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Re: [ox-de] Oekonux Kritik auf http://marx101.blogspot.com/



On 2009-10-31 14:07, Stefan Meretz wrote:
Danke, Franz! Ich habe den Artikel nochmal formatiert, weil er
wirklich gar so schrecklich zu lesen war:
http://www.keimform.de/2009/10/31/repost-ueber-den-commonismus/

Und hier gibt's jetzt eine Diskussion dazu:
http://www.keimform.de/2009/11/05/diskussion-von-ueber-den-commonismus/

Franz hat den Artikel »Vom Kapitalismus über den Commonismus zum 
Kommunismus?« von Daniel Scharon aufgetan, dessen Original ziemlich 
schwer lesbar ist und das ich deshalb reformatiert auf keimform.de 
übernommen habe. Der Artikel enthält eine Auseinandersetzung mit 
Oekonux, Freier Software, Peer-Ökonomie, Commonismus und Kommunismus.

Zu diesem Artikel einige Anmerkungen, weil’s so viel ist, in einem extra 
Artikel.

Ich zitiere einzelne Passagen und kommentiere sie dann.

Die GPL … führt erstmal auch das Prinzip des Copyleft ein. Dieses
basiert zwar auf dem Copyright bzw. Urheberrecht, verlangt aber, dass
sämtliche aus GPL-lizenziertem Programmcode abgeleiteten bzw.
modifizierten Werke auch wieder unter eine freie Lizenz gestellt werden
müssen.

So weit ich weiß basieren *alle* Lizenzen, nicht nur freie und nicht nur 
die GPL, auf dem Copyright bzw. Urheberrecht. Abgeleitete Werke müssen 
nicht nur »wieder unter eine freie Lizenz« gestellt werden, sondern 
explizit wieder unter die GPL.

Der in dem Text oft formulierte Gegensatz von GPL vs. Open-Source-
Lizenzen besteht nicht. Die GPL ist selbst eine Open-Source-Lizenz im 
Sinne der OSI-Definition.

Die Frage nach dem emanzipatorische Gehalt von Handlungen durch Freie
Software wird also aus der Sphäre des Rechts ausgelagert.

Das ist eine gute Beobachtung, es ist ein wichtiger Punkt, der oft nicht 
verstanden wird. Es ist die Antwort auf die Frage: Warum schreibt Freie 
Software nicht normativ vor, wo und wofür sie einzusetzen ist?

Der Code wird häufig und in einem recht frühen Entwicklungsstand
veröffentlicht. Dies bedeutet, dass in solchen sogenannten „beta
releases“ noch viele Fehler, „Bugs“ genannt, enthalten sein können.

Ein Beta-Release ist ein ziemlich später Entwicklungsstand (nämlich 
schon ein Release). Der Code ist einsehbar, sobald er in eine 
Versionsverwaltung eingecheckt wurde.

Freie Software ist in der Epoche des Kapitalismus jedoch kein
Einzelfall für ein Beispiel von nicht-warenförmigen Produkten. Im
Rahmen von Hausarbeit, Familie, Ehrenamt usw. kooperierenden Menschen
existiert zwar ein Wechsel von Stoffen und Informationen zwischen den
Individuen, jedoch existiert kein Tausch, und damit keine Ware.

Richtig.

Die zahlreichen Open Source-Lizenzen, die nicht den strengen
Richtlinien der GPL genügen, und somit dem „neoliberalen Modell Freier
Software von Eric S. Raymond“ entsprechen, nimmt allerdings auch
Meretz von dem Gütesiegel „Wertfreiheit“ aus (vgl. Meretz 2000).

Äh, nö, tue ich nicht. Auch nicht in der angegebenen Quelle.

Ein Tauschwert besteht somit für Freie Software nicht.

Eben.

Auch das Gegenteil ist für Marx möglich, ein Preis ohne Tauschwert.
(…) Somit ist es auch möglich, dass Freie Software zu einem bestimmten
Preis verkauft wird.

Ich kenne keine einzige Freie Software, bei der das der Fall ist.

Wert erhält Freie Software nur dann, wenn ein Weg gefunden wird, sie
der Allmende zu entreißen und wieder einem Verwertungsregime
einzugliedern, z.B. durch eine Lizenänderung des Maintainers, durch
Doppellizensierung, welche inzwischen oft schon die Regel darstellt,
usw.

Hat sie nun Wert oder nicht? Oder nur Wert, aber keinen Tauschwert? Und 
der Wert entsteht durch Lizenzänderung??

