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[ox] TELEPOLIS: Aechzen und Stoehnen im System des "geis...



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von Stefan Merten <smerten oekonux.de> gesandt.

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Im letzten inhaltlichen Absatz würde ich ja "Basisrecht der 
Informationsgesellschaft" durch "Basisunrecht der 
Informationsgesellschaft" ersetzen ;-) .

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Ächzen und Stöhnen im System des "geistigen Eigentums"

Stefan Krempl   03.11.2003 

Auf dem Weltgipfel der Informationsgesellschaft spielt das zum 
Verwerterrecht entartete Copyright eine wichtige Rolle - doch ist das 
Urheberrechtsregime überhaupt reformierbar? 

Man hört die These immer öfter: Das Urheberrecht, das einst zum Wohle 
der Allgemeinheit und zur Stärkung der Informationsfreiheit der Bürger 
ins Leben gerufen wurde, behindert nach seinen Reformen durch die 
industriehörige Politik verstärkt den Zugang zum Wissen. Der im 
Dezember anstehende Weltgipfel zur Informationsgesellschaft böte da die 
Chance, das heikler werdende Thema Copyright gründlich neu aufzurollen. 
Doch die Meinungen laufen weit auseinander: Während die 
Medienwirtschaft den im Westen erreichten Status quo verteidigt und auf 
die ganze Welt ausdehnen will, plädieren Forscher teils für eine 
systemimmanente Wiederherstellung der Interessensbalance und teils für 
einen Einriss des gesamten Systems. 

Die allgemeinem Vorgaben zum World Summit on the Information Society ( 
 WSIS [1]) sind genauso hehr wie schwammig: Auf dem Weltgipfel, dessen 
erste Runde in Genf Mitte Dezember rasch näher rückt, sollen globale 
Prinzipien für eine Informationsgesellschaft festgezurrt werden, die 
allen Menschen offen steht und "nachhaltig" ist. Man werde "mit vollem 
Engagement" daran gehen, die "digitale Kluft" zwischen armen und 
reichen Ländern in eine "digitale Chance" für alle umzuwandeln, heißt 
es etwa in dem ersten  Entwurf für die Gipfelerklärung [2]. Das so 
genannte "Non-Paper" ergeht sich in allerlei weiteren Floskeln, mit 
deren Hilfe die Segnungen der Informations- und Kommunikationstechniken 
der gesamten Menschheit zugute kommen sollen. 

Nicht fehlen darf da unter dem Punkt "Umfeldbedingungen" ("enabling 
environment") der Hinweis auf das Urheberrecht, das generell im Sinne 
seiner Erfinder ja den Zugang zu Informationen und zum Wissen sichern 
soll. Der entsprechende Paragraph 38 liest sich jedoch so, als ob er 
aus dem Standardbuch des Lobbyisten der Medienindustrie abgepinnt 
worden wäre: 

 Der Schutz geistigen Eigentums ist essenziell, um die Innovation und 
die Kreativität in der Informationsgesellschaft zu befördern.   

Zwar geht das Non-Paper im weiteren noch darauf ein, dass eine "faire 
Balance" zwischen den Schutzmechanismen für die Verwerter und der 
Nutzung sowie des Austauschs des Wissens gefunden werden müsse. Doch 
der inhaltlichen WSIS-Arbeitsgruppe der berühmt-berüchtigten 
 Zivilgesellschaft [3] erscheint schon der Ansatz der Klausel verfehlt. 

"Geistiges Eigentum", heißt es in ihren  Kommentaren [4] zu dem 
schüchternen Deklarationsentwurf, "ist ein relativ junges, von der 
Industrie vorangetriebenes Konzept." Es unterstelle, dass außer den 
Verwertern niemand Rechte an kreativ-künstlerischen Werken habe. Der 
beanstandete Paragraph sei daher durch eine Formulierung zu ersetzen, 
der zufolge das menschliche Wissen als "Erbe und Eigentum der 
Menschheit" und als "Reservoir neuer Wissenserschaffung" gelten soll. 

Todeszuckungen der Musikindustrie 

Die Klausel mag insgesamt unscheinbar wirken. Doch es geht um die 
Verbreitung von Informationen und Wissen und somit um die Basis der 
künftigen Wissensgesellschaften. Wie umstritten das ganze Terrain ist, 
zeigte sich auf der Tagung  Gipfel ohne Vision [5], zu der die grüne 
 Heinrich-Böll-Stiftung [6] am Samstag nach Berlin geladen hatte (s.a. 
 Alternative Gipfelerklärung zur Infogesellschaft geplant [7]). 

Prinzipiell sei es mit der Digitalisierung möglich geworden, erklärte 
Georg Greve, Präsident der  Free Software Foundation Europe [8], Inhalt 
und Medium voneinander zu trennen und dadurch dezentrale Vertriebswege 
zu beschreiten. Letztlich würden die Verwerter nicht mehr gebraucht, da 
jeder sein eigener Verleger sein könne. Doch die Rechteindustrie habe 
es bislang dank eines komplexen Überwachungssystems geschafft, 
Informationen weiter künstlich zu kanalisieren und zu kontrollieren. 
Das zeige sich gesellschaftlich in der Verbreitung von Begriffen wie 
"Raubkopien" oder "Software-Piraterie", technisch im "Digital 
Restrictions Management" (DRM) und rechtlich in den WIPO-Vereinbarungen 
und den darauf basierenden, DRM rechtlich absichernden 
Urheberrechtsgesetzen. 

