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[ox] Fwd: [krisisinfo] Haina-Seminar: Tischvorlage



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Subject: [krisisinfo] Haina-Seminar: Tischvorlage
Date: Mon, 23 Jun 2003 10:17:49 -0000
From: "krisisweb" <krisisweb gmx.net>
To: krisisinfo yahoogroups.de

Liebe SeminaristInnen

zum "Information als Ware"-Seminar 27.-29.6. in der Kooperative Haina
gibt es folgende "Tischvorlage" von Ernst Lohoff:

Zum Unterschied von Kunst und künstlerischem Können ist Wissen
wesensgemäß immer ein Ergebnis gesamtgesellschaftlicher Zusammenarbeit
und universalen Austausches und Verkehrs. Es gilt als Gemeingut der
Menschheit und verlangt als solches allen zugänglich zu sein, um je
nach Bedarf in besonderen Formen eingesetzt und weiterentwickelt zu
werden. Seine Inhaber können es weg- und weitergeben, teilen und
tauschen, ohne es dadurch zu verlieren oder zu schmälern. Ganz im
Gegenteil, je mehr Menschen am Austausch und am Weitergeben von Wissen
teilnehmen, umso größer wird das Wissen, zu dem jede und jeder Zugang
haben kann."  (André Gorz)

0. Hintergrund und Gegenstände des Seminars

Mit dem Ende des fordistischen Nachkriegsbooms geriet die
kapitalistische Akkumulation weltweit in eine Phase der Stagnation.
Aber sehr bald regte sich die Hoffnung auf ein baldiges
Frühlingserwachen. Die klassische industrielle Basis des Kapitalismus
mag zwar einen Ausdünnungsprozess durchmachen, an ihre Stelle tritt
aber eine neue. Der Kapitalismus steht vor einer nächsten, diesmal
nicht mehr industrie- sondern wissensgesellschaftlich fundierten
Blüte, hieß in den 80er Jahren allenthalben.
Zu dieser Zeit bemühte sich in den Tiefen der süddeutschen Provinz ein
kleines Grüppchen um erste Schrittchen zur Reformulierung von
radikaler Gesellschaftskritik. Auch in ihrem Denken spielte der Bezug
auf die mikroelektronische Revolution von Anfang an eine
Schlüsselrolle. Auch sie waren überzeugt, dass die mikroelektronische
Revolution entscheidend für Zukunftsperspektive des Kapitalismus sei.
Allerdings kamen sie zu anderen Schlüssen.
Bereits der vor mittlerweile 17 Jahren erschiene Artikel von Robert
Kurz "Krise des Tauschwert" in der "Marxistischen Kritik" 1 macht
seine Kernthese vom absehbaren Zusammenbruch der kapitalistischen
Produktionsweise wesentlich am Siegeszug des Computers fest. Der
universelle Charakter der neuen Technologie und der Aufstieg von
Wissen, einer "unmittelbar gesellschaftlichen Tätigkeit", zum
Hauptagens der Reichtumsproduktion sind mit der Vergesellschaftung
über den Wert unvereinbar. Die Funktionsfähigkeit der fetischistischen
Form von Gesellschaftlichkeit, des Werts, ist an die
Vergesellschaftung "getrennter Teil- und Privatproduzenten" gebunden.
Der Marsch in die "Wissensgesellschaft" fällt mit der Entkoppelung der
stofflichen Reichtumsproduktion von der Produktion von Wert zusammen.
Das bedeutet aber nichts anderes, als dass der kapitalistischen
Produktionsweise ihr Fundament wegbricht. Ein auf der Ware Information
gegründeter Kapitalismus wäre ein Widerspruch in sich. Der Wert
versucht sich eines Stoffes zu bemächtigen, der zu dieser
gesellschaftlichen Form einfach nicht passt. Auf dem Boden der
Warengesellschaft heißt das, die wertproduktive Arbeit macht einen
Ausdünnungsprozess durch, während demgegenüber die stofflich zwar
notwendige, wertmäßig aber unproduktive Arbeit überhand nimmt.
Vom Standpunkt der herrschenden Volkswirtschaftslehre wirkt diese
Sichtweise und die Differenzierungen, die sie aufmacht, nicht nur der
