Re: [ox] Freiwirtschaft - Small Worlds
- From: Jürgen Ernst <jrernst gmx.de>
- Date: Sat, 12 Jun 2004 16:34:02 +0200
Stefan Matteikat schrieb:
Jürgen Ernst schrieb:
Ist aber echt lesenswert.
In dem Buch werden Netzwerke bzw. Graphen beschrieben.
Hallo Jürgen,
um hier weitermachen zu können, mußte ich mir das Buch doch erstmal
"aneignen".
So viel "Initiative" hätte ich gar nicht erwartet. Hätte Dir das Buch
auch geschickt. Aber gut. Du hast jetzt sicher einen guten Eindruck um
was es sich bei Small-World-Netzwerken handelt.
Ich finde den Ansatz sogar so gut, dass ich ihn beim Programmieren verwende.
Dennoch kann ich damit Analysen machen, z.B. Simulation eines Marktes
usw. Was noch von aussen hinzukommt sind sog. Constraints, also
Bedingungen, die eingehalten werden müssen. Dann lässt man die
Simulation laufen und kuckt nach einer Weile rein wie sich Knoten,
Verbindungen oder Attributwerte geändert haben.
Das würde ich jetzt etwas anders darstellen: im Buch ist nicht die Rede
von Constraints (für die Nicht-Informatiker: Restriktion. Oder, in diesem
Zusammenhang besonders treffend: _Sachzwang_). Die werden stillschweigend
vorausgesetzt. Dabei sind gerade die es, die das Axiomensystem bilden würden,
von dem ich sprach.
Das Buch ist ja auch mehr an den Normalleser gewandt. Klar, dass das
jetzt nicht so deutlich angesprochen wird. Wenn man aber programmiert
braucht man immer Einschränkungen (oder Constraints). Und genau wie Du
schreibst bilden diese das Axiomensystem. Am genauesten wäre es wohl die
Publikationen der Wissenschaftler zu lesen. Konnte ich leider noch nicht
"ergooglen". Bei anderen Publikationen ist das meist einfacher. Die sind
aber alle nicht besonders einfach zu lesen.
Wobei ich da vielleicht präzisieren muß: ich meine nicht die unterschiedlichen
Ansätze im Modell von Bouchard-Mezard, sondern die grundlegenden
Rahmenbedingungen. Reichtum ist hier Kapital; woher es kommt, wird - wie ich
es vermutet habe - gar nicht erst gefragt.
Ach so. Aber: Ist das so wichtig?
Ich hatte schon geschrieben, dass man jedem Knoten beliebige Bedeutung
zuordnen kann. Also was mir die Zahlen sagen, ob das nun Geld,
Grundbesitz oder sonst was ist.
Wenn ich es mal krass formuliere ist Reichtum demnach eher ein
psychologisches Konstrukt. Es ist unabhängig von der Art des Gutes,
sondern bezieht sich nur auf die Quantität. Also der Eindruck, dass
etwas wichtiger ist, wenn es viel davon gibt, oder dass etwas wertvoller
ist, wenn es rar ist, oder um ein praktisches Beispiel zu bringen:
Als Elektroniker hatte ich mal Reparaturen für ein Musikgeschäft
gemacht. Da gab's mal ein seltsames Phänomen bei Verstärkern für
Bühnenlautsprecher. Ursprünglich wurde diese Geräte immer so gebaut,
dass in Standardbauweise ein Netzteil enthalten war, das einen dicken
Transformator benutzte. Je mehr Leistung der Verstärker erbringen
sollte, desto DICKER und auch SCHWERER musste der Transformator sein.
Irgendwann gab's einen elektronischen Kniff und man erfand getaktete
Netzteile. Damit konnte der Transformator drastisch reduziert werden.
Also trotz gleicher oder höherer Leistung waren die Netzteile sehr klein
und leicht. Dummerweise merkte man dann, dass die Kundschaft Probleme
damit hatte. In den Köpfen der Leute war es drin, dass besser war, was
groß und schwer war.
Tja, der Mensch ist halt konditioniert....
Ich finde das trifft auch auf den Begriff Reichtum zu. Man hat ein Bild
im Kopf, dass Reichtum eine große Quantität darstellt. Fertig. Mehr iss
es nicht.
Somit kann man damit nachweisen, dass die Herkunft des Reichtums NICHT
an den Menschen liegt. Es ergibt sich eher, dass es am Aufbau des
Netzwerkes liegt.
Da liegt nach wie vor mein Problem mit dieser Argumentation: im Buch
erscheint das so, weil die Art und Weise, wie Reichtum heute entsteht
und verstanden wird, eben als naturgegeben vorausgesetzt wird. Es könnte -
folgt man dem Autor - allenfalls sein, daß mal jemand ein neues,
objektiveres ökonomisches Gesetz findet (siehe S.234). Jedenfalls ist
nirgendwo die Rede von der Herkunft des Reichtums, nur davon, wo er
schließlich landet...
Auch klar. Das Thema des Buches ist ja ein anderes.
Man muss aber nur ein bisschen interpretieren.
Da "Reichtum" ja nicht aus der Luft entsteht und auch nicht früher
entstand, muss es ein Vorgang gewesen sein, der zur Akkumulation führte.
Das wird nun aber sehr gut mit dem Netzansatz beschrieben.
Und das interessante dabei war, dass in den Simulationen dies unabhängig
von menschlichen Präferenzen passiert.
Was allerdings, und damit wären wir wieder beim Thema, auch bei Buchanan
> nur verhältnismäßig wenig mit Zins und Zinseszins zu tun hat.
