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Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi Stephan et al!

3 months (110 days) ago Stephan Eissler wrote:
Hallo Liste,
etwas verspätet noch meine 2 Cents zu der Frage "Wissens- und/oder
Informationsgesellschaft?"

Oh, in Verspätungen bin ich auch ganz Klasse ;-) .

---
Vorweg vielleicht noch dies: Ich hoffe, es stört sich niemand daran, dass ich
meinen Beitrag zu einem Thema immer in etwas längeren Mails bündele und dabei
nur immer wieder auf vorangegangene Mails anderer verweise, statt jeweils
direkt auf diese zu antworten?

Das ist prima. Für's Archiv ist halt wichtig, dass du einen echten
Reply auf irgend eine Mail des Threads schreibst, damit das Threading
im Archiv funktioniert. Aber das hast du ja getan.

Anders ist dies beispielsweise bei dem, was im Ökonux-Netzwerk
                                                 ^

Da ist ein "Oe" übrigens richtiger :-) .

als
"GPL-Gesellschaft" diskutiert wird: Die Ideen und Konzepte, die unter diesem
Gesellschaftsbegriff subsummiert werden, haben zumindest den klaren Anspruch,
über unsere derzeitige kapitalistische Gesellschaft hinaus zu weisen.

Yep.

Und die Frage, die StefanMerten in den Raum gestellt hat, "ob die Bezeichnung
'Wissensgesellschaft? oder 'Informationsgesellschaft? die richtigen Termini
für eine/jede positive Weiterentwicklung des Kapitalismus sind", habe ich
genau in diesem Sinne verstanden: Als Frage danach, mit welchem dieser beiden
begrifflichen Konzepte sich eher der Anspruch verbinden lässt, dass es über
eine kapitalistische Gesellschaft hinausweisen kann...

Yep. Das geht natürlich auf den schon laufenden Diskurs ein. Und
dieser Diskurs ist natürlich auch mit reichlich Interessen durchsetzt
und es verwundert mich ehrlich gesagt nicht, dass vor allem
*Wissen*schaftlerInnen den Begriff der Wissensgesellschaft
präferieren ;-( ... Aber das nur BTW.

Allerdings führt es bei der gemeinsamen Suche nach einer Antwort meiner
Meinung nach nirgends hin, wenn man die Plausibilität eines Konzepts der zur
Debatte stehenden xy-Gesellschaft und ihres jeweiligen Anspruchs (des
qualitativ Neuen auf gesellschaftlicher Ebene) daran messen möchte, ob es sich
bei "xy" selbst um etwas qualitativ neues handelt. Denn an diesem Maßstab
gemessen scheitern alle Gesellschaftsbegriffe - einschließlich der des
Kapitalismus! Was ich damit meine, möchte ich an Beispielen verdeutlichen:
(a) Ob das Gesellschaftskonzept der "GPL-Gesellschaft" zurecht den Anspruch
des qualitativ Neuen für sich reklamieren kann, hängt nicht davon ab, ob die
"GPL" an sich etwas qualitativ Neues ist. Denn das ist sie tatsächlich nicht -
das PRINZIP der GPL wird in bestimmten Bereichen der Wissenschaft schön längst
praktiziert.
(b) Auch die kapitalistische Gesellschaft unterscheidet sich qualitativ von
früheren Gesellschaftsformen - ungeachtet dessen, dass es auch in
Vor-kapitalistischen Gesellschaften schon Kapital und Kapitalisten gegeben hat.
(c) Analog dazu geht m.M. nach auch das Argument ins Leere, es mache keinen
Sinn von einer Wissens oder Informationsgesellschaft zu sprechen, da es Wissen
und Informationen auch schon früher gegeben hat. Auf das selbe hinaus läuft
der Vorwurf, dass mit dem Begriff der Wissensgesellschaft implizit früheren
Gesellschaften Nichtwissen (oder Uninformiertheit) unterstellt würde.

Ok.

Allerdings kann umgekehrt natürlich nicht bereits die Feststellung ausreichen,
dass xy wichtiger geworden ist in unserer Gesellschaft, um sinnvoller Weise
von einer xy-Gesellschaft sprechen zu können, denn dadurch wird die Sache
wieder beliebig. Warum dann beispielsweise nicht auch von einer
Spaßgesellschaft sprechen? Schließlich verwenden die Menschen in der
westlichen Welt heute viel mehr Zeit und Ressourcen darauf Spaß zu haben -
ganz zu schweigen von der riesigen Unterhaltungsindustrie, die unsere heutige
Gesellschaft nicht unwesentlich prägt.

