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[ox] NZZ Online: Zur Ökonomie von Gratissoftware



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Diesen Artikel aus NZZ Online, der Website der Neuen Zürcher Zeitung, 
sendet Ihnen Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
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23. September 2003, 02:14, Neue Zürcher Zeitung


Zur Ökonomie von Gratissoftware 

Open-Source-Software stellt für die Managementforschung 
ein Rätsel dar 

Open Source - noch vor einigen Jahren nur 
Insidern der IT-Branche ein Begriff - ist 
in der letzten Zeit in die Schlagzeilen geraten. 
Open-Source-Software begleitet uns täglich 
- oft unbemerkt - etwa beim Versenden eines 
E-Mails oder beim Surfen im Internet. Die 
Programme scheinen wie aus dem Nichts zu 
entstehen, entwickelt von Tausenden von Programmierern 
rund um den Globus, die zum grössten Teil 
in ihrer Freizeit und unbezahlt arbeiten 
und die für ihre Beiträge keine Eigentumsrechte 
anmelden. 

Der Erfolg von Open-Source-Software stellt 
für die Managementforschung ein Rätsel dar. 
Die Programme scheinen wie aus dem Nichts 
zu entstehen, entwickelt von Tausenden von 
Programmierern rund um den Globus, die zum 
grössten Teil in ihrer Freizeit und unbezahlt 
arbeiten und die für ihre Beiträge keine 
patentrechtlich oder anderswie geschützten 
Eigentumsrechte anmelden können. Das ist 
für die traditionelle Lehre unerklärlich, 
glaubt sie doch, dass Innovationen umso mehr 
gefördert werden, je stärker sie durch private 
intellektuelle Eigentumsrechte (Patente oder 
Lizenzen) geschützt werden. Anders könnten 
keine Gewinne aus den Investitionen abgeschöpft 
werden. 

Zurück zu den Quellen 

Was ist genau Open Source? Open Source ist 
ein Sammelbegriff für verschiedene Softwarelizenzen. 
Gemeinsam ist ihnen, dass jeder das Recht 
hat, ohne Lizenzgebühren den Quellcode zu 
lesen, zu verändern und Dritten zugänglich 
zu machen. Keine Person oder Gruppe darf 
von der Nutzung und Weiterentwicklung des 
Quellcodes ausgeschlossen werden. Die verschiedenen 
Lizenzen unterscheiden sich danach, inwieweit 
Weiterentwicklungen und sonstige Änderungen 
an einem Programm unter die gleiche Lizenz 
gestellt werden müssen wie das ursprüngliche 
Programm. Die in diesem Sinne strikteste 
Lizenz ist die General-Public-Licence (GPL), 
bei der jegliche Weiterentwicklung ebenfalls 
unter dieser Lizenz veröffentlicht werden 
muss. 
Im Unterschied zum herkömmlichen Copyright 
werden Lizenzen wie die GPL «Copyleft» genannt. 
Diese Regel stellt sicher, dass ein unter 
der GPL veröffentlichter Quellcode nicht 
mehr unter eine proprietäre Lizenz gestellt 
werden kann. Diese besonderen Lizenzen ermöglichen, 
dass bei der Open-Source-Software der Design- 
und der Testprozess fast gleichzeitig ablaufen. 
Im Unterschied dazu können bei proprietärer 
Software Fehler von den Benutzern nicht selber 
beseitigt werden, weil diese keinen Zugang 
zum Source- Code haben. Fehler («bugs») können 
nur dem Eigentümer angezeigt werden - was 
in der Regel zu erheblichen Zeitverzögerungen 
beim «debugging» führt. 

