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- Date: Wed, 03 Mar 2004 09:21:27 +0100
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Das Copyright-Regime als Innovationsblocker
Stefan Krempl 03.03.2004
Eine amerikanische Wirtschaftsdenkfabrik zieht die Notbremse im
DRM-gestützten System des geistigen Eigentums
Die gegenwärtig von der Musik- und Filmindustrie praktizierten und
geforderten technischen und politischen Ansätze zur Einschränkung der
Kopiermöglichkeiten digitaler Dateien sind durch und durch fehlerhaft.
Die Systeme fürs digitale Rechte- beziehungsweise
Restriktionsmanagement (DRM), auf deren universellen Einsatz die
Bemühungen der Labels und der Studios allenthalben abzielen, gefährden
die gesamtgesellschaftliche Innovation und das Wissensreservoir der
Menschheit, unterwandern den Wettbewerb, verteuern Inhalte, vergraulen
Verbraucher und bürden die Kosten für scheiternde Business- und
Marketingmodelle der Hightech-Industrie auf. Das ist der Tenor eines
Reports des Committee for Economic Development [1], einem liberalen
Think Tank an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik in
Washington.
Das Ächzen und Stöhnen im System des geistigen Eigentums ist bereits
seit längerem zu vernehmen ( Ächzen und Stöhnen im System des
"geistigen Eigentums" [2]). Bisher kam die Kritik an den Auswüchsen des
Copyright-Regimes vor allem aus linken Polit-Zirkeln, aus dem
Open-Source-Lager oder aus der Wissenschaft. Mit dem Digital
Connections Council des Committee for Economic Development (CED) greift
nun erstmals eine liberale Denkfabrik der US-Wirtschaft in die
Grabenkämpfe um das Klonen digitaler Inhalte mithilfe von Computer,
Internet und Tauschbörsen ein. Und dies vehement: Liest man den
100-seitigen Bericht Promoting innovation in the on-line world: the
problem of digital intellectual property [3] aufmerksam durch, kann man
sich nicht des Eindrucks erwehren, dass es sich dabei um eine
substanzielle Abrechnung mit den Verschluss- und Verfolgungsstrategien
der Content-Industrien und der von ihnen gekauften Politiker handelt.
Die Autoren des Reports, der unter der Leitung der CED-Analysten Elliot
Maxwell und Susan Crawford sowie des IBM-Forschungsleiters Paul
Horn [4] entstand, zeigen den Datenherren deutlich die orangerote
Karte. Der Versuch der Rechteindustrie, das Rad der Zeit unter großem
Gejammer über sinkende Margen zurückzudrehen und den Geist der sich im
Handumdrehen selbst vermehrenden Bits und Bytes wieder in die Flasche
einzusperren ( Ende des Internet? [5]), zerstört ihrer Ansicht nach
die langfristigen Wachstumschancen der Wirtschaft.
Moratorium bei der Copyright-Gesetzgebung gefordert
Die Politik fordern sie daher mit Nachdruck auf, zwei Jahre lang von
weiteren Verschärfungen des Urheberrechts sowie der Sanktionierung
technischer Kopierschutzmaßnahmen Abstand zu nehmen. Das Moratorium
sollte ihnen zufolge genutzt werden, um eine offene Debatte über die
aus dem Lot geratene Balance zwischen Verwerter- und Nutzerrechten zu
führen. Ziel ist es letztlich, Korrekturmaßnahmen einzuleiten.
Ausgehend vom "digitalen Dilemma", demnach dieselben
Computertechnologien, die das Erstellen und Verbreiten digitaler
Inhalte erlauben, auch zur Zugangsbehinderung und zur Kontrolle genutzt
werden können, begutachten die Verfasser des Berichts die im Raum
stehenden Vorschläge zur Verhinderung von Urheberrechtsmissbräuchen.
Dabei gehen sie beispielsweise auf umstrittene und deshalb momentan
nicht mehr aktiv verfolgte Gesetzesvorhaben wie den Hollings-Act ein,
demnach nur noch elektronische Geräte mit eingebauten - und notfalls
von der Regierung entwickelten - Kopierschutzstandards verkauft werden
dürften.
