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[ox] Materie und Information



liste oekonux.de on Sonntag, 12. Dezember 2004 at 16:14 Uhr [PHONE NUMBER REMOVED] wrote:

Ist da nicht noch ein Transformationsprozess dazwischen?
Also das was ich als Idee, Vorstellung etc. im Kopf habe, muss erst in 
eine materielle Darstellung überführt werden.
Gedicht als geschriebener Text oder als gesprochene Sprache, etc.
Ab dann existiert es in der materiellen Welt und kann als Gut z.B. 
weitergegeben und gehandelt werden.
Was dem materiellen Gut aufgeprägt wurde ist die immaterielle 
Information. Die Materie ist Träger der Information.
Tja, das ist jetzt die Frage ob es da eine von der Materie losgelöste 
Existenz von Information gibt. War das nicht Platons Thema?



Bitte macht doch da kein philosophisches Geheimnis draus! Kann man ja
ruhig den Fortschritten der Quantenphysik überlassen, ob es über die
Quantenkohärenz sowas wie die unsterblichkeit der Seele, die Akasha
Chronik, die platonischen Ideen, morphogenetische Felder und was weiß ich
alles noch gibt. Frege hat was von der "dritten Welt" erzählt und die
Objektivität der Information ist immer wieder Thema der Spekulation. Davon
sollten wir uns abgrenzen, ohne die (für sich genommen durchaus
interessante ) Frage zu bejahen oder zu verneinen.

Das Wort "Realisieren" ist immer noch wichtig; wir unterscheiden zwischen
einer Information (egal ob subjektiver oder objektiver Geist)  und ihrer
Wirkung in der materiellen Welt. Zugleich enthält das Wort "In-FORM-ation"
auch imer schon diese Wirksamkeitskomponente (also den objektiven Geist).

aus einem paper das ich grad schreibe: Dort vertrete ich die These, (und
ich glaub um alleine die geht es IMHO im oekonux-zusammenhang)


"daß durch die Entwicklung der Mikroelektronik und  der Automation
mindestens vier Basisinnovationen geschehen, die das Verhältnis von
Mensch,Wissen  und Welt fundamental zu revolutionieren in der Lage sind.
Jede dieser Innovationen ist für sich genommen spektakulär, doch in ihrer
gemeinsamen Wirkung sind sie für eine welthistorische Überraschung gut..Es
ist notwendig, diese vier fundamentalen Innovationen zu verstehen, um die
?Naturwüchsigkeit? der Utopie vom Gemeinwissen zu begreifen.

Die Basis aller dieser Innovationen ist die, daß das Wissen vom Medium
abtrennbar wird, auf dem es existiert. Es existiert letzlich als eine
Folge von Nullen und Einsen, die durch geeignete Eingabe ? und
Leseapparaturen erzeugt und durch geeignete Ausgabereparaturen
wiedergegeben werden können. 

Danit ist aber mehr geschaffen als der Ersatz für Papier und analoge
Tonträger, für Zelluloid und Leinwand. Es sind vier mediale Innovationen
die daraus hervorgehen, die sämtlich in Gegensatz stehen zu der zuerst
personalen und später verdinglichten Organisationsform von Wissen, wie sie
weltgeschichtlich existiert haben.

Erstens ist damit Wissen potentiell in Lichtgeschwindigkeit kopierbar und
verbreiterbar. Das Internet hat diese Basisinnovation herbeigeführt. War
bis jetzt die Anhäufung und Weitergabe von Wissen ein äußerst mühsamer
Prozeß, der von sich selbst aus diskriminativ wirkte, über Bibliotheken,
Museen und Archive organisiert, so steht nun potentiell an jedem Punkt der
Erde das gesamte Wissen der Erde zur Verfügung. Es ist dies eine so
ungeheure Veränderung, daß wir sie noch gar nicht zu begreifen vermögen.
Das alte Verhältnis und der alte Reflex, sich vorhandenes  Wissen aneignen
zu wollen, trifft auf ein erdrückendes Angebot, eine Überfülle von Wissen,
die von einem einzelnen Individuum nicht mehr bewältigt werden kann. Gewiß
hatten wir schon immer eine Ahnung von dieser Fülle, wenn wir etwa den
Bibliothekssaal eines mittelalterlichen Klosters betreten, doch nun
stecken potentiell alle Bibliothekssäle der Welt in dem Bildschirm, den
wir vor uns haben.