Entsprechend der Thesen von Meretz/Merten heißt das, dass Freie
Software nur dann keinen Wert hat, wenn sie eine Freie Lizenz (im
Sinne des Copyleft) besitzt und in Meretz’ Sinne “doppelt frei” ist.

Nope. Freie Software ist keine Ware und wertfrei, jede. Das habe ich 
doch immer deutlich so gesagt und geschrieben?

Demzufolge kann Freie Software, die unter den Bedingungen von
Lohnarbeit erstellt wird, Wert besitzen.

Nope. Nicht jede Lohnarbeit schafft Waren, vgl. z.B. die (meisten) 
Staatstätigkeiten.

Die Höhe des Werts bemisst sich nach der gesellschaftlich
durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit für das Erstellen der
Software.

Wie hoch soll denn die »gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen 
Arbeitszeit« sein, wenn Freie Software niemals in einen 
gesellschaftlichen Vergleich eingeht?

Kann eine durch abstrakte Arbeit zustandegekommene Software nicht mehr
verkauft werden, weil der Preis zu hoch oder das Angebot aufgrund von
Überfluss nicht mehr knapp ist, realisiert sich der Wert nicht.

Also realisiert sich der angebliche Wert der Freien Software nur deshalb 
nicht, weil sie nicht verkauft wird? Hm, vielleicht sollte ich sie 
verkaufen, wenn noch niemand auf die Idee kam…

Freie Software im privatkommerziellen Unternehmen ist ein Verwertungs-
Modus der besonderen Art.

Hm, anscheinend so besonders, dass man darüber nur rätseln kann.

Ein möglicher Wert von Freier Software gilt jedoch nicht für
Dienstleistungen, welche nur auf Freie Software aufbauen, da für diese
Freie Software lediglich ein Produktionsmittel ist, welches als
Allmende, so wie beispielsweise das Wasser eines Flusses für eine
Mühle, frei zugänglich und benutzbar ist.

Huch, jetzt hat Freie Software doch keinen Wert? Hätte sie einen, dann 
würde der sich doch als »Produktionsmittel« auf das hergestellte Gut 
übertragen. Was ist hier eigentlich ein Produktionsmittel? Software und 
Wasser auf die Mühle?

Innerhalb dieser Arbeit kann nicht der Kommunismus selbst entworfen
werden…

…sagt er zu Beginn und tut’s dann doch. Leider wie so viele unter 
Rückgriff auf die Gothaer-Programm-Kritik von Marx. Diese Kritik war eine 
Verzweifelungstat von Marx aufgrund des Rufes der Arbeiterbewegung nach 
»Bildern« und »konkreten Vorschlägen«. Es war ausgeformulierte 
Proudonismus, wie Uli Weiss meint [http://wadk.de/2009/audio-
dokumentation-der-kommunismus-veranstaltung/], den Marx selbst stets 
bekämpft hat. Der Realsozialismus konnte sich mit vollem Recht darauf 
berufen. Kommunistische Ansätze heute können dies nicht mehr. Einen 
Knackpunkt hebt der Autor allerdings richtig heraus:

Dass für Marx in der ersten Phase des Kommunismus noch das Prinzip des
äquivalenten Austauschs von Konsumgütern nach geleisteter Arbeit
besteht, wird von mehreren Seiten kritisiert …, da gerade dieses
Prinzip … laut Marx selbst eigentlich untrennbar mit dem
kapitalistischen Lohnsystem verbunden sei.

Nicht nur mit dem Lohnsystem, sondern mit allen Kategorien des 
Kapitalismus.

Eine Bezahlung nach dem Arbeitsertrag lässt daher noch die Tür offen
für den Fortbestand der Arbeitsteilung und von Ausbeutung.

Hier kommt erstmals die merkwürdige Idee ins Spiel, die Arbeitsteilung 
nicht fortbestehen lassen zu wollen. Dann wäre es auch Essig mit Freier 
Software ;-)

Im Folgenden werden dann Peer-Ökonomie, Commonismus und Oekonux in einen 
Topf geschmissen. Die Kritik richtet sich an die Peer-Ökonomie, im Kern 
an die »Kopplung von Arbeitsleistung und Güterbezug«, was ich teile. Als 
Maßstab wird jedoch eine wie auch immer »kommunistische« Gesellschaft 
angelegt, was IMHO das PÖ-Modell überfordert. Der absolute Maßstab 
hindert den Autoren auch, sinnvoll mit dem Keimform-Konzept umzugehen.