hässlichen Perspektive wegen recht befremdlich. In der Nacht des
Bruttosozialprodukts und des fetischistischen Bewusstseins sind alle
Katzen grau. Beim Wert handelt es sich um eine vergessene, längst als
metaphysisch entsorgte Kategorie. Irgendeine Krise des Werts ist von
daher so brisant wie ein vor der Universitäts-Bibliothek von Chicago
umgekipptes Fahrrad. Umso selbstverständlicher ist dafür die
abgeleitete Form von Wert, nämlich Kapital. Genauso wie es der Natur
von Obstbäumen entspricht Obst zu tragen, so entspricht es der Natur
von Wirtschaftstätigkeit sich in Kapital niederzuschlagen.
Im Unterschied zur bürgerlichen Nationalökonomie halten viele
Marxisten am Wertbegriff fest. Die Sicht differiert dennoch nicht.
Daran gewöhnt den Wert als positive Größe zu interpretieren und nicht
als prekäres Fetischverhältnis liegt die Möglichkeit dass die
Produktion von Wert und die von stofflichen Reichtum Auseinandertreten
können, von vornherein außerhalb seines Horizonts. Wo menschliche
Tätigkeit stofflichen Reichtum schafft, da entsteht auch Wert und der
nimmt wiederum die Gestalt von Kapital an.
Immerhin an einen Theoretiker kann der Gedanke der letztlichen
Unvereinbarkeit von Wert und "Informationsgesellschaft" anknüpfen, an
Marx nämlich. Die Überlegungen aus "die Krise des Tauschwerts" lesen
sich über weite Strecken wie eine Weiterentwicklung und Präzisierung
der berühmt-berüchtigten Marxschen Passagen aus den "Grundrissen" über
die Verwissenschaftlichung der Produktion und ihre Folgen (S.593 f.)
Mit der 3. industrielle Revolution gewinnt die allgemeine historische
Prognose von Marx über das Obsoletwerden der Wertvergesellschaftung
konkrete Konturen. An einem Punkt geht die Konkretisierung freilich
nicht sehr weit. Was heißt es im Einzelnen, dass sich Wissen aufgrund
seiner Universalität der Verwandlung in eine Quelle von Tauschwert
sperrt? Wie lässt sich das begründen. Außerdem: Welche Widersprüche
ergeben sich daraus, wenn das universelle Gut Wissen gegen seinen
Inhalt doch zwangsweise in die Warenform gepresst wird?
Wer an dem Punkt unzufrieden, auf Marx rekurriert, um Genaueres in
Erfahrung zu bringen, wird enttäuscht. Was er gerne erklärt hätte,
setzt Marx, bei den wenigen Gelegenheit, bei denen er das Thema
überhaupt berührt, stur als selbstverständlich voraus. Wissen und
Warenform sind inkompatibel basta! Die Marxsche Einsilbigkeit ist
erklärbar. Zu seiner Zeit lag die Produktivkraft Wissen, was
gesellschaftliche Form und Inhalt angeht eindeutig außerhalb des
kapitalistischen Verwertungszyklus. Mit dem Versuch, Wissen als
solches zum Verwertungsgegenstand zu machen, war er nirgends
konfrontiert. Der Widerspruch von Form und Inhalt, mit denen es die
Krisentheoretiker der Krisis haben, stellte sich ihm auf dieser Ebene
gar nicht. Das Wissen hauste zu Marxens Lebzeiten und bis zur 3.
industriellen Revolution überhaupt zum einen säuberlich getrennt vom
Verwertungsbetrieb an den Universitäten; zum anderen existierte es als
Erfahrungswissen untrennbar am Arbeitsvermögen oder am
Arbeitsinstrument, aber eben nicht als separierbare Ware, nicht als
separierbarer Verwertungsgegenstand.
Die Krisentheoretikern der "Krisis" verdienen weniger Verständnis
dafür, dass sie bislang an diesem Punkt nur unwesentlich über den
Stand von 1986 hinausgekommen sind. Eine Krisen- und
Zusammenbruchstheorie bleibt ohne eine Kritik der politischen Ökonomie
des Wissens eine wackelige Angelegenheit. Hohe Zeit ein wenig
nachzurüsten.