Neues Innovationsmodell 

Wer sind nun die Tausende, die unbezahlte 
Beiträge leisten? Damit dieses neue Innovationsmodell 
auf Dauer erfolgreich sein kann, ist eine 
ganze Reihe von unterschiedlich motivierten 
Teilnehmern an diesem virtuellen Netzwerk 
nötig. Ein grosser Teil der Programmierer 
(Programmiererinnen spielen leider nur eine 
verschwindend kleine Rolle) ist durchaus 
kommerziell motiviert. Aber der Erfolg von 
Open-Source-Software kann nur aus der Zusammenarbeit 
von extrinsisch und intrinsisch Motivierten 
erklärt werden. Das sind einerseits solche, 
die einen kommerziellen oder anderweitig 
instrumentellen Vorteil sehen, und andererseits 
solche, die von der Sache begeistert sind. 

Auf der kommerziellen Seite überlegen sich 
immer mehr Unternehmen und Einzelpersonen, 
wie sie aus dem Entwicklungsmodell Open Source 
Nutzen ziehen können. 
-So entwickelten sich einerseits Unternehmen, 
deren Geschäftsmodelle zwar auf dem von der 
Open-Source-Community entwickelten Quell 
code beruhen. Aber mit diesem Code alleine 
lässt sich kein Geld verdienen, da jeder 
und jede die Software kostenlos im Internet 
herun terladen kann. Deshalb verkaufen Unterneh 
men wie etwa IBM oder Hewlett-Packard zu 
Open-Source-Software komplementäre Hard- 
und Software. Andere Unternehmen wie Red 
Hat oder SuSe bieten Dienstleistungen an, 
die es auch Laien ermöglichen, die ursprünglich 
von Experten für Experten hergestellte Open- 
Source-Software zu benutzen. -Andererseits 
haben auch Firmen, die ursprüng lich rein 
proprietäre Software hergestellt haben, die 
innovativen Kräfte des Open- Source-Entwicklungsmodells 
entdeckt. So ent schloss sich beispielsweise 
Sun Microsystems, den bisher proprietären 
Quellcode von Java freizugeben. Die kommerziellen 
Unternehmen sind jedoch auf die freiwillige 
Kooperations bereitschaft der Open-Source-Entwickler 
ange wiesen. Der Erfolg ihrer Projekte hängt 
davon ab, ob es den Unternehmen gelingt, 
eine gute Beziehung zur Gemeinschaft der 
freiwilligen Entwickler aufzubauen. -Einen 
kommerziellen Vorteil erhoffen sich aber 
auch diejenigen Programmierer, die mit ihren 
Beiträgen eine hohe Reputation - mithin einen 
zukünftigen Karrierenutzen - erwerben wollen. 
Jedoch ist der Anteil dieser Programmierer 
ge mäss zahlreichen empirischen Untersuchungen 
nicht sehr gross. Ausserdem kann man eine 
solche Absicht nur erfolgreich umsetzen, 
wenn ein Projekt schon einen gewissen Marktanteil 
hat. Liest man die Biografie von Linus Torvalds, 
dem mittlerweile schon fast legendä ren Begründer 
von Linux, so wird deutlich: Sein Motiv bei 
den ersten Schritten von Linux war Programmieren 
«just for fun» - was denn auch den Titel 
des Buches abgab. -«Scratching one's own 
itch», heisst ihr Motto. Die Veröffentlichung 
im Netz kostet fast nichts, und es entsteht 
die Chance, dass ein anderer Programmierer 
hilft, der dasselbe Pro blem schon gelöst 
hat. Diese Motivation setzt aber voraus, 
dass es in der Gemeinschaft nicht lauter 
Trittbrettfahrer gibt, die nur Fragen stel 
len, aber keine Unterstützung anbieten - 
mit hin dass es auch intrinsisch, von der 
Sache her motivierte Programmierer in dieser 
virtuellen Gemeinschaft gibt. 