Ebenso problematisch ist seine Gegenüberstellung von Besitz und
Eigentum. Seiner [Christian Siekes'] Meinung nach basiere die Peer-
Produktion auf Gemeingütern und Besitz, nicht auf Eigentum. In
Privatbesitz befindliche Produktionsmittel „fungieren als Besitz
(etwas, das man benutzt), nicht als Eigentum (etwas, das man verkaufen
oder verwerten kann)“. Dies ist bei fungierenden Kapitalisten aber
bereits in vielen Fällen auch nicht anders.

Hier hat der Autor den Unterschied wohl nicht verstanden. Der Kapitalist 
ist Eigentümer der Produktionsmittel und verwertet sie. Sicher benutzt 
er sie insofern auch, aber das ist hier nicht das bestimmende Moment. 
Hier fallen Eigentum und Besitz zusammen, weshalb das auch oft 
gleichgesetzt wird. Doch selbst das BGB kennt den Unterschied von Besitz 
[http://de.wikipedia.org/wiki/Besitz] und Eigentum 
[http://de.wikipedia.org/wiki/Eigentum]. Der Absatz geht so weiter:

Freier Unternehmerwillen wird dadurch ausgedrückt, weil sie mit
fremdem Eigentum umgehen.

Sie — die Unternehmer? Welches fremde Eigentum ist hier gemeint? Was hat 
das mit dem freien Willen zu tun?

So betrachtet steht das Konzept der Entwicklung Freier Software, was
die Arbeitsorganisation und die Lizenzbedingungen angeht, nicht im
Widerspruch zum Kapitalismus. Weder schließen die Lizenzen
Lohnarbeitarbeitsverhältnisse oder Privateigentum aus, noch den
Einsatz privatwirtschaftlicher Geschäftsmodelle zur Verwertung von
Dienstleistungen rund um die Produkte Freier Software. Dies wären
jedoch notwendige, wenngleich noch nicht hinreichende Voraussetzungen
für kommunistische Produktionsweise…

Niemand (?) behauptet, dass Freie Software eine »kommunistische 
Produktionsweise« ist. Die analytische Potenz der Keimform-These  
besteht darin, die Gleichzeitigkeit von Altem und Neuem, von 
kapitalistischer Funktionalität und Transzendenz, denken zu können — 
anstatt immer wieder in ein entweder-oder zu verfallen. Kommunismus als 
»wirkliche Bewegung« (Marx) anstatt als Zustand. Am Rand: Hier sind 
Dienstleistungen doch wieder verwertbar (im Gegensatz zur Aussage 
vorher).

Wie der Tauschwert zum Gebrauchswert, so steht die Verwertung der
Freien Software zur Freien Software selbst. In der kapitalistischen
Produktionsweise ist die Produktion von Freier Software nur ein Mittel
für den Verwertungsprozess, Zweck und Inhalt bleibt weiterhin die
Produktion von Mehrwert, nicht das interesselose Wohlgefallen an der
Verbreitung nützlicher Software.

Nur Mittel für den Verwertungsprozess, aber selbst nicht verwertet? Das 
ist die analytisch interessante Frage. Dass alles im Kapitalismus zu 
Zwecken der Verwertung genutzt wird, ist klar. Dem Kapitalismus 
vorzuwerfen, er habe »nicht das interesselose Wohlgefallen an der 
Verbreitung nützlicher Software«, ist merkwürdig.

Die Existenz von nichtwarenförmigen Beziehungen kündigt
dementsprechend nicht das Ende des Kapitalismus an sondern war schon
immer Bestandteil des Kapitalismus. Er könnte wahrscheinlich nicht
existieren ohne die großen Bereiche, in denen Werte nicht verwertet
werden.

Mal abgesehen von der lustigen Formulierung der »Werte«, die »nicht 
verwertet werden«, ist die Aussage zutreffend. Doch es betrifft nicht den 
Kern der Keimform-These. Diese behauptet, dass die Freie Software bzw. 
allgemeiner: die Peer-Produktion, der Kern einer neuen Produktionsweise 
ist, die eine neue gesellschaftliche Form, eine andere Form der 
Vergesellschaftung, konstituieren kann. Sie ist also nicht nur »nicht 
warenförmig«.

Die These der nicht Warenförmigkeit Freier Software und die These der
Keimform einer nichtkapitalistischen Produktionsweise, lässt sich bei
näherem Hinschauen nur mit diversen Kunstgriffen aufrecht erhalten. Die
mannigfaltigen, von den Vertretern dieser These erkannten
Erscheinungsformen der Verwertbarkeit von Freier Software im Rahmen
der kapitalistischen Produktionsweise werden von ihnen oft als
Ausnahmeerscheinungen abgetan.

