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Re: [ox] Re: Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi Hans-Gert, Liste!

Wow, die Debatte ist ja mittlerweile wirklich ein Highlight :-) . Da
sie so unglaublich gehaltvoll ist, werde ich wohl auf ein paar Mails
einzeln eingehen - wiewohl ich vor hatte, mir den ganzen Thread auf
einmal vorzunehmen. Aber diese Antwort ist schon wieder ein ganz
schöner Brocken...

BTW: Den zweiten Teil von Capurro habe ich noch nicht gelesen, aber
ich habe es mir fest vorgenommen.

Zur Sache.

3 weeks (21 days) ago Hans-Gert Gräbe wrote:
Stefan Merten wrote:
HGG: Ein ganzer Teil der insbesondere von StefanMn vorgebrachten
Überlegungen zu Daten, Information und Wissen ist bereits vor gut vier
Jahren in der Diskussion um Torsten Wöllerts Projekt
http://www.opentheory.org/wissenstendenz enthalten und krankt an einem
grundlegenden Defizit: Sie berücksichtigt nicht, dass "Wissen" nicht
nur beschafft, sondern auch angeeignet werden muss.

Nun, dann hast du meine ursprünglichen Definitionen aber gründlich
nicht verstanden. Wenn ich Wissen als rein individuelle Kategorie sehe
- - ich nenn das jetzt mal individuelles Wissen - dann gibt es gar kein
nicht-angeeignetes Wissen. Denn nur durch Aneignung - also durch den
Transfer in die Hirnwindungen - wird nach diesen Begriffsdefinitionen
Information zu Wissen.

Hier wäre also erst einmal die Semantik zu schärfen, die mit dem
Bezeichner "Wissen" verbunden ist.

Zweifellos. Damit mühen wir uns ja gerade.

Aber ich denke, dass mittlerweile klar ist, dass ein einheitlicher
Begriff zumindest von Wissen keinen Sinn macht, sondern dass es
mindestens Qualifikationen wie "individuell" oder "gesellschaftlich"
braucht. Right?

Um nochmal einen Blick auf die Ausgangsfrage zu werfen: Die
Bezeichnung Wissensgesellschaft ist danach sowieso ziemlich übel, da
in ihr eben nicht mitschwingt, um welchen Typ Wissen es sich handelt.

In all meinen Texten ist Wissen eine
genuin gesellschaftliche Kategorie, also der historisch gesammelte
Erfahrungsschatz der Menschheit.

Das ist dann wohl dem nahe, was StefanMz meinte. Right?

Ja, sicher ein Begriff der Sinn macht. *Dieses* Wissen ist dann aber
in keiner Weise konkret, sondern nur als abstrakte Idee vorhanden.
Right? Bestenfalls Repräsentationen von Ausschnitten können konkret
sein oder Teile davon können per Aneignung in individuelles Wissen
übersetzt werden. Right?

Das, was du hier nun als individuelles
Wissen bezeichnest, ist das subtile Konglomerat aus eigener (auch nicht
verbalisierter) Erfahrung und des kleinen Ausschnitts aus dem Wissen im
obigen Sinn, das intersubjektiv vermittelt ist, also "angeeignet", denn
erst durch eine solche Brechung in der individuellen Aneignung wird z.B.
aus einem (toten) Text wieder "lebendiges" Wissen.

Yep.

In keinem Fall werden
dabei individuell alle Facetten erfasst, die in dem Text stecken, wie
ich in der Kontroverse mit Stephan Eissler schon mal versucht habe
darzulegen und was du auch in SE's Text in der Fußnote zu Ernst Cassirer
dargestellt findest. Text-Exegese ist nicht umsonst eine hohe
philosophische Kunst.

Ich glaube dem widerspricht hier keiner.

Auf alle Fälle benötigen wir einen Begriff für
dieses "Substrat", um über den Aneignungsprozess sprechen zu können.

Können wir uns auf "gesellschaftliches Wissen" einigen?

Aber das ist alles schon tausendmal gedacht, so dass es - ich wiederhole
mich - nach meiner Meinung sinnvoll ist, die Essentials solcher
Diskussionen zur Kenntnis zu nehmen statt sie hier neu nachzuvollziehen.

Das sehe ich nur eingeschränkt so. Witzig wie die Debatte hier
selbstbezüglich wird, denn du hast selbst hervor gehoben, dass die
individuelle Aneignung eben durch die Individualität gebrochen wird.
Und da ist eine einfache Übernahme sicher nicht wirklich möglich.