Dieses Regime des "geistigen Eigentums" kann sich laut Greve jedoch 
nicht mehr lange halten: "Die Todeszuckungen der Musikindustrie müssen 
wir noch ertragen", glaubt der Advokat der freien Softwarebewegung, 
deren Verständnis von Urheberrecht seiner Ansicht zu den Wurzeln des 
Begriffs in der französischen Revolution und der amerikanischen 
Verfassung zurückkehrt. 

Das Copyright-System am Rande der Implosion 

Auch für Bernd Lutterbeck,  Professor für Informatik und 
Gesellschaft [9] an der TU Berlin, hat das überkommene System der 
staatlichen Monopole rund um Patente und des ausgefransten 
Urheberrechts im Bereich der "Informationsökonomien" keine Bedeutung 
mehr. Es gelte, so der gelernte Jurist, "die Implosion des Systems an 
gewissen strategischen Punkten zu beschleunigen". Gleichzeitig müssten 
die Bemühungen beschleunigt werden, eine alternative Wissensallmende 
aufzubauen. 

Begründen lässt sich der Kampf gegen das "Intellectual Property"-System 
laut Lutterbeck mit ökonomischen Argumenten. Innovationen beruhen 
seiner Meinung nach längst nicht mehr darauf, dass Unternehmen ihr 
Wissen und ihre Techniken dank staatlicher Schutzrechte geheim halten 
können. Im Gegenteil: "Sie finden statt, weil Konsumenten und Nutzer 
Produkte weiter entwickeln." 

Natürlich hat Lutterbeck dabei vor allem die Welt der freien Software 
und des offenen Quellcodes vor Augen. Deren Prinzipien seien aber 
verstärkt allgemein ökonomisch gültig, wie beispielsweise Schweizer 
Wirtschaftswissenschaftler wie  Ernst Fehr [10] oder  Bruno Frey [11] 
belegt hätten. Ein Unternehmen, so der Berliner Professor, könne nur 
noch dann auf Gewinne hoffen, wenn "der Nutzer Zugriff auf das Wissen 
der Firma hat". Das Bestehen auf den "Property Rights" führe dagegen 
zum "ökonomischen Niedergang". 

Die Privatkopie muss sterben, um das System zu retten 

Ganz so weit wollte Christophe Geiger, wissenschaftlicher Mitarbeiter 
am  Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum [12] in München, dann 
doch nicht mitgehen. Auch er kam zwar zu der Diagnose, dass das 
Gleichgewicht zwischen Urhebern, Verwertern und der Gesellschaft 
dringend wieder herzustellen sei. "Aber dafür muss man nicht das 
gesamte System über Bord werfen." Sein Rettungsvorschlag: die 
Rechtsnatur der Schranken für die Verwertungsansprüche der Produzenten 
sollen gestärkt und von "vagen Interessen der Allgemeinheit" in "echte 
Rechte" für die Nutzer umgestaltet werden. 

Ein wenig Opferbereitschaft müssen die Liebhaber digitaler Werke auf 
dem Weg dahin aber zeigen, glaubt Geiger: "Nicht alle Privilegien 
können gehalten werden." Am ehesten eine Trennung vorstellen kann sich 
der Jurist dabei just bei der besonders hart  umkämpften [13] Schranke 
der Privatkopie - zumindest, was das bei File-Sharern beliebte 
Downloaden "Hunderter von Songs" angehe. Für die eigene Zunft fordert 
Geiger dagegen den "uneingeschränkten Zugang zu wissenschaftlichen 
Artikeln" und damit natürlich auch das Recht auf die Privatkopie. 

Die Debatte zeigt, wie verworren und absurd der Streit um das 
Basisrecht der Informationsgesellschaft längst geworden ist. Mit 
letztlich eigennützigen Vorschlägen wird sich jedenfalls die 
eingeforderte "soziale Akzeptanz" für das Urheberrecht wohl kaum 
steigern lassen. Und es zeichnet sich ab, dass auch im Rahmen des WSIS 
die Chance verspielt wird, das Copyright-System an die digitale 
Gesellschaft anzupassen. 

Von  Stefan Krempl [14] erscheint Ende November das 
 Telepolis-Buch [15] "Krieg und Internet: Ausweg aus der Propaganda?" 
im Verlag Heinz Heise. Der Autor hat dazu das Weblog  Der 
Spindoktor [16] eingerichtet. 

Links 

[1] http://www.itu.int/wsis
[2] 
http://www.itu.int/wsis/documents/doc_multi.asp?lang=en&id=1031%7C1033
[3] http://www.wsis-cs.org/
[4] 
http://www.worldsummit2003.de/download_en/comments-on-nonpaper-30-10-200
3-final.rtf
[5] http://www.worldsummit2003.de/de/web/494.htm
[6] http://www.boell.de/
[7] http://www.heise.de/newsticker/data/se-02.11.03-002/
[8] http://www.fsfeurope.org/
[9] http://ig.cs.tu-berlin.de/
[10] http://www.iew.unizh.ch/home/fehr/
[11] http://www.iew.unizh.ch/grp/frey/
[12] http://www.ip.mpg.de/Enhanced/Deutsch/Homepage.HTM
[13] http://www.heise.de/newsticker/data/sha-16.09.03-000/
[14] http://viadrina.euv-frankfurt-o.de/~sk/
[15] http://www.dpunkt.de/buch/3-936931-09-7.html
[16] http://www.spindoktor.de/

Telepolis Artikel-URL: 
http://www.telepolis.de/deutsch/special/copy/16000/1.html 

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