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Das Copyright-Regime als Innovationsblocker

Stefan Krempl   03.03.2004 

Eine amerikanische Wirtschaftsdenkfabrik zieht die Notbremse im 
DRM-gestützten System des geistigen Eigentums 

Die gegenwärtig von der Musik- und Filmindustrie praktizierten und 
geforderten technischen und politischen Ansätze zur Einschränkung der 
Kopiermöglichkeiten digitaler Dateien sind durch und durch fehlerhaft. 
Die Systeme fürs digitale Rechte- beziehungsweise 
Restriktionsmanagement (DRM), auf deren universellen Einsatz die 
Bemühungen der Labels und der Studios allenthalben abzielen, gefährden 
die gesamtgesellschaftliche Innovation und das Wissensreservoir der 
Menschheit, unterwandern den Wettbewerb, verteuern Inhalte, vergraulen 
Verbraucher und bürden die Kosten für scheiternde Business- und 
Marketingmodelle der Hightech-Industrie auf. Das ist der Tenor eines 
Reports des  Committee for Economic Development [1], einem liberalen 
Think Tank an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik in 
Washington. 

Das Ächzen und Stöhnen im System des geistigen Eigentums ist bereits 
seit längerem zu vernehmen (  Ächzen und Stöhnen im System des 
"geistigen Eigentums" [2]). Bisher kam die Kritik an den Auswüchsen des 
Copyright-Regimes vor allem aus linken Polit-Zirkeln, aus dem 
Open-Source-Lager oder aus der Wissenschaft. Mit dem Digital 
Connections Council des Committee for Economic Development (CED) greift 
nun erstmals eine liberale Denkfabrik der US-Wirtschaft in die 
Grabenkämpfe um das Klonen digitaler Inhalte mithilfe von Computer, 
Internet und Tauschbörsen ein. Und dies vehement: Liest man den 
100-seitigen Bericht  Promoting innovation in the on-line world: the 
problem of digital intellectual property [3] aufmerksam durch, kann man 
sich nicht des Eindrucks erwehren, dass es sich dabei um eine 
substanzielle Abrechnung mit den Verschluss- und Verfolgungsstrategien 
der Content-Industrien und der von ihnen gekauften Politiker handelt. 

Die Autoren des Reports, der unter der Leitung der CED-Analysten Elliot 
Maxwell und Susan Crawford sowie des IBM-Forschungsleiters  Paul 
Horn [4] entstand, zeigen den Datenherren deutlich die orangerote 
Karte. Der Versuch der Rechteindustrie, das Rad der Zeit unter großem 
Gejammer über sinkende Margen zurückzudrehen und den Geist der sich im 
Handumdrehen selbst vermehrenden Bits und Bytes wieder in die Flasche 
einzusperren (  Ende des Internet? [5]), zerstört ihrer Ansicht nach 
die langfristigen Wachstumschancen der Wirtschaft. 

Moratorium bei der Copyright-Gesetzgebung gefordert 

Die Politik fordern sie daher mit Nachdruck auf, zwei Jahre lang von 
weiteren Verschärfungen des Urheberrechts sowie der Sanktionierung 
technischer Kopierschutzmaßnahmen Abstand zu nehmen. Das Moratorium 
sollte ihnen zufolge genutzt werden, um eine offene Debatte über die 
aus dem Lot geratene Balance zwischen Verwerter- und Nutzerrechten zu 
führen. Ziel ist es letztlich, Korrekturmaßnahmen einzuleiten. 

Ausgehend vom "digitalen Dilemma", demnach dieselben 
Computertechnologien, die das Erstellen und Verbreiten digitaler 
Inhalte erlauben, auch zur Zugangsbehinderung und zur Kontrolle genutzt 
werden können, begutachten die Verfasser des Berichts die im Raum 
stehenden Vorschläge zur Verhinderung von Urheberrechtsmissbräuchen. 
Dabei gehen sie beispielsweise auf umstrittene und deshalb momentan 
nicht mehr aktiv verfolgte Gesetzesvorhaben wie den Hollings-Act ein, 
demnach nur noch elektronische Geräte mit eingebauten - und notfalls 
von der Regierung entwickelten - Kopierschutzstandards verkauft werden 
dürften. 

In eine ähnliche Richtung zielen die im November verabschiedeten 
Richtlinien der amerikanischen Telekommunikationsregulierungsbehörde 
 FCC [6] (Federal Communications Commission), denen zufolge digitale 
TV-Empfangsgeräte ab 2005 so genannte  Broadcast Flags [7] lesen können 
müssen. Die Markierungen bestehen aus einer Art Wasserzeichen. Derlei 
Kopierschutzmerkmale sollen Aufschluss über die Herkunft von Inhalten 
geben und das Abspielen nicht-autorisierter, etwa aus dem Netz 
gefischter Sendungen verhindern. Letztlich laufen all die Bemühungen 
zusammen in den Bestrebungen der Rechteindustrie, Werke aus Bits und 
Bytes mithilfe von Systemen zum digitalen Rechtemanagement (DRM) zu 
kontrollieren. 

