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Re: [ox] das komprimierte jahrhundert



Hi Andreas und Liste!

Danke zunächst mal für deine Überlegungen. Beim nochmal drüber
nachdenken, wird mir zumindest selbst auch immer wieder noch was klar
:-) .

Management-Zusammenfassung: Produktivkraftentwicklung, Keimformen,
Krise, Materialismus ;-) .

Last week (10 days ago) AndreasFH wrote:
wir hatten hier vor ca. einem jahr mal eine diskussion um den begriff der
postmoderne. ich fand das damals sehr inspirierend und dachte mir, ich
versuche das mal weiterzuentwickeln. meine gedanken sind dabei noch etwas
ins "unreine" formuliert, aber ich hoffe es wird trozdem klar, was ich
meine:

ich denke viel über das wesen des fortschrittes nach und frage mich immer
wieder, warum er so launisch ist. oft sind technische dinge schon lange
möglich bevor sie sich in der breiten gesellschaft durchsetzen.

Über die Frage, wie sich Geschichte entwickelt und ob da irgendwelche
Gesetzmäßigkeiten zu entdecken sind, haben sich eine Menge Leute
Gedanken gemacht. Ich finde nach wie vor, dass die Marx'sche These,
dass in diesem Zusammenhang die Produktivkraftentwicklung eine
entscheidende Rolle spielt, ziemlich schlagend. Und die
Produktivkraftentwicklung ist eben nicht nur eine techische Frage...

einige beispiele:

im antiken griechenland hate man eine einfache dampfmaschine erfunden die
aber nie zu etwas anderem verwendet wurde als spielzeug, da es in einer
sklavenhaltergesellschaft keinen bedarf an maschineller antriebsendergie
gab.

 ...wie du hier selbst fest stellst.

Oder nimm die frühmittelalterliche kapitalistische Entwicklung in
Oberitalien und sogar schon im Römischen Reich gab es für einige
Produktgruppen abstrakte Warenmärkte (wie hieß noch gleich dieses
römische Maggi, dass die RömerInnen an alles und jedes gemacht
haben?). Nach der Keimformargumentation müsste das also dann als
Keimformen analysiert werden, die sich eben nicht weiter entwickelt
haben. Beim Römischen Reich nicht mal, *obwohl* das Gesamtsystem
nachhaltig in die Krise gekommen ist.

jüngstes beispiel: innerhalb von 8 jahren gelang es den amerikanern von kaum
flugfähigen raketen zur mondlandung zu kommen. nur um danach schluss zu
machen. es fehlte der politische wille (im sinne hanna arendts also der
gesellschaftliche wille) im großen stiel irgend etwas sinnvolles aus der
raumfahrt zu machen (bsp. energie- und rohstoffgewinnung).

Nun, es gibt ja nach wie vor Raumfahrt in großem Stil. Die Ariane
bringt regelmäßig Satelliten in den Orbit und es werden sogar neue
entwickelt (die nicht mal explodieren, wenn nicht ein kleiner
Integer-Überlauf dazwischen kommt ;-) ) und auch die Space Shuttles
fliegen eher regelmäßig. Und es wird auch nach wie vor das
Sonnensystem erforscht. Es ist also nicht wirklich so, dass da nichts
mehr geschehen würde. Es ist halt nur noch selten so spektakulär wie
die Mondlandungen (ich kann mich noch dunkel an den ersten Schritt auf
dem Mond erinnern, was damals ein echtes Weltereignis war, bei dem
wahrscheinlich der mit Fernsehen versorgte Teil der Menschheit
komplett vor selbigem versammelt war ;-) ).

Aber tatsächlich ist die Raumfahrt mittlerweile auf das wirtschaftlich
vernünftige Maß zurück geführt worden - die Mondlandungen waren nach
dem Sputnik-Schock ja vor allem ideologisch motiviert.

mich beschäftigt auf der anderen seite schon länger die frage warum wir die
letzten jahre anscheinend in immer kürzeren abständen das letzte jarhundert
wiederholen und alle kulturellen und politischen strömungen in immer mehr
paralel in unserer gesellschaft haben ohne eindeutig etwas grundlegend neues
beobachten zu können (außer diesem kulturellen "mischmasch" an und für sich)

Wo meinst du, dass das letzte Jahrhundert wiederholt wird? Wenn
überhaupt, würde ich sagen dann nur als Farce oder mehr oder weniger
melancholische Reminiszens.

Nehmen wir z.B. die Weltkriege, so kann ich davon - glücklicherweise -
heute nichts entdecken. Damals gingen die Metropolenstaaten
aufeinander los und aus den Trümmern wuchs wieder was, während heute
die USA zwar in der Lage sind alles niederzubomben, sich aber außer
Stande zeigen, ein Globalisierungsopfer zu befrieden. Klar ist der
Krieg wieder gekommen - aber in durchaus anderer Form. Die
Trümmerwüsten liegen jetzt eben nicht mehr in den Metropolen, sondern
in den mehr oder weniger abgekoppelten Regionen und werden auch nicht
(wieder) aufgebaut. Das finde ich nicht vernachlässigbar.

Und im sozialen Bereich würde ich ähnliches entdecken. Eine
Deregulierungswelle jagt die andere und beim Sozialabbau wird
mittlerweile wöchentlich nachgelegt. attac meint zwar, dass das alles
nur der Unfähigkeit / des Unwillens der PolitikerInnen zu verdanken
ist und wünscht sich - mehr oder weniger melancholisch - die 1970er
zurück, aber einer materialistischen Analyse hält das ja nicht stand.
Tatsächlich ist die Welt eben so wie sie ist und der soziale Rollback
ist nichts, was mit gutem Willen aufzuhalten wäre, sondern ein
Ausdruck davon, dass das Gesamtsystem in einer nachhaltigen Krise
steckt.