In eine ähnliche Richtung zielen die im November verabschiedeten
Richtlinien der amerikanischen Telekommunikationsregulierungsbehörde
FCC [6] (Federal Communications Commission), denen zufolge digitale
TV-Empfangsgeräte ab 2005 so genannte Broadcast Flags [7] lesen können
müssen. Die Markierungen bestehen aus einer Art Wasserzeichen. Derlei
Kopierschutzmerkmale sollen Aufschluss über die Herkunft von Inhalten
geben und das Abspielen nicht-autorisierter, etwa aus dem Netz
gefischter Sendungen verhindern. Letztlich laufen all die Bemühungen
zusammen in den Bestrebungen der Rechteindustrie, Werke aus Bits und
Bytes mithilfe von Systemen zum digitalen Rechtemanagement (DRM) zu
kontrollieren.
Innovation im Keim erstickt
Die Forscher haben die ins Spiel gebrachten Anti-Pirateriemittel im
zweiten Schritt anhand von drei Fragekomplexen beurteilt: Fördern sie
die Innovation? Wie beeinflussen sie das Wachstum der
Hightech-Industrie? Und welchen Einfluss haben sie auf die Public
Domain, also auf die Sphäre der frei verfügbaren Inhalte? Die
Auswirkungen auf diese drei Bereiche sehen sie insgesamt als verheerend
an, was sie im Einzelnen ausführlich begründen.
So erläutert der Bericht etwa, dass all die regulatorischen Bemühungen
Folge-Innovationen im Keim schier ersticken würden. Beim Thema der für
eine Volkswirtschaft wichtigen Innovationskraft halten es die Autoren
mit Isaac Newton und seinem Bekenntnis, nur "auf den Schultern von
Riesen" neue Einsichten gewonnen zu haben. Jeder Erfinder ist demnach
eingebettet in einen ständigen Kreislauf von Ideen anderer Erfinder und
kann nur aufbauend auf dieses "Sampling" selbst erfolgreich sein und
kreative Pfade einschlagen. Wichtig sei daher die schon angesprochene
Balance zwischen dem kurzzeitigen Schutz echter Erfindungen und
geistiger Schöpfungen auf der einen Seite sowie dem frei zirkulierenden
Ideenpool in der Public Domain.
Schon die bestehenden Gesetzeswerke greifen nun tief in diesen
innovationsfördernden Austausch und in die von den Nutzern selbst
vorangetriebenen Produktverbesserungen ein, klagt der Bericht. So habe
der Digital Millennium Copyright Act (DMCA), das Pendant zur
EU-Urheberrechtsrichtlinie und der daraus entstandenen einschlägigen
Gesetzesreform in Deutschland ( Lex Bertelsmann in der
Zielgeraden [8]), die Forschung und den Wettbewerb eingeschränkt sowie
die Content-Industrien zu den Gatekeepern über die Einführung neuer
(Schutz)-Technologien bestellt (also den Bock zum Gärtner gemacht).
Beispiele finden die Autoren etwa in Streitigkeiten wie dem zwischen
dem Druckerkrösus Lexmark und Konkurrenten auf dem Markt für
Nachfüllpatronen [9] oder den herbeigeklagten
Interoperabilitätsproblemen mit Gartentoröffnern [10]. Dass die
Datenherren gerade Sicherheitsforscher wie Sklyaroff [11] aufgrund von
vermuteter DMCA-Verletzungen auf dem Kicker hatten, entbehre aber nicht
einer gewissen Ironie. Schließlich könnten so auch Techniken zur
Absicherung von Inhalten behindert werden.
Besonders hart zu Gericht gehen die CED-Forscher jedoch mit den sich
breit machenden DRM-Systemen. Diese wären zwar mittelfristig auf
technischer Ebene zum Scheitern verurteilt, schließen sie sich dem
Grundgedanken des "Darknet"-Papers aus den Untiefen der
Microsoft-Forschungsstätten an ( Microsoft-Forscher: Gegen
Tauschbörsen hilft kein DRM [12]). Schon eine einzige erfolgreiche
Attacke könne schließlich in Software gegossen und damit auch
interessierten Laien zugänglich gemacht werden. Außerdem würden die
technisch komplexen und einen hohen Support-Bedarf nach sich ziehenden
Kontrolltechniken naturgemäß die Kosten des Gesamtsystems erhöhen und
Haftungsfragen angesichts der anfallenden immensen Nutzerdaten und der
damit wahrscheinlichen Datenschutzverletzungen aufwerfen.
