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[ox] Claus Müller * Open-Craft.org - Vorstellung des Projekts (was: [ox-en] Conference documentation / Konferenzdokumentation)



Open-Craft.org
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Claus Müller [claus at open-craft.org]

Vorstellung des Projekts
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Kurzvorstellung
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Open-Craft.org [http://Open-Craft.org/] ist ein Online-Projekt in dem
ich versuche unter Handwerkern die Möglichkeiten von Open-Source und
frei geteiltem Wissen zu aufzuzeigen und zu pflegen.

Es besteht bisher aus verschieden Teilen, die sind:

1.   Ein, wie ich es nenne, Wissenspool. In diesem Wissenspool haben
     Handwerker die Möglichkeit, ihr Wissen frei mit anderen zu
     teilen. Angedacht ist dabei, dass Sie dort
     Konstruktionszeichnungen pfiffiger Detaillösungen, DXF-Dateien
     häufig gebrauchter Einzelteile für eine Teilebibliothek, Tipps
     und Kniffe und vielleicht sogar Dokumentationen ganzer Projekte
     mit Vor- und Nachkalkulation hinterlegen können.

2.   Einer Sammlung von OpenOffice.org-Tabellendokumenten. Ich habe im
     Laufe der letzten Jahre einige Hilfsmittel für meine eigene
     Schreinerei erstellt, die ich dort unter der GPL lizenziert
     anbiete.

3.   Einer Linksammlung über freie Software, die für Handwerker
     nützlich sein kann.

4.   Einem Forum, um über Open-Craft.org zu diskutieren.

Hintergrund
===========

Ich heiße Claus Müller, ich bin Schreiner, 38 Jahre alt, verheiratet
und habe zwei Kinder.

Gemeinsam mit meiner Frau Sandra, die Schreinermeisterin ist, betreibe
ich eine ökologische Schreinerei in Süddeutschland im Raum Heilbronn.

Über meinen Hintergrund zu reflektieren fällt mir nicht leicht. Mein
politisches Handeln, dazu zähle ich die ökologische Ausrichtung
unserer Schreinerei wie auch Open-Craft.org, ist eher durch mein
Lebensgefühl geprägt als durch rationale Überlegung. Daraus resultiert
auch, dass ich meine Aussage über mich nicht als absolut hinstellen
will, ich könnte mich auch ganz anders darstellen und es wäre trotzdem
richtig.

Ich bin schon seit früher Jugend ein sehr politisch denkender und
agierender Mensch. Ich war in der Friedens- und Ökobewegung der 80'er
aktiv, bin insofern also so etwas wie ein alter Grüner (aber kein
neuer mehr), aber auch ein Linker den der Kernsatz der Französischen
Revolution "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" innerlich wirklich
bewegt.

Seit vielen Jahren bewegt mich auch die sogenannte Frage nach dem Sinn
des Lebens. Um dieser auf den Grund zu kommen, bin ich seit 10 Jahren
Zenschüler. Das heißt ich besuche Kurse für Zen-Meditation bei einem
Zenlehrer.

In diesem Zusammenhang habe ich auch viele Bücher des Amerikanischen
Bewusstseinsforschers Ken Wilber gelesen, dessen Ideen mich sehr
geprägt haben.

In wenigen Sätzen etwas über Ken Wilber zu sagen ist nicht ganz
einfach, aber ich werde es trotzdem versuchen:

Ken Wilber forscht und denkt in erster Linie über die
Bewusstseinsevolution der Menschheit. Er beschreibt diese im Groben
so, dass wir uns auf dem Weg vom unbewussten Menschen in der
Steinzeit, über den selbstbewussten Menschen der Gegenwart zum
überbewussten Menschen der Zukunft entwickeln. Überbewusst heißt, dass
wir unsere Umwelt und unser Selbst als untrennbar erfahren, als, wie
es manche Zen-Meister so schön ausdrücken, nicht-zwei.

In der spirituellen Übung und in der Lektüre der Bücher Ken Wilbers
habe ich selbst ein starkes Gefühl für die Untrennbarkeit aller Wesen
gewonnen und die Hoffnung dass die Menschheit die Chance hat diese
Untrennbarkeit zu erfahren. Dieses Gefühl der Untrennbarkeit
beinhaltet ebenso mein Verhältnis zur Umwelt, zur Natur, wie auch das
zu meinem sozialen Umfeld.