Die zweite Basisinnovation betrifft das Verhältnis von Original und Kopie.
Durch die Trennung von Wissen und Medium, durch die digitale Speicherung,
ist auch eine ganz andere Veränderlichkeit in den Produkten unseres
Denkens eingetreten. Dadurch daß das Original nicht mehr an eine bestimmte
materielle Repräsentanz gebunden ist, läßt sich nicht nur sehr leicht eine
Kopie herstellen, diese läßt sich auch ohne großen Aufwand verändern,
erweitern, verbessern, ohne daß damit das Original verloren gehen müßte.
Aus dem Original wird die Originalversion, und das digitale Medium erhält
die zusätzliche Aufgabe, seine eigene Geschichte zu reproduzieren.Der
Autor eines Werkes kann es ständig verbessern, und oft geht schon in den
eigenen Verbesserungen die Originalversion verloren. Es können aber auch
mehrere Autoren zusammenarbeiten, die Fernkopiereinrichtung Internet
gestattet ihnen dies, und sie können sich darauf einigen, die
Originalversion zu dokumentieren, um darauf zurückgreifen zu können, falls
sich eine Veränderung als Fehlentwicklung herausstellt. Diese Form von
?Autorenschaft? erweitert sich: auf Musik, auf Konstruktionszeichungen,
auf Animationen, Simulationen und so weiter.

Die dritte Basisinnovation betrfft nun das Verhältnis von Teil und Ganzem
oder genauer gesagt den Werkbegriff. Während in der verdinglichten
Wissensepoche Wissen jeweils in einem materialen Zustand als
abgeschlossene Einheit vorlag ? als Buch, als Bild, als Musikaufnahme,
sodaß es als Werk zugänglich und beschreibbar war, etwa in einem
Werkverzeichnis eines Autors, sprengt das digitale Medium diese
Begrenztheit. Wir kehren in gewisser Weise zur Universalität des
Wissenskosmos der personalen Epoche zurück, in dem die Traditionen und
Werke vergangener Epochen in jeweils einem Individuum eine lebendige
Einheit eingingen. ....... Wissen existierte als Einheit verschiedener
Anschauungs- und Kommunikationsformen, die zu verschiedenen menschlichen
Vermögen Zugang hatten...... Erst durch die Fülle der Medien wird uns die
Welt begreifbar. Das digitale Medium ermöglicht nun, diese Fülle
herzustellen, es ist Multimedium. Die verschiedenen Medien interpretieren
einander und den Stoff, und dadurch entsteht, wenn wir es so platt
ausdrücken wollen, mehr Wissen auf der einen Seite, mehr
Interpretationsbedarf auf der anderen Seite.

Die mächtigste der vier Basisinnovationen ist jedoch mit all diesen
Aspekten noch nicht angesprochen; bis jetzt hatten wir es mit
Veränderungen, wenn auch gewaltigen Veränderungen, innerhalb der
Wissenswelt selber zu tun. Vielleicht würden diese Veränderungen für sich
genommen schon gewaltige Auswirkungen bis hin zu unsrer Siedlungs- und
Lebensweise haben und haben sie natürlich schon heute - ansatzweise.
Digitale Archive treten neben Bibliotheken und Museen, Netzwerke treten an
die Stelle hierarchischer Organisationen, Bildung, Logistik und Verwaltung
ändern sich dramatisch. Und dennoch sind diese Veränderungen gering im
Vergleich zu denen, die die vierte Basisinnovation.der digitalen Epoche
mit sich bringt, wenngleich sie sie zunächst überlagern. 

Die vierte Basisinnovation ist deswegen die mächtigste, weil sie das
Verhältnis von Wissen und abgebildeter Realität betrifft. Wir hatten
ansatzweise eine Revolution dieses Verhältnisses schon in der Entwickung
analoger Speichermedien, etwa im Verhältnis von Malerei, Lithographie und
Photographie; das Ausgabemedium ?produziert? selbst Realität, es
?realisiert? die im Speichermedium vorhandene Information sozusagen.
Während aber die Beschränktheit des analogen Speichermediums eine
Beschränktheit der Realisierungen mit sich brachte (Andy Warhol hat hier
einen entscheidenden Übergang markiert), ist das digitale Speichermedium
nicht nur gleichgültig gegen den Inhalt der Information, sondern auch
gleichgültig gegen das Ausgabemedium. Genaugenommen enthält es mit seinen
Nullen und Einsen nichts als Schalterstellungen für den Fluß von
elektrischer Energie. Wie die Realisierung aussieht, ist dem
Speichermedium nicht anzusehen. Ob die Ausgabe am Bildschirm oder im Druck
erfolgt, ist für die digitale Information sekundär. Nun ist aber der
?Druck? ein dauerhafterer materieller Vorgang als die flüchtige Wiedergabe
am Bildschirm. Durch das Verhältnis von Speichermedium und Ausgabemedium
entsteht potentiell ein direkteres Verhältnis zwischen Informationen und
materieller Produktion als es die Welt je gesehen hat. "





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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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