Eine Kritik der politischen Ökonomie des Wissens hat zunächst einmal
von einer ganz grundsätzlichen fetischismuskritischen Fragestellung
auszugehen. Wenn "Wertsubstanz" der verdinglichte Niederschlag einer
spezifischen gesellschaftlichen Beziehung ist, nämlich der von
getrennten Privat- und Teilproduzenten, inwiefern ist dann Wissen ein
für dieses Verhältnis inkompatibler Inhalt? Wenn ja, über welche
Mechanismen wird dann Wissen dennoch in die Welt des abstrakten
Reichtums zwangsintegriert? Um diesen Fragen soll sich der erste Teil
des Seminars drehen. Eins ist dabei klar, an diese theoretischen
reicht das Bewusstsein der Akteure nicht heran. Es handelt sich hier
um Prozesse, die sich hinter dem Rücken der Beteiligten vollziehen und
nur Bedeutung für den kapitalistischen Gesamtprozess haben. Vom
einzelbetrieblichen Standpunkt ist es völlig egal, ob die Produktion
von Wissen nur produktiven Charakter hat oder nicht. Das hat genauso
wenig Auswirkung und dringt genauso wenig ins allgemeine Bewusstsein
wie die Tatsache, dass das kommerzielle Kapital in einem unproduktiven
Bereich seinen Profit erwirtschaftet.
Die gesellschaftliche Wertmasse muss sich als Sammlung von Waren
darstellen. Das herrschende Bewusstsein, das den Wert nur praktiziert
aber nicht kennt, kennt die Ware sehr wohl. Sämtliche Probleme und
Widersprüche, die sich aus der Verwandlung von universellen Wissen in
Ware ergeben sind denn auch empirisch greifbar. Analytisch ist es die
Hauptaufgabe sie in einen systematischen Zusammenhang zu bringen. Von
meinem Verständnis von Wertkritik aus gesehen, kann das nur heißen
wesentlich den Zusammenhang zur grundsätzlichen Wertebene herstellen.
Um diese Fragen soll es im zweiten Block des Seminars gehen.
In der Entwicklung der Krisisposition tauchte die mikroelektronische
Revolution außer unter krisentheoretischen Gesichtspunkten viele Jahre
später noch an einem zweiten Punkt auf. Im Zusammenhang mit der
Perspektive einer Aneignungsbewegung. Die mikroelektronische
Revolution führt zur Miniaturisierung von gesellschaftlichen
Produktivkräften. Damit erleichtert sie einer künftige
Aneignungsbewegung laut "Antiökonomie und Antipolitik" Teile der
gesellschaftlichen Reproduktion unabhängig von Markt und Staat zu
reorganisieren. Robert Kurz hatte bei diesen Überlegungen die
Anwendung der Informationstechnologien in allen möglichen
Reproduktionssektoren im Auge. Zwischen den auf einer sehr allgemeinen
Ebene stehen bleibenden krisentheoretischen Überlegungen und der Frage
inwiefern die Ergebnisse der mikroelektronischen Revolution unter
kapitalistischen Vorzeichen, tut sich offensichtlich eine große Lücke
auf. Überhaupt noch nicht ins Auge gefasst ist die Frage der
Informations- und Wissensgesellschaft selber. Öffnet die
mikroelektronische Revolution nicht ein ganz neues gesellschaftliches
Schlachtfeld? Muss nicht eine warenkritische Bewegung auch gegen die
Zwangsverwandlung von Wissen und Information in Waren kämpfen? Stefan
Meretz hat diese Frage auf seine Weise thematisiert. Er sieht in der
freien Software-Bewegung eine mögliche "Keimform" einer mit der
Warenform brechenden Gesellschaft. Inwiefern ist die Auflösung aber
hinlänglich? Trifft dieser am Vorbild des Übergangs von
vorkapitalistischen zur kapitalistischen Gesellschaft gewonnene
Begriff überhaupt das Wesentliche oder legt eine Analyse der
spezifischen Widersprüche im informationskapitalistischen Segment
nicht eine ganz andere Auflösung nahe?