Das ergänzt sich nun wieder wunderbar mit meinen politischen
Ansichten, denn als untrennbarer Teil der Welt übernehme ich in ihr
Verantwortung für mein Handeln. Ich schone die Umwelt, die ebenso ein
Teil von mir ist, wie ich ein Teil von ihr.

Und jetzt kommt's...

und weil die Gemeinschaft der Menschen ebenso ein Teil ist von mir,
wie ich von ihr, versuche ich mich in ihr ebenso verantwortlich zu
verhalten. Ich sehe deshalb überhaupt keinen Grund meine persönliche
Erfahrung vor anderen Menschen zurückzuhalten. Ich möchte sie mit der
Erfahrung von anderen Teilen um gemeinsam davon zu profitieren.

Und da sind wir bei Open-Craft.org.

Open-Craft.org
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Inspiration
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Zu Open-Craft.org inspiriert wurde ich in erster Linie vom Projekt
Koncraft. Im Projekt Koncraft haben sich fünf Schreinereien
zusammengetan um, ich zitiere:

Ihre Erfahrung und Kompetenz auszutauschen.[...] Durch Arbeitsteilung
wurden Projekte entwickelt, die die Arbeitsleistung der einzelnen
Betriebe überfordert hätten. Koncraft ist ein virtuelles Unternehmen,
das via Internet kommuniziert und alle Daten und Projekte auf einem
Internetserver abgelegt hat. Die beteiligten Betriebe und Partner
haben überall und zu jeder Zeit Zugriff auf die Daten.

Ich finde diese Idee sehr intelligent, doch hat sie für mich einen
Haken:

Das Projekt Koncraft basiert meiner Meinung nach darauf, dass sich
diese fünf Schreinereien durch ihre intelligente Zusammenarbeit einen
Wissensvorsprung vor "den Anderen" erarbeiten, der ihnen einen
Wettbewerbsvorteil verschafft. Außerdem liegen diese fünf Betriebe
weit genug auseinander um sich regional keine Konkurrenz zu machen.

Ich empfinde dies als Wissenskartell. Ich möchte ihnen das nicht zum
Vorwurf machen, im Rahmen ihres Weltbildes mag das durchaus richtig
sein.

Durch meine Brille betrachtet finde ich es nur sehr schade, dass sie
ihr Wissen nicht frei mit allen teilen. Ich sehe ein unglaublich
großes Entwicklungspotential wenn alle am gemeinsamen Wissen
teilnehmen können. Und ich glaube, dass es selbst aus einer normalen
marktwirtschaftlichen Sichtweise intelligent ist, wenn potentiell alle
Handwerker ihr Wissen frei teilen. Die daraus resultierende mögliche
explosive Entwicklung kann sich zum wirtschaftlichen Vorteil aller
auswirken.

Eine weitere Inspirationsquelle für Open-Craft.org ist das Projekt
Oekonux. Am Projekt Oekonux haben mich vor allem folgende Sätze aus
dem Call for Contribution zur Oekonux-Konferenz angemacht:

Eine wichtige Frage ist, ob die Prinzipien der Entwicklung Freier
Software (im Kern tauschfrei, selbstorganisiert, allgemeine und
uneingeschränkte Teilhabe am Produktionswissen) eine neue Ökonomie
begründen können, die nicht mehr auf dem Dogma der wirtschaftlichen
Knappheit beruht. Neue Ökonomie kann aber auch Grundlage einer neuen
Gesellschaftsform heißen.

Und:

Eine eng damit zusammenhängende Frage ist, ob, wo und wie sich bereits
innerhalb des gegebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Rahmens eine Kultur Freier Informationsgüter herausbildet, und damit
die Prinzipien der Entwicklung Freier Software in anderen Bereichen
fruchtbar macht.

Entwicklung
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Ich habe das Projekt Open-Craft.org im Juli 2003 gegründet. Seitdem
hat es sich weiter entwickelt, doch basiert es bisher nur auf meiner
Arbeit und meinem Austausch mit anderen, vor allem Mitgliedern der
Oekonux-Mailingliste.