Innovation im Keim erstickt 

Die Forscher haben die ins Spiel gebrachten Anti-Pirateriemittel im 
zweiten Schritt anhand von drei Fragekomplexen beurteilt: Fördern sie 
die Innovation? Wie beeinflussen sie das Wachstum der 
Hightech-Industrie? Und welchen Einfluss haben sie auf die Public 
Domain, also auf die Sphäre der frei verfügbaren Inhalte? Die 
Auswirkungen auf diese drei Bereiche sehen sie insgesamt als verheerend 
an, was sie im Einzelnen ausführlich begründen. 

So erläutert der Bericht etwa, dass all die regulatorischen Bemühungen 
Folge-Innovationen im Keim schier ersticken würden. Beim Thema der für 
eine Volkswirtschaft wichtigen Innovationskraft halten es die Autoren 
mit Isaac Newton und seinem Bekenntnis, nur "auf den Schultern von 
Riesen" neue Einsichten gewonnen zu haben. Jeder Erfinder ist demnach 
eingebettet in einen ständigen Kreislauf von Ideen anderer Erfinder und 
kann nur aufbauend auf dieses "Sampling" selbst erfolgreich sein und 
kreative Pfade einschlagen. Wichtig sei daher die schon angesprochene 
Balance zwischen dem kurzzeitigen Schutz echter Erfindungen und 
geistiger Schöpfungen auf der einen Seite sowie dem frei zirkulierenden 
Ideenpool in der Public Domain. 

Schon die bestehenden Gesetzeswerke greifen nun tief in diesen 
innovationsfördernden Austausch und in die von den Nutzern selbst 
vorangetriebenen Produktverbesserungen ein, klagt der Bericht. So habe 
der Digital Millennium Copyright Act (DMCA), das Pendant zur 
EU-Urheberrechtsrichtlinie und der daraus entstandenen einschlägigen 
Gesetzesreform in Deutschland (  Lex Bertelsmann in der 
Zielgeraden [8]), die Forschung und den Wettbewerb eingeschränkt sowie 
die Content-Industrien zu den Gatekeepern über die Einführung neuer 
(Schutz)-Technologien bestellt (also den Bock zum Gärtner gemacht). 
Beispiele finden die Autoren etwa in Streitigkeiten wie dem zwischen 
dem Druckerkrösus Lexmark und Konkurrenten auf dem  Markt für 
Nachfüllpatronen [9] oder den herbeigeklagten 
 Interoperabilitätsproblemen mit Gartentoröffnern [10]. Dass die 
Datenherren gerade Sicherheitsforscher wie  Sklyaroff [11] aufgrund von 
vermuteter DMCA-Verletzungen auf dem Kicker hatten, entbehre aber nicht 
einer gewissen Ironie. Schließlich könnten so auch Techniken zur 
Absicherung von Inhalten behindert werden. 

Besonders hart zu Gericht gehen die CED-Forscher jedoch mit den sich 
breit machenden DRM-Systemen. Diese wären zwar mittelfristig auf 
technischer Ebene zum Scheitern verurteilt, schließen sie sich dem 
Grundgedanken des "Darknet"-Papers aus den Untiefen der 
Microsoft-Forschungsstätten an (  Microsoft-Forscher: Gegen 
Tauschbörsen hilft kein DRM [12]). Schon eine einzige erfolgreiche 
Attacke könne schließlich in Software gegossen und damit auch 
interessierten Laien zugänglich gemacht werden. Außerdem würden die 
technisch komplexen und einen hohen Support-Bedarf nach sich ziehenden 
Kontrolltechniken naturgemäß die Kosten des Gesamtsystems erhöhen und 
Haftungsfragen angesichts der anfallenden immensen Nutzerdaten und der 
damit wahrscheinlichen Datenschutzverletzungen aufwerfen. 

Unzumutbare Normen in Nutzerlizenzen 

Auf dem Weg zum Scheiterhaufen könnten DRM-Systeme allerdings noch 
gravierende Schäden verursachen, warnen die Verfasser des Reports. Da 
die mit ihrer Hilfe "geschützten" Inhalte meist mit sehr restriktiven 
Lizenzen verknüpft würden, könnten sie die bestehenden Schrankenrechte 
zugunsten der Nutzer einfach aushebeln. Mit einem Klick seien die 
Datenherren imstande, die Verbraucher Lizenzvereinbarungen absegnen zu 
lassen, mit denen sie "unzumutbare Normen" etablieren könnten. Kritik 
oder Parodien etwa würden sich Firmen auf diesem Wege genauso verbieten 
wie etwa das heute noch mögliche Ausleihen von (analogen) Werken in 
Bibliotheken. 