Na, Seite 227 unten steht doch was: "Die Kombination von Zins und
Zinseszins scheint selbst in einer Welt, in der alle *gleich* sind und
nur völlig vom Zufall bestimmte Profite (oder auch Verluste) auf ihr
angelegtes Kapital erhalten, zu einer Konzentration des Reichtums zu
führen."
Hierzu vgl. Scherhorn: "Silvio Gesell und die von ihm inspirierten
Freigeldtheoretiker haben daraus" [daß sich Kapital unbegrenzt vermehren "darf",
während Arbeit und Natur sich zyklisch erneuern; ich würde sogar weitergehen:
Kapital _muß_ sich unbegrenzt vermehren dürfen können, sonst geht es ein]
"seit langem den Schluß gezogen, daß man den Zins abschaffen müsse, um die
_Kapitalexpansion_ zu unterdrücken. Ich habe Respekt vor ihrer scharfsinnigen
und unermüdlichen Argumentation, aber ihre Folgerungen würden mehr die Falschen
treffen als die Richtigen."
Was gilt, wenn man es nicht genau weiß?
Antwort: Man muss es genauer untersuchen.
Und hierzu sage ich dürfte der Netzwerkansatz sehr brauchbar sein, da er
erstmals überhaupt zulässt so etwas richtig zu simulieren. Das
Pareto-Gesetz entsteht auch ganz natürlich in der Simulation, ohne, dass
man es durch Constraints erzwungen hat. Und das ist mehr als alle
ökonomischen Theorien bisher konnten!
Ich würde die Theorien einfach simulieren und testen.
Danach das beste Ergebnis auswählen und publizieren.
Oder noch besser die Politiker dazu drängen.
Und zwar dann, wenn dieses Netzwerk eine "Small World"
ist und genauer ein aristokratisches Netzwerk.
Was mich wieder nur zu bestätigen scheint. Und: was hindert uns dann, aus
diesem aristokratischen Netzwerk (immerhin glaube ich jetzt verstanden zu
haben, was das ist; ich lag mit meiner linguistischen Interpretation auch
nicht daneben), wie wir es heute vorfinden, ein egalitäres
Netzwerk zu machen? Oder müssen wir abwarten, bis das von alleine
geschieht? Dann könnte es, nach Lage der Dinge, leicht schon zu spät sein
für die Gattung Mensch.
Das Problem ist, dass ein egalitäres Netzwerk bei uns Menschen nicht
machbar ist. Und auch nicht eine Marktwirtschaft.
Auch die Verteilung von Macht nicht.
Das grenzt dann an die Konstruktion unserer Gesellschaft, dass immer
irgendwo jemand Macht ausübt. Und das ist dann auch nicht mehr egalitär.
Ich wüsste nicht wie man das lösen könnte.
Also bleibt m.E. nur eine Möglichkeit das bestehende zu verbessern und
nicht gleich alles abzuschaffen. Und Verbesserung geht, das haben die
Simulationen gezeigt. Ein Problem ist nunmal der Zins.
Der "Wert" hängt immer mit dem Vorgang der "Wertschöpfung"
zusammen. Je mehr Mühe, desto wertvoller.
Das ist der Trugschluß, der einem heute fortlaufend vorgegaukelt wird und
der eben gerade in der _wissensdominierten_ Gesellschaft, wie
ich sie mal nennen möchte (weil im Grunde jede "soziale Gesellschaft" zumindest
wissensbasiert ist) auf Grund der Tatsache, daß dieses Wissen einige vertrackte
Eigenschaften hat, nicht mehr zutreffen will - so interpretiere jedenfalls
ich den Oekonux-Ansatz :-)
Also ich unterscheide stark zwischen demjenigen, der etwas schafft und
demjenigen, der etwas vertreibt.
Für den, der es schafft steckt Energie und Lebenszeit drin. Das muss er
ordentlich entlohnt bekommen.
Wer etwas vertreibt hat diesen Aufwand nicht. Obwohl auch Distribution
eine Leistung sein kann. Nur haben wir leider die Situation, dass diese
"Verwerter" digitale güter günstig duplizieren und zu einem Preis
verkaufen, der dem Original entspricht. Da liegt m.E. der Haken.
Natürlich ist eine digitale Kopie wieder ein Original, aber das Kopieren
ist was anderes als das ERSTE Original zu schaffen.
Es gibt Einiges aus der Theorie der Small Worlds, das ich auf die hier
vertretenen Ideen anwenden würde: Small Worlds und Global Villages reimt
sich geradezu. Oder gar die Vorstellung, die Entwicklung des "Internets
der Dinge" von Anfang an mit Hilfe dieser Theorie zu verfolgen; allein das
war es mir "wert", das Buch zu lesen. Und schließlich die Anregung,
"Organisationen und Gemeinschaften bewußt nach den Small-World-Bauplänen"
zu entwerfen. Denn, frei nach Wolf Göhring: mit den neuen
Kommunikationstechnologien kann zwar Jeder mit Jedem reden, aber Jeder
kann gar nicht mit Jedem reden.
Hier bietet sich in der Tat eine faszinierende Möglichkeit, über
entsprechende Mechanismen jenseits von Tausch und Markt nachzudenken.
Schön. Ich hoffe diese Ideen finden weiteren Eingang bei anderen
Projekten und Ideen. Mir erscheint der Netzwerk-Ansatz viel näher an der
"Basis" als andere Theorien. Wir stehen erst am Anfang. Bisher war es
so, dass die Komplexität reduziert wurde, indem man stark idealisierte
und dann eine hierarchische Ordnung aufpfropfte, weil der Mensch eben
hierarchisch denkt. Da liegt dann das Problem, wenn man nicht
weiterkommt. Die Natur ist eben ein Netzwerk.
--
Ciao
Jürgen
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