In unserem Falle halte ich sie nicht mal für wünschenswert, weil der
Diskurskontext von Oekonux sicher eine Reihe von (inhaltlichen)
Besonderheiten hat, die eben in diesen anderen Diskussionen nicht
enthalten sind. Eine eingehende Auseinandersetzung kann uns m.E. nicht
erspart bleiben. Aber wir sind ja dran :-) .

So was wie ein Glossar im ox-Wiki ist dazu sicher hilfreich, zumal
wikipedia an der Stelle ziemlich dünn ist.  Ich hoffe, dass ich nächste
Woche etwas Zeit finde, deine Arbeit dort zu ergänzen.

Ja, ich habe es mitbekommen. Ich habe mir jetzt die - recht
komfortable - Möglichkeit geschaffen, offline-Änderungen in das
Master-Wiki zurück zu integrieren - MoinMoin macht's möglich :-) . Ich
kann also auch auf diesem Weg mitwirken :-) :-) .

Wen's interessiert: http://www.merten-home.de/FreeSoftware/moinupdate/

Erst in der zweiten Phase entscheidet sich, ob es für die eigene
Kompetenz wirklich "nützlich" ist.

Kompetenz ist wieder ein neuer Begriff. Er bezeichnet m.E. die
Fähigkeit etwas zu tun.

Siehe oben. Es ist ein großer Bogen von Transformationsstadien, der von
individuellem Wissen in deinem Sinn bis zu dem führt, was in konkreten
Situationen wirklich handlungsleitend ist. Ist Kompetenz zum Beispiel
die "Fähigkeit" oder das "Vermögen", etwas zu tun? Oder ist das
Haarspalterei?

Kompetenz bezeichnet für mich eher ein Potential - also eher
Fähigkeit.

Zu den intellektuellen Voraussetzungen müssen dann auch
noch reale lebensweltliche Bedingungen kommen, um die Fähigkeit in
Handeln zu transformieren.

Das wäre dann das Vermögen.

Um es mal an meinem Beispiel des Armhebens zu verdeutlichen. Die
Kompetenz den Arm zu heben habe ich irgendwann mal ziemlich früh
erworben. Die Fähigkeit habe ich also so lange ich lebe - mal schwere
hirnorganische Schädigungen o.Ä. außen vor gelassen.

Das Vermögen habe ich nur, wenn ich noch einen Arm habe, derselbe
nicht gefesselt ist, ich nicht gerade einen spastischen Anfall habe,
etc. Das sind deine lebensweltlichen Bedingungen. Right?

Die muss ich aber in das bestehende
"individuelle Koordinatensystem" einbauen, d.h. diese äußeren
Bedingungen auf der Basis meines individuellen Wissens bewerten, bevor
ich handle.

Ja. Ich muss z.B. fest stellen, ob ich noch einen Arm habe, den ich
heben könnte.

Dann ist meine individuelle Erfahrung auch nicht homogen,
sondern in sich selbst widersprüchlich. Extrem diffizile Materie, die
den Wissens-Aneignungsprozessen im engeren Sinne noch nachgelagert sind.

Ja sicher.

Würdest du sagen, dass es bei diesen Prozessen grundsätzliche
Unterschiede zu Computern gibt? Die Lebenswelt eines Computers ist
sicher eine völlig andere als unsere und Intentionalität würde ich
Computern zumindest heute auch nicht zugestehen, aber ich würde
dennoch denken, dass es da auf dem abstrakten Niveau, das wir hier
gerade verhandeln, große Ähnlichkeiten gibt.

Genau darum geht es auch bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um
die Begrifflichkeit "geistiges Eigentum". Die ökonomisch verortete
Seite möchte die Beschaffungshürden möglichst hoch ansetzen, die an
der Wissens-Sozialisation interessierte (Stichwort etwa "Göttinger
Erklärung", http://www.urheberrechtsbuendnis.de) möchte diese für
"Phase 2" äußerst hinderliche Hürde möglichst schleifen. Dasselbe
verfolgt im Prinzip Stallman mit der GNU-Philosophie.

*Gerade* wenn du von Aneignung von Wissen sprichst würde ich dem
letzten Satz *heftigst* widersprechen. Es geht doch bei Freier
Software nicht in erster Linie darum, dass aus fremder Leute Code
gelernt werden kann. Ginge es nur um's Lernen wäre die GPL die ganz
falsche Lizenz und Tanenbaums Minix-Lizenz wäre die bessere gewesen.
Es geht bei Freier Software doch viel mehr auch um die "unwissende"
Anwendung der als Programm-Code vorliegenden Information. Vielleicht
einer der Kernaspekte einer neuen Qualität, den ich hier in der
Debatte versuche zu vertreten. Eben weil hier Information pur wirksam
wird - ganz ohne (individuelles) Wissen und persönliche Aneignung.