I.
Wer erinnert sich nicht an die glücklichen Tage seines ersten
Kapitalkurses? Viele von uns dürfte vor allem die Begegnung mit dem
ersten Kapitel fasziniert haben. Eine Wunderwelt tat sich auf, in der
harmlose Dinge wie ein Rock oder 20 Ellen Leinwand anfingen, ein
seltsames Doppelleben zu führen. Sie spalteten sich in Gebrauchswert
und Tauschwert auf und der Tauschwert von 20 Ellen Leinwand nahm
plötzlich "die Gestalt seines Gegenteils" an. Er erschien am
Gebrauchswert irgendeines dahergelaufenen Rocks. Möglich wurden solche
wundersamen Kapriolen durch einen seltsamen Abstraktionsprozess. Ein
mysteriöser gesellschaftlicher Mechanismus sorgt dafür, dass
qualitativ völlig verschiedenartige Dinge wie Rock und Leinwand zu
Verkörperungen von ein und demselben mutieren. In ihnen
vergegenständlicht sich neben den Tätigkeiten des Webens und des
Schneiderns zeitgleich noch etwas anderes, "menschliche Arbeit
überhaupt". Sie sind Träger von Wert geworden und als solche
"gesellschaftliche Hieroglyphe".
Das eigentlich Merkwürdige ist die qualitative Reduktion von Rock auf
Leinwandgleiches. Der Vollzug dieser Reduktion muss freilich die
Gestalt einer quantifizierten Relation annehmen. Ein Rock tauscht sich
gegen Leinwand überhaupt, indem er sich ein ganz bestimmtes Quantum
Leinwand tauscht. Dessen Umfang wird vom Äquivalenzprinzip bestimmt.
Rock und Leinwand wechseln die Hände, wenn sie beide die gleiche
gesellschaftliche Durchschnittsarbeit repräsentieren.
 Dass Marx seine Kapitalismusanalyse anhand einzelner Schneider und
Weber entwickelt, mag den Erstleser des Kapitals zunächst einmal
irritieren. Sehr schnell erfährt er, dass sich hinter
Marktrepräsentanten von Leinwand und Rock aber genauso gut kollektive
Teilproduzenten verbergen können. An der Beziehung von Rock und
Leinwand ändert sich im Prinzip kein Deut, ob sie nun das Werk
fleißiger Handwerksmeister oder eines tiefgestaffelten Systems
kapitalistischer Betriebe, mit Zuliefern und Rohstofflieferanten sind.
(Von daher sind wir berechtigt den Tanz von Ware und Leinwand als
Elementarform der warengesellschaftlichen Beziehung zu betrachten).
Seltsame metaphysische Mucken - Marx wird nie müde das zu betonen -
entwickeln harmlose Dinge nur unter ganz spezifischen Umständen. Nur
wo Produzenten füreinander produzieren aber als getrennte
Privatproduzenten agieren und erst im Nachhinein auf dem Markt nämlich
ihre gesellschaftliche Beziehung realisieren, nimmt
Gesellschaftlichkeit die Form des Warenfetischs an. Für solche
Verhältnisse hat Marx den Begriff der ungesellschaftlichen
Gesellschaftlichkeit geprägt.
Zweierlei kennzeichnet eine in Privatproduzenten (und
Privatkonsumenten) aufgelöste Gesellschaft: Zum einen das Fehlen von
sozialen Zusammenhängen, die ein von der Instanz des Marktes
unabhängiges Nehmen und Geben ermöglichen würde. Zum anderen die
stoffliche Scheidung der in die Gebrauchswerte eingehenden Tätigkeiten
und deren Konsum.
Die erstgenannte Bedingung hat der Prozess der ursprünglichen
Akkumulation des Kapitals hergestellt, und das warengesellschaftliche
Formdiktat sorgt für ihre Reproduktion. Die zweite Bedingung erscheint
in der Welt von Marxens Leinwand- und Rockproduzenten als
selbstverständliche Naturtatsache. Es gibt nur mittelbar
gesellschaftliche aber keine unmittelbar gesellschaftliche Tätigkeit.
Diese Bedingung fasst zweierlei in sich:
A) Die Produktion von Leinwand ist eine, die eines Rocks eine ganz
andere Sache. Entweder ich webe oder ich schneidere, abstrakt
allgemeine Arbeit existiert als ihr Gegenteil, als eine auf einen ganz
spezifischen Gebrauchswert gerichtete Tätigkeit.
B) Der Rockproduzenten kann sich den Tauschwert seines Rockes in der
Gestalt von 20 Ellen Leinwand nur aneignen, soweit er dessen
Gebrauchswert exklusiv dem, Leinwandbesitzer überlässt. Verspürt er
Heißhunger nach Brötchen, dann muss er einen zweiten Rock herstellen
und neuerlich Schneiderarbeit verausgaben. Der gleiche Sachverhalt
lässt sich auch von der Seite dessen formulieren, der den
Gebrauchswert eingetauscht hat, um ihn im Konsum zu vernichten: das
Brötchen, das ich eingetauscht habe, kann niemand anders gleichzeitig
besitzen und schließlich essen. Den selben Rock, den ich trage, trägt
kein anderer, zumindest nicht gleichzeitig.
Magisch und fremd, so könnte es den Anschein machen, wirkt die
Elementarform nur durch und in der Detailanalyse der verqueren
