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Re: Antw: Re: [ox] Potsdamer Denkschrift 2005





crox iac-research.ch 11/22/05 7:37  >>>
Wolfgang Gaiswinkler schrieb:
Die Gleichsetzung des Predatordenkens oder -handelns mit steinzeitlichen
Jägern und Sammlern zeigt meines Erachtens dass diese Predator/Produzenten
Einteilung konfus ist und weder analytisch noch praktisch weiterbringt.

In vielen durchschnittlichen Ethnologiebüchern wirst Du nachlesen können,
Chrsitoph dass die Phänomene die Du kritisierst und die den Predatoren eigen
sein sollten, dass diese Phänomene in Jäger- und Sammlergescellschaften gar
nicht exisiteren. Erst mit Ackerbau und Produktion ist es möglich in
relevantem Ausmaß zu akkumulieren.

Man könnte also durchaus sich eine Theorie zurechtschnitzen und behaupten
mit Ackerbau und Produktion von Gütern hätten die Probleme erst angefangen.

...aber nicht durch Produzenten, sondern durch Predators.  Die Raubritter
akkumulierten die von den Bauern geraubten bzw. als "Steuern" abgepressten
Güter.  (Wohlgemerkt ist dafür kein Geld nötig -- Land, Wertmetalle und
Schmuck eignen sich auch zur Akkumulation.)  War das der Fehler der Bauern?

Den Produzenten kann man höchstens vorwerfen, dass sie sich das bieten
liessen, und sich gegeneinander ausspielen liessen (z.B. einige Produzenten
die Waffen für die Raubritter produzierten).  Genau hier setzt ja die von
mir skizzierte "Produzenten-Revolution" an!

Bevor es Ackerbau gab, zogen die Nomaden herum und konnten eh nicht viel
"mitschleppen" -- daher war "Akkumulieren in relevantem Ausmaß" dort eh
noch kein Thema.  Aber ein Predator, der "von der Hand in den Mund lebt",
bleibt ein Predator.  Was zählt ist die "Lebensweise".  Also abgesehen
vom dort eh nicht möglichen grösseren Akkumulieren, welche Predator-
"Phänomene" sollen bei Jäger&Sammler-Gesellschaften gar nicht existiert
haben?

Die Logik des Akkumulierens hat nicht existiert. Ob die Logik des Raubens, Sammelns und Wildbeutens von einer Logik des Akkumulierens bestimmt ist oder nicht macht den Unterschied. 

In modernen Gesellschaften wird arbeitsteilig ein Überschuß produziert, akkumuliert, abgeschöpft, verteilt - wie auch immer. 

Die Art und Weise wie diese arbeitsteilige Produktion und die Akkumulation, Abschöpfung Verteilung usw organisiert wird folgt Logiken die sich nicht nur aus der Logik von technischen Systemen ableiten lassen.

Das ist die interessante Frage: Wie organisieren sich Menschen wenn es über face to face groups hinausgeht.  Metakommunikation über soziale Systeme war historisch tabu und ist es weiten Bereichen auch heute noch. Mit deiner Denunzierung der Organisaitonsleute als Predators strickst Du an dieser Tabuisierung mit. 

Wenn die ProduzentInnen etwas erreichen wollen, müssen sie ihre sphäre der Technik, der Mathematik und der Naturwissenschaft verlassen und sich mal anschauen wie das die Leute die Du Predators nennst so gemacht haben in Geschichte und Gegenwart. Die Frage von Organisation und Arbeitsteilung muß Thema werden. Wie kann Organisation und Arbeitsteilung gemacht werden ohne die vielen negativen entsetzlichen Auswirkungen unter denen wir heute leiden. Organisation und Arbeitsteilung ist ein eigenes "Handwerk". das sind eigene Professionen die man nicht einfach voluntaristisch einer Produktionslogik unterordnen kann. Mit der Denunzierung der Leute die sich mit diesen Dingen beschäftigen als Predator arbeitest Du mit an der Bewahrung dieser Kompetenzen mitz Organisation umzugehen als Geheimwissen. 

Es scheint mir verdammt naiv zu meinen die komplexen Fragen von Arbeitsteilung und Organisation nennen wir einfach alle Räuberzeugs (Predators) dann schaffen wir die Räuber ab und mit ihnen die Probleme.     

Nochmal: anonyme soziale Systeme also Organisationen entwicklen eigene Logiken. die zu verstehen und dieses Verständnis den ProduzentInnen zugänglich zu machen wird uns weiter helfen. 

