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Re: [ox] Fwd: Oekonux-Thesen in einem PDS-Forum



Hi Liste!

Last month (30 days ago) Stefan Merten wrote:
vor ein paar Wochen habe ich in einem regionalen PDS-Forum [...]
habe ich kürzlich eine Diskussion vom Zaun gebrochen, bei der ich
reichlich Oekonux-Thesen vertreten habe.

Meine MitdiskutantInnen waren kürzlich auf der Veranstaltung hier in
Kaiserslautern und Andrea hat darauf hin eine sehr begeisterte Mail an
das entsprechende Forum geschrieben, zu der auch Hartmut noch eine
Anmerkung gemacht hat. Das möchte ich uns allen natürlich nicht
vorenthalten :-) .

Im übrigen teile ich Andreas Einschätzung voll und ganz. Sie hat sehr
gut erkannt, was an Oekonux wirklich Klasse ist und was teilweise auch
in Widerspruch zu traditionellen linken Ansätzen steht.

Ach so: Mit dem "alten Text" in der letzten Mail meint Andrea

	http://www.oekonux.de/liste/archive/msg02507.html

Vielleicht ganz nett für die, die noch nicht so lange dabei sind.

So, hier aber die beiden Mails.

------- Forwarded Messages

Date:  Fri, 19 Sep 2003 11:21:52 +0200
From:  Andrea.Link t-online.de (Andrea Link)
Subject:  Oekonux
To:  diskussion pds-rlp.de
Message-Id:  <1A0HSa-1FaodO0 fwd00.sul.t-online.com>

Lieber Stefan,

Vorhang auf für den letzten Akt unserer Debatte über die GPL-Gesellschaft!

Wie ich gestern bereits sagte, halte ich letztere für eine INTELLIGENTE Utopie,
die intelligenteste, die mir seit Jahren begegnet ist. Darum lohnt es sich, den
Gedanken zu vertiefen.

Folgende Umstände bewegen mich zu diesem Urteil:

1. Sie ist vorwärtsweisend und trägt realen Vorgängen in der Gesellschaft
Rechnung (Individualisierung, Automatisierung, Verbreitung der digitalen Kopie).
2. Sie klammert nicht verzweifelt an irgendwas Altem fest, sondern weist einen
Weg zur positiven Aufhebung aktueller Problemlagen.
3. Sie birgt das Potential einer tatsächlichen dialektischen Aufhebung
herkömmlicher Produktionsweisen, wenn man sie in letzter Konsequenz zuende
denkt.
4. Sie ist eine elitäre Bewegung, und nach meiner Überzeugung kommt tatsächliche
Veränderung von den kreativen Kräften einer Gesellschaft oder sie kommt gar
nicht.
5. Sie ist konstruktiv und funktioniert auch ohne Feindbilder.

Die Argumente dagegen ähneln vor allem den Abwehrkämpfen, wie sie die
Handwerkerzünfte (und andere Interessenträger der Persistenz) seit der frühsten
Neuzeit ins Feld geführt haben. Mit anderen Worten: In der historischen
Dimension kann man sie vergessen. Wenn die von Dir aufgezeigten Möglichkeiten
greifen (und es spricht faktisch nichts dagegen), sind die Abwehrkämpfe (Patente
& Lizenzen) letztlich machtlos. Die Gesellschaft könnte ohne weiteres an allen
Institutionen vorbei von innen sich selbst verändern, wenn die Menschen es
wollen und brauchen, und zwar nach Maßgabe genau ihres Willens und ihres
Bedürfnisses.

Da nach meiner Theorie der Wandel vom Feudalismus zum Kapitalismus (=
bürgerliche Geldgesellschaft) sich nicht (wie in der gängigen Periodisierung
unserer Geschichte völlig unglaubwürdiger Weise üblich) plötzlich hopplahopp im
Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jh. vollzogen hat, sondern ein Prozess war, der
im 13. Jh. beginnt und im späten 18. Jh. seinen institutionellen Niederschlag
gefunden hat, spreche ich für diesen "Übergang" von einem Zeitraum von gut einem
halben Jahrtausend (und nicht von einem lumpigen halben Jahrhundert), während
dessen das Feudalsystem sich von innen heraus aushöhlte, so dass von ihm nichts
als ein sinnentleerter Überbau übrig blieb, den abzuschaffen es einer einzigen
Nacht bedurfte. So ähnlich könnte es mit Deiner Utopie laufen, vermutlich ginge
es wesentlich schneller, da Geschwindigkeit von Entwicklung sich potenziert.

Wie das Ding dann letztendlich heißt, aussieht, sich organisiert und wie der
"Übergang" vonstatten geht, ist müßig zu spekulieren. Eine Entwicklung "von
innen heraus" ist nicht planbar wie ein Putsch. Wenn immer mehr Menschen es für
gut und wünschenswert erachten, auf unbürokratischem und direktem Weg von den
Ideen und Entwicklungen anderer zu profitieren, dann kann keine Macht der Welt
sie davon abhalten.

