Message 09770 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT09748 Message: 2/3 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] kreative vs. instrumentelle Macht



Hi Liste!

Ein auch immer wieder kehrendes Thema. Ein Zeichen dafür, dass es hier
noch jede Menge Diskussionsbedarf gibt. Gut.

3 days ago Christoph Reuss wrote:
Ja, ich schätze das auch oft: Ich kann mich auch mal auf jemensch
anderes verlassen. Dazu braucht dieser jemensch dann aber auch die
entsprechende Macht.

Das ist der springende Punkt: Stimmt diese These?

Aber klar: Wenn ich darauf verlassen können will, dass Holger sich um
den Oekonux-Server kümmert, dann braucht er das Root-Passwort - aka
die Machtmittel - um das auch zu tun.

(Holloway) nimmt sie
bereits im Titel seines Buchs gründlich auseinander: "Die Welt verändern
ohne die Macht zu übernehmen". Er unterscheidet sehr deutlich zwischen
"kreativer Macht" und "instrumenteller Macht".

Nun, zu Holloway hatte ich mich vor Jahren schon geäußert. Aber ich
betrachte meine Bemerkungen von damals in keiner Weise als gesetzt,
sondern bringe sie gerne als Beitrag wieder ein. M.E. der beste Weg
etwas zu Lernen - auch für mich.

Der Titel "...ohne die Macht zu übernehmen" suggeriert ja bereits,
dass reale Macht die instrumentelle Macht ist, nicht die kreative Macht.

Ich halte diese Charakterisierung von Macht für grundfalsch -
zumindest so wie sie bei Holloway rüber kommt und auch wie sie hier
auf der Liste immer wieder aufgegriffen wird:

Tatsächlich fällt IRL auf, dass die Mächtigen (Politiker, Richter,
Gesetzgeber, Investoren) wenig Kreativität im Schaffens-Sinne aufweisen,
während Entwickler praktisch machtlos sind.

Das Problem an dieser Herangehensweise ist, dass es nicht eigentlich
über Macht spricht, sondern über - sogenannte - Mächtige und
Ohnmächtige. Was die Ohnmächtigen machen ist dann hübsch kreativ und
die bösen Mächtigen sind natürlich gnadenlos instrumentell.

Das halte ich für dem Thema absolut inadäquat. Das Phänomen der Macht
kommt hier nur in einer ganz bestimmten, sehr eingeschränkten
Perspektive in den Blick und die ist auch noch ideologisch verbrämt -
mit dem Mythos der Ohnmächtigen.

Um es mal an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wollen wir verstehen,
was Geld ist, dann macht es nur sehr eingeschränkt Sinn sich über
reiche und arme Leute zu unterhalten. Bei einer solchen Perspektive
wird das Wesen des Geldes, sein Begriff überhaupt nicht sichtbar. Dazu
muss mensch vielmehr an das Thema Geld *komplett* anders ran gehen.

Eine meiner wesentlichen Kritiken an Holloway ist - nach dem wenigen,
was ich gelesen habe -, dass er auf jede Machtäußerung ein eindeutiges
Label pappen kann: Entweder instrumentell oder kreativ. Oder
eigentlich: böse oder gut. Muss er auch, denn das wärmt das kleine
RevoluzzerInnen-Herz.

Das kann aber nicht richtig sein, denn schon an einfachen Beispielen
lässt sich zeigen, dass ein Einsatz von Macht aus einer Perspektive
ganz klar instrumentell ist, während er aus einer anderen Perspektive
den Höhepunkt der Kreativität darstellt.

Holloway hat z.B. das Beispiel mit dem Demonstrationszug gebracht, der
angeblich kreative Macht sei - also gute Macht. Ja, ist denn das auch
die Sicht der AutofahrerIn, die schnellstmöglichst zu ihrem Date will
und sich einen Sch... für die DemonstrantInnen interessiert?
Nichtsdestotrotz wird sie aber nachhaltig von den DemonstrantInnen an
ihrem Ziel gehindert. Es würde mich wundern, wenn sie das als kreativ
ansehen könnte. Die ärgert sich nämlich über die für sie überflüssige
Zwangspause.

Wie gesagt: Schon bei einfachen Beispielen funktioniert das Labeling
nicht mehr. Ich würde deswegen davon abraten.

M.E. ist die Frage, die hinter all diesen Debatten steht die: Wann ist
der Einsatz von Macht legitim? Die Holloway'schen Labels machen es
sich da einfach - wie ausgeführt. Leider trägt das aber - wie
ebenfalls ausgeführt - nicht sehr weit.

Aber das Beispiel zeigt auch schon, in welche Richtung eine Antwort
gehen müsste: Der Zusammenhang mit den Zielen eines Machteinsatzes ist
nicht vernachlässigbar. Habe ich die Ziele eines Machteinsatzes vor
Augen, dann kann ich eher sagen, ob er im Hinblick auf diese Ziele
legitim ist oder nicht.

Drehe ich es so herum, dann kann ich auch wieder das Thema Entfremdung
bringen: Hinsichtlich bestimmter Ziele kann ein Machteinsatz von
diesen entfremdet sein oder nicht.

Es kommen natürlich auch unterschiedliche Ziele ins Spiel. Ein
Machteinsatz kann einem Ziel dienen, einem anderen aber nicht. Das
erste Ziel kann von einer sozialen Entität verfolgt werden, das zweite
Ziel von einer anderen. Damit betreten wir das Feld des Konflikts.

Sprechen wir über (Handlungs)ziele, so müssen wir aber immer auch
soziale Entitäten bedenken, die nicht nur Einzelne sind: Gruppen von
Menschen, die gemeinsam gemeinsame Ziele verfolgen. Machteinsatz
innerhalb solcher Gruppen kann m.E. genau dann legitim sein, wenn er
den Zielen der Gruppe dient.

Sprechen wir über einen solchen Machtbegriff sind wir zwar die
einfachen Parolen los, einem Erkenntnisgewinn sind wir aber m.E.
deutlich näher. Ein solcher Machtbegriff ist auch unabhängig von jeder
bestimmten Gesellschaftsform - er funktioniert sogar in einer
Gesellschaft, in der alle exakt gleichmächtig sind.

Wie sollten also gemäss Holloway die kreativ Mächtigen "die Welt
verändern", solange instrumentell Mächtige --Nicht-Entwickler--
über die Entwicklung und die Ressourcen bestimmen ?

Die richtige Frage wäre m.E.: Wie können wir es erreichen, dass die
Ziele verfolgt werden, die wir für richtig halten? Leider sind die
Antworten darauf nicht so einfach und das Schwierigste an diesem Satz
ist wohl das "wir". Und die Frage, welcher Machteinsatz jetzt gerade
der zielführendste ist, ist damit nicht mal angeschnitten.

M.a.W.: Es bleibt schwierig. Aber so ist die Welt.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

--
Please note this message is written on an offline laptop
and send out in the evening of the day it is written. It
does not take any information into account which may have
reached my mailbox since yesterday evening.

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT09748 Message: 2/3 L1 [In index]
Message 09770 [Homepage] [Navigation]