Was wie Kunstgriffe erscheinen, sind aus meiner Sicht analytische 
Differenzierungen, bei denen nicht das Sollen (»Freie Software soll eine 
Keimform sein«) die Leitidee ist. Hier ist nun wieder von der 
»Verwertbarkeit von Freier Software« die Rede, woran die Notwendigkeit 
der differenzierten Sicht verdeutlicht werden kann: Freie Software ist 
nicht verwertbar, aber sie geht durchaus in Prozesse der Verwertung ein: 
als wertfreies und kostenloses Material und Mittel. Das sind auch keine 
Ausnahmeerscheinungen, sondern es ist die kapitalistische Regel.

So werden die meisten (GPL-artigen) Open Source Varianten von
vorneherein aus der These ausgeklammert und selbst bei der Freien
Software, bei der alle Voraussetzungen wie freie Verfügbarkeit, freie
Quellen, freie Änderbarkeit und freie Verteilbarkeit erfüllt sind,
müssen sie noch unterscheiden zwischen „einfach freier Software“
(Software, die unter Lohnarbeitsverhältnissen entwickelt wird) und
„doppelt freier Software“ (die in der Freizeit und unter Bedingungen
freier Selbstentfaltung zustande kommt) um die These aufrecht zu
erhalten.

Das stimmt schlicht nicht. Die analytische Bestimmung der Wertfreiheit 
Freier Software hängt nicht von der Art der freien Lizenz ab. Auch die 
Unterscheidung von einfach und doppelt freier Software hat nicht die 
Funktion, die Wertfreiheit zu begründen (oder ihre Werthaltigkeit), 
sondern darauf hinzuweisen, dass das Selbstentfaltungspotenzial bei 
doppelt Freier Software weit größer ist als bei einfach Freier Software.

Nicht abgestritten aber vernachlässigt wird die Unsitte der
Doppellizensierung, also der bemerkenswerten Ausbeutung der
unentgeltlichen Arbeit der Open Source Community durch die
Privatwirtschaft und deren Verwertungsinteressen.

Ausbeutung ist eine ökonomische Kategorie. Die Community wird aber in 
diesem Sinne ebenso wenig ausgebeutet wie das Wasser des Flusses durch 
eine Mühle. Hier könnte man stattdessen im moralischen Sinne von 
Ausbeutung sprechen — doch dies würde dem Anspruch des Autors 
widersprechen.

Die Integration ins Alte, und damit dessen Auffrischung ist voll im
Gange. Die Grundprinzipien von Freier Software bzw. der Art ihrer
Produktion bleiben trotzdem eine Grundbedingung für eine moderne,
nicht-kapitalistische Produktionsweise.

Das einerseits-andererseits macht den Artikel unklar in der Aussage: 
Wird Freie Software nun komplett in die kapitalistische Logik integriert 
oder ist sie eine Grundlage für eine nicht-kapitalistische 
Produktionsweise? Oder gibt es einen dialektischen Zusammenhang zwischen 
beidem? Wenn ja, wie?

Nur im Sinne von Meretz/Merten „doppelt freie“ Software, welche somit
auch nicht dual-lizenziert ist, hätte das Potential zur Entfaltung
eines neuen Produktionsmodells.

Nochmal: Nein, diese Beschränkung in der Aussage gibt es (zumindest bei 
mir, aber ich denke auch bei Stefan Merten) nicht.

Weder Marx noch bestimmte Verfechter der Peer-Ökonomie wie Siefkes
werfen auf befriedigende Weise „die Frage der politischen Macht“ …
auf.

Doch, die Frage wird nur ganz anders aufgeworfen, als das viele 
erwarten: Nämlich nicht als politische Macht, sondern als Handlungsmacht 
der Konstitution einer neuen Produktionsweise. Dass dies auch politische 
Implikationen hat, ist sicher so, aber die traditionelle (Macht-) 
Politik ist kein Hebel zur Durchsetzung neuer Verhältnisse.

*Fazit*

Irgendwie will der Autor Keimform & Co kritisieren, aber dann doch nicht 
richtig verwerfen. Die Argumente schwanken hin und her und widersprechen 
sich teilweise. Die Untersuchung ist trotz des Marx-Bezuges mehr eine 
Erzählung denn eine Analyse. Einige kritische Punkte werden genannt, 
aber nicht ausgeführt (etwa die Frage der Macht). Nicht wirklich 
befriedigend.

Ciao,
Stefan

-- 
Start here: www.meretz.de
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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