Profitieren von Gratissoftware 

Das neue Innovationsmodell kann nur funktionieren, 
wenn ein erheblicher Teil der Open- Source-Gemeinde 
sich nicht nur kommerziell oder instrumentell 
engagiert. Zahlreiche empirische Untersuchungen 
zeigen, dass das tatsächlich der Fall ist. 
Der Nutzen für diese Programmierer besteht 
entweder im Spass am Programmieren selbst, 
in der «Ego-Gratifikation» oder in der Zugehörigkeit 
zu einer Gemeinde, mit der sie sich identifizieren, 
ohne dass dahinter monetäre Motive stehen. 

-Den Spass am Programmieren bestätigt die 
Mehrheit der Programmierer gemäss einer gross 
angelegten Befragung der Boston Con sulting 
Group. Etwa 70 Prozent geben an, dass sie 
beim Programmieren das Gefühl für Zeit und 
Raum verlieren. Mehr als die Hälfte ver gleicht 
das Schreiben von Code mit Kompo nieren oder 
Dichten. -Die «Ego-Gratifikation» entsteht 
durch die un mittelbare Anerkennung der Mitentwickler 
und Anwender. Sie ist nicht durch Geld motiviert, 
sondern dadurch, dass «die Sache funktio 
niert», sowie durch die Bestätigung der gleich 
gesinnten Kollegen. Bei der Entwicklung von 
kommerzieller Software braucht es nicht selten 
Jahre, bis das Produkt auf den Markt kommt. 
Bei Open Source hingegen haben die Program 
mierer die Chance, dass ihr Code viel schneller 
in ein Projekt aufgenommen wird. -Das Gefühl 
der Zugehörigkeit zu einer Ge meinde ist 
für das Überleben dieses Innova tionsmodells 
deshalb so wichtig, weil ohne die ses Engagement 
die Ordnung in dieser Gruppe nicht aufrechterhalten 
werden könnte. Wie in jeder Gemeinschaft 
gibt es bei Open Source Regeln, an die sich 
alle halten sollten, und wie überall gibt 
es auch hier Trittbrettfahrer. Eine der schlimmsten 
Sünden ist die Verletzung des «Copylefts», 
d. h. die Verwendung von Pro grammteilen 
in proprietären Codes. Die Iden tifikation 
und Bestrafung der Sünder (etwa durch Blossstellung 
und «flaming») muss durch die Mitglieder 
selber geleistet werden, schliesslich stehen 
Unternehmen mit Rechts abteilungen nur im 
Ausnahmefall zur Ver fügung. Auch hier ist 
also das freiwillige En gagement der Programmierer 
gefragt. Etwa die Hälfte der Programmierer 
bestätigt, dass das Zugehörigkeitsgefühl 
für ihre Mitarbeit aus schlaggebend ist, 
und rund ein Drittel enga giert sich für 
die Überzeugung, dass der Quell code offen 
zugänglich bleiben soll. 

Labiles Gleichgewicht 

Der Erfolg der Open-Source-Software-Entwicklung 
lässt sich insgesamt nur daraus erklären, 
dass gleichzeitig kommerzielle Anbieter und 
von der Sache begeisterte Programmierer sich 
ergänzen. Beide Gruppen sind offensichtlich 
nötig, damit diese Software beachtliche Marktanteile 
gewinnen konnte. Für beide Gruppen ist die 
besondere Lizenz des «Copylefts» von zentraler 
Bedeutung für die Zusammenarbeit: Sie gewährleistet, 
dass sich die freiwilligen Enthusiasten von 
den kommerziellen Anbietern nicht ausgebeutet 
fühlen, sondern dass ihr Beitrag weiterhin 
für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Allerdings 
muss offen bleiben, wie lange dieses neue 
Innovationsmodell bestehen bleibt. Schon 
zeichnet sich ab, dass die kommerziellen 
Anbieter die Überhand gewinnen. Es könnte 
sein, dass dann die freiwillige Mitarbeit 
zum Versiegen kommt. 

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Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter:
http://www.nzz.ch/2003/09/23/ob/page-article93QW9.html

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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