Auch sehe ich nicht die Gefahr der mittelalterlich stagnierenden
Kopier-Gesellschaft. Denn die digitale Kopie birgt ja (im Gegensatz zur
Abschrift im Kloster) die unmittelbare Möglichkeit, sie zu verändern, Auszüge zu
machen, sie stückweise wiederzuverwenden und nach Wunsch und Bedürfnis
weiterzuentwickeln.

Vor diesem Hintergrund ist die Debatte Linux versus Microsoft eher eine
Expertendebatte, die ein bisschen den Charakter trägt "Betriebsgeheimnis des
Handwerkers X" versus industrielle Produktion. Sie betrifft vor allem konkrete
Bedürfnisse von konkreten Usern, und alle Verwerfungen, zu denen es im Zuge
dieses Prozesses kommen könnte, sind Randerscheinungen, die das Prinzip
letztlich überhaupt nicht in Frage stellen.

Kurz und gut: Das Hauptproblem - sorry - sehe ich in der Endlichkeit und der
Verfügbarkeit der Rohstoffe und - abermals sorry - der Ernährungsgrundlage der
Bevölkerung = Landwirtschaft. Aber ich will da ausdrücklich nicht beckmesserisch
sein! Wie sich das organisiert, liegt einzig in der Zukunft, warum sollten sich
dafür nicht Modalitäten finden lassen. Es ist sympathisch, dass es nicht schon
für alles vorgefertigte Antworten gibt.

Ich wollte Dir nur noch mal ganz offen sagen: die von Dir skizzierte Utopie (und
ich nenne es bewusst nicht "Vision", denn da muss ich immer an Lourdes oder
an den Mann mit dem weißen Kittel denken) ist die bislang einzige plausibel
denkbare Art und Weise, wie die kapitalistische Produktionsweise TATSÄCHLICH
POSITIV aufgehoben werden könnte, die mir untergekommen ist. Sie hat darüber
hinaus den Charme des Konstruktiven (im Gegensatz zu allen anderen
Denkvarianten, die samt und sonders destruktiven, somit negativen und somit
wiederum völlig chancenlosen Charakter tragen). Es lohnt sich also allemal, da
weiter drüber nachzudenken, und für den Anstoß dazu herzlichen Dank. Ein Licht
am dunklen Horizont der Aporie.

Viele Grüße
Andrea




------- Message 2

Date:  Sat, 20 Sep 2003 10:50:46 +0200
From:  "Hartmut Ritzheimer" <kh.ritzheimer gmx.de>
Subject:  Re: Oekonux
To:  "Diskussion PDS RLP" <diskussion pds-rlp.de>
References:  <1A0HSa-1FaodO0 fwd00.sul.t-online.com>
Message-Id:  <002801c37f56$28bd1060$f1d3b8ac de>

Liebe Andrea, lieber Stefan,

im Kern kann ich mich bezüglich Andreas Ausführungen kurz fassen: ihnen kann
ich nur zustimmen. Ich will nur zwei sehr wichtige Aspekte ihres Beitrags
nochmals unterstreichen

4. Sie ist eine elitäre Bewegung, und nach meiner Überzeugung kommt
tatsächliche
Veränderung von den kreativen Kräften einer Gesellschaft oder sie kommt
gar
nicht.

Dieser Gedanke muss für jede linke Politik zentral sein: eine Gesellschaft
kann man nur verändern,
wenn große Teile der Kräfte, die sie tragen, bereit sind sie zu
verändern. Nur sie zu gewinnen reicht nicht aus, aber ohne sie geht es
überhaupt nicht. Das gilt in alle Richtungen, egal ob für konservative oder
progressive Veränderungen. Konkret kann dies nur heißen, wir müssen die von
der Linken oft abschätzig als "sog." Eliten oder Leistungsträger
bezeichneten Personen für progressive Veränderungen gewinnen, Linkssein muß
zu deren ureigenstem Interesse werden.


Die Gesellschaft könnte ohne weiteres an allen
Institutionen vorbei von innen sich selbst verändern, wenn die Menschen es
wollen und brauchen, und zwar nach Maßgabe genau ihres Willens und ihres
Bedürfnisses.

Hier ist vor allem wichtig, dass wir uns nicht anmaßen, die Bedürfnisse der
Menschen als falsch oder manipuliert darzustellen, sondern sie so
akzeptieren wie sie real einfach sind. Alles andere kann nur in einer
Diktatur über die Bedürfnisse enden. Eine solche ist z.B. mit dem
Real-Sozialismus schon einmal total gescheitert, weil die Bügerinnen und
Bürger sich ihrer als sie es endlich konnten, einfach entledigt haben.

Viele Grüße
Hartmut





------- End of Forwarded Messages


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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