Angefangen hat Open-Craft.org als Sammlung von Tabellendokumenten für
OpenOffice.org und StarOffice.

Ich habe schon seit einigen Jahren selbst Kalkulationstabellen
erstellt um wiederkehrende Vorgänge bei der PC-Arbeit in der
Schreinerei zu erleichtern.

Der Ursprung ist dabei eine Tabelle zur Arbeitszeiterfassung, die in
zwei Richtungen ausgewertet wird.

Sie ermittelt die geleistete Gesamtarbeitszeit jedes Mitarbeiters, so
dass jederzeit ein Überblick über die persönlichen Arbeitszeitkonten
besteht und sie wertet die Summe alle Mitarbeiterstunden pro Auftrag
aus, was die Nachkalkulation erheblich vereinfacht.

Aus Spaß habe ich dann noch eine Mobilversion gemacht, die mit allen
Möglichkeiten der Ursprungsversion eine mobile Arbeitszeiterfassung
auf Basis von Palm OS-Handhelds ermöglicht.

Als meine Frau und ich vor zwei Jahren unsere eigene Schreinerei
gründeten erstellte ich eine Tabelle zur Preiskalkulation, die auf
Materialdatenbanken zugreift und eine komfortabel Preisermittlung
ermöglicht. Zur Preisnachkalkulation greift diese Tabelle auch auf die
Ergebnisse der Arbeitszeiterfassung zurück.

Nachdem diese Werkzeuge nun zur Verfügung standen, wollte ich als
begeisterter Benutzer freier Software diese der Öffentlichkeit nicht
vorenthalten, stellte sie unter die GPL und veröffentlichte sie auf
meiner neuen Open-Craft.org Seite.

Nach und nach sind dann auch noch andere nützliche Tabellen
dazugekommen.

Doch ganz zufrieden war ich damit noch nicht. Im Dezember 2003
startete ich einen Aufruf an die Handwerkerschaft, den ich auch an
einen großen Presseverteiler schickte. Ich rief auf zur Teilnahme an
einer Gemeinschaft in der alle ihr Wissen frei teilen. Ich versuchte
zu vermitteln dass sich durch den quelloffenen Austausch von
Information eine stärkere Dynamisierung ergibt, als durch das
Zurückhalten im Sinne eines Wettbewerbsvorteils. Eine Dynamisierung,
die sich im Endeffekt zum Vorteil aller auswirkt.

Diese Plattform für frei geteiltes Wissen, die ich Wissenspool nenne,
sehe ich heute als den Kern von Open-Craft.org an. An diesem
Wissenspool will ich weiter arbeiten und will versuchen, ihn unter den
Handwerkern publik zu machen. Es ist mir ein großes Anliegen, dass die
Handwerker die Schranken in ihren Köpfen überwinden und gemeinsam
freie Werkzeuge basierend auf offenen Standards für ihre eigene
Zukunftsfähigkeit entwickeln.

Wirklich wichtig ist mir dabei auch die Qualität die aus der Freiheit
des Teilens entsteht. Ich will euch dazu ein Beispiel geben:

Erst vor kurzem wurde in einer Fachzeitschrift ein Schreiner aus
Süddeutschland vorgestellt, der mit Konstruktionszeichnungen handelt.
Interessierte können bei diesem fertig durchkonstruierte Zeichnungen
anderer Kollegen käuflich erwerben.

Spannend dabei fand ich, dass diese Idee für die Zeitschrift nur als
Geschäftsidee interessant war.

Open-Craft.org beinhaltet meines Erachtens die selben Möglichkeiten
wie die Geschäftsidee des Schreinerkollegen und kann potenziell einen
wesentlich größeren Nutzen für die Teilnehmer entwickeln.

Aus Handwerkerkreisen kam bisher fast keine Resonanz für diese
Initiative, nur von einem Elektroingenieur, der die Idee aufbrachte
Schaltpläne für ein Reparaturnetzwerk zu veröffentlichen. In der
Diskussion darüber wurde die Idee aber wieder fallen gelassen, da die
Linzenzfrage nicht lösbar schien.

