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Re: [ox-de] keimform.de: Vom Strike Bike zum Free Bike?



Am 19.12.2010 10:58, schrieb Christian Siefkes:
URL: http://www.keimform.de/2010/vom-strike-bike-zum-free-bike/

Dieser Artikel knüpft an Stefans Überlegungen zum Ende des "Strike-Bike"
<http://www.keimform.de/2010/ende-des-strike-bike/>  an ...

Hallo Christian,

die Geschichte um Strike-Bike zeigt für mich vor allem, dass ökonomische Gesetzmäßigkeiten - zunächst dieser Gesellschaft - nicht hintergehbar sind. Wie weit es nur Gesetzmäßigkeiten _dieser_ Gesellschaft sind, wie du zu unterstellen scheinst, lässt sich wohl erst nach einer _Analyse_ ohne ideologische Scheuklappen, wo der Wunsch nicht Vater des Gedanken ist, überhaupt sinnvoll thematisieren.

Also mal der Versuch einer Kurzanalyse meinerseits:

(1) Jede (nachhaltige - ich setzte voraus, dass es darum ging, denn sonst können wir uns die Diskussion sparen) ökonomische Aktivität hat (wenigstens) zwei reproduktive Dimensionen, eine operative des Ersatzes des Produktionsverbrauchs und eine strategische (investive) der Reproduktion der Produktionsbedingungen. Du debattierst, wie in linken Zusammenhängen Usus, ausschließlich über die operative Dimension:

müssen die Nutzer/innen im Durchschnitt zumindest den Preis der
Rohstoffe und Vorprodukte zahlen, andernfalls wird das Projekt, das
diese Elemente ja auf dem Markt erwerben muss, zwangsläufig Pleite
gehen. ...
Die Rohstoffe und Vorprodukte sind aber natürlich nur der Anfang,
danach beginnt erst die eigentliche Arbeit, nämlich die Montage der
Fahrräder selbst -- was die Mitarbeiter/innen des
Strike-Bike-Projekts Tag für Tag gemacht haben.

Meretz noch etwas deutlicher:
Das Kernproblem alternativer Ansätze besteht darin, dass die
Verwaltungsform eines Betriebes nichts am Verwertungszwang ändert, an
dem sich die Produktion orientieren muss.

Dieser "Verwertungszwang" zwingt den Unternehmer aber _auch_ dazu, sich über die infrastrukturelle Reproduktion seiner eigenen "Verwertungsbedingungen" Gedanken zu machen und einen (großen) Teil des operativen Profits (um zu verstehen, wo die Abschreibungen genau zu platzieren sind, ist ein Blick in die Unterscheidungen der verschiedenen Formen von "Gewinn" der BWL durchaus hilfreich) in diese Reproduktion zu stecken. Die prospektive Rechnung dafür muss nicht jeden Tag (mit jedem operativen Zyklus) aufgehen, im Mittel aber über das Jahr.

(2) Wenn diese Rechnung nicht mehr aufgeht, wird der Unternehmer beginnen, diese ökonomische Aktivität abzuwickeln, weil er persönlich - unter Androhung der Pleite mit allen Konsequenzen für sein Unternehmerdasein - haftet. Das wird schleichend geschehen, denn er wird zunächst weniger in die Reproduktion der Infrastruktur stecken, um die frei werdenden Mittel in den Aufbau einer anderen ökonomischen Aktivität zu stecken. Das hat zunächst kaum Auswirkungen auf das operative Geschäft. Jedoch leidet das immer mehr und bei der nächsten größeren nicht getätigten Ersatzinvestition - so wohl auch bei Strike Bike - wird das Dilemma auch für die Beschäftigten sichtbar. Sie können also gern die - im wahrsten Sinne, weil abgeschriebene - "wertlose" Infrastruktur besetzen, in Besitz nehmen und auf dieser Infrastruktur - wie bei Strike-Bike geschehen - das operative Geschäft auf eigene Kosten und nach eigenen Vorstellungen weiter betreiben. Im Gegensatz zur Ausplünderung einer Zahl - keineswegs "wertloser" - DDR-Staatsbetriebe kurz nach der Wende wird der Unternehmer wenig zucken, sondern - wie nun geschehen - die Exekution der eigenen Prognose über den strategischen Gehalt des Geschäfts interessiert beobachten; es ist ja nicht mehr sein (operatives) Geld, was dort in den Sand gesetzt wird, sondern das von - aus seiner Sicht - "unverbesserlichen" Optimisten, von denen einige dort sogar Momente einer Keimform sehen.

(3) Das Abwickeln ökonomischer Aktivitäten, die sich aus einer gesellschaftlichen Ratio heraus überholt haben, ist eine gesellschaftlich nicht nur sinnvolle, sondern notwendige Angelegenheit. Vielleicht wäre ja Strike-Bike besser beraten gewesen, nicht weiter zu produzieren wie bisher, sondern das Werk zu einem regionalen Fahrrad-(Selbst)-Hilfezentrum mit angeschlossener Produktion maßgeschneiderter Fahrräder umzugestalten (wie beim Leoliner <http://de.wikipedia.org/wiki/Leoliner> oder Sportwagen Melkus <http://www.melkus-sportwagen.de> - ich hatte die Beispiele mehrfach erwähnt). Aber auf dem Segment (Fahrrad) tummeln sich auch schon einige kleine, wie z.B. der Besitzer meines Fahrrad-Werkstatt-Ladens um die Ecke, der längst solche Ideen hatte (maßgeschneiderte Fahrräder auf der Basis einer industriellen Komponentenproduktion, wofür heute offensichtlich nur noch geringe Montagekapazitäten erforderlich sind, die man auch als Reparaturbetrieb vorhalten muss - eine Infrastruktur, mehrere Zwecke; über den Verkauf wird das Reparieren offensichtlich querfinanziert, was die Attraktivität im Viertel noch erhöht).

Ich denke, dass die Punkte (1) bis (3) auf der Ebene der gesellschaftlichen Allokation von _Ressourcen_ (die sich in _dieser_ Gesellschaft über Geld als Kommunikationsmittel steuert) auch in einer Peer-Ökonomie einer Regelung bedürfen. Insbesondere Punkt (3) - Abwicklung einer ökonomischen Aktivität, die einzelnen sehr am Herzen liegt, aber gesamtgesellschaftlich nicht mehr "sinnvoll" ist - fände ich spannend, mal aus PÖ-Sicht am Strike-Bike durchzudeklinieren. "Selbstbestimmte Praxen" im Free Software-Bereich - aka tote Projekte - als vergleichende Objekte, um die praktischen Dynamiken des schrittweisen Ressourcenentzugs genauer zu studieren, gibt es ja zuhauf.

Viele Grüße,
Hans-Gert
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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