Unzumutbare Normen in Nutzerlizenzen
Auf dem Weg zum Scheiterhaufen könnten DRM-Systeme allerdings noch
gravierende Schäden verursachen, warnen die Verfasser des Reports. Da
die mit ihrer Hilfe "geschützten" Inhalte meist mit sehr restriktiven
Lizenzen verknüpft würden, könnten sie die bestehenden Schrankenrechte
zugunsten der Nutzer einfach aushebeln. Mit einem Klick seien die
Datenherren imstande, die Verbraucher Lizenzvereinbarungen absegnen zu
lassen, mit denen sie "unzumutbare Normen" etablieren könnten. Kritik
oder Parodien etwa würden sich Firmen auf diesem Wege genauso verbieten
wie etwa das heute noch mögliche Ausleihen von (analogen) Werken in
Bibliotheken.
Starke Bedenken äußern die Analysten zudem an der sich abzeichnenden
Kastration des Universalcomputers und offener Technikplattformen
allgemein. Dabei kommen sie kurz auch auf die
"Selbstkontrollmechanismen" der Computerindustrie im Rahmen der Trusted
Computing Platform Alliance (TCPA) zu sprechen ( Kontrolliertes
Vertrauen [13]). Derlei Vorstöße von privater Seite seien bisher unter
weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt, kritisieren sie die
Versuche zur DRM-Einführung durch die Hintertür. Das ist erstaunlich,
da IBM bislang zu den Zugpferden der "Vertrauensoffensive" zählte, nun
ein Forschungschef von Big Blue aber von den Bemühungen ein Stück weit
mit abrückt.
Schon eher verständlich ist, dass der Bericht auch ganz offiziell die
Argumentation der Free-Software-Bewegung stützt, wonach sich Open
Source und DRM letztlich ausschließen [14]. Gesetzliche Erfordernisse
wie das Einfügen von Broadcast Flags "sind eine Antithese zu
Open-Source-Software", lässt sich da nachlesen. Die offenen Quellcodes
seien gemäß der entsprechenden Lizenzen schließlich gerade dafür da, um
an ihnen herumzubasteln und dabei auch Kopierschutztechniken zu
umgehen. Dies werde von den meisten der untersuchten rechtlichen und
technischen Vorschläge jedoch glatt unterschlagen, obwohl freie
Software doch eine "zunehmend wichtige Quelle für Innovation"
darstelle.
Nicht fehlen darf in einer von einem IBM-Forscher mitbetreuten Studie
zudem der empörte Hinweis, dass die Politik und die Datenherren mit
ihren ganzen DRM-Bestrebungen die Kosten für den Schutz von Inhalten
der Computer- und Heimelektronikindustrie sowie den Netzprovidern und
damit letztlich den Konsumenten aufbürden. Millionen digitaler Geräte
müssten schließlich ganz neu auf die DRM-Systeme aufgerüstet werden.
Dies sei eine Gefahr für "einen der wichtigsten Sektor der
US-Wirtschaft". So wundern sich die Autoren denn auch, dass sich
anscheinend alles um die Belange einer Inhalteindustrie drehe, obwohl
im Jahr 2001 Computerverkaufsumsätze in Höhe von 429 Milliarden
US-Dollar Umsätze der Filmstudios in Höhe von nur 69 Milliarden
gegenüberstanden.
Die Schlussbitte der CED-Vordenker lautet, dass die Politiker doch
davon absehen sollten, gewisse Geschäftsmodelle zu schützen, statt
Anreize für die Entwicklung neuer Vermarktungs- und Vertriebswege zu
liefern, obwohl diese das Internet gerade in Reinkultur biete. Die
Wirtschaft hänge schließlich nicht von einzelnen Distributionswegen und
speziellen Ausformungen von Industrien wie dem Verlagshaus ab, sondern
von den kreativ anregenden Werken von Autoren. Einen Ausweg aus dem
digitalen Dilemma könne neben dem Experimentieren mit
verbraucherfreundlichen Light-Versionen von DRM-Systemen während des
vorgeschlagenen Moratoriums auch die Einberufung einer neuen
kollektiven Rechtevertretung oder Verwertungsgesellschaft sein, die
Zahlungen der Downloader an die Künstler verteile.
Links
[1] http://www.ced.org/
[2] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/16000/1.html
[3] http://www.ced.org/docs/report/report_dcc.pdf
[4] http://www.research.ibm.com/about/pmhorn.shtml
[5] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ende/16631/1.html
[6] http://www.fcc.gov
[7] http://www.heise.de/newsticker/meldung/41719
[8] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/14573/1.html
[9] http://www.heise.de/newsticker/meldung/41549
[10] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/15659/1.html
[11] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/13813/1.html
[12] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/13662/1.html
[13] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/15451/1.html
[14] http://www.heise.de/newsticker/data/ghi-31.01.04-001/
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