An der Stelle betone ich auch immer gerne, dass es nicht eineN gibt,
die am Ende dieses ganzen Rollbacks ein positives Bild zeichnen würde.
Nein, es gilt schon als großartig, wenn der erreichte Stand gehalten
werden kann. M.a.W.: Dieses System hat nichts mehr zu bieten. Oder
theoretischer gesprochen: Es hat seine innerern
Entwicklungsmöglichkeiten ausgereizt.

Die Widerkehr anti-aufklärerischer Tendenzen wäre vielleicht noch so
ein Feld. Der Fundamentalismus, der in den USA um sich greift ist ja
in seinem anti-aufklärerischen Gehalt durchaus heftig (oder ist die
Erde nicht doch eine Scheibe?). Bei den Nazis hat dieser ideologische
anti-aufklärerische Schub aber unter der Oberfläche nicht unerheblich
zu einer Durchsetzung der Moderne in Deutschland geführt, während ich
das bei den fundamentalistischen Strömungen in den USA nicht erkennen
kann. Hier scheint es mir mehr um eine melancholische Reminiszens an
selige Kindertage zu gehen, wo der liebe Gott noch im Himmel gewohnt
hat.

mir da ist vor kurzem der gedanke gekommen warum dies so sein könnte und wie
dies auch die trägheit von technischer und sozialer inovation erklähren
könnte. dabei wird auch klar, was dies mit ökonux zu tun hat:

was währe, wenn es einfach nur so ist, dass wir menschen als masse (als
*gesamtgesellschaft*)  nur grundlegende veränderungen von alleine übernehmen
(also ohne zwang von oben), wenn alle individuen dieser gesellschaft die
davor liegenden umwälzenden veränderungen absolut verinnerlicht haben und
dies auch noch eine weile ausgelebt haben?

Völlig d'accord. Ich würde es so formulieren, dass das Neue eben im
Interesse (StefanMz mag das Wort nicht, ich habe bisher kein besseres
:-( ) der Menschen liegt. Dazu gehört die Erfahrung des Neuen - in
Freier Software keimförmig an jeder Ecke zu spüren.

das währe die erklährung für dieses momentane durchleben des letzten jh.,
als vorbereitung auf *das neue*, das nach der postmoderne kommt!

gibt das nicht einen interessanten, zusätzlichen, psychologischen
erklährungsansatz für den wandel vom feudalismus zum kapitalismus? diese
trägheit würde auch erklären warum der kapitalismus sich nur so zäh wandelt,
obwohl krisis seinen untergang schon seit 20 jahren feststellt.

eine psychologische massenträgheit gegen "von oben" auferlegten wandel
erklärt auch (ich betohne das *auch*, weil meine überlegungen keine totalen
erklärungsanspruch haben) das scheitern von zwangsregiemen wie dem
realexistierenden sozialismus im ostblock, den rückschritt in der raumfahrt
bei gleichzeitigem techn. fortschritt oder eben die "zählebigkeit" der
kapitalsitischen gesellschaftsorganisation trotz der neuen möglichkeiten der
vernetzten gesellschaft (also. übertragung der freien
softwareentwicklungsmodelle auf die materielle produktion usw.).

Nun, Veränderungsprozesse sind immer schwierig - individuell oder
gesellschaftlich - und je grundlegender desto mehr. Wenn das alte
*Gesamt*system in die Krise gerät, dann ist das ein ziemlich
fundamentaler Einschnitt, der nur schwer zu verkraften ist. Angst vor
Veränderung ist ja auch nicht grundsätzlich sinnlos, bewahrt es
Menschen doch davor in jede Dummheit zu rennen.

Ich würde die psychologische Trägheit als Motiv hier aber nicht so in
den Vordergrund stellen. Wichtiger finde ich auch hier die
Interessenlage, aus der die Psychologie folgt. Aber die Interessenlage
ändert sich im Bereich der digitalen Güter ja gerade nachhaltig -
Stichworte Copyright-Verstöße bei Unterhaltungsgütern aber auch der
Widerstand gegen Software-Patente.

wenn es diese soziale trägheit gibt, wird klar das man
1. immer grund zur hoffnung hat, da sich sinvolle dinge irgendwann
warscheinlich durchsetzen und

Die Hoffnung stirbt sowieso zuletzt ;-) .

2. das man die allgemeinheit nicht durch *noch so gschickte*
überzeugungsversuche (sprich agitation) in die gpl-gesellschaft zwingen
kann.

Und das ist gut so! Die Massen (TM) müssen ihre veränderte
Interessenlage begreifen, dann werden sie sie auch wollen. Hier
geschieht m.E. schon viel - auch wenn weite Teile der Linken das ganz
gerne übersehen.

Allein der Zuspruch, den Oekonux so genießt, finde ich schon einen
wichtigen Hinweis - das sage ich als jemensch, der jahrelang in
Kleingruppen agiert hat, für die sich wirklich keine Sau interessiert
hat.

somit würde nur *das vorleben des neuen*

Absolut! Worse than the devil you know is the devil you don't know!

und die gute "alte" aufklärung die
überwindung der gegenwärtigen irrationalen geselschaftsorganisation
ermöglichen!

Über den Rationalitätsbegriff wäre nochmal gesondert zu debattieren,
aber so wie du es meinst: Dafür sind wir ja u.a. da :-) .

was meint ihr zu diesen gedanken? seht ihr irgendwelche wiedersprüche in
diesen überlegungen? anmerkungen?

Mein Cent.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Organisation: projekt oekonux.de



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