Verkehrungen. Letztendlich landen wir nach unserem dialektischen
Bemühungen beim banalen Alltagsgeschäft, das wir ohne uns über seine
vertrackten Übergänge Rechenschaft abzulegen, jeden Tag problemlos
verrichten und das auch als großes soziales Allokationssystem
funktioniert.
Eines Tages indes bricht in unsere Welt von getrennten
Teilproduzenten, von Bäckern, Schuhfabrikanten und Leinweber eine
grundlegende Veränderung herein. Nicht dass Menschen auf die Idee
kämen nicht über den Markt vermittelte Formen des Nehmens und Gebens
zu reetablieren, im Gegenteil. Dafür tritt eine neuer Typus von
Warenbesitzer auf. Er hat sich einer für uns Privatarbeiter ganz
seltsamen Tätigkeit gewidmet und mit deren Ergebnis im Handgepäck
möchte er mit Leinwandbesitzern und Bäckern ins Geschäft kommen. Er
will Wissen als solches, als etwas Isoliertes, tauschen. Die verlorene
Magie des 1. Kapitels kehrt, aber nicht weil alles so schön verrückt
funktioniert, sondern, weil die neue Ware die Wertordnung zum
entgleisen bringt.
Nur auf dem ersten Blick mutet das Unterfangen, Wissen als Ware zu
tauschen, harmlos an. Wissen als etwas Universelles hat nämlich eine
mit der Tauschrelation, in der sich der Wert darstellen muss,
unvereinbare Eigenschaft. Man kann Wissen nicht weggeben, ohne es zu
behalten. Der Rock konnte nur den Tauschwert der Leinwand ausdrücken,
weil der Gebrauchswert Rock in seiner Gesamtheit im Tausch die Hand
seines Vorbesitzers verließ, um auf die Seite des Leinwandbesitzers zu
wechseln. Der Gebrauchswert  Wissen erlaubt aber eine rücksichtslos
Vervielfältigung. Der Besitzer der Wunderware Wissen kann mit dem
gleichen guten Stück zuerst dem Bäcker, dann dem Weber, ja einer
unbegrenzten Zahl von anderen Warenbesitzern gegenübertreten.
Wie soll unter diesen Umständen der Tauschakt den Tausch von
Arbeitsäquivalenten vermitteln? Wer die Existenz von Wert für
selbstverständlich hält, wird wahrscheinlich auf folgende "Lösung"
verfallen. Wenn der Besitzer der Wissensarbeit nicht mit einem,
sondern mit 2, 1000, oder x anderen Warenbesitzern tauscht, dann
findet der Tauschwert des Wissens eben seine stoffliche Gestalt in der
Summe der Einzeläquivalente. Die 10 Brötchen, die Leinwand,  das
Möbelstück und was der Wissenswarenbesitzer sonst noch eintauschen
kann, ihr Gesamtgebrauchswertgestalt repräsentiert den Tauschwert der
Wissensarbeit.
Diese Hilfskonstruktion hat allerdings kleine Schönheitsfehler.
Zunächst einmal sprengt sie die Elementarform ungesellschaftlicher
Gesellschaftlichkeit. Die Gleichung x Ware A =y Ware B steht nicht
mehr für sich fest. Wie die Äquivalenzbeziehung zwischen dem
Brötchen-Besitzer und dem Wissensbesitzer aussieht, ob erster 2
Brötchen oder 100.000.0000 tauschen muss, hängt vom Zustandekommen von
Tauschakten ab, an denen er gar nicht beteiligt ist. Der Wert
vermittelt hier nicht mehr, das, was er nur vermitteln kann, nämliche
die radikale ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit von getrennten
Privatproduzenten. Stattdessen wird in den Begriff eine seltsame
Kollektivität und Haftungsgemeinschaft hineingeheimnisst.
Damit aber nicht genug. Aus der Zirkulation, der Sphäre in der sich
der Wert jeder einzelnen Ware nur realisiert, wird mit dem obigen
Kunstgriff die ihn bestimmende Sphäre. Der Rock ging einst zu Markte
um seinen Wert, die bei seiner Herstellung verausgabte abstrakte
Arbeit, zu realisieren, der in ihm steckte. Die Verteidiger
Arbeitswertlehre können erst nach dem Marktbesuch den einzelne Waren
überhaupt einen (anteiligen) Arbeitswert zuschreiben.
Marx schreibt im ersten Kapitel des Kapitals: "Arbeit ist also nicht
die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des
stofflichen Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty
sagt, und die Erde seine Mutter." Die allgemeinste Voraussetzung jeder
Reichtumsproduktion "der Grund und Boden" ist zwar kein
Arbeitsprodukt, in der Warengesellschaft ist er trotzdem zur Ware und
zur Quelle von Geldeinkünften geworden. In der Form der Grundrente
sind diejenigen, die den Besitzer eines bestimmten Stücks Boden
monopolisieren konnten an der gesellschaftlichen Wertmasse beteiligt
worden, zu deren Schaffung sie nicht beigetragen haben. Mit Teilen des
universellen Wissens vollzieht sich ein ähnlicher Prozess. Wo neue
allgemeine universelle Produktionsvoraussetzung monopolisiert werden,
erlauben sie ihren Besitzer den Bezug einer Informationsrente.