Was heißt "Aneignen von Wissen"?

Vielleicht ist das wirklich die entscheidende Frage. Eine Lesart ist
ja Wissensaneignung als "Was ich Schwarz auf Weiß besitze, kann ich
getrost nach Hause tragen" zu verstehen. Damit wäre Wissensaneignung
auf eine Kopieroperation reduziert. Wie wir wissen(sic!) hat Kopieren
aber nichts mit Kompetenzerweiterung zu tun. Tatsächlich wird hier
nämlich nur Codierung kopiert - oder vielleicht Daten oder vielleicht
Syntax - da sind mir die Bezeichnungen noch nicht so klar.

Nein, eine Wissensaneignung macht für mich nur Sinn gedacht als eine
Individualisierung von Wissen - also wirklich Lernen.

Das ist - mit Blick auf das eben
skizzierte Spannungsfeld - nie ein 1-1-Verhältnis, sondern *immer* eine
Frage der Gradualität.

Aber um die Frage geht es bei *Copy*right und Co ja gerade nicht. M$
hat ja nicht damit ein Problem, dass die Leute sich das Wissen
aneignen könnten - was bei Binaries sowieso faktisch unmöglich ist.

Wir eignen uns Wissen in der Regel nur insoweit
an, wie es für uns von Belang ist. Also: obwohl die Quellen einer
GPL-Software offen liegen, wirst du die nur in sehr seltenen Fällen
wirklich studieren. Es reicht aus, wenn du die Software so weit
studierst, dass du sie für deine eigenen Zwecke einsetzen kannst, also
etwa die man-pages oder nur die Installationsanleitung.

Genau. Deswegen wirst du in der Regel auch das gesellschaftliche
Wissen, auf dessen Basis die Software entstanden ist, in der Regel nie
in individuelles Wissen verwandeln. Du wirst also nie etwas über guten
Drucksatz erfahren um mal auf das Beispiel mit dem Wordprocessor
zurück zu kommen.

M.a.W.: Das in Codierung übersetzte gesellschaftliche Wissen bleibt
immer nur Codierung. Bei der GPL geht es im ersten Recht genau darum,
diese Codierung einsetzen zu dürfen - das Recht die Software zu jedem
beliebigen Zweck einsetzen zu dürfen. Dafür sind die Sourcen aber
bekanntlich nicht notwendig. Aber dieses Recht ist für die
allermeisten AnwenderInnen das absolut essentielle.

Ein solches
"black box"-Denken ist *die* Form von Komplexitätsreduktion. Aufdröseln
wirst du die Sache erst, wenn es nicht wie erwartet funktioniert. Um
etwa eine Software "aufzudröseln" bedarf es (mglw. zu erweiternder)
Kompetenz auf der einen Seite und faktischer Lebenszeit (auch in Zukunft
ein extrem knappes Gut - oder Dingens, aber jedenfalls knapp) auf der
anderen Seite.

Sagen wir: Jedenfalls begrenzt.

Und dann könntest du ja auch vielleicht eine *ganz
andere* Lösung für dein Problem finden, in der du gerade diese Software
gar nicht einsetzt. Oder als Steinbruch von Gedanken oder Codestücken.
Du stehst also vor einer komplizierten Entscheidung, in der es *extrem
hilfreich* ist, Zugriff auf die Quellen zu haben, also "die für 'Phase
2' äußerst hinderliche Hürde (Geld für Phase 1) möglichst zu schleifen".

Für die individuelle Aneignung, also für die Übersetzung der Codierung
in individuelles Wissen, also für das Lernen sind die Sourcen
notwendig. Aber - wie du auch schreibst - ist das in der Praxis für
die übergroße Mehrheit der NutzerInnen gar nicht von Interesse. Das
finde ich nicht vernachlässigbar.

Es ist eben keine "'unwissende' Anwendung der als Programm-Code
vorliegenden Information", sondern eine *bewusste* Entscheidung, sich an
der Stelle auf andere zu verlassen. Übrigens auch eine weitgehend
verantwortungsbeladene, denn der Schaden, den ich mit den Tools
anrichte, die ich verwende, wird (meist) mir zugerechnet.

