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[ox] Re: Rechtsform again



Stefan Merten wrote:
Ich gehöre zwar nicht zu den AutorInnen, habe auch den "Warenform und Rechtsform"-Thread nur am Rande gelesen, aber mir dünkt doch, das es sich hier um ein tendenziell strukturelles Phänomen handelt: Eine Gesellschaft jenseits von Ware und Geld, Kapital und Abspaltung, Fetisch und Verdinglichung aufbauen zu wollen, setzt intensive soziale Kommunikation zwischen den Beteiligten voraus.

Jede Gesellschaftsform setzt das voraus. Je komplexer desto mehr und
vor allem auch über desto weitere (soziale) Distanzen. Ich würde
vermuten, dass eine *ausschließlich* auf Kommunikation aufbauende
Gesellschaftsform nicht funktionieren kann, weil der
Kommunikationsbedarf zu hoch ist.

Wahrscheinlcih müssten wir uns erst mal über den Kommunikationsbegriff verständigen. Was du hier unter "ausschließlich auf Kommunikation" subsumierst wäre bei mir höchstens eine spezielle Kommunikations_form_, aber wohl nicht mal das, sondern nur ein _Aspekt_ von Kommunikation. Kommunikation ist immer (wenigstens, so bald es um Semantik geht) kontextuell, und das kann man m.E. nicht so trennen wie es hier durchscheint. Kontext ist ein eher statisches, Austausch ein eher dynamisches Element von Kommunikation, aber funktionieren tut Kommunikation immer nur in der Einheit beider. Ein chinesischer Open-Source-Artikel nützt mir gar nix, auch wenn da eine ganz tolle Idee drin stehen sollte. Aber das schrieb ich schon mal.

Übrigens ist auch hier viel Analogie zur Software drin, die ja auch eine Runtime-Umgebung zum Laufen braucht, um die dynamischen Teile zur Entfaltung zu bringen. Regeln aufstellen ist dann Kontextualisierung gewisser Aspekte der Kommunikation. Auch weit verbreitet in der Softwarebranche: Schreibe ein Perl-Skript, wenn dich anstinkt, was Monotones immer wieder zu machen. Du wirst den Aufwand das Skript zu schreiben allerdings dem Nutzen gegenüberstellen, ehe du loslegst.

Deswegen werden Regeln eingeführt. Die Regeln schränken einen Teil der
Freiheit / Grenzenlosigkeit ein und ersparen den Beteiligten die
permanente Kommunikation. Regeln sind so gesehen Hilfsmittel, können
aber letztlich nur eine Ersparnis.

Wie Skripte, Funktionen, Module etc. auch.

Die Rechtsform ist jetzt eine Form, die auf den Regeln aufsetzt, sie
formalisiert und - damit notwendig - abstrahiert. Damit werden sie
universeller anwendbar und der nachregulierenden Kommunikation
tendenziell entzogen. Ein Entfremdungsschritt weg vom zugehörigen
Sozialsystem.

Nur, wenn der (gefühlte!) Werkzeugcharakter dieser Konstrukte verlorengeht. Die Entfremdung ist m.E. nicht in der Rechtsform per se angelegt.

Und wie das bei technisch-juridischen Verfahren so ist, sind die im Kern heternom und Blind gegenüber dem Inhalt.

Das ist ihr Sinn.

Jede Technologie ist in diesem Sinne janusköpfig und birgt Produktiv- und Destruktivkräfte in sich. Es bedarf deshalb einigen Aufwands, um diese Mittel zu beherrschen. Austausch und Kontext einer kommunikativen Situation müssen in einem gewissen Minimalverhältnis zueinander stehen, sonst geht die Sache nach hinten los.

HGG: Allerdings geht es, da stimme ich F.O.Wolf zu (sein Text im Band "Gleicher als andere"), um eine grundlegende Änderung der Kommunikations_formen_, und Änderung der Herrschaftsformen - auch das wird mir immer klarer - muss von dort aus gedacht werden.

Nun, ich denke, dass die Bedürfnisorientierung im Mittelpunkt stehen
sollte. Dazu ist mindestens mal fragen eine sehr nützliche Sache ;-) .

Bedürfnisse sind was Lokales, hier geht es um globale Effekte (unser Dauerclinch). Und "gesellschaftliche Bedürfnisse" sind kein Gegenargument. Ich kenne - außer den Open-Source-Ansätzen, aber das sind eben (noch) nur Ansätze - keine Mechanismen, in denen die nicht entfremdet formiert werden. Es geht um viel mehr als über Bedürfnisse zu reden, sondern sich zu gemeinsamem Tun zu verabreden. Das hat Wolf Göhring in http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/137_goehring.pdf
sehr schön dargestellt.

Sind wir übrigens genau bei C. Spehrs "Maquis".

Nein. Der Maquis - so habe ich ihn verstanden - ist nur Anti. Hier
ginge es aber gerade um ein Pro - auf höherer Stufenleiter.

Ich hatte es so verstanden, dass es ihm dort zunächst nur auf die Kommunikations_form_ ankommt, die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Das bleibt jenseits der Inhalte (was eine der Hauptkritiken an seinem Traktat war).

FN: Das Recht ist gerade kein Regelsystem, sondern ein Sanktionensystem, in
dem ganz stur und brutal durch eine gewaltmonopolistische Instanz
Regelabweichungen definiert und sanktioniert werden.

Na wenn es Regelabweichungen geben kann, dann müssen die ja irgendwo
her kommen. Ein Stück Regelsystem muss also drin sein.

Was dir besonders ins Auge springt sind in der Software die Aktoren,
die ausführen, was Regelsystem "ersonnen" haben.

?? Das Regelsystem ist aber auch Menschenwerk. Vielleicht müssen auch hier "alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit
Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen behandelt, ihrer
Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen
unterworfen" werden? (MEW 3, S. 70).

FN: und ich hab in meinem ganzen Leben eigentlich kaum ein
anständiges System dieser Art kennengelernt bevor ich mich mit der Theorie
und Praxis des indianischen Medizinrads beschäftigt habe. Das Problem ist
daß es gerade die systemische Trennung zwischen  "Handlungslogik der
Einzelnen" und "Handlungslogik vom Standpunkt der Gesellschaft" ein
wirkliches Regelsystem unmöglich macht.

Standpunkt der Gesellschaft hat m.E. schon einen etwas
fetischistischen Beigeschmack.

Da halte ich es eher mit Franz. In den cc-Thesen ist der siebte Sinn inzwischen zum "Gemeinschaftssinn" geworden, wobei ich feststelle, dass uns der in den 300 Jahren Kapitalismus als _Sinn_ deutlich abhanden gekommen ist. Dass indianische Medizinmänner hier ein Einssein auch noch _fühlen_ können, ist ein sehr bewahrenswertes "Relikt".

Allerdings schüttet Franz das Kind mit dem Bade aus, wenn er schließt 'daß gerade die systemische Trennung zwischen "Handlungslogik der
Einzelnen" und "Handlungslogik vom Standpunkt der Gesellschaft" ein
wirkliches Regelsystem unmöglich macht'. Erstens warum nur _eins_? Zweitens wollen/müssen wir nicht gerade diese systemische Trennung überwinden? Allerdings gilt es dabei, die "Einheit von Tugend und Glückseligkeit" im Sinne des späten Kant neu zu versuchen. Billiger ist sein kategorischer Imperativ nicht zu haben.

Viele Grüße, HGG

--

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
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