Zu meinen die Chefs sind alle Predators und wenn die nicht da wären wäre alles besser ist zwar verständlich aber naiv. 

Dieser Ansatz wird uns nicht helfen, den "Laden" zu verstehen, den Laden zu übernehmen, den Laden umzubauen oder einen neuen Laden zu bauen. 

Im übrigen folgst Du mit der Mißachtung der Eigenlogik von Organisationen Marx, der diese Phänomene meines Wissens nach auch ignoriert hat (andererseits hat er in anderen Beeichen viel interessantes material vorgelegt)

      


Hoch die Predators und gegen die dumpfen Bauern. Predators könnte man mit
Jäger und Sammler oder Wildbeuter übersetzten - klingt doch ganz sympathisch.

Ich würde so eine Theorie wohl für etwas zu vereinfacht halten und
vielleicht könnte man da auch ein bißchen Karl May Romantik kritisch darin
erkennen. Aber etwas historisch richtiger schiene sie mir doch als diese
Predator=schlecht  - Produzenten=gut Einteilung.

Mit welcher Begründung?  Was ist an Predators, an Ausbeutung gut?

Die "Ausbeutung" der JägerInnen und SammlerInnen mit der Ausbeutung in modernen arbeitsteiligen Gesellschaften gleichzusetzen ist eben zu simplifiziert. Natürlich gibt es da eine Verbindung. Die Kompetenzen eines Raubritters knüpfen an jägerischen Kompetenzen an. 

(Beachte übrigens, dass die Geschichtsschreibung einen "Predator-Bias" hat,
 da Geschichte von den Herrschenden und Siegern "geschrieben" wurde.)

wenn Du von Herrschenden sprichst kommst Du auf den Punkt. womit wir uns beschäftigen müssen ist mit dem Phänomen Herrschaft. Herrschaft im soziologischen Sinn hat es in Jäger und Sammler Gesellschaften nicht gegeben - was nicht heißt dass es nicht Gewalt und Macht gab oder man nicht ermodet werden könnte. 

"Herrschaft" wird (sinnvollerweise) so verwendet dass es dabei um Macht von menschen über Menschen geht in einem sozialen System dass über eine fact to face group hinausgeht. Im Unterschied zu "Dominanz" - in einer fact to face group -  wo ich meine Position durch Gewalt, Herkunft, Charisma, kommunikative oder irgendeine andere Kompetenz, die für das soziale System nützlich, beeindruckend oder interessant ist aufrechterhalten muß. In einem Herrschaftssystem krieg ich ein Amt verliehen, bekomme eine "Funktion" auch wenn ich diese Funktion sehr schlecht erfülle bleibe ich formal Amtsträger solange bis ich wieder abberufen werde.  



  

Und worauf willst Du hinaus?  Dass wir Ackerbau&Produktion abschaffen und
zu Jäger&Sammler zurückkehren?  Tja, dann sind die Wälder aber sehr bald
leergejagt und -gepflückt...  _das_ soll "ganz sympathisch" sein?!

Ich will nicht zu einer Jäger und Sammler gesellschaft zurück - wär auch schwer für mich - ich bin stark kurzsichtig. Aber trotzdem: 

Dir sind die Predators in der historischen Erscheinungsform Jäger und Sammler nicht sympathisch? Das wundert mich sehr. Hast Du bei den Westernfilmen wirklich immer auf der Seite der Viehzüchter und ihrer Büttel der Cowboys gestanden oder hast Du dich nicht doch mit Indianern identifiziert?

Bei der "Bewertung" von Jäger und Sammlergesellschaften reicht das Spektrum von Karl May Romantik bis zu mehr oder weniger soliden Daten. So gibt es Studien dass in Gegenden mit halbwegs brauchbaren Klima sich die Leute nur sehr wenige Stunden des Tages damit beschäftigen mußten zu "arbeiten" der Rest war Ruhe, Kultur, Spiel, Sozialleben. Ein schöner Gegensatz zur Schufterei eines Ackerbauern. 

Ob man diesen Befunden trauen kann ist die Frage. Evident scheint mir zu sein: unser Blick ist da wohl sehr von unserern Projektionen getrübt. 

JägerInnen und SammlerInnen als die klassichen "Steinzeitmenschen" (Gewalt, nicht Kultur ..., Primitivität) zu sehen ist kompletter Quatsch und andererseits bei den JägerInnen und SammlerInnen die paradiesische Urgesellschaft den Urkommunismus zu verorten ist wohl auch eine Projektion die uns nicht weiter bringt.  

Gruss,
Christoph




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