Du vermischst hier die Ebenen. Es ist sicher eine bewusste
Entscheidung mich auf ein bestimmtes Programm zu verlassen. Es ist
aber keine bewusste Entscheidung eine "fl"-Kombination in einer
bestimmten Situation als Ligatur zu setzen - um mal mein beschränktes
individuelles Wissen im Bereich des Drucksatzes zu bemühen. Und auch
die Schusterjungen und Hurenkinder sind bestenfalls konfigurierbar,
ihre konkrete Behandlung ist aber codiert und wird automatisch
operationalisiert.

In dieser ganzen Debatte kommt es mir (u.a.) darauf an, genau diesen
letzten Aspekt deutlich zu machen. Und wie sehr wie hier eine neue
Qualität erreichen.

Ein paar Zitate aus dem Aufsatz Klemms:
<zitat>Information, forderte Janich, müsse zwingend auf das
"Verständnis gelingender menschlicher Kommunikation" aufbauen und
deshalb von der Lebenswelt her verstanden werden. Das technisch
geprägte (und hier auf der Liste sehr präsente - HGG)
Informationsverständnis wäre damit - so Janich - "vom Kopf auf die
Füße" gestellt. ...

Wie bemerkt geht es mir nicht darum um Worte zu streiten. Worte sind
für mich Hilfsmittel, um Begriffe zu bezeichnen - nicht mehr. Wenn
jemensch es "zwingend" findet das Wort Information an Menschen zu
ketten, dann würde ich das so ganz ohne Begründung für ein Dogma
halten - und ich mag keine Dogmen.

Wieso schon wieder Dogma? Darum geht es hier doch gar nicht.

Steht ja da:

  >> Wenn
  >> jemensch es "zwingend" findet das Wort Information an Menschen zu
  >> ketten, dann würde ich das so ganz ohne Begründung für ein Dogma
  >> halten

Für mich ist es nicht zwingend und je länger ich darüber nachdenke für
desto größeren Unsinn halte ich es. Das würde z.B. dazu führen, dass
eine Naturbeobachtung keine Information erzeugen kann - schließlich
ist da ja keine menschliche Kommunikation im Spiel. Hältst du das im
Ernst für sinnvoll?

Vielleicht
können wir uns auf Folgendes einigen: Wissen und/oder Information sind
sehr komplexe Phänomene, die sich nicht dem ersten Zugriff als Ganzes
erschließen.

Yep.

Da auf ox gesellschaftliche Phänomene des menschlichen
Zusammenlebens interessieren, sollten diese beim Raisonnieren über
Wissen und/oder Information nicht aus dem Auge verloren werden. Dann
sind wir schon nahe an Janichs Forderung dran.

Es gibt in der Oekonux-Debatte aber auch immer noch den technischen
Aspekt, den wir nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Dem widerspricht
Janichs Zwang m.E. fundamental. Ich würde sogar denken, dass genau
diese Interdisziplinarität von Oekonux eines der
"Alleinstellungsmerkmale" von Oekonux ist, weswegen es in aller Regel
nicht möglich ist, sich bruchlos auf *irgendeinen* Diskurs zu
beziehen.

Auch wenn ich mir deine Nachfrage ansehe, finde ich
Produktivkraftentwicklung immer noch einen wichtigen Punkt. In der
heraufziehenden Gesellschaftsform sind zwei wesentliche Parameter
hinsichtlich Information wesentlich verändert:

* Information ist von jeglicher Stofflichkeit abgelöst wie nie zuvor
  Das Internet ist dafür wohl die bekannteste Chiffre.

Nach einigen Wochen Debatte: Hier ist Information sicher der falsche
Begriff. Heute würde ich an der Stelle wohl eher Codierung sagen. Aber
auch das ist nur vorläufig. (Selbst in dieser Mail stand da zuerst
"Syntax" ;-) .)

Genau an dieser Stelle wird die lebensweltliche Rückbindung essentiell.
Was ist eine "von jeglicher Stofflichkeit abgelöste" Information? Kann
es so was überhaupt geben?

Nun, wenn ich den Begriff des gesellschaftlichen Wissens nehme, dann
ist dieser auch eine reine Idee, also ohne eine konkrete
Stofflichkeit. Lediglich Repräsentationen von Ausschnitten können
stofflich sein - eben in Codierungen.