II. Ein paar Besonderheiten der Ware Wissen.

Wissen als solches unterscheidet sich grundlegend von anderen Teilen
des gesellschaftlichen Reichtums. Es ist universell und es zeigt sich
gegen jeden Verbrauch resistent. Der Satz von Pythagoras ist nach 2500
Jahren noch so frisch wie am ersten Tag.
Die mikroelektronische Revolution hat die traditionelle enge Bindung
von Wissen an seinen materiellen Träger (Buch, Steinplatte, Mensch)
aufgesprengt. Das führt aber dazu, dass das seine Darstellungsformen
ohne großen Aufwand beliebig reproduzierbar werden. Das kollidiert
aber mit der Grundbedingung jeder Warenproduktion, nämlich der
Produktion von Knappheit.
Die Verwandlung in Ware erzwingt die künstliche Herstellung von
Knappheit. Ermöglichen kann sie nur ein technisch-juristischer
Zangenangriff. Technisch durch verschiedenen Maßnahmen die
Kopierbarkeit von Wissen zu beeinträchtigen, bzw. zu verunmöglichen
Juristisch durch den permanenten Schrei nach dem Staat, der die
Warenform per Jurisdiktion durchsetzten soll -eine ziemlich paradoxe
Angelegenheit vom Standpunkt der herrschenden Marktideologie. Wie
steht es um die Erfolgsaussichten dieser Versuche?
Der universelle Charakter von Wissen sperrt sich der Eigentumsform.
Die Frage was mein Wissen ist und was Deins wird gerade in den neuen
Informationstechnologien hochproblematisch und muss permanent
juristisch bestimmt werden. Die Grenzen sind unscharf zum einen
zwischen konkurrierenden Wissens-Produzenten. Zum anderen zwischen den
Wissensproduzenten und den Anwendern und Käufern. Während die
Beziehung der Verkäufer an den Käufer keinerlei Ansprüche mehr hat,
nachdem er gezahlt und den Laden verlassen hat, sieht das bei der Ware
Wissen anders aus. Der Verkäufer versucht den Käufer daran zu hindern,
das Wissen als universelles und damit reproduzierbares zu nutzen.
Wissen rostet nicht. Ein einmal gefunden Lösung bleibt in der Welt.
Wer Wissen verkaufen will muss an die Stelle des technischen
Verschleißes von Wissen dessen moralischen setzen. Welche Grenzen hat
das?

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