliches Kollektiv agieren 
und eine Vision verfolgen; Communities kÃnnen Orte werden, wo es Spaà 
macht, zu teilen â was den Kern von Freier Software ausmacht. In den 
Abschlussworten von Dave Neary:

    ÂLasst uns eine freundliche Umgebung schaffen, in der es Spaà macht, 
zu teilen, in der Leute sich sicher fÃhlen, groÃartige Arbeit leisten â 
und eine tolle Mobil-Plattform schaffen.Â

In der Diskussion empfiehlt Dave Neary dann drei BÃcher: allgemein zu 
Projektmanagement ÂPeopleware â Productive Projects and Teams von Tom 
DeMarco und Timothy Lister (deutsch: ÂWien wartet auf Dich! 
<http://de.wikipedia.org/wiki/Peopleware>), ÂThe Art of Community 
<http://www.artofcommunityonline.org/> von Jono Bacon und speziell fÃr 
Freie Software ÂProducing Open Source Software 
<http://producingoss.com/> von Karl Fogel (deutsch: ÂProduktion von 
Open-Source-Software <http://producingoss.com/de/>).

-- 
Start here: www.meretz.de
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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