Warum sollte das nicht auch für Codierung gelten können? Ja, umgekehrt
sogar: Ist die Idee einer Codierung nicht ohnehin von jeder
Stofflichkeit abgelöst? Ist die wahrgenommene Codierung nicht
lediglich von den informationsverarbeitenden Systemen in irgendwelche
Signale / Messwerte hinein interpretiert? Konkrete Materie /
Stofflichkeit gibt doch eigentlich keine Codierung her.

Ist nicht jede Information (in deinem Sinne)
eine Beschreibung eines Aspekts einer Stofflichkeit?

Nur die Repräsentation dessen, was informationsverarbeitende Systeme
als Information betrachten. Nicht aber die Information selbst.
Zwischen Ding und Repräsentanten ist m.E. streng zu unterscheiden.

Wenn ja, wodurch
wird der *Eindruck* einer Ablösung hervorgerufen?

Nach diesen Überlegungen: Dadurch, dass es gar keine Verbindung gibt
;-) .

Ist das nicht gerade
ein Reflex der Produktzentriertheit heutiger gesellschaftlicher
Verhältnisse, der Tatsache, dass sie mit jedem Verkaufsvorgang "den
Speicher löscht", der die Erinnerung an das Werden des Produkts enthält?

Nein.

Ist das Internet (an den Stellen, wo es wirklich Informationen enthält
und nicht nur unverbindliches Palaver)

Wupps, was ist das denn? Wenn du etwas für unverbindliches Palaver
hältst, dann heißt das noch lange nicht, dass es andere nicht als
Information verstehen können. Im Gegenteil: Du dokumentierst mit
solchen Aussagen nur, dass du deine Informationsverarbeitung für die
einzig richtige hältst. Nun, ich sagte schon was zu weißen Männern als
Ausgangspunkt...

nicht gerade ein Platz der
*Rückbindung* von Information an Stofflichkeit (allerdings in einem
anderen als dem von dir gebrauchten Sinn), eben weil Mattias Käther
(http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/162/162kaether.pdf)
Recht hat, wenn er schreibt

<cite>Die gesamte Geistesgeschichte der Menschheit wird auf CD-Roms, auf
Internetseiten, in Antiquariaten und im Buchhandel dargeboten, alles ist
gut vernetzt und so leicht zugänglich, daß es eine Schande wäre, dieses
Material nicht wach und offenen Sinnes zu gebrauchen.</cite>

Also stofflich vorgehalten wird die Codierung, die ich sehen kann, aus
der ich Information holen kann, in dem Rechner der vor mir steht.
Nirgends sonst. Dass der die Codierung von anderer Stelle holt ist
davon unabhängig.

* Information kann in ihrer entstofflichten Form *direkt*
  operationalisiert werden ...

  Also insbesondere ohne Zwischenschalten von Menschen, die sich die
  Information erst aneignen müssten, also zu individuellem Wissen
  machen müssten, um die so gewonnene Kompetenz in Tätigkeit
  umzusetzen.

Aber erst, *nachdem* sich Menschen auf einer höheren Abstraktionsstufe
mit dem Gegenstand auseinandergesetzt und "die Applikation programmiert"
haben.

Das gilt für alle Artefakte, ist also nichts besonderes im
Zusammenhang mit menschlichen Gesellschaften. Früher war das in
Maschinen vergegenständlicht, heute wird das zunehmend in Codierung
entstofflicht.

Neben der Algorithmisierung (und damit in Buchbergers
Terminologie Trivialisierung) des Problems

Ein Problem verändert sich nicht durch die Art der gefundenen Lösung,
es kann also nicht trivialisiert werden. Nur die Lösung kann
trivialisiert werden.

muss dann noch entschieden
werden, ob und wenn ja, unter welchen Restriktionen diese Applikation
lebensweltlich eingesetzt werden soll.

Du mischst wieder die Ebenen. Natürlich müssen solche Dinge
entschieden werden. Aber das ist eine ganz andere Ebene als die Frage
ob Ligatur setzen oder nicht oder eine Zeile eines Absatzes auf diese
oder die nächste Seite zu bringen. Diese automatische
Operationalisierung von - ich sag jetzt mal: - gesellschaftlichem
Wissen über den Weg der von Stofflichkeit weit gehend befreiten
Codierung ist ein entscheidender Knackpunkt.

Auch für das
verantwortungsbeladene Treffen solcher Entscheidungen ist mehr Kompetenz
erforderlich als du hier thematisierst.