Nachdem sich die Handwerker-Community bisher nicht bei mir gemeldet
hat, habe ich nun wieder alleine den nächsten Schritt getan und biete
auf meiner Site seit kurzer Zeit nun ein Formular an, das es
potenziellen Teilnehmern erleichtern soll ihre Daten an Open-Craft.org
zu übermitteln.

Sie werden hier Schritt für Schritt angeleitet, in welcher Form sie
Ihre Daten bereitstellen können. Ich habe in Gesprächen mit
Handwerkerkollegen oft erlebt, dass sie alleine der Gedanke
überforderte, sich vorzustellen wie sie technisch vorgehen müssten, um
Ihre Daten mit anderen Menschen zu teilen. Mein Hauptanliegen muss
hier daher sein, dies technisch möglichst einfach zu lösen.

Ursprünglich hatte ich an ein Wiki gedacht, aber dies setzt die
Einstiegshürde schon zu hoch, also entschied ich mich für die Form des
Formulars. Für mich als Maintainer hat dies den Vorteil, dass ich
exakt gleich formatierte Emails bekomme, was mir die Aufnahme der
Daten auf den Seiten von Open-Craft.org erleichtert. Außerdem behalte
ich die Kontrolle über die Inhalte und sehe selbst, was ich auf den
von mir betreuten Seiten verantworte.

Feedback
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Ich will noch etwas über das Feedback zu meinem Projekt sagen:

Ich glaube, die Handwerkerschaft tut sich im Allgemeinen sehr schwer
mit dem Gedanken, Wissen frei zu teilen. Der Konkurrenzgedanke und die
Meinung, dass nur ein Wissens- oder Technologievorsprung vor "den
Anderen" das Überleben sichern kann, ist tief verwurzelt.

Ich werde mich hier in Geduld üben müssen und weiter beharrlich nach
dem Motto "steter Tropfen höhlt den Stein" Werbung für mein Projekt
machen.

Dies heißt jedoch nicht, dass es kein Feedback gäbe:

Nicht viel aber dafür sehr positives Feedback habe ich aus der
Oekonux-Mailingliste erfahren.

Relativ viel Feedback gab es in der Presse:

Im Herbst 2003 berichtete Ebigo.de, ein Internetportal der
Landesregierung Baden-Württemberg für den Mittelstand, über
Open-Craft.org

Im März 2004 brachten das Unternehmermagazin Impulse und sowie die
Süddeutsche Zeitung je einen Artikel.

Über das Presseecho muss jedoch gesagt werden, dass in den Artikeln
das, um was es mir im Kern geht, nie zur Sprache kam, sondern der
Tenor war entweder Schreinerei klee4 als Anwender freier Software im
gewerblichen Einsatz oder Schreiner Claus Müller verschenkt Software.

Dass freie Software eine wesentlich tiefer gehende Bedeutung hat als
nur einfach umsonst zu sein, was sie nicht mal unbedingt sein muss,
haben die Autoren entweder nie verstanden, oder sie sahen in ihren
Lesern nicht das Publikum für diese Werte.

Entwicklungsmöglichkeiten
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Zum Abschluss möchte ich noch auf Entwicklungsmöglichkeiten eingehen,
wie ich sie heute sehe:

Ich bin mit jedem Entwicklungsstand von Open-Craft.org immer zuerst
ganz zufrieden gewesen, bis dann jeweils eine neue Idee zur
Weiterentwicklung kam. So ist es auch im Augenblick. Ich bin mit dem
jetzigen Entwicklungsstand, was meinen Teil angeht, ganz zufrieden.

Als wichtigsten Punkt für die weitere Entwicklung sehe ich, dass
wirklich eine Community entsteht, die Open-Craft.org trägt und
weiterentwickelt. Aber wie ich schon erwähnt habe, sehe ich diese
Entwicklung eher langfristig. Dies ist auch der Punkt um den ich mich
in näherer Zukunft stärker kümmern muss. Open-Craft.org muss bekannter
werden, damit mehr Handwerker überhaupt die Chance zur Teilnahme
haben.

Die Möglichkeiten des Wissenspools sind sicher noch lange nicht
erschöpft, doch überlasse ich die Entwicklung auch der noch ihrer
Entstehung harrenden Community.


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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