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[ox] Artikel in iso-8859-15 (was: Re: utf-8)



Da es einige Nachfragen gab, hier nochmal downgesized auf iso-8859-15:

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Stefan Meretz

What's copyleft?

Ein juristischer "Hack" - genannt "copyleft" - bringt den Widerspruch auf
den Punkt: Reichtum muss nicht Wertform annehmen. Was steckt dahinter?

Copyleft, der Name deutet es schon an, ist eine rechtförmige Subversion
der ursprünglichen Intention des Copyrights bzw. des Urheberrechts - mehr
dazu unten. Zunächst sei erklärt, wie Copyright und Urheberrecht
"funktionieren".

Copyright und Urheberrecht dienen dazu, dem Urheber einer "geistigen
Schöpfung" die ausschließlichen Verfügungsrechte über das Werk zu
sichern. Während das angloamerikanische Copyright personal vollständig
übertragen und also auch gehandelt werden kann, ist das
kontinentaleuropäische Urheberrecht "naturalrechtlich" bestimmt: Es kommt
dem Urheber eines Werkes qua Natur des Schöpfungsaktes zu, ohne dass es
besonders reklamiert werden muss. Es "klebt" gewissermaßen an der Person.

Auf dem Verfügungsrecht des Urhebers baut die Möglichkeit auf, die Art
der Nutzung des Produkts zu bestimmen: Es kann als Public Domain (nicht
zu verwechseln mit Copyleft!) der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt 
oder einer kommerziellen Verwertung zugeführt werden. Kurz: Copyright
und Urheberrecht sorgen dafür, dass Immaterialgüter knapp bleiben, um
ihre Warenform aufrechterhalten zu können. Diese Art der Knappheit ist
nicht "stofflich" bestimmt, sondern einzig rechtsförmig erzeugt. Der
Warenfetisch lässt grüßen.

Nun fiel diese besondere Rechtswirkung, etwas knapp zu machen, das
reichlich vorhanden ist, über einige Jahrhunderte nicht sonderlich auf.
Der Grund dafür ist die untrennbare stoffliche Verbindung von unknappem
Immaterial- und knappem Materialgut, von geistiger Schöpfung und seinem
Träger. Der Roman ist verlässlich mit seinem physischen Träger, dem Buch,
verbunden. Zwar wurden (und werden) auch immer wieder Raubdrucke
hergestellt, doch ist diese Produktion an die Verfügung über teure
Produktionsmittel gebunden und erfordert den Einsatz stets neuen (Roh-)
Stoffs.

Heute hingegen steht das Universal-Produktionsmittel sui generis, der
Computer, auf den meisten Schreibtischen. Die "Produktion", die Kopie,
geschieht auf Mausklick zu marginalen Transaktionskosten. Überhaupt ist,
bei Lichte betrachtet, der Computer und sein Universalnetz eine
einzigartige riesige Kopiermaschine. Ein einziger Klick auf eine Link zu
einer Webseite löst eine Kaskade von Kopieraktionen: von der Festplatte
des Webservers in den Arbeitsspeicher zum Router zum nächsten Router usw.
in den Arbeitsspeicher des eigenen PC in die Grafikkarte auf den Monitor
- mit noch einigen staatlichen Datensammelpuffern mittendrin. Jede dieser
Kopien bedroht die Warenform! Alle Anstrengungen von DRM (digital rights
management) bis TCPA (trusted computing platform alliance) versuchen die
Schwachstelle in der Kopierkette - der individuelle PC - unter Kontrolle
zu bekommen. Es wird nicht gelingen.

Copyleft nutzt die exklusiven Verfügungsmöglichkeiten und verfügt: Alle
sollen über das Gut verfügen und niemand soll ausgeschlossen werden: Die
Exklusion wird exklusiv exkludiert[1]. Es wahrhaft genialer Hack! Dieser
lässt sich immanent nicht aushebeln ohne das Fundament der exklusiven
Verfügung in Frage zu stellen. So bleibt der Versuch, das Copyleft über
andere Ebenen anzugreifen ("Copyleft ist unamerikanisch"). Es schien
einfach undenkbar, dass das wohlformierte Warensubjekt jemals auf die
Idee käme, einfach seine Leistung zu "verschenken".

Copyleft bedeutet, Reichtum zu produzieren, der keine Wertform annehmen
muss. Damit wurde ein Türchen zu einer neuen Welt aufgestoßen. In dieser
neuen Welt gelten die Regeln der Warengesellschaft nicht mehr. Völlig
neue menschliche Beziehungen und eine neue Form der gesellschaftlichen
Vermittlung löst die überholten und nurmehr destruktiven Formen ab, was
wir heute jedoch erst erahnen können. Doch die Ahnungen und Keimformen
einer Produktionsweise jenseits der Warenform sind da, und das Copyleft
bildet den Schutzraum im Alten vergleichbar den von Mauern umgebenen
Städten im dominanten Feudalismus des späten Mittelalters.

Drei Widersprüche treiben die Entwicklung voran:
1. Allgemeines Wissen vs. Warenform: Jede Exklusivierung von Wissen
behindert die Generierung von neuem Wissen, doch nur wer schneller neues
Wissen generiert, überlebt im Konkurrenzkampf. Jede Freigabe von Wissen
generiert neues Wissen, das aber nicht mehr knapp ist und sich damit der
Warenform entzieht.
2. Selbstentfaltung vs. Selbstverwertung: Selbstentfaltung unter
wertfreien Bedingungen und Selbstverwertung unter warenförmigen
Bedingungen sind antagonistische Paradigmen. Produktivkraftentwicklung
braucht heute die Selbstentfaltung der Menschen - je stärker sie diese in
der Konkurrenz zulassen muss, umso mehr unterminiert sie ihre eigene
Warenform.
3. Reichtum vs. Wertform: Umso erfolgreicher Arbeit zur Abschaffung von
Arbeit eingesetzt wird, desto schneller schwindet die Wertsubstanz - und
umso größer wird der geschaffene stoffliche Reichtum. Immer weniger kann
stofflicher Reichtum Wertform annehmen.

Copyleft wirkt objektiv für die Verallgemeinerung des Wissens, für die
Ausweitung Selbstentfaltung und für die Schaffung stofflichen Reichtums
jenseits der Wertform. Dennoch gibt es keine Garantie, dass sich die
freien Tendenzen gegen das Empire durchsetzen. Es geschieht nicht, es ist
zu tun.

Fußnoten:
[1] Praktisch funktioniert das Copyleft so: Ich muss die Lizenz, der das
Gut untersteht, akzeptieren, um es zu nutzen (Vertrag). In der Lizenz ist
verfügt, dass das Gut nicht wieder exklusiviert und die Lizenz bei (auch
veränderter) Weitergabe nicht geändert werden darf: Die Eigenschaft der
Freiheit vererbt sich wie ein "Virus". Die bekannteste Copyleft-Lizenz
für Software ist die GNU General Public License (GPL). Inzwischen gibt es
Copyleft-Lizenzen für nahezu jede Immaterialgutform.


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