Die Frage müsste wohl etwas differenzierter betrachtet werden. Dazu
würde ein Vergleich des heutigen Spaßes mit dem Spaß historischer
Gesellschaften vorgenommen werden - was mir schon methodisch äußerst
schwierig scheint... Aber wenn wir die Spaßgesellschaft innerhalb der
kapitalistischen Produktionsweise betrachten, dann verweist der
Begriff schon auf eine Veränderung - wenn auch m.E. keine qualitative.

Auch zeigt hier ein Blick in die
Geschichte, dass sich alleine aufgrund die Tatsache, dass Kapital für eine
Gesellschaft (im Vergleich zu früher, oder im Vergleich zu anderen
Gesellschaften) wichtiger geworden ist, noch keine vernünftige Abgrenzung
einer kapitalistischen von einer nicht- oder vorkapitalistischen Gesellschaft
vornehmen lässt. So weißt beispielsweise Max Weber darauf hin, welche
vergleichsweise große Bedeutung kapitalistisches Wirtschaften bereits im
römischen Reich spielte. Dennoch würde kaum jemand im Zusammenhang mit dem
Imperium Romanum von einer kapitalistischen Gesellschaft sprechen wollen.

Ja.

Worum kann es dann aber gehen bei einer Diskussion um den Sinn oder Unsinn
bestimmter Gesellschaftsbegriffe bzw. -konzepte? Mein Vorschlag wären folgender:
(A)
Stefan Merten hat in seiner Mail (02.02. 20.00 Uhr) angedeutet, dass das
Konzept einer xy-Gesellschaft wesentlich von dem Anspruch ausgeht, dass mit xy
"das Dominante in einer Gesellschaft" bezeichnet werde. Dann müsste also der
gesellschaftstheoretische Ansatz geklärt werden, von dem aus sich erklären
lässt, (1) was ganz abstrakt und allgemein unter "Dominanz" verstanden werden
soll (ein Ansatz also, das gleichermaßen auf eine vorkapitalisitsche, die
kapitalistische und die xy-Gesellschaft anwendbar ist), und der auch (2) ganz
allgemein den Übergang von einer Dominanz zur anderen (u.a. also auch die
Ablösung von "Kapital" durch "xy" als "dem neuen Dominanten") erklären kann.

Das ist genau mein Anliegen. Und du hast natürlich völlig recht, dass
das je Dominante in einer Gesellschaftsformation schon ein gutes Stück
im Auge des Betrachters liegt - oder? Für einen religiösen Menschen
ist z.B. die heutige Gottlosigkeit sicher ein dominanter Aspekt.

Für mich wäre halt der Themenkomplex dominant, der die
Gesellschaftsformation als Ganzes nachhaltig prägt. Oder m.a.W.: Wo
glaubhaft argumentiert werden kann, dass ein bestimmter Themenkomplex
Auswirkungen bis in die feinsten Verästelungen des gesellschaftlichen
Formation hat. Von Marx her kommend würde ich die Produktionsweise da
halt als eine Größe betrachten, die zumindest nicht vernachlässigt
werden darf.

Dies kann meiner Meinung nach ein normativer Ansatz nicht leisten - ein
Ansatz, der primär davon ausgeht, was für eine Gesellschaft man für
wünschenswert hält, ist meiner Meinung nach theoretisch auf Sand gebaut (das
heißt jedoch nicht, dass man in einem dritten Schritt nicht darüber
diskutieren können sollte, wie eine xy-Gesellschaft ausgestaltet werden sollte...).

Nun, ich sehe die Oekonux-Debatte nur sehr teilweise als normativ -
jedenfalls wenn nicht jede Extrapolation automatisch normativ ist.
Vielmehr denke ich, dass auf einer empirischen Basis eine Theorie
gebildet wird, deren Extrapolation - und dafür sind Theorien
schließlich da - zu einer anderen gesellschaftlichen Formation als der
vorfindlichen führt.

(B)
Um aber überhaupt sinnvoll über theoretische Ansätze diskutieren zu können,
die dem Begriff einer xy-Gesellschaft zugrunde liegen, muss man zunächst
zumindest eine Vorstellung davon haben, von welchem Verständnis von xy der
Verfechter einer xy-Gesellschaft überhaupt ausgeht.
Weiß man, was für eine Definition von xy der Verfechter einer xy-Gesellschaft
seinem theoretischen Ansatz zugrunde legt, dann kann man dies entweder so
akzeptieren und von dieser Definition ausgehend gleich über (A) diskutieren,
oder man diskutiert zunächst einmal darüber, ob die Definition von xy
überhaupt sinnvoll und praktikabel ist.

Na, da sind wir ja dabei ;-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

--
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