Nun, ich habe ja nie abgestritten, dass Kompetenz notwendig ist. Aber
ob es mehr ist als früher? Kann ich irgendwie grundsätzlich mehr als
z.B. meine Eltern? Ich kann anderes und sicher für heute relevantes.
Aber mehr? Ich glaube nicht.

Ich wiederhole mich - du freust dich hier über etwas eigentlich
Triviales, das für den in einer produktzentrierten Welt gefangenen
Menschen aber in der Tat erfreulich ist.

Was ist denn eine produktzentrierte Welt? Und warum genau hänge ich
dieser an?

Er tritt aus dem
Produktionsprozess im engeren Sinne heraus, kann nun Maschinen für sich
produzieren lassen und wird zunehmend "die ganze alte Scheiße" los.

Das ist die Geschichte der Menschheit. Nur auf jeweils erweiterter
Stufenleiter. Vielleicht so: M.E. ist der anstehende Schritt auf der
Stufenleiter wieder mal ein epochaler.

Allerdings wird er dabei nicht nur und nicht einmal vordergründig als
"Wächter und Regulator" der "Macht der Agentien" auftreten, wie das Marx
dachte, sondern vor allem als deren Dompteur und Meister. Eine Horde von
"Zauberlehrlingen" kann man schlecht als Wächter einsetzen ohne die
Menschheit einer existenziellen Gefahr auszusetzen.

Die Unterschiede sind mir hier etwas zu fein. Aber es ist wie immer:
Ein Schub in der Produktivkraftentwicklung erfordert neue Kompetenzen
und alte werden zunehmend unwichtiger. Auf diesem Gebiet verändert
sich mengenmäßig gar nichts. Kompetenzgesellschaft wäre also z.B. das
ganz falsche Wort.

Beide Phänomene haben durchschlagende Wirkung auf die
Produktivkraftentwicklung.

Da halte ich es denn doch eher mit Eben Moglen: Beide Phänomene *sind*
durchschlagende Wirkungen der Produktivkraftentwicklung.

Ich sehe das als dialektischen Prozess und somit keinen Widerspruch.

Und wo ich gerade so schön dran bin ;-) : Jede Begrifflichkeit, die
diese beiden Phänomene nicht adäquat reflektieren kann, halte ich für
die Debatte bei Oekonux wenig interessant.

Eben.

Hah - Einigkeit :-) .

Damit meine ich das "Aufsaugen dieser individuellen Arbeiten durch den
Gesellschaftskörper", wie wohl Marx geantwortet hätte, ...

Ok, dann nochmal ausgeschrieben: Es ginge um den Wechsel des
Aufsaugens individueller Arbeiten durch den Gesellschaftskörper zum
Aufsaugen von Wissen durch den Gesellschaftskörper? Habe ich das
richtig verstanden?

Nein, Sozialisation *ist* das Aufsaugen der individuellen Arbeiten durch
den Gesellschaftskörper.

Ok, ich registriere mal, dass ich deinen Begriff von Sozialisation
nicht verstehe... Oder meinst du Sozialisierung? Das verwendest du
unten öfter. *Das* verstehe ich dann.

Die hat viele Dimensionen, die aus meiner Sicht
zwei wichtigsten heute (die aber auch nicht erst seit gestern
existieren) sind: Sozialisierung der produktiven Arbeit (dass in einem
gesellschaftlichen Sinne mit möglichst geringem Aufwand möglichst viel
"Nützliches" gemacht wird - wie das geht hat Marx m.E. gut analysiert,
indem er die Nutzen- und die Aufwandsfunktion in der Geldform als
gesellschaftlichem Verhältnis herauspräpariert hat) und Sozialisierung
der in diesem Arbeitsprozess gesammelten individuellen Erfahrungen (die
subtile Dynamik zwischen Wissen in meinem und Wissen in deinem Sinn).

Ok.

Letzteres kommt in der Marktwirtschaft nicht bewusst vor, weil der Markt
bekanntlich "blind" ist, also keine Rechtfertigung verlangt, warum etwas
getan wird.

Hmm...

Im Gegenteil, das Raisonnieren und gemeinschaftliche
Disputieren ist in dieser Gesellschaft als "Schwätzen" diskreditiert.

Hmm...

Meine Leitsozialisations-These sagt nur, dass sich der Fokus des
Aufsaugens individueller Arbeiten verschiebt. Mehr in meinem Mawi-Paper.

Jetzt bist du mir nichts dir nichts wieder bei der Sozialisation???

So weit erst mal.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

--
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and send out in the evening of the day it is written. It
does not take any information into account which may have
reached my mailbox since yesterday evening.

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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