Starke Bedenken äußern die Analysten zudem an der sich abzeichnenden 
Kastration des Universalcomputers und offener Technikplattformen 
allgemein. Dabei kommen sie kurz auch auf die 
"Selbstkontrollmechanismen" der Computerindustrie im Rahmen der Trusted 
Computing Platform Alliance (TCPA) zu sprechen (  Kontrolliertes 
Vertrauen [13]). Derlei Vorstöße von privater Seite seien bisher unter 
weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt, kritisieren sie die 
Versuche zur DRM-Einführung durch die Hintertür. Das ist erstaunlich, 
da IBM bislang zu den Zugpferden der "Vertrauensoffensive" zählte, nun 
ein Forschungschef von Big Blue aber von den Bemühungen ein Stück weit 
mit abrückt. 

Schon eher verständlich ist, dass der Bericht auch ganz offiziell die 
Argumentation der Free-Software-Bewegung stützt, wonach sich Open 
Source und DRM letztlich  ausschließen [14]. Gesetzliche Erfordernisse 
wie das Einfügen von Broadcast Flags "sind eine Antithese zu 
Open-Source-Software", lässt sich da nachlesen. Die offenen Quellcodes 
seien gemäß der entsprechenden Lizenzen schließlich gerade dafür da, um 
an ihnen herumzubasteln und dabei auch Kopierschutztechniken zu 
umgehen. Dies werde von den meisten der untersuchten rechtlichen und 
technischen Vorschläge jedoch glatt unterschlagen, obwohl freie 
Software doch eine "zunehmend wichtige Quelle für Innovation" 
darstelle. 

Nicht fehlen darf in einer von einem IBM-Forscher mitbetreuten Studie 
zudem der empörte Hinweis, dass die Politik und die Datenherren mit 
ihren ganzen DRM-Bestrebungen die Kosten für den Schutz von Inhalten 
der Computer- und Heimelektronikindustrie sowie den Netzprovidern und 
damit letztlich den Konsumenten aufbürden. Millionen digitaler Geräte 
müssten schließlich ganz neu auf die DRM-Systeme aufgerüstet werden. 
Dies sei eine Gefahr für "einen der wichtigsten Sektor der 
US-Wirtschaft". So wundern sich die Autoren denn auch, dass sich 
anscheinend alles um die Belange einer Inhalteindustrie drehe, obwohl 
im Jahr 2001 Computerverkaufsumsätze in Höhe von 429 Milliarden 
US-Dollar Umsätze der Filmstudios in Höhe von nur 69 Milliarden 
gegenüberstanden. 

Die Schlussbitte der CED-Vordenker lautet, dass die Politiker doch 
davon absehen sollten, gewisse Geschäftsmodelle zu schützen, statt 
Anreize für die Entwicklung neuer Vermarktungs- und Vertriebswege zu 
liefern, obwohl diese das Internet gerade in Reinkultur biete. Die 
Wirtschaft hänge schließlich nicht von einzelnen Distributionswegen und 
speziellen Ausformungen von Industrien wie dem Verlagshaus ab, sondern 
von den kreativ anregenden Werken von Autoren. Einen Ausweg aus dem 
digitalen Dilemma könne neben dem Experimentieren mit 
verbraucherfreundlichen Light-Versionen von DRM-Systemen während des 
vorgeschlagenen Moratoriums auch die Einberufung einer neuen 
kollektiven Rechtevertretung oder Verwertungsgesellschaft sein, die 
Zahlungen der Downloader an die Künstler verteile. 

Links 

[1] http://www.ced.org/
[2] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/16000/1.html
[3] http://www.ced.org/docs/report/report_dcc.pdf
[4] http://www.research.ibm.com/about/pmhorn.shtml
[5] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ende/16631/1.html
[6] http://www.fcc.gov
[7] http://www.heise.de/newsticker/meldung/41719
[8] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/14573/1.html
[9] http://www.heise.de/newsticker/meldung/41549
[10] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/15659/1.html
[11] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/13813/1.html
[12] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/13662/1.html
[13] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/15451/1.html
[14] http://www.heise.de/newsticker/data/ghi-31.01.04-001/

Telepolis Artikel-URL: 
http://www.telepolis.de/deutsch/special/copy/16870/1.html 

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