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[ox] Artikelentwurf "What's copyleft?"



Hi all,

nachfolgend ein Entwurf für einen Artikel zur [ox3] in den Streifzügen 
(http://www.streifzuege.org). Anmerkungen willkommen. Steht auch im 
ox-Wiki: http://de.wiki.oekonux.org.uk/What's_copyleft%3F

Ciao,
Stefan

- - - - - - - - -

Stefan Meretz

What’s copyleft?

Ein juristischer "Hack" – genannt "copyleft" - bringt den Widerspruch auf 
den Punkt: Reichtum muss nicht Wertform annehmen. Was steckt dahinter?

Copyleft, der Name deutet es schon an, ist eine rechtförmige Subversion 
der ursprünglichen Intention des Copyrights bzw. des Urheberrechts – mehr 
dazu unten. Zunächst sei erklärt, wie Copyright und Urheberrecht 
"funktionieren".

Copyright und Urheberrecht dienen dazu, dem Urheber einer "geistigen 
Schöpfung" die ausschließlichen Verfügungsrechte über das Werk zu 
sichern. Während das angloamerikanische Copyright personal vollständig 
übertragen und also auch gehandelt werden kann, ist das 
kontinentaleuropäische Urheberrecht "naturalrechtlich" bestimmt: Es kommt 
dem Urheber eines Werkes qua Natur des Schöpfungsaktes zu, ohne dass es 
besonders reklamiert werden muss. Es "klebt" gewissermaßen an der Person.

Auf dem Verfügungsrecht des Urhebers baut die Möglichkeit auf, die Art der 
Nutzung des Produkts zu bestimmen: Es kann als Public Domain (nicht zu 
verwechseln mit Copyleft!) der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt  oder 
einer kommerziellen Verwertung zugeführt werden. Kurz: Copyright und 
Urheberrecht sorgen dafür, dass Immaterialgüter knapp bleiben, um ihre 
Warenform aufrechterhalten zu können. Diese Art der Knappheit ist nicht 
"stofflich" bestimmt, sondern einzig rechtsförmig erzeugt. Der 
Warenfetisch lässt grüßen.

Nun fiel diese besondere Rechtswirkung, etwas knapp zu machen, das 
reichlich vorhanden ist, über einige Jahrhunderte nicht sonderlich auf. 
Der Grund dafür ist die untrennbare stoffliche Verbindung von unknappem 
Immaterial- und knappem Materialgut, von geistiger Schöpfung und seinem 
Träger. Der Roman ist verlässlich mit seinem physischen Träger, dem Buch, 
verbunden. Zwar wurden (und werden) auch immer wieder Raubdrucke 
hergestellt, doch ist diese Produktion an die Verfügung über teure 
Produktionsmittel gebunden und erfordert den Einsatz stets neuen (Roh-) 
Stoffs.

Heute hingegen steht das Universal-Produktionsmittel sui generis, der 
Computer, auf den meisten Schreibtischen. Die "Produktion", die Kopie, 
geschieht auf Mausklick zu marginalen Transaktionskosten. Überhaupt ist, 
bei Lichte betrachtet, der Computer und sein Universalnetz eine 
einzigartige riesige Kopiermaschine. Ein einziger Klick auf eine Link zu 
einer Webseite löst eine Kaskade von Kopieraktionen: von der Festplatte 
des Webservers in den Arbeitsspeicher zum Router zum nächsten Router usw. 
in den Arbeitsspeicher des eigenen PC in die Grafikkarte auf den Monitor 
– mit noch einigen staatlichen Datensammelpuffern mittendrin. Jede dieser 
Kopien bedroht die Warenform! Alle Anstrengungen von DRM (digital rights 
management) bis TCPA (trusted computing platform alliance) versuchen die 
Schwachstelle in der Kopierkette – der individuelle PC – unter Kontrolle 
zu bekommen. Es wird nicht gelingen.

Copyleft nutzt die exklusiven Verfügungsmöglichkeiten und verfügt: Alle 
sollen über das Gut verfügen und niemand soll ausgeschlossen werden: Die 
Exklusion wird exklusiv exkludiert[1]. Es wahrhaft genialer Hack! Dieser 
lässt sich immanent nicht aushebeln ohne das Fundament der exklusiven 
Verfügung in Frage zu stellen. So bleibt der Versuch, das Copyleft über 
andere Ebenen anzugreifen ("Copyleft ist unamerikanisch"). Es schien 
einfach undenkbar, dass das wohlformierte Warensubjekt jemals auf die 
Idee käme, einfach seine Leistung zu "verschenken". 

Copyleft bedeutet, Reichtum zu produzieren, der keine Wertform annehmen 
muss. Damit wurde ein Türchen zu einer neuen Welt aufgestoßen. In dieser 
neuen Welt gelten die Regeln der Warengesellschaft nicht mehr. Völlig 
neue menschliche Beziehungen und eine neue Form der gesellschaftlichen 
Vermittlung löst die überholten und nurmehr destruktiven Formen ab, was 
wir heute jedoch erst erahnen können. Doch die Ahnungen und Keimformen 
einer Produktionsweise jenseits der Warenform sind da, und das Copyleft 
bildet den Schutzraum im Alten vergleichbar den von Mauern umgebenen 
Städten im dominanten Feudalismus des späten Mittelalters.

Drei Widersprüche treiben die Entwicklung voran:
1. Allgemeines Wissen vs. Warenform: Jede Exklusivierung von Wissen 
behindert die Generierung von neuem Wissen, doch nur wer schneller neues 
Wissen generiert, überlebt im Konkurrenzkampf. Jede Freigabe von Wissen 
generiert neues Wissen, das aber nicht mehr knapp ist und sich damit der 
Warenform entzieht.
2. Selbstentfaltung vs. Selbstverwertung: Selbstentfaltung unter 
wertfreien Bedingungen und Selbstverwertung unter warenförmigen 
Bedingungen sind antagonistische Paradigmen. Produktivkraftentwicklung 
braucht heute die Selbstentfaltung der Menschen – je stärker sie diese in 
der Konkurrenz zulassen muss, umso mehr unterminiert sie ihre eigene 
Warenform.
3. Reichtum vs. Wertform: Umso erfolgreicher Arbeit zur Abschaffung von 
Arbeit eingesetzt wird, desto schneller schwindet die Wertsubstanz – und 
umso größer wird der geschaffene stoffliche Reichtum. Immer weniger kann 
stofflicher Reichtum Wertform annehmen.

Copyleft wirkt objektiv für die Verallgemeinerung des Wissens, für die 
Ausweitung Selbstentfaltung und für die Schaffung stofflichen Reichtums 
jenseits der Wertform. Dennoch gibt es keine Garantie, dass sich die 
freien Tendenzen gegen das Empire durchsetzen. Es geschieht nicht, es ist 
zu tun.

Fußnoten:
[1] Praktisch funktioniert das Copyleft so: Ich muss die Lizenz, der das 
Gut untersteht, akzeptieren, um es zu nutzen (Vertrag). In der Lizenz ist 
verfügt, dass das Gut nicht wieder exklusiviert und die Lizenz bei (auch 
veränderter) Weitergabe nicht geändert werden darf: Die Eigenschaft der 
Freiheit vererbt sich wie ein "Virus". Die bekannteste Copyleft-Lizenz 
für Software ist die GNU General Public License (GPL). Inzwischen gibt es 
Copyleft-Lizenzen für nahezu jede Immaterialgutform.


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